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Neue Lieder über GOTT

von Jochen Arnold

 

Es gehört zu den schönsten Aufgaben, die man einem begeisterten Liedsammler, Kantor und Theologen stellen kann, interessante, für den Unterricht geeignete neue Lieder über Gott zu beschreiben. „Neu” heißt in diesem Falle, dass entweder die Melodie oder der Text im 21. Jahrhundert entstanden ist. Dabei wird eine bunte Mischung von theologisch anspruchsvollen und musikalisch interessanten Würfen präsentiert. Ich halte mich dabei an das „neue“ Liederbuch freiTöne (fT) für den Kirchentag in Berlin 2017 (Reformationssommer), das in der Landeskirche Hannovers auch Beiheft zum Gesangbuch ist.1 In diesem Zusammenhang ist es mir besonders wichtig, auch weiblichen Autorinnen und Komponistinnen eine Stimme zu geben. Dazu passt gleich der erste Titel:

Du bist ein Gott, der mich anschaut (freiTöne 1)

Refrain
Du bist ein Gott, der mich anschaut.
Du bist die Liebe, die Würde gibt.
Du bist ein Gott, der mich achtet.
Du bist die Mutter, die liebt,
Du bist die Mutter, die liebt.

1. Dein Engel ruft mich da, wo ich bin:
„Wo kommst du her und wo willst du hin?“
geflohen aus Not in die Einsamkeit,
durchkreuzt sein Wort meine Wüstenzeit.

2. Zärtlicher Klang „Du bist nicht allein!“
Hoffnung keimt auf und Leben wird sein.
„Gott hört“ – so beginnt meine Zuversicht.
Die Sorge bleibt, doch bedroht mich nicht.

3. Schauender Gott, wo findest du mich?
Hörender Gott, wie höre ich dich?
Durch all meine Fragen gehst du mir nach
und hältst behutsam die Sehnsucht wach.

freiTöne Nr. 1 „Du bist ein Gott, der mich anschaut”,
Text: Susanne Brandt, Melodie: Miriam Buthmann.
© Strube Verlag GmbH, München

Das erste Lied des Liederbuchs passt nicht nur zum biblischen Motto des Kirchentages, sondern auch zur diesjährigen Jahreslosung: Du bist ein Gott, der mich sieht. Das Lied stammt von Susanne Brandt (Text) und Miriam Buthmann (Melodie). Der klare biblische Bezug (Genesis 16) verweist auf die Geschichte von Hagar, der Magd Abrahams, die vor ihrer Herrin Sara in die Wüste fliehen muss, um dort ihren Sohn Ismael zur Welt zu bringen.

Wir haben ein typisches Refrainlied vor uns, das Gott anredet und als den „anschauenden“ preist.

Synonym zu GOTT ist Liebe eine „Liebe, die Würde gibt”. Das Stichwort „Liebe” taucht auch in der vierten Zeile als Verb auf und wird mit dem Attribut der Mutter verbunden, eine klare Ansage angesichts einer langen Kette väterlicher Prädikationen in Kirchenliedern. Die Melodie akzentuiert diese Aussage dadurch, dass die letzte Zeile des Refrains wiederholt wird, wodurch ein ungewöhnliches zehntaktiges Schema entsteht. Besonders einprägsam ist das rhythmische Motiv Viertel – zwei Achtel – Viertel – zwei Achtel – Viertel … Es durchzieht den kompletten Refrain und findet sich variiert auch noch in den Strophen.

Die Strophen bleiben in der Gebetsanrede an Gott und nehmen einen interessanten Weg. Eine Beziehung zu Gott entsteht. Die thetische Rede des Refrains bekommt geistliches, körperliches, seelisches Leben. Gottes Engel ruft da, wo wir gerade sind. Er fragt nach unserem Weg, schaut auf die Not und die Einsamkeit und durchbricht damit die bedrohliche Stille der Wüste. Dass hier das Verb „durchkreuzen“ vorkommt, mag als zarter Hinweis auf Christus verstanden werden (Str. 1). Wie in den stärksten Dichtungen Martin Luthers (vgl. EG 341,7) Paul Gerhardts (vgl. EG 36; 37) werden wir in Str. 2 von Gott (bzw. seinem Engel) unmittelbar angesprochen. Der zärtliche Klang „Du bist nicht allein“ erreicht unser Ohr. Er weckt neue Hoffnung und neues Leben. Nach dieser zentralen Erfahrung folgt in sehr ehrlicher Weise die dritte Strophe mit neuen Fragen. Noch leben wir im Hier und Jetzt, noch sind nicht alle Fragen geklärt. Aber wir wissen, an wen wir sie richten dürfen: „Hörender Gott, wo höre ich dich?“ Das Lied schließt zuversichtlich: Gott geht uns nach mit unseren Fragen, hält Sehnsucht wach (Str. 3), umfängt uns mit seiner Liebe (Refrain).

Ein Lied, das für alle Altersgruppen ab Klasse 3 geeignet sein dürfte. Es passt wunderbar zur Abrahams-Geschichte und natürlich auch zur Frage nach aktuellen Gottesbildern.

Die ganze Welt kommt, Gott, von dir (freiTöne 121)

1. Die ganze Welt kommt, Gott, von dir,
das kleinste Blatt, das größte Tier.
Ref.: Groß bist du, Gott. Und du liebst mich.
Du bist bei mir. Ich sing für dich.

2. Du, Jesus, kamst zu uns von Gott,
du bis stärker als der Tod.
Ref.: Groß bist du, Gott. Und du liebst mich.
Du bist bei mir. Ich sing für dich.

3. Du, Heil’ger Geist, bist immer da,
bringst Gottes Liebe uns ganz nah.
Ref.: Groß bist du, Gott. Und du liebst mich.
Du bist bei mir. Ich sing für dich.

freiTöne Nr. 121 „Die ganze Welt, Gott, kommt von dir”
Text: Ute Passarge,  Melodie (nach EG 442): Jochen Arnold
© Strube Verlag, München

Ebenfalls von einer Autorin, nämlich von Ute Passarge, stammt das Gedicht: Die ganze Welt kommt, Gott, von dir (fT 121), das ich einer alten Choralmelodie aus der Reformationszeit (vgl. EG 442: Steht auf, ihr lieben Kinderlein) zugeordnet habe. Es bewegt sich zumindest in der Nähe Leichter Sprache und bringt in knappster Form das Ganze des christlichen Glaubens zur Sprache, indem jede der drei Personen Gottes direkt in einer Strophe angeredet und im bekennenden Glauben gepriesen werden. Die ganze Welt ist von Gott gemacht: Makrokosmos und Mikrokosmos, das kleinste Blatt, das größte Tier. Jesus kommt zu uns von Gott und besiegt den Tod: Weihnachten und Ostern, die Bewegung herab zur Erde und wieder hinauf zu Gott, Hingabe und Sieg in einer Zeile (vgl. Phil 2,6-11 u.a.). Genauso der dritte Glaubensartikel: „Du Heil‘ger Geist, bist immer da, bringst Gottes Liebe uns ganz nah.“ Damit ist ein zentraler Gedanke der lutherischen Katechismen benannt: Der Heilige Geist wendet uns den Schatz dessen zu, was Christus erworben hat. Gottes Liebe wäre wenig nütze, wenn sie uns nicht durch den Geist Gottes so erschlossen und eröffnet würde, dass wir überhaupt glauben können.

Aus dem ursprünglichen Strophenlied haben die Autorin und ich ein Refrainlied gemacht. Im Refrain wird die Größe, Liebe und Nähe (bzw. das Mit-Sein) Gottes – mithin seine wichtigsten Attribute – in knappster Weise beschrieben. Dabei erreicht die Melodie auch wieder die hohe Spitzennote c, hervorgehoben durch die Punktierung: „Groß bist du, Gott. Und du liebst mich. Du bist bei mir. Ich sing für dich.“ Mit der knappen Zeile „Ich sing für dich“ gewinnt das Lied über das Glaubensbekenntnis hinaus einen hymnischen Tonfall, der das individuelle und gemeinsame Singen als elementaren Glaubensausdruck der christlichen Gemeinschaft „feiert“ (vgl. auch Ich sing dir mein Lied, fT 72 oder Ich singe dir mit Herz und Mund, EG 324).

Ein Lied, das mit dem Untertitel „Kindercredo“ besonders für Kita und Grundschule geeignet ist, über das man aber auch mit Jugendlichen gut ins Gespräch kommen kann.

Mothering God (freiTöne 115)

1. Mothering God, you gave me birth
in the bright morning of the world.
Creator, source of ev’ry breath,
you are my rain, my wind, my sun;
you are my rain, my wind, my sun.

2. Mothering Christ, you took my form,
offering me your food of light,
grain of life, and grape of love,
your very body form my peace;
your very body form my peace.

3. Mothering Spirit, nurt’ring one,
in arms of patience hold me close,
so that in faith I root and grow
until I flower, until I know;
until I flower, until I know.

freiTöne Nr. 115 „Mothering God”
Text: Jean Janzen (Julian of Norwich). Melodie: John L. Bell 2004
© WGRG Iona Community, Glasgow

Auf einer ähnlichen – gleichwohl noch anspruchsvolleren – Spur bewegt sich das Lied Mothering God (fT 115). Es geht zurück auf die englische Mystikerin Juliana von Norwich (Julian of Norwich ca. 1343 – 1416 oder später). Ihre Schriften, die heute als „Revelations of divine Love“ bekannt sind, sind wahrscheinlich die frühesten erhaltenen englischsprachigen Werke einer Frau, in der Bedeutung durchaus vergleichbar mit dem Werk Hildegard von Bingens.

Juliana lebte in der englischen Stadt Norwich, einem wichtigen religiös geprägten Handelszentrum. Zu ihren Lebzeiten litt die Stadt unter den verheerenden Auswirkungen des Schwarzen Todes (1348 – 1350), dem Bauernaufstand (der 1381 weite Teile Englands erfasste) und der Unterdrückung der Lollards. Im Jahr 1373, im Alter von 30 Jahren und so schwer krank, dass sie glaubte, auf dem Sterbebett zu liegen, empfing Juliana eine Reihe von Visionen oder Schilderungen der Passion Christi. Sie erholte sich von ihrer Krankheit und schrieb zwei Fassungen ihrer Erlebnisse, wobei die frühere bald nach ihrer Genesung fertiggestellt wurde. Julianas Schriften wurden 1901 wiederentdeckt, als ein Manuskript im Britischen Museum transkribiert und mit Anmerkungen von Grace Warrack veröffentlicht; seither wurden zahlreiche Übersetzungen angefertigt.

Von Jean Janzen, einer mennonitischen Autorin (*1933), die u.a. in Fresno (Kalifornien) Literatur / Poetik lehrte, wurde ein Gedicht, das wahrscheinlich aus der großen Sammlung „Revelations of divine Love“ stammt, geschaffen. In einem Interview betonte die Autorin:„[T]hesensual and spiritual are inevitably intertwined”. John Bell, Theologe und Musiker der IONA-Community, hat es (2014) vertont. Der ruhig schwingende Dreier (3/4-Takt) ist bereit ein Hinweis auf die Trinität.

Gott wird konsequent mütterlich bezeichnet und im persönlichen Du angeredet. Mütterlich ist Gott, die Leben schenkt am strahlenden Morgen der Schöpfung. Schöpfung der Welt und persönliche Geburt werden so schillernd „versprochen“. GOTT wird als “creator” und “source of ev’ry breath” gerühmt. Regen, Wind und Sonne sind das spürbare Zeichen dafür, dass dieser Gott ein Gott für mich ist. Ähnlich die Christusstrophe (2): In ungewöhnlicher Weise wird Christus als der gerühmt, der dem Leben Form und Nahrung gibt. Besonders Brot („grain of life“) und Trauben („grape of love“) werden genannt, eine Anspielung auf die „Ich-bin-Worte“ des Johannes-Evangeliums (vgl. Brot des Lebens: Joh 6,35; Weinstock, Joh 15,5). Das zentrale Christus-Attribut ist dann: “Your very body of my peace.” Damit stellt Janzen in eigentümlich offener Weise den „Leib Christi“ als Friedensleib in den Raum. Er ist die Mitte und der Grund des Glaubens. Man denkt einerseits an das Kind in der Krippe, an den leidenden Menschen am Kreuz, aber andererseits auch schon an den einen Leib der Christenheit, dessen Haupt Christus ist (vgl. 1Kor 10,16f. bzw. 1Kor 12).

Das Strophenlied hat damit das Geborenwerden, Wachsen und Gedeihen von Christ*innen in Gott im Blick. Durch den mütterlichen Geist (Str. 3) geschieht die tägliche Versorgung. Besonders schön sind die geduldigen Arme, die uns festhalten, dass wir fest gegründet wachsen, blühen und erkennen können. Das über Gottes Mütterlichkeit staunende Lied ist somit viel mehr als ein Gottesbekenntnis, es entfaltet auch die spirituellen Dimensionen des christlichen Glaubens sinnlich verbunden mit den körperlichen (vgl. Interview, s.o.).

Menschen gehen zu Gott (freiTöne 104)

1. Menschen gehen zu Gott in ihrer Not.
Flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot,
um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod,
So tun sie alle, Christen und Heiden.

2. Menschen gehen zu Gott in seiner Not.
Finden ihn arm, geschmäht, ohn’ Obdach und Brot,
sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit, Tod.
Sie stehn bei Gott in seinen Leiden.

3. Gott geht zu allen Menschen in der Not,
sättigt den Leib, die Seele mit seinem Brot,
stirbt für Christen und Heiden gar den Kreuzestod
und er vergibt ihnen beiden.

freiTöne Nr. 104 „Menschen gehen zu Gott”
Text nach Dietrich Bonhoeffer 1944
Melodie: Jochen Arnold 2012
© Melodie: Strube Verlag, München

Das Passionslied Menschen gehen zu Gott nimmt einen zentralen Text Dietrich Bonhoeffers auf, der 1944 in einem knappen dreistrophigen Gedicht den Weg der Menschen zu Gott und den Weg Gottes zu Menschen beschrieben hat. Dieser Text dürfte im Religionsunterricht sicher immer wieder eine Rolle spielen, wenn es um Christologie oder Gotteslehre geht.

Folgen wir dem Weg des Gedichts. Strophe 1 beschreibt Menschen, welcher Religion oder welchen Bekenntnisses auch immer sie sein mögen, auf dem Weg zu Gott. Sie sind umgetrieben von der täglichen Sorge um Brot und Glück, aber auch von persönlicher und gemeinsamer Not (Krankheit, Schuld und Tod). Strophe 2 ist bereits eine Passionsstrophe. Menschen wenden sich dem GOTT Jesus in seiner Not zu. Sie sind überrascht, ja verstört, denn ER hat kein Obdach, ist geschmäht und hineingezogen in eine Welt von Sünde, Intrigen und Tod (vgl. dazu auch Mt 25,31ff). Gott lässt sich verstricken, wehrt sich nicht. So stehen Menschen am Kreuz. Mit ihren Fragen, mit ihrem Unverständnis (vgl. Mk 15). Das Kreuz ist ein Skandal (vgl. 1 Kor 1,26). Gott scheint ohnmächtig.

Umso stärker wirkt der Wechsel in Str. 3. Gott ist plötzlich aktiv. Er macht sich auf zu den Menschen. Oder besser: Plötzlich wird klar, Gott ist längst unterwegs zu uns. Christ*innen sehen, dass die Botschaft, das Christusereignis allen Menschen gilt. Sie spüren und erkennen: Satt werden an Leib und Seele, Versöhnung erfahren, Vergebung erleben, das tat Gott für alle (vgl. 2 Kor 5,17-21 oder Joh 3,16). Die letzte Zeile bleibt anstößig: Gott vergibt ihnen beiden – „God forgives them all“. Ohne Bekenntnis, Glaube oder Kirchenmitgliedschaft zu konstatieren, hält Bonhoeffer fest: Gott vergibt, eine erstaunliche weite und inklusive Perspektive eines Menschen, der die letzten Monate seines Lebens in der Haft verbrachte.

Eindrucksvoll im Gedicht sind die sprachlichen Verklammerungen der Reime AA’A‘‘B auch über die Strophen hinweg. Not – Brot – Tod kommen in allen drei Strophen vor; erst am Ende gibt es eine Variation: Heiden – Leiden – beiden.

Der ursprüngliche Titel Bonhoeffers „Christen und Heiden“ wirkt heute nicht mehr adäquat, da der Begriff Heiden inzwischen deutlich negativ (abwertend) konnotiert ist. Deshalb hat die englische Übersetzung von Dirk Lange (deutsch-kanadischer Theologe, lehrend in Minnesota) den Text 2015 an dieser Stelle auch dezidiert neu geschaffen. Statt „Christen und Heiden“ steht im englischen Text in Str. 1: “Christians or not – they do the same”.

Meine Melodie basiert auf einer geringfügigen sprachlichen Glättung des Originaltexts, der sich – vielleicht auch gerade wegen des sperrigen Themas – nicht in ein klares Metrum fügt. Ein kleiner Eingriff hat einiges an Diskussionen ausgelöst. Strophe 2 schließt mit: „Sie stehn bei Gott.

„Damit bleibt offen, ob Christ*innen oder alle Menschen bei Gott stehen. Hier bleibe ich bewusst in der Perspektive von Str. 1 und 2 (alle Menschen), während Bonhoeffer selbst am Ende der Str. 2 bereits von Christen spricht. Aktuell überlegen wir eine Änderung zu „Wir stehn bei Gott“. Dies würde in ähnlicher Weise wie bei Bonhoeffer schillernd offenlassen, wer das „Wir“ ist. Menschen, die schon jetzt oder (noch) nicht an Christus glauben.

Die Melodie inszeniert ein ruhiges Schreiten: Menschen gehen zu Gott, sie gehen zum Kreuz. Sperriger als die Zeilen 1,2 und 4 ist die dritte: Sie beginnt mit einer Synkope und führt linear durch das Spektrum der d-Moll-Tonleiter beim Stichwort Tod in die Tiefe. Die letzte Zeile antwortet „versöhnt“ und führt zum Grundton zurück. Wichtig sind die Pausen, sie lassen Gesagtes und Gesungenes nachklingen und geben den Impuls zum Weitersingen.

Christus, Antlitz Gottes (freiTöne 151)

A. Christus, Antlitz Gottes, der du siehst, was uns beschämt.
Christus, Weisheit Gottes der umfasst, was uns zerreißt,
erbarm dich unser.
Christus, Heiland Gottes, der du löst, was uns bedrängt,
gib uns deinen Frieden, gib uns deinen Frieden.

B. Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Schuld der Welt.
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst das Leid der Welt,
erbarm dich unser.
Christe, du Lamm Gottes, der du bist das Heil der Welt,
gib uns deinen Frieden, gib uns deinen Frieden.

Christ, whose bruises heal our wounds,
Lamb of god, have mercy.
Christ, acquainted with your pain,
lamb of God, have mercy, have mercy on us.
Christ, who carries our disease, Lamb of god, have mercy.
By your suffering make us whole.
Dona nobis pacem.

freiTöne Nr. 151 „Christus, Antlitz Gottes”
Text A.: Susanne Kayser, Ilona Schmitz-Jeromin.
Text B. und Musik: Jochen Arnold, © Zebe Publishing, Berlin
Englischer Text: Terry Mac Arthur © Terry Mac Arthur

Ein letztes Lied soll hier in den Blick kommen, das in der Liturgie der Kirche schon seit den ersten Jahrhunderten einen prominenten Ort hat. Das Agnus Dei oder Christe, du Lamm Gottes ist inspiriert durch den Verweis des Täufers Johannes auf den kommenden Messias, den er als Lamm Gottes preist (vgl. Joh 1,29). Der alte Hymnus steht in der Abendmahlsliturgie der Messe in der Regel vor dem Friedensgruß im Anschluss an Einsetzungsworte und Vaterunser (samt Abendmahlsgebet). Die Metaphorik des geopferten bzw. sich hingebenden Lammes und die Fokussierung auf die menschliche Sünde ist allerdings schon längere Zeit – angesichts der sühnetheologischen Zuspitzung – umstritten. Etliche Gemeinden verzichten daher inzwischen gänzlich auf das gesungene (oder gesprochene) Christe. Dies halte ich allerdings weder theologisch noch liturgisch für eine gute Option. Ich habe deshalb 2008 bei einer Liederwerkstatt zum Kirchentag in Bremen den Vorschlag gemacht, das Wort Sünde durch das verständlichere Schuld zu ersetzen und insgesamt die Deutung des Kreuzesgeschehens dahingehend zu weiten, dass auch das unverschuldete Leid und der positive Begriff Heil in den Blick genommen werden. So ist die Version B entstanden, die übrigens auch gut auf die traditionelle Melodie (EG 190.2) singbar ist.

Die alternative, von Ilona Schmitz-Jeromin und Susanne Kayser neu gedichtete Version A bietet eine interessante theologische und sprachliche Alternative zum klassischen Text: Auf den Begriff des geopferten Lammes wird verzichtet, aber zumindest Ähnliches ausgesagt: Christus wird als der sich uns zuwendende Gott („Antlitz Gottes“, vgl. oben fT 1 bzw. Gen 16,23 und Num 6,24) angeredet. Der Begriff Schuld wird durch das, „was uns beschämt“, umschrieben. Die Pointe dabei ist: Christus sieht es. Auch als die Weisheit (vgl. Sophia in Prov. 8,22ff par Joh 1,1-3) wird Jesus angerufen. Er ist die Weisheit Gottes, die auch Abgründe und Versuchungen des Menschenseins umfasst (vgl. im Vaterunser die letzte Bitte). Sie sind im Kreuz „aufgehoben“. Zuletzt kommt mit der archaischen Anrede Heiland der rettende Gott in Christus zur Sprache; an ihn wendet sich die Friedensbitte des Dona nobis pacem, die das hymnische Gebet in neuer Gestalt beendet.

Eine besondere Perle ist die englische Übersetzung von Terry Mac Arthur (2015). Der Genfer Theologe und Musiker schafft mit seiner Nachdichtung beider deutschen Fassungen (A und B) eine interessante Synthese und schließt mit einer knappen treffenden Summa in Str. 3: „By Your suffering make us whole, dona nobis pacem.“ Durch das Leiden Gottes in Christus ist Frieden möglich.

Meine Melodie unterstreicht den hymnischen Gestus der archaischen Dichtung und vermittelt ein ruhiges Schreiten. Sie steigt – analog zum flehenden Gebet – zunächst nach oben. Eine besondere harmonische Wendung findet sich in T. 4 und 8. Das Fm/D (as im Tenor) unterstreicht Scham und Zerrissenheit bzw. Schuld und Leid, während die Parallele in der dritten Strophe zum a aufgehellt ist (Dm7).

Aufs Ganze sehen wir in diesen fünf Liedern zahlreiche Anknüpfungen an die theologische, liturgische und kirchenmusikalische Tradition. Aufregend zu entdecken ist, wie die (klassische bzw. traditionelle) Trinitätslehre neu interpretiert bzw. gebündelt wird, wie weibliche Gottesbilder einen zunehmend größeren Raum bekommen und traditionelle soteriologische Heils-Vorstellungen einen neuen Akzent bzw. eine neue Sprachgestalt bekommen.

Anmerkung

  1. Evangelische Kirche in Deutschland / Deutscher Evangelischer Kirchentag (Hg.): freiTöne. Liederbuch zum Reformationssommer 2017, Bärenreiter-Verlag Kassel / Deutscher Ev. Kirchentag Berlin / EKD Hannover 2017, ISBN 978-3-7618-2430-6.