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Freiheit – reformiert!

von Marco Hofheinz

Drei theologiegeschichtliche Stationen und Profile aus der Schweiz

Das Freiheitspathos kennzeichnet nicht nur das Luthertum. Auch reformierterseits bildet „Freiheit“ einen Zentralbegriff und kein Epiphänomen konfessioneller Identität. Ein Blick jeweils auf einen der drei bedeutsamen Schweizer Orte der Theoriebildung genügt, um den profilbildenden Charakter der Freiheitsthematik für das Reformiertentum zu demonstrieren. Der erste Blick wird auf Zürich und Huldrych Zwingli geworfen, der zweite auf Genf und Johannes Calvin und der dritte schließlich auf Basel und Karl Barth. Alle drei Orte werden im Folgenden als theologiegeschichtliche Stationen reformierten Freiheitsverständnisses kurz aufgesucht und eines eingehenderen Blickes gewürdigt.1

Ein Blick nach Zürich: Huldrych Zwingli und die Dialektik von positiver und negativer Freiheit

Der erste Blick fällt auf die Anfänge des Reformiertentums. Bereits die Initialzündung der Zürcher Reformation, das berühmte Zürcher Wurstessen im März 1522, kann als eine Zeichenhandlung der Freiheit verstanden werden. Zwingli jedenfalls hat es so verstanden, als er im Hause des Buchdruckers Christoph Froschauer während der Fastenzeit dem Verzehr von Würsten durch Angestellte des Druckers beiwohnte. Zwingli aß zwar nicht mit, duldete aber und rechtfertigte diesen Aufsehen erregenden „Freiheitsakt“ zwei Wochen später in einer Predigt. Diese „Freiheitspredigt“ arbeitete er zu der Schrift „Die freie Wahl der Speisen“2  aus, die kurz nach Ostern 1522 erschien und als erste reformatorische Schrift Zwinglis in die Reformations- und Theologiegeschichte einging.

Freiheit wird hier von Zwingli verstanden als Freiheit von Fastenvorschriften und kirchlicher Autorität, die diese willkürlich und das heißt für Zwingli ohne Rückbindung an die Heilige Schrift auferlegt. Hier tritt der so überaus bedeutsame neuzeitliche Impuls des Freiheitsverständnis klar zutage: ein Verständnis von Freiheit als negativer Freiheit. Freiheit besteht demnach in der Negation, in der Abgrenzung von freiheitsverhindernden und -behindernden Faktoren. In der Moderne wird dieses Freiheitsverständnis im Namen des autonomen Subjektes fortgeschrieben. Während bei Zwingli die Schriftautorität befreit, avanciert der Mensch hier zum Subjekt, sub-iectum, wörtlich: zum „Zugrundeliegenden“, das sich sein Gesetz selbst gibt bzw. nur geben lässt, insofern es selbst dieses versteht und ihm zustimmt. Die Subjektivität des Menschen wird zur zugrundeliegenden Letztinstanz – die Gesetzgebung zur Selbstgesetzgebung.

Freiheit geht indes nach Zwingli nicht in diesem „Negativaspekt“ auf. Sie ist mehr als eine „Freiheit von etwas“, also von äußeren Zwängen, Einmischungen und Restriktionen, wie sie etwa die damaligen Fastenvorschriften repräsentieren. Dass Zwingli auch die positive Freiheit als Gestaltungsfreiheit vor Augen hat, wird spätestens dann evident, wenn er in seiner „Freiheitsschrift“ die „Summe“ formuliert: „Willst du gerne Fasten, dann tue es! Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iß auch kein Fleisch! Laß mir dabei aber dem Christen die freie Wahl!“3  Freiheit wird hier als Wahlfreiheit verstanden, wobei die Wahl zwischen Verzicht und Gebrauch anvisiert ist. Es geht um Freiheit vom Gebrauch und zum Gebrauch, Freiheit zum Verzicht und vom Verzicht. Beide Freiheitsbegriffe sind also dialektisch vermittelt. „Freiheit von…“ und „Freiheit zu…“ werden als die beiden Seiten der einen Münze sichtbar, die die Währung der Zwinglischen Theologie ausmacht.

Ein Blick nach Genf: Johannes Calvin und das Verhältnis von Freiheit und Gehorsam

Auch in der Theologie Johannes Calvins, des wohl bedeutendsten Theologen, den das Reformiertentum hervorgebracht hat, nimmt das Freiheitsverständnis eine zentrale Stellung ein. Der Traktat „De libertate Christiana“ steht im Zentrum seines Hauptwerkes, der „Institutio“4  (1559). Calvin identifiziert die christliche Freiheit als „den Hauptinhalt der Lehre des Evangeliums“5 . Auch Calvin geht – wie Zwingli – von einem dialektischen Freiheitsbegriff des Zugleichs von „Freiheit von…“ und „Freiheit zu…“ aus. Freiheit ist Calvin zufolge zum einen Freiheit vom Gesetz als Heilsweg und sie ist zugleich die Freiheit zum Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes.

Es ist gewiss auf den ersten Blick irritierend, dass Calvin ausgerechnet im Kontext der Freiheit von Gehorsam spricht. Ein zwanghafter Gehorsam dürfte jeder Freudigkeit abhold sein. Calvin sieht dies: „Solange unser Gewissen unter der Herrschaft des Gesetzes steht, […] ist es nie und nimmer befähigt, Gott in freudiger Bereitschaft zu gehorchen, wenn es nicht zuvor mit solcher Freiheit beschenkt ist“6 .Der Genfer Reformator stellt klar, dass der Mensch zum Gehorsam gegenüber Gott nicht einfach bereit ist, sondern dazu erst befreit werden muss. Calvin führt hier Zwingli weiter, dessen Freiheitsverständnis ebenfalls auf der Bindung an die Schrift beruhte. Nur der befreite Mensch „leistet nun aus freien Stücken dem Willen Gottes Gehorsam“7 . Calvin beruft sich auf Paulus: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Gal 5,1). Diese Freiheit muss dem Menschen also erst geschenkt werden. Das Geschenk der Freiheit entfaltet sich – so Calvin – im Hören auf Gott, in jenem Gehorsam, der aus dem Hören auf die Willensartikulation Gottes resultiert. In seinem „Römerbriefkommentar“ kann Calvin schreiben: „[W]enn wir Gott dienen, schmälert jenes nicht unsere Freiheit.“8

Ein Blick nach Basel: Karl Barth und die kommunikative Freiheit

Gut 400 Jahre nach Calvin hat der Schweizer Theologe Karl Barth den reformatorischen Freiheitsbegriff in seiner Dialektik des Zugleichs von negativer und positiver Freiheit sowie in seiner gabentheologischen Pointierung in einem vielbeachteten Vortrag aufgegriffen. Er trägt bezeichnenderweise den Titel „Das Geschenk der Freiheit“9  (1953). Dieser Titel könnte auch von einem der beiden Schweizer Reformatoren stammen. Barth ergänzt aber dort Zwinglis und Calvins Konturierung des Freiheitsbegriffs um eine weitere Facette und dies durchaus im Rückgriff auf die reformierte Tradition, nämlich die der sog. Bundes- bzw. Föderaltheologie. Barth setzt ein bei Gottes eigener Freiheit, nur von der ausgehend auch die Freiheit des Menschen theologisch sachgemäß in den Blick treten kann: „Gottes Freiheit ist […] nicht in erster Linie eine ‚Freiheit von‘, sondern eine Freiheit zu und für und zwar konkret: seine Freiheit für den Menschen, zur Koexistenz mit ihm, seine Selbsterwählung und Selbstbestimmung zum Herrn des Bundes mit ihm, zum Herrn und so zum Teilnehmer seiner Geschichte“10  . Gott hat sich selbst nach Barth zum Bundespartner des Menschen bestimmt. In dieser Bundespartnerschaft gewinnt seine Freiheit Gestalt.

Dieser Freiheit Gottes entsprechend soll nun auch der Mensch in den Bund Gottes mit ihm eintreten, d.h. sich zum Bundespartner wählen, entscheiden und entschließen. Der Mensch kann diese Wahl, Entscheidung und Entschließung vollziehen, weil Gott ihm zuvor die Freiheit dazu geschenkt hat. Der Bund ist mit anderen Worten bereits von Gott aus konstituiert. Es ist nun am Menschen, diesen bereits konstituierten Bund Gottes seinerseits zu realisieren, um so seine Freiheit leben zu können: „Frei wird und ist er [der Mensch], indem er sich selbst in Übereinstimmung mit der Freiheit Gottes wählt, entscheidet und entschließt“11 . Indem der Mensch dies tut, handelt und bewegt er sich bereits im Raum des Bundes. Der Bund ist mit anderen Worten der Raum der Freiheit und zwar der Freiheit im Leben mit Gott. In Barths eigenen Worten: „Die dem Menschen geschenkte Freiheit ist Freiheit in dem so, in dem durch Gottes eigene Freiheit abgesteckten Raum, nicht anders“12 .

Hier, im Raum des Bundes, erweist sich die Freiheit ihrem Wesen nach als kommunikative Freiheit. In ihr wird das Gegenüber, der Bundespartner, nicht als Verhinderer und Grenze eigener Freiheit erfahren, sondern als deren Ermöglichung. In diesem Raum ist auch das Gebot Gottes verortet, das insofern nicht die menschliche Freiheit konterkariert, sondern konkretisiert. Sie steht gerade nicht für Heteronomie, sondern ultimative Autonomie, nämlich die Autonomie eines sich im Leben mit Gott realisierenden wahren und befreiten Selbst. Das ist die topologische Pointe des Freiheitsverständnisses Barths, das sich als bundestheologisch grundiert erweist. Denn dass Gott mit dem Menschen einen Bund schließt, besagt nach Barth nichts anderes, als dass er „nicht ohne den Menschen sein, sondern ihn an seiner Sache beteiligen will: nicht als einen zweiten Gott, sondern als Menschen, aber in seiner Nachfolge, als seinen Mitarbeiter. Er will, dass er – und das ist die Bedeutung des Bundes für den Menschen – sein göttliches Ja und Nein als Mensch mitspreche. Eben dazu ruft er ihn auf, indem er sich mit ihm verbündet. Und eben dazu schenkt er ihm Freiheit“13 .

Ein abschließender Rundblick

Im vorliegenden Durchgang wurden anhand von drei theologiegeschichtlich bedeutsamen Stationen und Positionen die Konturen eines reformierten Freiheitsverständnisses nachgezeichnet. Ein Panorama zeigte sich. Die Darstellung begann in Zürich und Genf mit Zwinglis und Calvins reformatorischem Freiheitsverständnis und mündete mit Basel in Barths Neuinterpretation desselben. Es zeigte sich zum einen als reformierte Gemeinsamkeit die Dialektik von Freiheit und Bindung bzw. von „Freiheit zu…“ und „Freiheit von…“. Zum anderen wurde die Weiterentwicklung und Profilierung von Freiheit durch Bindung an die Schrift (Zwingli) zu Freiheit und Gehorsam (Calvin) und schließlich zu Freiheit und Gehorsam im Bund (Barth) ansichtig. Barth präzisiert das reformierte Freiheitsverständnis, indem er den reformatorischen Impuls aufgreift, unter modernen Bedingungen neu artikuliert und dabei zeigt: Ein theologisch tragfähiger Freiheitsbegriff lässt sich nicht einfach nur formal im Sinne der Dialektik von negativer und positiver Freiheit gewinnen, sondern gewinnt seine Materialität erst durch das bundestheologische Interpretament. Damit wird hervorgehoben: Freiheit braucht einen bestimmten Ort. In der Ortlosigkeit geht sie verloren. Der Ort der Freiheit aber ist das Leben mit Gott, ist das Leben im Bund mit ihm.

Anmerkungen

  1. Zum reformationshermeneutischen Konzept der Ortsbegehung vgl. Michael Welker u.a. (Hg.), Europa reformata.
  2. Huldrych Zwingli, Die freie Wahl der Speisen.
  3. A.a.O., 39.
  4. Zit. nach Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion.
  5. A.a.O., Inst. III,19,1.
  6. A.a.O., Inst. III,19,4.
  7. Ebd.
  8. Johannes Calvin, Der Brief an die Römer, 341 (Komm. Röm 7,4).
  9. Karl Barth, Das Geschenk der Freiheit.
  10. A.a.O., 339. Dort z.T. kursiv.
  11. A.a.O., 343. Dort z.T. kursiv.
  12. A.a.O., 345.
  13. A.a.O., 348.

 

Literatur

  • Barth, Karl: Das Geschenk der Freiheit. Grundlegung evangelischer Ethik, in: Hans G. Ulrich (Hg.), Freiheit im Leben mit Gott. Texte zur Tradition evangelischer Ethik, Gütersloh 1993, 336-362
  • Calvin, Johannes: Der Brief an die Römer. Ein Kommentar, CStA 5/1, Neukirchen-Vluyn 2005
  • Ders.: Unterricht in der christlichen Religion / Institutio Christianae Religionis. Nach der letzten Ausgabe von 1559 übersetzt und bearbeitet von Otto Weber, hg. von Matthias Freudenberg, Neukirchen-Vluyn 2008
  • Welker, Michael u.a. (Hg.): Europa reformata. Reformationsstädte Europas und ihre Reformatoren, Leipzig 2016
  • Zwingli, Huldrych: Die freie Wahl der Speisen (1522), in: Huldrych Zwingli Schriften I, hg. von Tomas Brunnschweiler / Samuel Lutz, Zürich 1995, 13-73