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GESEHEN: Marteria – OMG

Von Michaela Veit-Engelmann


Schon der Titel, die Abkürzung für „O mein Gott”, und der Refrain des Rapsongs von Marteria aus dem Jahr 2014 zeigen: „Es geht um eine der großen Fragen des Lebens: O mein Gott, dieser Himmel, wo zur Hölle soll der sein? O mein Gott, dieser Himmel, wie komm ich da bloß rein?”

Das Video mit Rapper Marteria in der Hauptrolle spart nicht mit religiös-christlichen Anspielungen: Gleich zu Beginn sind drei Jungen zu sehen, die die offensichtlich auswendig gelernte Erkenntnis wiedergeben, dass der Himmel der schönste Ort der Welt sei und dass man brav sein müsse, um dorthin zu gelangen. Immer wieder finden sich in dem Video kurze religiöse Szenen: Eine Taufe wird gezeigt, eine junge Frau geht wie Jesus übers Wasser (Mt 14,25–33), ein junger Mann spielt die Himmelfahrt Jesu nach, zwei Nonnen im Habit küssen sich, ein Büßer geißelt sich, ein Mann blickt verwundert auf blutige Stigmata in seinen Händen.

Andere Szenen zeigen Quadfahrer, die Stunts aufführen, unter ihnen auch Marteria, der rappend die immer gleiche Frage stellt – O mein Gott, dieser Himmel, wie komm ich da bloß rein? – und alles aufzählt, was er bisher vergeblich versucht hat („Ich will ja gut sein, auch wenn´s nicht immer klappt / Fahr mit ´nem eigenen Wagen über den CSD, schmeiß Gummis in die Menge und schrei Gay okay / Find einfach keine Ruhe, doch jeder Beichtstuhl ist belegt”).

Die beiden Welten, die religiös-christliche und die der Quadfahrer, scheinen unverbunden nebeneinander zu stehen, bis eine junge Frau in einem weißen Kleid auftaucht, der blutige Tränen aus den Augen rinnen. Wer sie ist, bleibt unklar, doch ihre verzweifelte Flucht durch den Wald endet, als sie mit auf eines der Fahrzeuge steigt. Nun erreicht das Musikvideo seinem düsteren Höhepunkt: Die ganze Truppe der Quadfahrer nähert sich einem sakralen Gebäude.

Dort werden sie von lauter dunkel gekleideten Menschen erwartet, die die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen haben. Sie grüßen die Ankommenden – wobei Marteria erkennbar die Rolle des Anführers zukommt – und bilden den Chorus für das, was er zu sagen hat. Wieder fragt er: „O mein Gott, dieser Himmel, wie komm ich da bloß rein?” Doch dann gibt Marteria selbst die Antwort: „Egal!” Denn, so singt er weiter: „Ich lieg in ihren Armen!” Die Suche nach dem Himmel hat er aufgegeben, weil er glaubt, den Himmel auf Erden gefunden zu haben: in der körperlichen Nähe zu einer Frau. „Ich lieg in ihren Armen!”, so textet er und die ganze (Fan)Gemeinde um ihn herum schreit im lautmalerischen Wortspiel: „Amen!” Und die Erkenntnis lässt nicht lange auf sich warten: „Oh mein Gott, bin im Himmel. Sie macht mich einfach nur high!”

Die breit ausgemalte Schlussszene des Videos zeigt, was für Marteria an die Stelle früherer Religiosität getreten ist: ein Kult um seine Person. Er gießt Wasser in einen Kelch – womit es sich sofort rot färbt –, um es dann an seine „Jünger“ auszuteilen. Sowohl die Anklänge an das Weinwunder zu Kana (Joh 2,1–11) als auch an das christliche Abendmahl sind unübersehbar; später wird noch ein Weihrauchschwenker zu sehen sein. Doch damit enden die Parallelen zu einem christlichen Gottesdienst: Die Gemeinde rappt und tanzt, neue Zeichen lösen das Kreuz ab. Marteria übernimmt die Rolle des Priesters und leitet seine Nachfolger dazu an, tanzend zu beten. Unter ihnen ist übrigens die Frau im weißen Gewand, die nun eine dunkle Kutte trägt wie alle anderen und deren blutige Tränen verschwunden sind.

Schüler*innen nicht nur an Berufsbildenden Schulen kennen Marteria und auch diesen Song; deshalb bietet das Video vielfältige Anknüpfungspunkte für den Religionsunterricht. Es regt dazu an, sich gemeinsam mit den Schüler*innen auf religiöse Spurensuche zu begeben und zu fragen, welche Anspielungen an die christliche Religion sie hier entdecken. Ausgehend von der im Refrain immer wieder zu hörenden Frage „O mein Gott, dieser Himmel, wie komm ich da bloß rein?” ließe sich auch die Frage danach stellen, welche religiösen Heilsversprechungen Schüler*innen kennen und welche Hoffnungen und Erwartungen sie selbst haben: Wem steht der Himmel eigentlich offen? Und unter welchen Bedingungen (Stichwort: Rechtfertigungslehre)? Die Antwort, die Marteria hier gibt, polarisiert – und lädt gerade deshalb zum Diskurs ein.

Die Schüler*innen werden so dafür sensibilisiert, innerweltliche und jenseitige Hoffnungen unterscheiden zu können, und lernen, sich dazu begründet zu positionieren. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Song von Marteria als Stimme in diesem Diskurs ernstgenommen werden muss und nicht nur als negative Folie für das Eigentliche der christlichen Botschaft zur Geltung kommen darf. Denn mag seine Antwort eine Religionslehrkraft vielleicht nicht zufrieden stellen, seine Frage hat bleibende Aktualität: „O mein Gott, dieser Himmel, wo zur Hölle soll der sein? O mein Gott, dieser Himmel, wie komm ich da bloß rein?”

 

OMG auf YouTube: https://youtu.be/XXoRoLdXnvU