Mein goldener Moment. Eine Einheit mit „Diesseitskisten“ zum bisher besten Lebensmoment in der Konfi-Arbeit

von Christian Nickel

 

  • Beobachtungen zum Zeitempfinden von Konfis

„Da kann ich nicht“, „Ich komme heute nicht“, „Dienstags kann ich nie“, „Ich schaffe das nicht, am Wochenende muss ich zu meinem Vater“, „Zeit ist das Kostbarste, was ich habe“ „Alles ganz schön stressig“, „Morgen schreibe ich eine Arbeit, muss noch lernen“, „Ich möchte ja dabei sein, aber ich will auch zum Handball“, „Ich will auch noch zocken“.

So oder so ähnlich klingen die Sätze meiner Konfis zum Thema Zeit. Sie sind Momentaufnahme über ihr Zeitempfinden. Eine kurze Abfrage in unserer WhatsApp-Gruppe brachte manche dieser Aussagen zusammen, andere begegnen mir sehr häufig im Alltag der Konfizeit. Ihr Tag, ihre Woche sind zeitlich klar getaktet. Schule, Mittagessen, Hausaufgaben, Instrument, Haustier, Sport. Allein einen Termin in ihrem Zeitgefüge für die Konfizeit zu finden, bleibt eine Herausforderung. Eine Vielzahl an Interessen und Bedürfnissen zerren an ihnen. Eltern, Lehrer*innen, Trainer*innen, Freunde, der eigene Wunsch nach Freizeit sowie die Befürchtung, etwas im Leben zu verpassen. Dazwischen stehen die Jugendlichen, und nicht immer werden ihre eigenen Bedürfnisse beachtet oder können sie ihnen selbst gerecht werden. Denn, wenn es darum geht, Herr oder Herrin der eigenen Zeit zu sein, sind ihre Grenzen eng gezogen. 

 

  • Didaktische Überlegungen

Ganz anders stehen dagegen die goldenen Momente des Lebens: Da ist nicht ein getaktetes Erleben von einem in den nächsten Moment, kein Hetzen, sondern ein Augenblick, in dem alles da ist. In diesen Momenten gehen die Uhren anders und deren Sekunden werden viel intensiver erlebt. Manche Momente scheinen zu leuchten, andere sind voller Wärme. Sie bringen oft Erkenntnis, offenbaren manchmal sogar eine ganz neue Welt. Schnell denke ich an die großen Lebensmomente, die Hochzeiten, Geburten und Feste. Dabei sind gerade auch die kleinen Begebenheiten es wert, zum herausragenden Augenblick zu werden. Ein fremdes, aber ergreifendes Lächeln in der Straßenbahn, eine unverhoffte Postkarte einer schon langen abgekühlten Freundschaft. 

Gemeinsam haben alle goldenen Momente: Sie werden geschenkt. Ich kann sie nicht herbeizwingen, sie bleiben für mich unverfügbar. Sie werden mir auch insofern geschenkt, dass ich mir die Zeit für sie selbst nehme. Bernhard von Clairvaux nannte das einmal: „Gönne dich dir selbst.“1  Gemeinsam ist auch, dass diese Augenblicke nicht verweilen, sie sind zeitlich begrenzt, Anfang und Ende umreißen sie. Ich brauche aber freie Zeit für sie, in der ich mit einem goldenen Moment rechnen kann. 

In der Bibel steht solch ein Moment am Anfang der Jesusgeschichte. „Die Zeit ist erfüllt“, sagt Jesus im Markusevangelium 1,15. Das Reich Gottes sei nun nahe. Im altgriechischen Text steht das schöne Wort Kairos. Es meint so viel wie: Der Moment ist da, ein Zeitfenster, das nun offensteht. Jesus beginnt nach dieser Ankündigung öffentlich zu predigen und zu wirken. Ein göttlicher Kairos für alle, die ihn hören und erleben, ist da. Nur müssen sie zugreifen, und das mit Herz und Hand. Die Zeit mit Jesus ist günstig, um mit Gott zusammen zu kommen. Kairos wird dann an anderen biblischen Stellen auf ähnliche Weise verwendet.

Im Folgenden greift eine Einheit das zeitliche Spannungsverhältnis auf, in dem die Konfis oft stehen. Sie möchte dazu anregen, das eigene Leben zu betrachten und im Ansatz zu reflektieren. Und sie zielt darauf, neben allen Fremd- und Selbstansprüchen den eigenen goldenen, vielleicht sogar göttlichen, Moment zu finden. Ein Moment im eigenen Leben, der als positiv, heil und ganz erinnert wird und aus dessen Erinnerung neue Kraft für das zukünftige Leben erwachsen kann. Die Konfis lernen dabei, dass sie ihre Leben mit Gott zusammen gestalten. Und selbst wenn ihnen nicht in jedem Moment Gott bewusst sein mag, so werden sie doch dafür sensibilisiert, dass mit Gott in jedem Moment zu rechnen ist. 

Die beschriebene Einheit zerfällt in mehrere Stunden. Der Schwerpunkt liegt hier „auf dem goldenen Moment“. Er ließe sich aber bei Bedarf auch verschieben. In den Gesamtverlauf einer Konfizeit lässt sie sich gut in einen Zusammenhang mit thematischen Einheiten wie „Taufe“, „Anfang und Ende des Lebens“, „Jenseitsvorstellungen“ bringen.

Unverkennbar stehen hinter diesem Schwerpunkt die „Jenseitskisten“ aus dem Kurs „Konfis auf Gottsuche“ von Keßler und Nolte.2 Hier werden sie nun abgewandelt in einer diesseitigen Variante. Die „Diesseitskisten“ haben ähnliche Eigenschaften wie ihre Vorbilder, einen dreidimensionalen Gestaltungsraum. Sie zeigen dagegen aber auch Unterschiede: Sie sind kein Blick „auf die andere Seite“, denn sie bilden einen Lebensmoment ab, der bereits erlebt wurde und vielleicht erneut eintreten kann. Ihre Blickrichtung zeigt einen persönlichen Kairos, der sich ereignet hat. Dementsprechend anders ist die Reflexionsphase gestaltet, ohne Spiegel, dafür mit einer Galerieausstellung. Die Diesseitskisten sind offen für kreativ-spielerisches Gestalten, Ausprobieren, Verwerfen und Neubeginnen. Und sie machen beim Herstellen und Interpretieren Spaß, sie motivieren zur Teilnahme und bringen deutlich vielschichtiger Ergebnisse hervor, als bloß über einen goldenen Lebensmoment zu sprechen.

 

  • Mein goldener Moment

Erste Stunde

Die erste Stunde gibt den Auftakt der Einheit. Sie ordnet die Einheit in den größeren Zusammenhang der Konfizeit ein und öffnet für das Thema. Es geht um Leben, Lebenszeit und die herausragenden Momente im Leben. Die Methode Lebensspirale lässt die Konfis ihr bisheriges Leben gedanklich abschreiten. Ihr Lebenszeitraum wird so sichtbar. Diese Spirale verlangt ein gewisses Vertrauensverhältnis in der Gruppe. Ebenfalls empfiehlt sich, mit einem der Gruppe vertrauten Warm-up-Spiel zu starten, um Kopf und Herz für alles Folgende frei zu haben. 

Für eine Lebensspirale ist die Mitte mit einem neutralen Hintergrund, vielleicht einem blauen Tuch, vorbereitet. Ein Seil wird darauf in spiralförmigen Kreisen gelegt. Eine kurze Moderation begleitet den Aufbau. In der Spiralmitte ist der Anfang des Lebens markiert: „Ihr alle wurdet geboren.“ Die Taufe eines Menschen kann markiert werden: „Vielleicht wurden einige von euch bereits getauft.“ Genauso können diese Meilensteine zu einem Leben gehören: „Wie war das, als du Fahrradfahren gelernt hast?“, oder: „Wie war das, als du damals in die Schule gekommen bist?“ Hilfreich ist es, wenn die Momente mit Gegenständen dargestellt werden. Eine Kerze für das Licht des Anfangs, für die Taufe eine Schale mit Wasser und so weiter. Zu den weiteren Stationen gehören auch die Brüche und schweren Momente im Leben, wie Abschiede, Trennungen und Tode. Je nach Vertrautheit in der Gruppe entscheidet der oder die Anleitende über die Auswahl. Manches wird in vielen Leben parallel sein, andere Erfahrungen werden den Konfis-Leben noch fehlen. 

In einer zweiten Sequenz erhalten die Konfis einen Stein und eine Feder mit der Bitte, bei sich zu überlegen, wo Schwere und wo Leichtigkeit in ihrem bisherigen Leben vorkam. Anschließend legen alle ihre Feder oder ihren Stein an die entsprechende Stelle der Lebensspirale. Wer mag, darf den Zusammenhang gerne kurz benennen. 

Zweite Stunde

Mit der zweiten Stunde nähern sich die Konfis ihrem goldenen Lebensmoment. Besondere Momente finden sich in jedem Leben. Es ist kein Wettbewerb um die spektakulärste Geschichte. Für diese Suche braucht es allerdings zweckfreie Zeit. 

Diese Stunde leiten Worte aus einem Brief von Bernhard von Clair- vaux ein, den er an Papst Eugen III., einen früheren Mitbruder im Zisterzienserorden, schrieb. Erstaunlich modern klingen Bernhards Gedanken in diesem berühmten Text über die Zeit. Beansprucht von allen wichtigen Aufgaben eines Kirchenoberhauptes droht Papst Eugen sich zusehends selbst zu verlieren. Im letzten Absatz fasst Bernhard seinen Rat so zusammen: 

„Ja, wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein? Denk also daran: Gönne dich dir selbst. Ich sag nicht: Tu das immer, ich sage nicht: Tu das oft, aber ich sage: Tu es immer wieder einmal.“3 

Zur Vorbereitung auf diese Stunde haben die Konfis eine „Hausaufgabe“ bekommen. Sie sollten sich überlegen, was sie gerne tun. Und wenn möglich, sollen sie das mitbringen, was sie gerne machen. Das kann ein Song sein, den sie gerne hören, oder der bequeme Lieblingssitzsack, die Playstation und so weiter. Ein Konfi fühlte sich von dieser Aufgabe so herausgefordert, dass er sein Bett mit dem Hinweis mitbrachte: „Ich schlafe halt gerne.“ Nach einer Einleitung, dem Gruppenmanagement und dem Text von Bernhard sollen alle Konfis ihr mitgebrachtes Equipment bereitstellen. Sie bekommen dann Zeit geschenkt, ihren Lieblingszeitvertreib zu machen. Geklärt sein sollte, dass es nicht um sinnlose Zeitverschwendung geht. Auch ist darauf zu achten, dass alle genug Raum haben; eine Grenze ist dann erreicht, wenn jemand anderes durch eine Tätigkeit gestört wird. Es kann nicht jeder laute Musik ohne Kopfhörer hören. Da es nicht um einen billigen Effekt geht, sollte schon ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt werden; je nach Länge der Stunde dürfen es auch mehr als 20 Minuten geschenkte Zeit sein. 

Wenn die Einheit gekürzt werden muss, dann ließe sich diese Phase auch gut ganz zu Hause erledigen. Die anschließende Reflexionssequenz mit der Leitfrage „Was habe ich erlebt?“ dürfte dann erfahrungsgemäß in ihren Antworten dünner ausfallen. 

Dritte Stunde

In der dritten Stunde steht das Finden eines goldenen Momentes im Mittelpunkt. Zunächst überlegt jeder und jede für sich, welcher Moment das sein könnte. Eine kurze Notiz auf einer Moderationskarte dient als Gedächtnisstütze. In Zweier-Murmelgruppen finden sich die Konfis sodann zusammen und stellen sich ihre Momente gegenseitig vor. Dabei klären sie, ob der Moment erkennbar umrissen ist, soweit verständlich und für die Großgruppe geeignet. Am Ende des Zweieraustauschs hat jeder und jede einen Moment für sich gefunden. Sie tragen sie im Kopf oder zumindest als Notiz auf ihrer Karte.

Nun geht es ans Gestalten. Die Konfis bearbeiten einen Schuhkarton künstlerisch, sodass ihr persönlicher goldener Lebensmoment in und um den Karton Gestalt annimmt. Es soll dabei ein Diorama aus dem Karton entstehen, das diesen Moment für andere erkennbar werden lässt. Wichtig ist, dass gutes Bastelmaterial vorgehalten wird. Washi Tapes kommen bei uns immer gut an, Gouache-Farben sorgen für flächige Deckkraft. Und Musik bei der künstlerischen Gestaltung hilft der Kreativität. Entweder bringen alle Konfis einen Schuhkarton mit oder das nächste Schuhgeschäft hilft mit einem Klassensatz Kartons aus; meist werden die sonst entsorgt. 

Vierte Stunde

In der vierten Stunde öffnet die Galerie. Alle gestalteten Schuhkartons stehen in gutem Licht nebeneinander auf Tischen. Snacks und Getränke sind angerichtet. Vom einen zum nächsten Diorama geht die Gruppe. Zunächst beschreibt die Gruppe, was sie sehen. Die jeweiligen Künstler*innen halten sich bei den eigenen Kunstwerken zurück. In einem zweiten Gesprächsgang lösen sich alle von der deskriptiven Ebene und bemühen sich darum, den goldenen Moment im Kunstwerk zu benennen, sie interpretieren. Wichtig ist, dass bei Bedarf die Gruppe daran erinnert wird, dass es in der Kunst nicht um Richtig oder Falsch geht, auch interessiert die persönliche Ästhetikvorliebe mancher Konfis hier nicht. Alle Kommentare werden wertschätzend formuliert und die Gesprächsleitung achtet auf Einhaltung aller dieser Regeln. Jeder Gesprächsgang schließt mit Applaus für ein gelungenes Kunstwerk ab. 

Fünfte Stunde

Eine fünfte und letzte Stunde stellt die Frage nach Gott in diesen goldenen Momenten. Die vierte und fünfte Stunde lassen sich bei Bedarf gut miteinander verbinden. Gott wirkt in unsere Zeit und das auf denkbar vielfältige Weise. Der richtige Kairos muss erkannt werden und erweist sich dabei meist erst im Blick zurück als göttlich. „Wo findest du Gott in deinem goldenen Lebensmoment?“ Alle Konfis erhalten rote kleine Holzkugeln. Sie sollen an die Stelle diese Kugel in ihrem Diorama befestigen, wo sie Gott in der Darstellung verorten. In einer letzten würdigenden Runde erhalten alle Kunstwerke mit Gottesverortung einen kräftigen Applaus. Die Galerie schließt darauf die Türen und alle nehmen ihre Werke mit nach Hause. In Absprache kann eine größere Öffentlichkeit im Gottesdienst oder in einer Gemeindeausstellung hergestellt werden – muss aber nicht. 
 

Anmerkungen

  1. Vgl. Bernhard von Clairvaux: Über die Besinnung an Papst Eugen, in: Sämtliche Werke, Bd. I, hg. von P. Gerhard B. Winkler, Innsbruck 1990, 629-635.
  2. Keßler, Hans-Ulrich / Nolte, Burkhardt: Konfis auf Gottsuche, Gütersloh 2019.
  3. Vgl. Bernhard von Clairvaux, a.a.O.. Über eine Google-Abfrage ist Bernhards Text leicht zu finden.