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Diklusion und KI - Potenziale und Herausforderungen für den digital-inklusiven Unterricht

von Lea Schulz

Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) im Klassenzimmer bietet ein enormes Potenzial, um Inklusion zu fördern und individuelle Lernbedarfe besser zu berücksichtigen. Im Zentrum dieses Beitrags steht das Konzept der Diklusion – eine Verbindung von digitalem und inklusivem Lernen. Diklusion beschreibt einen Bildungsansatz, der digitale Technologien gezielt nutzt, um Barrieren für Lernende abzubauen und Teilhabe für alle zu ermöglichen – unabhängig von individuellen Fähigkeiten, sprachlichen oder kulturellen Hintergründen. Dieses Konzept ist besonders relevant in Zeiten technologischen Wandels, da KI eine Schlüsselrolle dabei spielen kann, den Unterricht inklusiver und individueller zu gestalten. Dieser Beitrag beleuchtet anhand des Fünf-Ebenen-Modells zu den Chancen diklusiven (digital-inklusiven) Unterrichts, wie KI zur Förderung von Inklusion im Unterricht eingesetzt werden kann, und gibt Lehrkräften praxisnahe Anregungen für die Umsetzung.

Dennoch darf die Betrachtung der Chancen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Nutzung von KI im Bildungsbereich mit erheblichen Herausforderungen verbunden ist. Die digitale Spaltung stellt eine zentrale Hürde für Bildungsgerechtigkeit dar: Zahlreiche Schüler*innen haben keinen angemessenen Zugang zu Geräten oder stabilen Internetverbindungen, und auch die Medienkompetenzen1  entwickeln sich unterschiedlich, was ihre Teilhabe am digitalen Lernen stark einschränkt. Hinzu kommen finanzielle Barrieren, etwa durch kostenpflichtige Zugänge zu KI-gestützten Anwendungen. Datenschutzfragen und algorithmische Verzerrungen, die durch unzureichend divers trainierte Modelle entstehen können, stellen weitere Risiken dar. Solche Verzerrungen können bestehende Ungleichheiten verstärken, wenn beispielsweise kulturelle oder sprachliche Besonderheiten nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Auch der effektive Einsatz von KI erfordert ein hohes Maß an technischer und didaktischer Kompetenz. Lehrkräfte benötigen kontinuierliche und qualitätsgesicherte Fortbildungen, um die Potenziale von KI reflektiert und sinnvoll auszuschöpfen und sich gleichzeitig über die Gefahren bewusst zu sein (z. B. bei der Korrektur von Klausuren oder bei automatisierter Diagnostik). Dabei ist eine kritische Auswahl geeigneter Technologien essenziell, um die pädagogischen und ethischen Implikationen der Tools im Blick zu behalten. Gleichzeitig bietet KI bemerkenswerte Möglichkeiten, Lernprozesse individuell anzupassen und Barrieren abzubauen. Sprachmodelle wie ChatGPT sind leistungsfähig, da sie nicht nur Texte vorlesen, sondern auch gezielt auf Fragen der Schüler*innen eingehen können.

Sie unterstützen Lernende dabei, komplexe Inhalte zu verstehen, indem sie schwierige Begriffe erklären oder Beispiele bereitstellen. Zudem können solche Modelle personalisiertes Feedback geben und Schwächen gezielt adressieren. Assistive Technologien wie Spracherkennung und Text-to-Speech erweitern diese Möglichkeiten und schaffen barrierefreien Zugang zu Inhalten. So wird die Teilhabe aller Lernenden gefördert und eine individuell angepasste Lernumgebung entsteht.

Heterogene Lerngruppen profitieren besonders von Künstlicher Intelligenz, da Inhalte auf die kulturellen und sprachlichen Voraussetzungen der Lernenden abgestimmt werden können. Übersetzungen, sprachliche Vereinfachungen oder die Erklärung komplexer Inhalte in einfacher Sprache tragen zur Inklusion bei. Lehrkräfte können KI zudem zur Unterstützung bei der Unterrichtsplanung nutzen, etwa zur Erstellung von Materialien, die auf die Interessen oder individuellen Lernziele der Schüler*innen zugeschnitten sind. Gleichzeitig können Sprachmodelle als Inspirationsquelle für eine kreative und inklusive Unterrichtsgestaltung dienen.


Das Fünf-Ebenen-Modell der Diklusion

Das Modell zeigt, welche Potenziale Künstliche Intelligenz für den diklusiven Unterricht bietet, indem diese gezielt eingesetzt wird. Jede der fünf Ebenen illustriert praxisnah, wie Lehrkräfte mithilfe von KI eine inklusive Lernumgebung gestalten können:

1. Lernen durch Medien – Assistive Technologien

Die erste Ebene widmet sich Technologien, die Barrieren für Schüler*innen abbauen. Spracherkennungssoftware kann beispielsweise Schüler*innen mit motorischen Einschränkungen helfen, ihre Gedanken zu verschriftlichen. Text-to-Speech-Funktionen unterstützen Schüler*innen mit Leseschwierigkeiten, indem Texte vorgelesen werden. Ein Beispiel aus der Praxis ist der Einsatz von „Microsoft Immersive Reader“ (Microsoft n.d.), der Texte sowohl vorlesen als auch visuell anpassen kann, um die Lesbarkeit zu verbessern. Darüber hinaus können Sprachmodelle Alternativtexte für sehbeeinträchtigte Schüler*innen generieren, sodass Bilder und Grafiken durch beschreibende Texte ersetzt werden. Die Nutzung von Augensteuerungstechnologien ermöglicht es zudem, Schüler*innen mit starken körperlichen Einschränkungen digitale Inhalte zu steuern und aktiv am Unterricht teilzunehmen. Für Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen, bieten Übersetzungstools wie DeepL2  oder Sprachmodelle wie ChatGPT3  eine wertvolle Unterstützung, indem sie z. B. helfen können, Texte verständlich und kulturell sensibel zu generieren4 .

2. Lernen mit Medien – Medien als Lernmittel

Diese Ebene befasst sich mit der Nutzung digitaler Medien, um Lernprozesse flexibel und interaktiv zu gestalten. Sprachmodelle wie ChatGPT können hierbei als vielseitige Lernhilfen eingesetzt werden. Sie unterstützen Schüler*innen beispielsweise, indem sie komplexe Inhalte in einfachere Sprache umformulieren, schwierige Begriffe erklären oder zusätzliche Kontexte bereitstellen. Im Sprachunterricht könnten Lernende etwa ein Sprachmodell nutzen, um Dialoge in verschiedenen Schwierigkeitsgraden zu simulieren oder um Grammatik- und Rechtschreibübungen zu erhalten. Darüber hinaus ermöglichen Sprachmodelle eine dynamische Anpassung an die individuellen Bedarfe der Schüler*innen. So können diese gezielt Fragen stellen, um ein besseres Verständnis zu entwickeln oder sich Feedback zu eigenen Texten einholen. Durch diese vielfältigen Anwendungen fördern Sprachmodelle nicht nur das Verständnis, sondern regen auch eigenständiges und kreatives Lernen an. Chatbots lassen sich von Lehrkräften erstellen, um als individuelle Lernhilfe zu fingieren (zum Üben von Lesestrategie s. u. Beispiel 1).

3. Lernen mit Medien – Medien als Werkzeuge in der Lerngruppe

Digitale Werkzeuge fördern die Zusammenarbeit und Kommunikation innerhalb von Lerngruppen. Ein KI-gestützter Assistent kann Beiträge der Gruppenmitglieder in Echtzeit übersetzen, verschriftlichen oder strukturieren, wodurch auch Schüler*innen mit unterschiedlichen sprachlichen Hintergründen aktiv teilnehmen können.

4. Lehren mit Medien – Unterstützung der Lehrenden

KI-Tools können Lehrkräfte entlasten, indem sie vielseitige Unterstützung für die oft zeitaufwändige inklusive Unterrichtsgestaltung und -organisation bieten. Insbesondere Sprachmodelle wie ChatGPT eröffnen neue Möglichkeiten, individuell angepasste Materialien schnell und effektiv zu erstellen. Lehrkräfte können diese Modelle nutzen, um beispielsweise differenzierte Lesetexte zu generieren (s. u. Bsp. 2), die auf die Interessen oder das Sprachniveau der Schüler*innen abgestimmt sind. Ebenso können Sprachmodelle helfen, Übungsaufgaben zu entwickeln oder Vorschläge für kreative Unterrichtsideen zu liefern. Darüber hinaus unterstützen Sprachmodelle Lehrkräfte dabei, individuelle Rückmeldungen für Schüler*innen zu formulieren. Diese Feedbacks können sowohl inhaltliche als auch motivierende Elemente enthalten, um das Lernen zu fördern. Sprachmodelle können zudem Ideensammlungen zur individuellen Förderung generieren, indem sie Vorschläge für differenzierte Aufgaben oder Projekte erstellen. Ein weiteres Beispiel ist die Erstellung von Wörterlisten für den sprachsensiblen Unterricht, die themenbezogen und altersgerecht zusammengestellt werden können, um den Wortschatz gezielt zu erweitern. Diese Werkzeuge sparen Zeit und erleichtern es den Lehrkräften, sich stärker auf die jeweiligen Voraussetzungen ihrer Schüler*innen zu konzentrieren.

5. Lernen über Medien – Gesellschaftliche Dimension

Die letzte Ebene betont die Bedeutung von kritischem Denken und Reflexion im Umgang mit KI. Schüler*innen sollten nicht nur lernen, KI zu nutzen, sondern auch die Funktionsweise und die damit verbundenen ethischen Fragen verstehen – „Lernen über KI“ sollte Teil des Unterrichts sein. Beispielsweise könnten im Sprachunterricht Texte zu algorithmischen Verzerrungen analysiert werden, während im Mathematikunterricht die Grundlagen von KI-Algorithmen vermittelt werden. Im Kunstunterricht könnte die kreative Nutzung von KI zur Bild- oder Musikgestaltung thematisiert werden. KI-Kompetenzen sind entscheidend für die Fähigkeit, Fake News zu erkennen, die gesellschaftliche Teilhabe zu sichern und demokratische Werte zu stärken und die Schüler*innen auf eine zunehmend digitalisierte Welt vorzubereiten. Umso wichtiger ist es, das „Lernen über KI“ allen Schüler*innen zu ermöglichen, indem inklusive Lernumgebungen zum Lernen über KI anregen.


Praxisbeispiel 1: Einsatz eines KI-Assistenten zur Unterstützung des Textverständnisses

Ein KI-Assistent kann gezielt eingesetzt werden, um Schüler*innen beim Verstehen von Texten zu unterstützen. Beispielhaft können Lehrkräfte ChatGPT5  oder ähnliche Tools in den Unterricht integrieren. Die Schüler*innen nutzen dann den Chatbot, um einen Text besser verstehen zu können. Hierbei können z. B. folgende Szenarien realisiert werden:

•    Wörter klären: Der Assistent kann unbekannte Begriffe erklären oder Synonyme vorschlagen, um das Verständnis zu erleichtern. Zum Beispiel wird ein schwieriges Wort durch eine einfache Definition oder ein Beispiel erklärt (s. Abb. 3).

•    Übersetzungen: Es können auch Wörter oder Textabschnitte in die Herkunftssprache der Kinder übersetzt werden, um ein vertieftes Verständnis des Textes zu erlangen.

•    Fragen zum Text: Der KI-Assistent kann gezielte Fragen stellen, um das Textverständnis zu prüfen. Dies können inhaltliche Fragen sein (z. B. „Was ist das Hauptthema des Textes?“) oder analytische (z. B. „Warum handelt die Hauptfigur so?“). Der Assistent kann auch bei den Antworten unterstützen, wenn die Lernenden den Text vorher hineinkopieren. Alternativ können die Schüler*innen auch Fragen zu unverständlichen Textpassagen stellen.

•    Zusammenfassungen erstellen: Schüler*innen können mithilfe des Assistenten eine kurze Zusammenfassung des gelesenen Textes erstellen lassen.

•    Strukturieren: Der Assistent kann Vorschläge machen, wie der Text strukturiert werden kann.


Praxisbeispiel 2: Differenzierte Lesetexte mit Sprachmodellen

Lehrkräfte können Sprachmodelle wie ChatGPT nutzen, um differenzierte Lesetexte zu erstellen, die auf die Interessen oder das Sprachniveau oder bestimmte Lernziele der Schüler*innen abgestimmt sind. Zum Beispiel kann eine Lehrkraft für eine Lerngruppe mit unterschiedlichen Lesekompetenzen Lesetexte zu einem Thema wie Umweltschutz in mehreren Schwierigkeitsgraden generieren. Der Text für jüngere oder Schüler*innen mit sprachlichen Schwierigkeiten könnte einfache Sätze und grundlegende Informationen enthalten, während für fortgeschrittene Leser*innen komplexere Zusammenhänge und weiterführende Fachbegriffe eingearbeitet werden.

In einem weiteren Beispiel könnte das Sprachmodell personalisierte Inhalte erstellen, die auf die Interessen der Schüler*innen abgestimmt sind, etwa einen Lesetext über Fußball, einen über Faultiere oder einen über die Stadt Amsterdam. Diese Flexibilität ermöglicht es Lehrkräften, individuell angepasste Materialien bereitzustellen, die die Motivation der Lernenden fördern und gleichzeitig ihre Kompetenzen stärken.

Es bleibt zu beachten, dass bei der Textdifferenzierung eine Nachbearbeitung durch die Lehrkraft zur genauen Adaption auf die Schüler*innen üblicherweise notwendig ist. Dennoch lassen sich oft individuellere Texte gestalten und Zeit in der Vorbereitung einsparen.

Anmerkungen

  1. Z. B. Eickelmann u.a., ICILS 2023 #Deutschland.
  2. https://www.deepl.com/de/write
  3. Z. B. von OpenAI: https://chatgpt.com
  4. Vgl. auch Schulz & Schmid-Meier, Assistive Technologien und Künstliche Intelligenz.
  5. Z. B. über die datenschutzkonforme Schnittstelle der Anbieter „fobizz“ und„schulKI”

Literatur

  • Eickelmann, Birgit / Fröhlich, Nadine / Bos, Wilfried / Gerick, Julia / Goldhammer, Frank / Schaumburg, Heike / Schwippert, Knut / Senkbeil, Martin / Vahrenhold, Jan (Hg.): ICILS 2023 #Deutschland: Computer- und informationsbezogene Kompetenzen und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking von Schülerinnen im internationalen Vergleich, Münster / New York 2024, https://kurzlinks.de/s8uk (22.01.2025)
  • Schulz, Lea: Digitale Medien im Bereich Inklusion, in: Lütje-Klose, Birgit / Riecke-Baulecke, Thomas / Werning, Rolf (Hg.): Basiswissen Lehrerbildung: Inklusion in Schule und Unterricht, Grundlagen in der Sonderpädagogik, Seelze 2018, 344-367
  • Schulz, Lea / Schmid-Meier, Christa: Assistive Technologien und Künstliche Intelligenz: Ein KI-Kompetenzmodell zum Einsatz im Klassenzimmer, in:. Schule verantworten, Bd. 4/1 (2024; CC BY-NC-ND 3.0), 35-42. https://kurzlinks.de/ulz1 (22.01.2025)
  • https://chatgpt.com. KI-gestützter Textgenerator und Dialogassistent, OpenAI OpCo, LLC (22.01.2025)
  • https://www.deepl.com/de/write. KI-gestütztes Tool für stilistisch und grammatikalisch einwandfreie Texte, DeepL SE (22.01.2025)
  • https://fobizz.com. Digitale Tools und Fortbildungen für Lehrkräfte, fobizz – 101skills GmbH (22.01.2025)
  • https://www.microsoft.com/de-de/edge/features/immersive-reader?form=MA13FJ (alternativ: https://kurzlinks.de/r7su), Immersive Reader: Verbesserte Lesbarkeit und Zugänglichkeit im Webbrowser, Microsoft Corporation (22.01.2025)
  • https://schulki.de. KI-gestützte Lösungen für den Bildungsbereich, schulverwalter.online UG (22.01.2025)

 

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DAS FÜNF-EBENEN-MODELL DER DIKLUSION