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„Die heilige Dreifaltigkeit: lesbisch, nichtjüdisch, deutsch”

Von Kirsten Rabe

Unterrichtsideen für den Sekundarbereich II zur israelischen Komödie KISS ME KOSHER (2020)

Eine turbulente Story über eine unkonventionelle Liebe 


Ein Paar, beide geschätzt Mitte 50, sitzt in einem großen Garten. Neben sich ein kaltes Getränk, die Sonne scheint und die Vögel singen, im Hintergrund liegt das eindrucksvolle Stadtbild von Jerusalem. Dem Paar gegenüber sitzt Liam, der seine Eltern für ein Schulprojekt bei laufender Kamera interviewt. Auf seine Frage „Findet ihr, es ist überstürzt, nach nur drei Monaten zu heiraten?“ erklärt Liams Mutter euphorisch: „Auf jeden Fall wird Maria unsere Familie wunderbar bereichern.“ 

Die Antwort des Vaters fällt nüchterner aus: „Ja, deine Schwester hat wirklich den dreifachen Treffer gelandet. Die heilige Dreifaltigkeit: lesbisch, nichtjüdisch, deutsch.“

Im September 2020 kam die Komödie KISS ME KOSHER als Debütfilm der israelischen Regisseurin und Drehbuchautorin Shirel Peleg in die deutschen Kinos. Gedreht wurde er in und um Tel Aviv und Jerusalem und in den Sprachen Englisch, Deutsch, Hebräisch und Arabisch produziert. 

Fokus und Konflikt dieser unkonventionellen Liebesgeschichte zwischen der deutschen Biologin Maria und der israelischen Barbesitzerin Shira (gespielt von Luise Wolfram und Moran Rosenblatt) liegen dabei auf „nichtjüdisch, deutsch“. Dass es sich um eine lesbische Liebe handelt, findet dort besondere Erwähnung, wo ironisch mit Klischees gespielt wird („Sis, niemand sagt, dass alle Lesben immer Katzen haben müssen“ – ein Kaninchen geht auch!) – und in nur einer Szene gleich zu Beginn wird das Paar nach einem Kuss auf offener Straße von einem orthodoxen Juden beschimpft: „Widerlich, ekelhaft. Ihr seid ein Gräuel, pfui!“ 

Maria (auch ganz nach Klischee rotblond, blauäugig, mit Nachnamen Müller und in Haushaltsdingen besonders reinlich) hat Shira bei einem Forschungsaufenthalt in Jerusalem kennen und lieben gelernt. Statt nach Deutschland zurückzukehren, beschließt sie, nach drei Monaten Beziehung mit Shira zusammenzuziehen. Am Tag des Umzugs führt ein Missgeschick zu einem zunächst unbeabsichtigten Heiratsantrag Marias an Shira.

Shira betreibt die Bar „The Jewish Princess“ und gilt in der Stadt zum Leidwesen Marias als weiblicher Casanova. Besitzerin der „Jewish Princess“ ist Berta, Shiras resolute Oma und Holocaust-Überlebende (gespielt von der israelischen Entertainment- und Schauspielerikone Rivka Michaeli). Berta führt seit vielen Jahren eine heimliche und ebenfalls unkonventionelle Liebesbeziehung mit dem Palästinenser Ibrahim. Für Berta ist die geplante Hochzeit ihrer Enkelin „mit Evas und Adolfs Brut“ das Schlimmste, was passieren kann, und so nutzt sie jede Gelegenheit, die junge Liebe zu boykottieren.

Shiras Mutter Ora (Irit Kaplan) und ihre Geschwister Liam und Ella dagegen freuen sich über die Hochzeitspläne, ihr Vater Ron (John Carroll Lynch) bleibt skeptisch – vor allem, weil Maria nicht beabsichtigt, zu konvertieren: „Wenn sie nicht jüdisch ist, kann sie nicht meine Enkel zur Welt bringen.“ Kein gemeinsames Schabbat-Essen (mit süddeutschem Kartoffelsalat und vermutlich Schnitzeln aus Schweinefleisch) bleibt ohne Streit über Religion oder Politik. 

Marias Eltern Petra und Hans (Juliane Köhler und Bernhard Schütz) reisen nach der Nachricht über die geplante Hochzeit umgehend nach Jerusalem und vervollständigen die allgemeinen Turbulenzen um das Liebespaar, weil sie überhaupt nicht wissen, wie sie angemessen mit der deutsch-jüdischen Geschichte umgehen sollen. Dass Marias Mutter bis heute das Geheimnis der Nazi-Vergangenheit ihrer Eltern und ein tiefes Gefühl von Schuld mit sich herumträgt, macht die Begegnungen nicht einfacher. Ausgerechnet ein Besuch im Holocaust-Museum soll ein näheres Kennenlernen beider Familien anbahnen und das lässt die Situation dann endgültig grotesk werden. 

Maria reagiert zunehmend überfordert – sowohl durch die religiösen Erwartungen Rons als auch durch die Reduktion auf ihre Nationalität und Geschichte: „Ich habe das Recht, auch ein Mensch zu sein und nicht nur eine Deutsche! Es hassen sich hier alle. Sie sind sich in nichts einig, außer, dass alle Deutschen Nazis sind.“ 

In der Figur der Großmutter Berta und ihrer Liebe zu Ibrahim wird der Nahostkonflikt Thema. So kümmert sich Ibrahim ab und zu um Reparaturen an Bertas Haus und kommentiert dieses mit Humor: „Unsere Häuser sollten in einem Tipptopp-Zustand sein, wenn wir sie wiederbekommen.“ Liam stellt sich Marias Eltern spaßhaft als „der Mossad“ vor, Petra Müller weigert sich, die Grüne Linie (die Waffenstillstandslinie oder Demarkationslinie) zu überschreiten.

Ohne moralischen Zeigefinger, sehr ehrlich in der eigenen Hilflosigkeit, mit Humor und gleichermaßen Ernsthaftigkeit entwickelt sich die Geschichte zu einem Happy End – und eine Hochzeit gibt es auch, wenn auch eine andere als gedacht. 


Ideen für den Unterricht

Die Komödie KISS ME KOSHER bietet eine Vielzahl an Zugangsmöglichkeiten. Im Folgenden werden einzelne Ideen vorgestellt, die sich je nach angesetztem Zeitrahmen und Schwerpunktsetzung vertiefen und ergänzen lassen. So würde sich beispielsweise ein Blick auf die leitmotivisch auftretende und an den antiken Chor erinnernde Band lohnen, die den ganzen Film über von einer Hochzeit singt, auf der dann stattfindenden Hochzeit dann aber doppeldeutig vom Krieg. Eine weitere interessante Perspektive ist Liams Filmprojekt. Die eigentliche Filmhandlung wird parallel dokumentarisch festgehalten, die Zuschauenden betrachten die Ereignisse phasenweise nur durch Liams Kamera. An dieses filmische Mittel anknüpfend lassen sich mit Schüler*innen Fragen nach Perspektivität, Wahrnehmung und individueller Wirklichkeit stellen, die das Thema des Films noch einmal neu verstehen lassen. 

Trailer

Der Trailer zum Film bietet sich als Einstieg in die Auseinandersetzung an. Die Schüler*innen begegnen hier den zentralen Personen, sie können die Story antizipieren und bereits hier die unterschiedlichen angedeuteten Konflikte erkennen. Außerdem erschließen sie aus dem Filmtitel und dem Trailer, dass es sich um eine Komödie handelt, in der es um das deutsch-jüdische Verhältnis geht. 

Hier ließe sich gut mit einem Beobachtungsbogen (M 1) arbeiten. Sinnvoll ist es, den Trailer mindestens zweimal zu schauen. Angesichts der Vielzahl kurzer Szenen und der Informationsdichte wäre es auch möglich, die einzelnen Aspekte des Beobachtungsbogens arbeitsteilig in den Blick zu nehmen. In der Auswertung der ersten Eindrücke sollte ein besonderer Fokus auf die angedeuteten privaten, religiösen und politischen Konflikte gelegt werden.

Religion im Film 

Während Marias Religionszugehörigkeit, die man bei der Wahl des Namens als christlich und katholisch vermuten könnte, keine Rolle spielt, begegnet der*die Zuschauende Shiras jüdischer Religion wie selbstverständlich und beiläufig. Vor allem ihr Vater Ron ist im Film derjenige, der ein gelebtes liberales Judentum verkörpert. Beim Schabbat-Essen sieht man ihn mit der Kippa, in den Gesprächen ist er darauf bedacht, hartnäckig die Frage des Konvertierens in den Raum zu stellen und für ihn kommt auch nur eine jüdische Hochzeit durch einen Rabbiner in Frage. Während Ron auf das Bewahren der eigenen Religion drängt, stellt Ora den gesellschaftlichen Anspruch einer traditionell großen jüdischen Hochzeitsfeier. Shira und Maria überlegen kurzzeitig, diesen Erwartungen durch eine standesamtliche Eheschließung in Deutschland zu entfliehen, stellen sich dann aber selbstbewusst dagegen: „Die Spielregeln einhalten oder ab ins Exil? Nein.“ 
Die verschiedenen Szenen des gemeinsamen Essens bei Shiras Familie bieten sich an, religiösen Aspekten nachzugehen wie beispielsweise: Was bedeutet das Schabbat-Essen für eine jüdische Familie? Welche Rituale sind hier erkennbar? Warum bringen Kartoffelsalat und Schweinefleisch hier auch Ironie in die Szenen? Wie hat man sich eine jüdische Hochzeit vorzustellen und warum können Rons Enkelkinder so nicht jüdisch sein? Eine methodische Idee: Die Schüler*innen stellen Fragen an diese Szenen, ordnen sie ggf. Themenkomplexen zu und machen sich im Anschluss auf die Suche nach Antworten. Mit diesen Antworten schauen und reflektieren sie die Filmszenen noch einmal. 

Insgesamt spiegeln die Begegnungen beim gemeinsamen Essen, wie vielfältig innerhalb einer Familie mit der eigenen religiösen Tradition umgegangen wird. Während Ron seiner Religion und Ella ihrer Nation einen hohen Stellenwert zuweisen, fühlen sich Ora und Shira zugehörig, aber nicht allen Regeln verpflichtet. Liam trägt zum Gebet die Kippa, legt sie danach aber sofort beiseite.

Religion spielt in der Filmhandlung nicht nur im familiären Kontext eine Rolle. Der erweiterte Blick darauf zeigt, wie eng Religion und Politik verwoben sind: 

•    Der Konflikt zwischen Israel und Palästina bestimmt die Handlung im Hintergrund und zeigt sich persönlich in der Beziehung zwischen Berta und Ibrahim;
•    die so genannte Grüne Linie, die Waffenstillstandsgrenze oder auch Demarkationslinie zwischen Israel und dem Westjordanland, spielt in den Köpfen aller Beteiligten wie im realen Geschehen eine Rolle und wird zum symbolischen Ort der Versöhnung und der Auflösung des Konflikts (hierzu M 2); 
•    Shiras Schwester Ella ist bei der Armee und die Wahrnehmung dessen, was den Frieden fördert, zeigt sich bei Ella und Marias Eltern als kontrovers; 
•    schließlich beschert ein von Ron („Bin ich tatsächlich der Einzige, den es stört, dass keine Sicherheitsfirma engagiert wurde?“) missverstandener knallender Sektkorken der fröhlichen Hochzeitsfeier ein turbulentes Ende. 

Um die Anspielungen im Film zu verstehen, sind Zusatzinformationen für Schüler*innen notwendig. Das Erklärvideo „Der Nahostkonflikt einfach erklärt” von Mirko Deutschmann, auf YouTube als MrWissen2Go1, bietet sich hier beispielhaft an und ist als Material in den Aufgaben zu M 2 mit angegeben.

Eine Komödie mit ernstem Hintergrund: Berta ist Holocaust-Überlebende

Diejenige, bei der die Handlungsstränge immer wieder zusammenlaufen, und die maßgeblich für Konfliktpotenzial sorgt, ist Berta. Dass ausgerechnet die Enkelin, der sie sich so eng verbunden fühlt, eine Deutsche heiraten will, konfrontiert Berta mit ihrer eigenen schmerzhaften Vergangenheit. Sie reagiert sarkastisch und unfreundlich und der*dem Zuschauenden bleibt das Lachen dabei manchmal im Halse stecken. 

Im Film spielen zwei Ringe eine Rolle. Einer davon gehörte Bertas Mutter und ist die einzige Erinnerung, die ihr an sie geblieben ist. Als Berta vier Jahre alt war, sind ihre Eltern verschleppt und im Konzentrationslager umgebracht worden. Den Ring hatte Berta Shira geschenkt und seitdem trug sie ihn an einer Kette um den Hals. Es kommt zum Eklat, als Berta entdeckt, dass Maria plötzlich diesen Ring trägt. Maria entschuldigt sich aufgewühlt bei Berta: „Es hat damit zu tun, dass ich deutsch bin, richtig? Es tut mir leid, ich hätte den Ring nicht annehmen dürfen, ich kenne ja seine Geschichte. Es gibt dafür keine Entschuldigung und keine Vergebung!“ Sie wird dafür von Berta zornig zurechtgewiesen: „Kannst du bitte damit aufhören, uns deinen Hitler aufzudrängen, wo er nichts zu suchen hat?“

Nicht nur Bertas Ablehnung aller Deutschen als „Evas und Adolfs Brut“ macht Maria den Neuanfang in Jerusalem schwer, auch die selbstverständliche Einordnung in eine Nation, in der „alle Nazis“ waren, macht sie hilflos. Sie muss erkennen, dass sie immer über die Vergangenheit definiert wird.

Trotzdem ist es am Ende Berta, die Shira den Ring ihrer verstorbenen Mutter gibt und sie auffordert: „Geh und steck ihn ihr an ihren deutschen Finger. Bevor dir etwas Wunderbares entgeht.“ Und als Maria Shira bei der Versöhnung am Grenzübergang verzweifelt gesteht, was sie erst kurz zuvor von ihrer Mutter erfahren hat: „Es tut mir leid! Du verstehst nicht, die Eltern meiner Mutter waren Nazis!“, stellt Shira fest: „Ihr Deutschen wisst wirklich, wie man einen romantischen Augenblick zerstört“ und küsst sie.

Der Umgang mit Vorurteilen und die Herausforderung, mit der deutsch-israelischen Vergangenheit umzugehen, sind die zentralen Themen des Films. M 3 bietet exemplarische Filmzitate, anhand derer die Schüler*innen erarbeiten können, welche inneren Konflikte die einzelnen Charaktere bestimmen. Maria fühlt sich zu Unrecht auf eine Nationalität reduziert, in der „alle Nazis“ waren und fühlt gleichzeitig großen Respekt gegenüber einer Holocaust-Überlebenden. Shira will ihre Oma nicht auf die Holocaust-Überlebende reduzieren und es macht sie wütend, dass Berta den Holocaust missbraucht, um Maria zu diffamieren. Gleichzeitig stimmt sie Liams Urteil „Alle waren Nazis“ sofort zu und hat den Wunsch zu wissen, wie Marias Familie sich im Nationalsozialismus verhalten hat. Als sie schließlich die Wahrheit erfährt, kann sie die deutsch-israelische Vergangenheit und den Menschen, der vor ihr steht, unabhängig voneinander sehen. 

Eine innere Zerrissenheit kennzeichnet nahezu alle Personen des Films. So ließen sich zusätzlich die Figuren von Petra und Ron, aber auch von Ibrahim unter dieser Fragestellung genauer betrachten. 

Unbedingt anschließen sollte sich eine Reflexion über die – auch in den Zitaten erkennbaren – stilistischen Mittel der Komödie.

Ausgerechnet ins Holocaust-Museum

M 4 zeigt eine Szene des gemeinsamen Museumsbesuches. Die „echten Deutschen“ lassen sich als Touristen von Ella (in ihrer Militäruniform) durch die Ausstellung führen, in ihrer Mitte Ron und Ora. Die Mahnung „We shall remember and never forget“ ist in großen Buchstaben auf der weißen Wand hinter ihnen zu sehen. Liam folgt der kleinen Gruppe mit Blick durch die Kamera und will nicht nur festhalten, wie die beiden Elternpaare sich verstehen, sondern auch, wie die beiden Deutschen auf die Konfrontation mit der Vergangenheit reagieren. 

Der Besuch der Ausstellung verläuft emotional. Als Ora anhand der ausgestellten Fotos die leidvolle Geschichte ihrer Familie erzählt, bricht Petra in Tränen aus und muss von der irritierten Ora getröstet werden. Vater Hans bewegt die Frage, ob er sich als Deutscher bei Shiras Familie im großen Stil für die Vergangenheit entschuldigen sollte. Maria und Shira sitzen allein auf einer Bank in den Ausstellungsräumen und Maria erklärt, dass sie traurig ist und sich wünscht, die Bilder und Schrecken dieser Ausstellung mit anderen als mit deutschen Augen sehen zu können. Sie fühlt sich schuldig und schämt sich, Deutsche zu sein. Als sie fragt, „wie sich das anfühlen würde, wenn man nicht deutsch wäre“, antwortet Shira sarkastisch: „Dann bleib bei mir. Sollte sich die Geschichte wiederholen, sind wir ohne Zweifel die Ersten in der Schlange vorm Krematorium.“ Hier verändert Shira den Blick auf die Opfer und macht nicht nur Maria deutlich, dass sie als Homosexuelle auch mit noch ganz anderen Emotionen als Schuld und Scham durch dieses Museum gehen könnte.2

Die Schüler*innen legen in der Bearbeitung der Aufgaben zu M 4 einen Fokus auf einzelne Personen und setzen sich mit diesem emotionalen Museumsbesuch, der in der Filmhandlung übrigens die Katastrophe anbahnt, auseinander.

 

Anmerkungen

  1.  www.youtube.com/watch?v=2HjRnr3AfFo     
  2. So sehr das „lesbisch“ im Film hinter „nichtjüdisch, deutsch“ zurücksteht, ist es in dieser Szene sehr wichtig.