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Du bist ein Gott, der mich sieht

von Felix Emrich

Andacht und Impulse zu 1. Mose 16,13 und „Kraft-Worten“

Hagar gab dem Herrn, der mit ihr geredet hatte, den Namen El-Roi, das heißt: Gott sieht nach mir. Denn sie hatte gesagt: „Hier habe ich den gesehen, der nach mir sieht.”
(1. Mose 16,13 Basisbibel)

Ablauf

  • Vorspiel
  • Begrüßung
  • Psalmgebet:

Psalm 139 in Auswahl, EG Nr. 753 oder freiTöne S. 232 f. (kürzer)

  • Lied: z.B. freiTöne 15, Und ein neuer Morgen
  • Predigt
  • Lied: freiTöne 1, Du bist ein Gott, der mich anschaut
  • Einleitung und Vater Unser:

Guter Gott, du siehst uns, du Hoffnung und Güte, du Vater und Mutter,
sei bei uns und hilf uns, andere wirklich zu sehen und ihnen beizustehen:
die Menschen, die uns anvertraut sind, und auch die, die wir nicht persönlich kennen.

Die wir lieben, und die, die wir nicht verstehen können.
Sie alle können wir vor dich bringen.
Mit den Worten, die Jesus Christus uns gelehrt hat, beten wir zu dir:
Vater Unser …

  • Sendung und Segen:

Und nun geht, gesegnet und begleitet von unserem Gott, Vater und Mutter: Der Herr segne dich und behüte dich…

  • Nachspiel

Predigt zu 1. Mose 16,13 (Jahreslosung 2023)

Sie ist auf der Flucht. Sie läuft weg, immer weiter. Sie hat kein Ziel, sie will nur weg. Dort, wo sie herkommt, wurde sie gedemütigt, als Objekt behandelt. Nur eine „Magd“.

Sie trägt ein Kind in sich, für diese Frau. Für ihre Herrin; von ihrem Herrn, der sie zur Nebenfrau genommen hat. Sie wurde nicht gefragt. Ihr ist klar, dass sie nie wieder zurückgehen will. Sie hat dort kein Zuhause, niemanden, der sich um sie kümmert oder für sie einsetzt.

Sie ist erschöpft und hat brennenden Durst. Ihr geht das Trinkwasser aus. Sie weiß, dass sie nicht mehr lange leben wird, wenn sie nicht bald eine Wasserquelle findet. Und selbst dann weiß sie nicht, wie es weitergehen soll. Soll sie nicht einfach aufhören zu laufen? Sie stellt sich diese Frage immer und immer wieder. Doch dann erinnert sie sich an das Kind in ihr und schleppt sich weiter. Immer weiter, durch den brennend heißen Wüstensand.

Da! Eine Wasserquelle! Sie stolpert darauf zu, sinkt zu Boden, schöpft mit den Händen Wasser und löscht ihren Durst. Dann sinkt sie in sich zusammen und schließt die Augen. Wie soll es nur weitergehen? Sie will einfach aufgeben. Hier sitzen bleiben und ...

„Hagar!“ Plötzlich hört sie eine Stimme: „Hagar! Woher kommst du? Und wohin willst du?“
Sie erstarrt, öffnet vorsichtig ihre Augen. Ein Mann steht neben ihr, schaut sie fragend, aber nicht unfreundlich an. Noch einmal fragt er: „Woher kommst du und wohin willst du?“

Auf die erste Frage kann sie eine einfache Antwort geben: „Ich bin meiner Herrin davongelaufen.“ Auf die zweite Frage weiß sie keine Antwort.

Der Mann schaut sie lange an. Dann sagt er: „Geh zurück, halte die Situation aus.“
Hagar ist schockiert! Nie mehr will sie zurück! Auf gar keinen Fall!
Aber der Mann spricht weiter: „Du wirst einen Sohn gebären und du sollst ihn Ismael nennen. Das heißt ‚Gott hat gehört‘. Denn Gott hat dein Elend gehört und dich gesehen.“

Der Mann dreht sich um und verschwindet – so schnell, wie er aufgetaucht ist. Aber seine Worte hallen in ihr nach. „Gott hat dein Elend gesehen. Er hat Dich gesehen.“ Bei jeder Wiederholung scheint sich etwas in ihr zu verändern.

Ihr wird klar, dass der Mann ein Bote des Gottes ihrer Herren ist. So muss es sein. Und er hatte eine Botschaft für sie: Sie ist nicht allein. Es gibt jemanden, der ihre Situation, ihre Schmerzen wahrgenommen hat. Jemand der SIE, die einfache Magd, eine Sklavin, erkannt und gesehen hat.

Wie gut sich das anfühlt, es macht sie frei – im Inneren!
Hagar merkt, dass ihr das Kraft gibt. Genug Kraft sogar, um zurückzukehren und die Situation auszuhalten, wie der Bote es verlangt hat. Langsam steht sie auf und wappnet sich für die Wanderung zurück. Leise flüstert sie: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“1

Diese alte Erzählung aus dem ersten Buch Mose, Kapitel 16, handelt von Hagar. Wer ist sie? Sie ist die Magd, oder Sklavin, von Sarai (Sara) und Abram, der später Abraham genannt wird – der Vater vieler Völker. Er hat Hagar auf Bitten seiner Frau zur Nebenfrau genommen und geschwängert. Denn Sara wollte auf keinen Fall kinderlos bleiben. Gott hatte doch ihrem Mann viele Nachkommen verheißen – und auf diese Weise wollte Sara zu einem gemeinsamen Kind kommen. Durch das Kind ihrer Leib-Magd, das dann als ihres und Abrahams gilt. Rechtlich war das damals so.

Dieses Kind ist aber noch in Hagars Leib. Durch den Engel, nichts anderes ist ja dieser Mann, verheißt Gott ihr und ihrem Sohn eine große Zukunft: Ihre Nachfahren sollen unzählbar werden. Und: Gott selber verleiht dem Kind seinen Namen – „Gott hat gehört“. Ismael gilt bis heute als der Stammvater der Araber*innen. Im Islam ist er sehr wichtig: als Gesandter Gottes, zusammen mit Abraham als Erbauer der Kaaba und als Urahn des Propheten Mohammed.

Zurück zu Hagar, der jungen Frau in so großer Not. Zu Hause fühlt sie sich in ihrer Not und Bedrängnis nicht gesehen. Als es zu immer mehr Konflikten kommt in dieser „neuen“ Familienkonstellation, flieht Hagar: vor ihrer Herrin, die sich von ihr bloßgestellt fühlt. Ist das ein durchdachter Entschluss, oder flieht sie einfach Hals über Kopf?

Und dann, mitten in der Wüste, als sie schon aufgeben will, begegnet ihr dieser Mann. Er sieht sie an, fragt sie, redet mit ihr. Und stellt sich als Engel, als Sprachrohr Gottes heraus. Ihr wird klar: Gott sieht mich! DU siehst mich! Sie kann nun Gott sehen und selber einen Namen geben. Nur so kann sie die Kraft schöpfen, in ihr Leben zurückzukehren, das so schwer für sie ist.

Ich finde: Gott geht wirklich über die Grenzen der jungen Frau hinweg. Ich glaube, dass ich dieses „Geh zurück!“ kaum hätte sagen können – etwa in einer Beratungssituation heute. Aber der Engel hilft ihr auch in der Erzählung, er weitet den Blick in die Zukunft und „hebt Hagar empor“, wie die Bibel sagt. Gott sieht sie, ist bei ihr. Er bewahrt sie nicht vor allem Leid, aber in ihrem Leid – er zeigt ihr einen Sinn auf, warum es sich durchzuhalten lohnt …

Und wir – und ich? Gibt es Situationen, aus denen ich am liebsten fliehen will, die ich aber aushalten muss – oder musste? Um meinet- und der anderen willen? Ich gebe es zu, das kommt mir bekannt vor. Vielleicht gibt es Ähnliches in Ihrem Leben – oder im Leben der Menschen, mit denen Sie umgehen. In der Arbeit, der Schule, oder auch zu Hause, im eigenem Freundeskreis.

Dann wird es eher selten so sein, dass ein Engel kommt und uns sagt, was wir tun sollen. Bleiben? Kämpfen? Oder weggehen, uns verändern? Wie Hagar es getan hat – sie erkannte Gott ja erst, als sie seine Hilfe gespürt hat. Sich gesehen und gerettet fühlen konnte. Und ich hoffe und denke: Wir können uns an Gott wenden. Er und Sie kann uns immer wieder die Kraft geben, die wir brauchen – für uns, aber auch für die, die uns wichtig sind. Und es sind fast immer Menschen da, mit denen wir reden können. An die wir uns wenden können. Oder andere wenden sich an uns. Gerade in der Schule kennen wir das wohl. Und dann ist es ganz wichtig, dass wir wirklich hören, uns Zeit nehmen und sehen: die Not, und den Menschen hinter dieser Not. In all seiner oder ihrer Schönheit. In dieser Stärke, die gerade auch im Kleinen aufblitzen kann. In den Möglichkeiten, die es gibt, auch in einer bedrängten Lage.

Mir hilft es dabei zu wissen, dass Gott mich sieht – mich als Einzelnen, Sie – jeden und jede von uns. Und zugleich uns gemeinsam, weil wir alle verbunden miteinander sind, im Gespräch in Kontakt bleiben. Nicht nur unter vier Augen. Sondern dabei auch zusammen gesehen von dem Gott, der sieht und uns liebevoll anschaut. AMEN

  • Wir singen zusammen das Lied von Hagar (freiTöne 1)

Didaktische und methodische Impulse

1. Kraft-Worte – Die Macht von Worten
Für den Bereich Konfirmand*innenarbeit oder Sek I (ca. 5.-8. Klasse)

In der Erzählung wird Hagar angesprochen, indem der Bote Gottes ihr Mut zuspricht: „Gott hat dein Elend gehört und dich gesehen.“ Hagars Worte „Du bist ein Gott, der mich sieht“ drücken aus, dass sie neues Vertrauen und neue Kraft in sich spürt – sie kann aufstehen und sich ihrer schweren Situation stellen. Sie gibt dem Leben in sich Raum, dem Kind und dem, was auf sie beide zukommt.

Erster Schritt

Die Lernenden sammeln je für sich (mindestens) zwei „Kraft-Worte“, aus denen sie Kraft, Mut, Orientierung oder Hoffnung schöpfen können. Hier bieten sich Moderationskarten in zwei Farben an. Digital ist ein Padlet o.ä. (Spaltenfunktion), die Open-ended-Funktion bei mentimeter.com oder die Kartenfunktion bei oncoo.de hilfreich.

Entweder (a.) einen ansprechenden Satz, den sie in Social Media (z.B. Instagram, Snapchat, WhatsApp…) finden, bekommen oder selber schon verwendet haben, oder (b.) einen persönlichen Satz aus der Bibel. Das können Tauf-, Firmungs-, oder Konfirmationssprüche sein, ein eigener oder ein recherchierter (z.B. Konfispruch.de bietet eine hilfreiche Anleitung zum Finden eines eigenen ansprechenden Verses).
Für beides soll möglichst eine Quelle angegeben werden: wenn es sich bei a. um ein Zitat handelt, der Name der Person; und bei b. die Bibelstelle. Außerdem sollten sich die Lernenden die Sätze merken und digital oder „händisch“ für den nächsten Schritt notieren.

Zweiter Schritt

Die Lernenden tauschen sich in Partner*inarbeit (max. drei Personen) aus, indem sie je ihre beiden Sätze vorstellen. Dabei können sie eine Situation benennen, in welcher ihnen einer dieser Sätze geholfen hat – oder auch wünschen würden, dass dieser Satz ihnen Kraft etc. geben kann.

Dritter Schritt

Die Kraft-Worte werden in der Klasse/Gruppe gesammelt, jede*r darf bis zu drei „fremde“ Lieblingssprüche bzw. solche, die auch sie ansprechen, auswählen und benennen. Unterstützend können die Moderationskarten mit Klebepunkten markiert werden. Digital ermöglicht es ein Tool wie padlet, Herzchen zu vergeben. Alternativ bietet sich bei oncoo eine Clusterung und Anordnung an, Mentimeter bietet solche Funktionen nicht. Hier würde eine mündliche Hervorhebung je nur eines Satzes durch einen Lernenden sinnvoll sein.

Der*die Unterrichtende hebt jeweils mind. zwei Worte aus den beiden Bereichen a. (Social Media) und b. (Bibel) hervor. Es bietet sich zunächst die je beliebteste Äußerung an. Je eine zweite, die gerade keinen starken Zuspruch erhalten hat, sollte aber ebenfalls besprochen werden, weil alle (ernsten) Äußerungen zugleich Selbst-Mitteilungen und daher alle gleich wichtig sind.

Als Leitfragen können dienen, wobei besonders bei der zweiten Frage auf Freiwilligkeit geachtet werden sollte:

  • Wer vermittelt Kraft (bzw. Hoffnung, Orientierung oder Mut) und auf welchem Wege?
  • Kannst du dir vorstellen, dass einer dieser Sätze ein „Lebensmotto“ für dich darstellen kann – mit Blick auf die Vergangenheit, aber auch die Gegenwart oder als Wunsch für die Zukunft?
  • Stimmst du der These zu, dass Worte Macht haben und die Realität verändern können? Begründe deine Haltung und nenne möglichst ein (positives oder negatives) Beispiel, das über die gesammelten Sprüche hinausgeht.

Vierter Schritt (optional)

Der Engel stellt Hagar zwei entscheidende Fragen des Menschen: Die uralte und stets aktuelle Frage „Was ist der Mensch?“ findet ihre Konkretion in den Fragen nach seinem Ursprung und Ziel – „Woher kommst du?“ und „Wohin gehst du?“.

Beide Fragen lassen sich der Voraussicht nach mindestens teilweise verorten in den gesammelten Kraft-Worten der Lernenden. Hier bietet sich der Impuls an, bei einer der Fragen nachzuhaken, an welcher Stelle und inwiefern die gesammelten Kraft-Worte die Frage nach woher oder wohin andeuten – und welche Antwort hier gefunden wird.)

2. „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Eine Bibelarbeit zu Hagar von Tabea Thalheim und Almut Kieffer2

Der Entwurf eignet sich, entsprechend angepasst, für eine Arbeit mit Konfirmand*innen. Auch für die Sek I finden sich hier Anregungen.

Mit dem Blick auf junge Menschen (hier auf Mädchen ausgerichtet) spannen die Autorinnen einen Bogen: Mit den drei Leitfragen „Kannst du Hagar sehen?“, „Wer sieht dich (nicht)?“, „Gott sieht Hagar – und dich?“ laden sie dazu ein, sich gemeinsam und kreativ mit dem eigenen Leben und Glauben auseinanderzusetzen.

Anmerkungen

  1. Die Nacherzählung folgt einer Meditation von Tabea Thalheim und Almut Kieffer, siehe unten 2.
  2.      www.cvjm-westbund.de/resources/ecics_431.pdf