pelikan

Vom Gebetomat (1)

von Silke Leonhard

Eine Andacht


Ordnung

•    Begrüßung
•    Lied: Wie schön ist es, wenn Fremdheit weicht (M 1)
•    Morgengebet
•    Ansprache
•    Lied: Bewahre uns, Gott (freiTöne 185 / EG 171)
•    Gebet
•    Vater unser
•    Segen


Ansprache

Mitten auf dem kahlen Flur der Uni, den alle Fakultäten nutzen, stand er eines Tages. Der Gebetomat. Er sah aus wie ein Fotofix, so ein Passbildautomat: eine rote, kompakte, hohe Box. Diese braucht weniger als einen Quadratmeter, mit zwei Metern so hoch, dass man im Normalfall wirklich reingehen kann. Ich war neugierig, betrat die Kabine des Gebetomats, setzte mich auf einen Hocker, zog den Vorhang zu und warf Geld ein (50 Cent / 1 oder 2 Euro – je nachdem, wie lange man den Gebetomat nutzen will). Auf dem Bildschirm erschien nicht, wie im Fotoautomat für das Passbild, das eigene Gesicht – keine Chance auf ein Selfie – sondern ein Menü, mit dem man das Gebet findet, das man hören möchte. Durch Berühren des Bildschirms wählt man das Gebet aus der Religion oder Konfession aus, die man sucht, und das Gebet erklingt. Die Gebete sind nach den Religionen und ihren jeweiligen Glaubensrichtungen geordnet. Man kann auch mehrere Gebete hören.

Cool, dachte ich im ersten Moment; da befassen sich aus Neugier Leute mit Gebet, die eigentlich damit nix am Hut haben. Aber das wirklich automatische Durchklicken von dem, was möglich ist, nicht unbedingt von dem, was überlegt nötig ist, das haben wir Menschen ja gut drauf. Bestimmt klicken sich alle durch. Brauche ich das?

Und dann ging mir durch den Kopf: Na gut, man ist für sich in der Gebetskabine und doch öffentlich. Man wird nicht gestört, wenn man den Vorhang zuzieht; keiner kontrolliert, ob ich einfach nur hinhöre oder ob ich wirklich bete, so mit Leib und Seele. Die künstlerische Verfremdung, diese Automatik, hilft auch, das Gebet öffentlich zu machen.

Und neugierig, wie ich war, habe ich erst einmal einfach reingehört. Und war erstaunt: so verschiedene Gebete, über 300 in 65 Sprachen, in den Weltreligionen und in religiösen Gruppierungen vom strengen Zarathustra-Vaterunser über tibetanische Mönchsgesänge, buddhistische Sutren, Korangebete, hebräische Kaddisch-Gebete, Gesänge indigener Menschen, Gebete von Schamanen aus Neu-Guinea oder Mali bis hin zu zeitgeistigen Gruppenmeditationen und amerikanischen Fernsehpredigern. Viele Gebete leben von Rhythmus und eigenartigen melodischen Läufen, ein bisschen fremd, aber doch so, dass man sie bei mehrmaligem Hören wiedererkennen kann. Beten, eigentlich eine sehr nahe, persönliche, manchmal intime Kontaktaufnahme mit Gott, klang damit erst mal fremd, vom Singsang bis zum markanten Rhythmus, und doch hatte es etwas sehr Vertrautes. Ich habe es einmal probiert, wie es ist, mitzubeten beim Vater Unser, bei den Gebetsliedern. Für mich, die es gelernt hat und gewohnt ist, in kirchlicher Gemeinschaft zu beten und zu singen, ungewöhnlich, aber vorstellbar, damit Menschen sinnlich und sinnvoll überhaupt mit Gebet in Berührung kommen. Beten ist nichts Selbstverständliches. Nicht selbstverständlich für Menschen, die nicht (mehr) mit diesen Ritualen und mit Kirche groß werden. Es braucht Gründe dafür und Anlässe. Diesen Blick nicht zu verlieren, ist wichtig.

Was tun wir, wenn wir Gebete öffentlich machen? Es ist eine eigenartige Fremdheit, wenn Gebet öffentlich wird. Nicht ganz ein Tabuthema, aber manchmal hat es doch den Anschein, spätestens dann, wenn es um uns persönlich geht. Aber manchmal ist das Beten auch fremd, wenn es in der Gemeinschaft laut wird. Als wir in der Schule begannen, gemeinsame Andachten zu feiern (später wurden es auch richtig große Gottesdienste mit allen – aber als wir damit anfingen) im Musiksaal, in dem vorher noch gesungen, gearbeitet und eben auch geprüft worden war, sagte mir ein Schüler hinterher: Es war komisch, neben Ihnen zu stehen und plötzlich gemeinsam mit Ihnen, meiner Lehrerin, das Vaterunser zu sprechen. Die Andacht hatten wir zusammen vorbereitet. Die Religion war ihm schon ernst, aber dieses Setting hier hatte eine eher intime Vertrautheit, etwas Persönliches, und nun kam sie an die Öffentlichkeit. Ich bekam eine Rolle, die mir zwar zugebilligt wurde, aber die gemeinsam zu erleben (mindestens) beim ersten Mal doch auch fremd war. Ich hatte das gespürt, und da ging es mir ähnlich. Er hörte mich beten und sich beten und die anderen beten, in dieser halben Öffentlichkeit, und es war ein bisschen, als würde man sich öffentlich eingestehen, dass man Hilfe braucht. Genau das ist es wohl auch: Gebet in der Öffentlichkeit ist das Eingeständnis, nicht alles aus sich selbst heraus tun und leisten zu können. Das war fremd, fremd es gemeinsam zu tun, für andere hörbar.

Manchmal tut diese gewisse Fremdheit gut, so eigenartig es klingt: Die Form, die nicht meine allerpersönlichste ist, die nicht meine intimsten Gedanken, Wünsche und Rufe ist, und in der doch so Elementares Platz hat, gibt einen Schutz. Es können sich die einklinken, denen Gebet nahe und die, denen das Beten fremd ist. Diese Formen dürfen fremd sein, und man kann gut probieren, sie einfach mal in den Mund zu nehmen, ohne ganz zu schlucken. Deswegen sind auch so viele Gebete Lieder: Da fällt das Einklinken leichter, da muss man nicht in jedem Moment die ganze Überzeugung reinpacken. Das gesungene Gebet kann man hören und erst einmal in der Vertrautheit oder der Verfremdung wahrnehmen und dann schauen: Wie passt das zu mir? Manchmal finde ich ein Gebet oder ein Lied, das passt, von den Klängen, weil ich einen Anker finde für meine Gedanken und weil ich mich in die Haltung des Liedes begeben kann, ganz bei mir, mit anderen zusammen und so auch bei Gott. Ich glaube, Gott gefällt das, und es hilft, die Fremdheit nicht zu überspringen, aber sie auch aufzubrechen.

Der Gebetomat ist ein echtes Kunststück. Der Künstler Oliver Sturm verbindet zweierlei damit: Das Beten wird in seiner Vielfalt der Religionsgemeinschaften nach außen gezeigt. Und der Gebetomatsraum ermöglicht die Gebete für jeden nach seiner Form. Schutz und Öffentlichkeit werden austariert, aber hier steht die Sichtbarkeit und Hörbarkeit in öffentlichen Räumen im Vordergrund.

Sicherlich ist der Gebetomat auch nur ein Kunstwerk. Denn Beten geht nur bedingt automatisch, es braucht schon ein bisschen Eigentätigkeit, hat mit Handwerk, aber auch mit Kunst zu tun. Und für das ernsthafte Gebet brauchen wir nicht die 50 Cent, aber ein wenig anderes von uns, was wir hineingeben in Gebet und Lied. Und mit dem, was wir Gott zutragen. Und doch: Vielleicht macht er Mut, in der Stille oder auch mit der eigenen Stimme ein Gebet in den Mund zu nehmen, wenn es dran ist. Oder regelmäßig. Die Formen sind schon da. Eine davon werden wir jetzt singen mit der Bitte um Schutz und Segen.


Gebet

Guter Gott, wir danken dir für diesen Tag, für das Leben.
Gib uns und allen in der Welt eine Stimme, mit dir zu sein und das Leben gemeinsam zum Klingen zu bringen.
Schenke insbesondere denen Gehör, die traurig, krank, verwundet und einsam sind, denen, die zu verstummen drohen.
Gib uns Mut, die Instrumente für den Kontakt mit dir für uns und öffentlich wachzuhalten. Schenke Frieden in der Welt, in und zwischen den Völkern und Kulturen – deinen Frieden.

Anmerkungen

  1. Weitere Begegnungen mit Perspektiven und Praxen siehe auch unter www.relithek.de, dem Ein Multimediaportal zur (inter)religiösen Verständigung und Bildung.

M1 - WIE SCHÖN IST ES, WENN FREMDHEIT WEICHT

WIE SCHÖN IST ES, WENNFREMDHEIT WEICHT