Was ist an der Zeit? – Maria und Marta (Lk 10, 38-42) – Eine Unterrichtsstunde aus der Einheit "Zeit" im 7. Schuljahr Gymnasium 

von Isabell Schulz 

 

,Zeit" ist ein Thema, das Theologen und Theologinnen immer wieder unter den verschiedensten Gesichtspunkten beschäftigte.

Aber ist ",Zeit" nur ein Thema "Erwachsener"? Das vorhandene Unterrichtsmaterial schien zumindest darauf hinzuweisen. Die Erfahrung zeigte, dass die Frage, wie ich mit meiner Zeit umgehe, eine Frage ist, die bereits Schüler/innen der 7. Klasse beschäftigt. Die Schülerinnen und Schüler erleben ihre eigene Zeitplanung, die die verschiedenen Aktivitäten manchmal kaum miteinander kombinierbar sein lässt. Sie erleben die Zeitplanung anderer, sie werden mit selbst- und fremdbestimmter Zeit konfrontiert, und sie leben in einer Gesellschaft, in der das Zeitsparen immer bedeutender wird. An diese Erfahrungen anknüpfend, sollen sich die Schüler/innen ihres eigenen Umgangs mit "Zeit" bewusster werden. Sie sollen Möglichkeiten der Strukturierung und des Umganges mit "Zeit" kennen lernen und Möglichkeiten entdecken, die dem jüdisch-christlichen Glauben entsprechen. Daraus ergibt sich folgende Stundenplanung:

1. Stunde: "Erfahrungen mit "Zeit" - wir erstellen einen Tagesplan.

2. Stunde: Vom natürlichen Rhythmus der Zeit (Gen 8,22).

3. Stunde: Was ist an der Zeit? - Maria und Marta (Lk '10, 38-42).

4. Stunde: Warum Sonntag (Ex 20, 8-11) - Langeweile oder Lebensquelle? 5. Stunde: Meine Lebenszeit.

Maria und Marta (Lk 10, 38-42)

Die Perikope (Lk 10, 38-42) erzählt vom Besuch Jesu bei den beiden Schwestern des Lazarus, Maria und Marta. Während Maria nach Jesu Ankunft im Haus seiner Rede zuhört, ist die eifrige Marta dabei, den Gast zu bedienen. Doch sie beklagt sich bei Jesus darüber, dass ihre Schwester ihr nicht hilft. Dieser antwortet ihr: "Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden"(Lk 10, 42). Meist ist der Text als ein Gegensatz von einer vita activa und einer vita contemplativa interpretiert und zugunsten der vita contemplativa ausgelegt worden. Nach Meinung vieler Exegeten ist der Gegensatz zwischen Arbeitszeit und Freizeit angesprochen. Es ist ein Gegensatz, der uns nur allzu bekannt ist.

Aber hat der Text wirklich nur diese eine Interpretationsmöglichkeit? Gilt die Priorität der Ruhe und Besinnung in jeder Situation?

"Eins ist not". Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden"(Lk 9 0, 42), sagt der Text. Dies ist eine eindeutige Aussage, aber sie ist bezogen auf eine konkrete Situation. Zumindest in ihr hat Maria sich für das Richtige entschieden. Diese Interpretation des Textes, die nach dem richtigen Handeln zum richtigen Zeitpunkt fragt, wird durch die Stellung der Perikope im Kontext unterstützt. Denn die Perikope von Maria und Marta steht direkt im Anschluss an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10, 30-3'7), in dem keine vita contemplativa einer vita activa gegenüber bevorzugt wird. Wie bei Maria und Marta geht es in ihm um die Frage nach dem richtigen Handeln zum richtigen Zeitpunkt, um die Freiheit, sich für das Richtige zu entscheiden. So meint dann "Eins ist not" (Lk 10, 42), dass Jesus den Menschen Zeit im Leben gibt, Raum gibt, sich für das zu entscheiden, was gerade dran. Auch der barmherzige Samariter entscheidet sich für das, was gerade dran ist - in seiner Situation für das Handeln. Zudem ist in der Maria und Marta Geschichte, ein Verständnis für Marta zu erkennen, für diejenige, die in ihrer Arbeit, in ihrem Alltag und in ihren Sorgen so gefangen ist. "Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe."(Lk 10, 41 ) Aber sie erkennt und nutzt die Freiheit, die sie hat, nicht mehr, sie ist nicht mehr offen für Veränderungen, für neue Entscheidungen. Denn der Text leugnet die Zwänge nicht, denen der Mensch ausgesetzt sein kann. Und an anderer Stelle mag es auch wichtig sein, Aufgaben zu erfüllen nur nicht unter Zwang, sondern als Entscheidung. So darf der Mensch in einer Situation eine arbeitende Marta sein, die die Arbeit gewählt hat und in einer anderen Maria. Die Maria und Marta Perikope will ermutigen, zu erkennen, dass es immer Spielräume geben kann, die spontan wählbar sind.

 

Darstellung der Stunde:

Lernziele:

  • Schülerinnen und Schüler sollen verschiedene Positionen in der Frage, was zu welchem Zeitpunkt richtig ist, erkennen und sich in einem Rollenspiel in die Positionen hineinversetzen.
  • Schüler/innen sollen erkennen, dass Zeit auch frei bestimmbar ist.
  • Schüler/innen sollen erkennen, dass sich Zeit nehmen bedeutet, Wesentliches in den Blick zu bekommen.
  • Schüler/innen sollen erkennen, dass es von Bedeutung ist, was ein Mensch zu welcher Zeit tut. Sie sollen diese Erkenntnis bei der Entscheidung, welches Verhalten für sie in Alltagssituationen an der Zeit ist, mit berücksichtigen.

 

Didaktische und methodische Überlegungen:

Die Schüle/rinnen sind des öfteren mit Situationen konfrontiert, in denen ihr Verhalten oder das anderer als unpassend, in einem Augenblick als nicht angebracht, erscheint. Sie selbst urteilen oder kennen Urteile anderer über unpassendes Verhalten. Gleichzeitig wird ihnen möglicherweise aus familiären Zusammenhängen, die Rolle der Marta und der Maria vertraut sein, sei es über eine Rollenaufteilung unter Geschwistern, oder aber unter den Eltern. Sie werden, wenn vielleicht unbewusst, um die Schwierigkeiten einer solchen Rollenzuweisung und eines stereotypen Verhaltens in jeder Situation wissen. In der Maria und Marta Geschichte können die Schüler/innen herausarbeiten, warum ein Verhalten zu einer bestimmten Zeit passender und ein anderes weniger passend ist. Dabei ist grundsätzlich darauf zu achten, dass das zu einer bestimmten Zeit nicht passende Verhalten, nicht grundsätzlich als falsch dargestellt wird. Die Schüler/innen können .so in der Maria und Marta Geschichte eigene oder fremde Verhaltensweisen wieder kennen, sich identifizieren, abgrenzen und eine Perspektive übernehmen. Im Erkennen der Freiräume und Wahlmöglichkeiten, zu denen die Geschichte auffordert, können die Schüler/innen in ihrem Alltagsbereich eigene Wahlmöglichkeiten entdecken und diese Situationen bestimmten Tätigkeiten zuordnen.

 

Methodisches:

Die Stunde wird mit einer Stilleübung eingeleitet, in der sich die Schüler/innen darauf einstimmen können, dass sie als nächstes eine Geschichte hören werden. Diese Übung knüpft an eine Erfahrung mit Zeit an, die die Schüler/innen bereits in der Einstiegsstunde zum Thema Zeit haben machen können. [1] Gleichzeitig weist sie auf einen Aspekt der Maria und Marta Geschichte hin, dass es möglich ist, sich trotz aller Unruhe (die Schüler/innen bringen sie noch aus der Pause mit), zu einer bestimmten Zeit auf Ruhe und Zuhören einzulassen.

Die Geschichte von Maria und Marta muss so frei erzählt werden, dass sie den Schülern und Schülerinnen ein problemloses Verständnis ermöglicht.

Mit Hilfe vorgegebener Rollenkarten sollen sich die Schüler/innen dann in zwei Gruppen [2] mit Martas Auffassung, was für sie an der Zeit ist, während Jesus im Haus ist und mit Marias Auffassung beschäftigen. Die Rollenkarten beschreiben eine Situation nach Jesu Weggehen, in der von einem andauernden Streit zwischen Maria und Marta erzählt wird. Die Schüler/innen sollen Argumente für die jeweiligen Positionen überlegen, denn sowohl Maria als auch Marta glauben, in der Situation, in der Jesus im Haus war, das Richtige getan zu haben. Indem sie sich in Martas oder Marias Position hineinversetzen, können sie mehr Einfühlungsvermögen für die jeweilige Position entwickeln und möglicherweise Positionen kennen lernen, die ihnen zuvor weniger verständlich sind. Gleichzeitig ist die Gruppenarbeit und das anschließende Spiel ein gegenüber zur Ruhe- und Zuhörphase des Anfangs der Stunde. [3]

Daran anschließend sollen die Schüler/innen im Plenum überlegen, wie dieser Streit zu schlichten wäre. Sie sollen sich vorstellen, ein Schüler Jesu käme zum Streit hinzu und wollte die Haltung Jesu zu Marias und Martas Verhalten noch einmal erklären. Die Schüler/innen sollen darüber nachdenken, was er Marta und auch beiden sagen könnte. An dieser Stelle wird herausgearbeitet, dass Jesus in der Geschichte Marias Entscheidung zu diesem Zeitpunkt für die richtige hält, und Marta ihre Wahlmöglichkeiten nicht mehr erkennt. Sie sieht nicht, dass sie die Möglichkeit hat zu entscheiden, was an der Zeit ist. Diese Aufgabe ist im Plenum gestellt, damit alle Schüler/innen in gleicher Intensität an ihr arbeiten können. [4]

Als Überleitung zum Transfer werden die Schüler/innen gefragt, ob sie solche Streitsituationen über das richtige Handeln zur richtigen Zeit auch kennen.

Sie sollen dann mit Hilfe eines Arbeitsblattes, auf dem eine Spalte mit Alltagssituationen einer anderen mit Tätigkeiten gegenübersteht, für sich entscheiden, was m Alltagssituationen für sie an der Zeit ist und ihre Aussagen im Gespräch darüber begründen. Sie können so ihre Erkenntnisse aus der Geschichte in ihre Lebenswirklichkeit umsetzen. [5]

 

Geplanter Unterrichtsverlauf:

Hinführung:

  • Stillephase, in der die Schüler/innen Zur-Ruhe-Kommen können, sich konzentrieren, und sich auf das Hören einer Geschichte einstimmen.
  • Schülerlinnen werden gebeten die Augen zu schließen, tief ein- und auszuatmen....
  • Geschichte von Maria und Marta (Lk 10, 38-42) wird von der Lehrenden in einer freien Erzählform dargeboten.
     

Erarbeitung:

  • Lehrende teilt Schüler/innen in zwei Gruppen auf und gibt Schüler/innen Rollenkarten mit Situationsbeschreibung


1. Gruppe vertritt die Position Marias (M1 grün)

2. Gruppe vertritt die Position Martas (M2 gelb)

  • Schüler/innen sollen Argumente für die jeweilige Sicht sammeln, die einer/eine aus der jeweiligen Gruppe später in einem Rollenspiel vorträgt.
  • Lehrende geht zu jeder Gruppe und fordert sie auf, sich einmal in Maria oder Marta hineinzuversetzen: "Wie hat sich Maria/Marta wohl gefühlt? Stellt Euch mal vor, Euch wäre es so ergangen?..."
  • Jeweils ein Vertreter/eine Vertreterin der jeweiligen Position tragen in einem Rollenspiel (Streitgespräch) ihre Position vor.
  • Schüler/innen sollen im Plenum im gelenkten Unterrichtsgespräch überlegen, wie dieser Streit zu schlichten wäre.
  • Sie sollen sich vorstellen, ein Schüler Jesu käme zu dem Streit hinzu und wollte die Haltung Jesu zu Marias und Martas Verhalten noch einmal erklären.

Gibt es einen Rat, den er Marta geben könnte? Wie könnte der Streit "geschlichtet werden?"

 

Transfer

  • Schüler/innen sollen überlegen, ob sie auch Situationen kennen, in denen sie mit anderen um das richtige Handeln zu richtigen Zeit streiten.
  • Sie erhalten ein Arbeitsblatt (M3).
  • Sie sollen mit Pfeilen zuzuordnen, welche Tätigkeit sie in welcher Situation angebracht finden und welche nicht. (In zwei verschiedenen Farben)
  • Ergebnisse werden in Auszügen mündlich zusammengetragen und die Schüler/innen sollen ihre Entscheidungen für ihre Wahl begründen.

 

M1

Jesus ist gegangen. Die beiden Schwestern Maria und Marta sind wieder allein. Marta ist nach wie vor verärgert und enttäuscht, doch Maria versteht sie nicht. Es beginnt ein heftiger Streit. Beide glauben in der Zeit, in der Jesus im Haus gewesen ist, genau das Richtige getan zu haben.

Bitte sammelte Argumente für Marias Sicht, die einer/eine von Euch hinterher im Rollenspiel vorträgt.

Maria sagt:

 

M2

Jesus ist gegangen. Die beiden Schwestern Maria und Marta sind wieder allein. Marta ist nach wie vor verärgert und enttäuscht, doch Maria versteht sie nicht. Es beginnt ein heftiger Streit. Beide glauben in der Zeit, in der Jesus im Haus gewesen ist, genau das Richtige getan zu haben.

Bitte sammelte Argumente für Martas Sicht, die einer/eine von Euch hinterher im Rollenspiel vorträgt.

Marta sagt:

  

M3

Was ist an der Zeit?

Fernsehen Spazierengehen

Schlafen Gäste kommen

Unterhalten Alleinsein

Ärgern Im Spiel verlieren

Weinen Stolpern

Helfen Einkaufen

Ruhen Zusammensein

Lachen Kranksein

Trösten Angsthaben

Streiten Im Gespräch

Schreien In der Schule

Zuhören in Not sein

Schweigen Beim Fußballspielen
 

In der Einstiegstunde besteht die Möglichkeit, durch verschiedene Übungen die Schülerlinnen sowohl Hektik als auch Ruhe erleben zu lassen.

Es handelte sich um eine Gruppenstärke von zwölf Schülern und Schülerinnen, aus diesem Grund war die geringe Gruppenanzahl möglich.

Ursprünglich hatte ich hier noch eine dritte Gruppe eines Schiedsrichters/einer Schiedsrichterin eingebracht, die versucht, den Streit zu schlichten. Ihre Argumentation in dem anschließenden Spiel verschob allerdings die Aussage der Geschichte in eine Richtung, die weniger mit der Frage des richtigen Handelns zum richtigen Zeitpunkt, als vielmehr mit einem geschwisterlichen Ausgleich in anderen Situationen in Verbindung stand.

In der lebhaften 7. Klasse, in der ich unterrichtet habe, hat sich dieser Wechsel von ruhigen und lebhaften Phasen im Unterricht sehr bewährt.

 
Anmerkungen

  1. In der Einstiegsstunde besteht die Möglichkeit, durch verschiedene Übungen die Schüler/innen sowohl Hektik als auch Ruhe erleben zu lassen.
  2. Es handelte sich um eine Gruppenstärke von zwölf Schülern und Schülerinnen, aus diesem Grund war die geringe Gruppenanzahl möglich. Ursprünglich hatte ich hier noch eine dritte Gruppe eines Schiedsrichters/­einer Schiedsrichterin eingebracht, die versucht, den Streit zu schlichten. Ihre Argumentation in dem anschließenden Spiel verschob allerdings die Aussage der Geschichte in eine Richtung, die weniger mit der Frage des richtigen Handelns zum richtigen Zeitpunkt, als vielmehr mit einem geschwisterlichen Ausgleich in anderen Situationen in Verbindung stand.
  3. In der lebhaften 7. Klasse, in der ich unterrichtet habe, hat sich dieser Wechsel von ruhigen und lebhaften Phasen im Unterricht sehr bewährt.
  4. Das Ergebnis könnte an der Tafel für alle sichtbar festgehalten werden.
  5. Es wäre möglich, das Arbeitsblatt zum Transfer auch als Hinführung zum Thema zu wählen und den Transfer später auf die Frage, ob die Schüler/innen Situationen des Streites um das Handeln zum richtigen Zeitpunkt kennen, zu beschränken. Ich habe die andere Variante gewählt, die bei den SchülerInnen gut angekommen ist

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/1996

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