Vom spirituellen Umgang mit der Zeit

von Klaus Dettke


Ein Seminar für Manager*innen im Kloster Bursfelde für Führungskräfte von Mercedes hatte bereits um zehn Uhr begonnen. Eine Führungskraft kam wegen eines Verkehrsstaus erst gegen halb zwölf Uhr an. Kurz vor zwölf Uhr lud ich alle zum Mittagsgebet ein. Da baute sich der verspätet angereiste Manager entrüstet vor mir auf und sagte: „Sie wollen mir doch wohl jetzt nicht zumuten, zum Beten zu gehen, nach fünf Stunden Fahrt und anderthalb Stunden Stau?!“ Ich antwortete ganz ruhig: „Sie sind frei, ob Sie mitgehen oder nicht. Aber wir unterbrechen jetzt unsere thematische Einheit. Nach der Mittagspause geht es weiter.“ Nach drei Tagen Seminar mit jeweils vier Tagzeitengebeten sagte dieser Manager: „Das habe ich nicht erwartet. Gerade die vier Unterbrechungen am Tag waren für mich das Wertvollste in diesen Tagen. Ich habe eine Ahnung davon bekommen, wie heilsam ein solcher Rhythmus ist, der mir im Alltag fehlt.“


Unterbrechung ist die kürzeste Umschreibung von Religion

Die heilsame Erfahrung liegt besonders in der Unterbrechung, der Aus-Zeit des Gewohnten. Die Leertaste ist die größte Taste auf der PC-Tastatur. Sie sorgt dafür, dass eine Lücke bleibt zwischen den einzelnen Worten. Nur so sind sie lesbar und ergeben einen Sinn. Ähnlich ist es in der Musik: Unverzichtbar sind die Pausen. Durch sie entsteht ein Rhythmus, ein Klang, eine Melodie. 

Unterbrechung ist die kürzeste Umschreibung von Religion. Aufhören, innehalten, loslassen, aus dem Hamsterrad aussteigen. Aufhorchen, lauschen. Der Sabbat, der wöchentliche Feiertag der Juden, bedeutet nichts Anderes als Unterbrechung, eine Aus-Zeit.

Mediziner*innen beobachten schon lange, dass viele Patient*innen darunter leiden, dass der tief im menschlichen Leben eingestiftete Rhythmus in Unordnung geraten ist. Die einen machen die Nacht zum Tag, die anderen kennen überhaupt keinen Ruhetag mehr. Wieder andere berichten, höchstens für vier Stunden Arbeit am Tag noch Konzentration und Kraft zu haben. Es könnte helfen, wieder auf den Pulsschlag des Lebens zu achten: alle drei Sekunden beginnt ein neuer Atemzug, alle 24 Stunden ein neuer Tag, alle acht Tage eine neue Woche. In regelmäßigen Abständen muss ich essen und schlafen. Jeder Zeitrhythmus hält die Einladung bereit, neu anzufangen. 

Der Dichter Richard Dehmel, vor über einhundert Jahren gestorben, hat bereits ausgesprochen, was zur allgemeinen Erfahrung gehört:

„Wir haben ein Bett, wir haben ein Kind.
Wir haben auch Arbeit, und gar zu zweit,
und haben die Sonne und Regen und Wind,
uns fehlt nur eine Kleinigkeit,
um frei zu sein, wie die Vögel sind:
nur Zeit.“

Zeitmangel. Er gibt zu denken. Immer mehr Menschen klagen darüber, immer weniger Zeit zu haben. Kinder und Jugendliche klagen bereits darüber. Es gibt nicht nur die Angina Pectoris als Krankheit, die es Leidenden qualvoll eng um das Herz werden lässt. Es gibt auch die Angina Temporis, die Verengung der Zeit. Menschen haben nicht Zeit, sondern die Zeit hat sie, bringt sie in Zeit-Not. Zu einem frommen Juden kam ein Besucher mit der Klage: „Ich habe keine Zeit“. Er erhielt die Antwort: „Setz dich nur hin und die Zeit kommt von selbst.“

Sich unterbrechen lassen. Nach biblischem Verständnis hat Gott die Zeit wie alles andere geschaffen und dem Menschen zu gutem Gebrauch gegeben. Zeit ist weder mein Eigentum noch mein Tyrann. Es lohnt sich, mit einer der wertvollsten Gaben neu umzugehen. Die Bibel erinnert an einen dreifachen Gebrauch der Zeit:

Erstens: Wir bitten um Zeit, um freie und gefüllte Zeit, um Saat- und Erntezeit, um Zeit für die Muße und Zeit für die Arbeit. Wir bitten um Gottes Gegenwart in unserer Zeit.

Zweitens: Wir erwarten Zeit als Gnadenzeit und hoffen deswegen auf gute Zeit. Darum wünschen wir uns einen guten Morgen, einen guten Tag, einen gesegneten Feiertag. Dabei richtet sich die Erwartung der Zeit immer nur auf den heutigen Tag. Denn gestern ist nicht mehr und morgen ist noch nicht. Die Gegenwart ist unsere Zeit. Im Psalm 118,14 lesen wir: „Heute ist der Tag des Heils.“

Drittens: An jedem neuen Tag wird uns Zeit geschenkt für uns selbst, für andere Menschen, für Gott, dem wir unsere Zeit verdanken. Darum hat Lothar Zenetti das Evangelium von der Speisung der 5.000 durch Jesus umgeschrieben:

»Und Jesus sah eine große Menge Volkes, die Menschen taten ihm leid und er redete zu ihnen von der unwiderstehlichen Liebe Gottes.

Als es dann Abend wurde, sagten die Jünger: „Herr, schicke diese Leute fort, es ist schon spät, sie haben keine Zeit.” „Gebt ihnen doch davon”, so sagte er, „gebt ihnen doch von eurer Zeit!”

„Wir haben selber keine”, fanden sie, „und was wir haben, dieses Wenige, wie soll das reichen für so viele?”

Doch da war einer unter ihnen, der hatte wohl noch fünf Termine frei, mehr nicht, zur Not, dazu zwei Viertelstunden.

Und Jesus nahm, mit einem Lächeln, diese fünf Termine, die sie hatten und die beiden Viertelstunden in die Hand. Er blickte auf zum Himmel, sprach das Dankgebet und Lob, dann ließ er austeilen die kostbare Zeit durch seine Jünger an die vielen Menschen.

Und siehe da: Es reichte nun das Wenige für alle. Am Ende füllten sie sogar zwölf Tage mit dem, was übrig war an Zeit, das war nicht wenig. Es wird berichtet, dass sie staunten.«1


Jede Tageszeit hat ihre besondere Qualität

Es lohnt sich, unsere Zeit klarer und bewusster zu empfangen, nur diesen Tag, aber ihn ganz und bereit. Ich nehme den Tag an und gebe ihn wieder zurück, dankbar für Gelungenes und um Vergebung bittend für Vertanes, Verpasstes. Wie jeder Tag neu beginnt, so fängt auch Gott immer neu mit uns an.

Jede Tageszeit hat ihre besondere Qualität. Dem folgt in vielen Klöstern und Einkehrhäusern die Gestaltung von vier Tagzeitengebeten (s.o.) am Morgen, am Mittag, am Abend und zur Nacht. Je nach spiritueller Tradition sind sie reich ausgeschmückt oder aber schlicht gestaltet.2 Nicht immer bewusst ist, dass sie neben der Anbetung Gottes in der Regel auch lebensdienlich sind.

In einem Gespräch über den spirituellen Tagesbeginn erzählte eine junge Mutter von vier Jungen: „Bevor der erste meiner Söhne aufsteht, gönne ich mir zehn Minuten, oft am geöffneten Fenster. Ich atme einige Zeit tief die frische Morgenluft ein und aus. Dann strecke ich meine nach oben geöffneten Hände aus wie zum Empfang und spüre dem nach. Dann formuliere ich ein kurzes Gebet. Ich danke für das Geschenk des neuen Tages, bitte um Offenheit für das, was mir am Tag begegnet. Ich schließe mit dem langsam gesprochenen Vaterunser und der Bitte um Segen.“ 

Manch eine*r gönnt sich in der Mittagszeit eine Unterbrechung, vielleicht inspiriert durch das Lied von Jochen Klepper:

„Der Tag ist seiner Höhe nah. 
Nun blick zum Höchsten auf, 
der schützend auf dich niedersah
in jedes Tages Lauf.
Wie laut dich auch der Tag umgibt, 
jetzt halte lauschend still, 
weil er, der dich beschenkt und liebt, 
die Gabe segnen will.“3

Das Abendgebet markiert das Ende der Arbeit, den Übergang zum Feierabend. Wer wüsste aber nicht, dass das gar nicht so leicht ist. Selbst in einem Haus wie Kloster Bursfelde fällt es manchen Gruppen schwer, kurz vor achtzehn Uhr die Tagungsarbeit für das Abendgebet zu unterbrechen. Fremd geworden ist die Abendgnade, das Geschenk, ausruhen zu dürfen. 

Zu vertraut ist das Lebensgefühl, nicht genug getan zu haben. Im Gebet öffnen wir uns dem gnädigen und barmherzigen Du Gottes. In seiner Gegenwart bin ich liebevoll angesehen, unabhängig von meinem Tun und Lassen.

Und dann gibt es noch das Nachtgebet, in Klöstern auch Komplet4 genannt. Es geht darin um Dank für den vergangenen Tag, um Loslassen von Belastendem und Versäumtem und die Bitte um gute Träume und Bewahrung vor Albträumen. Es ist so etwas wie eine Tagesinventur. Oftmals haben Führungskräfte der oben erwähnten Seminar für Manager*innen gesagt, dass sie lange nicht mehr so gut geschlafen haben wie nach den zunächst ungewohnten Nachtgebeten.


Lebendige Wechsel von Werktagen und Feiertagen

Nicht nur der Tag hat seinen Rhythmus, sondern auch die Woche. Sonntage und Feiertage geben dem Kalenderjahr seine Lebendigkeit. Der lebendige Wechsel von Werktagen und Feiertagen erlöst von der Monotonie einer homogenen Zeit ohne Höhepunkte. Besondere Tage im Jahreslauf bereichern das Jahr nicht zuletzt durch die Vorfreude.

Es ist schon einige Jahre her, da vollzog sich, von vielen unbemerkt, eine kleine Kalenderreform. Der Sonntag wurde ganz offiziell zum siebenten Wochentag erklärt. Fortan beginnt die neue Woche mit dem Montag. Vielleicht fragt jemand: Wie sollte es denn anders sein? In der alten Kalenderordnung begann die Woche mit dem Sonntag. In den Kirchen gilt das bis heute. Der Sonntag wird gefeiert als der Tag, an dem Gott das Licht geschaffen hat. Es ist der Tag der Auferstehung Jesus Christi. Und das ist, alter jüdischer Zählung entsprechend, der erste Tag der Woche. „Als aber der Sabbat um war und der erste Tag der Woche anbrach …“, so beginnt der Evangelist Matthäus (Matthäus 28,1) den Bericht der Auferstehung Jesu. Der liturgische Charakter einer jeden Woche wird bestimmt durch den Sonntag, mit dem sie beginnt.

Warum schließt sich die Kirche nicht einfach der weltlichen Regelung an? Unsere Gesellschaft wird kaum der kirchlichen Auffassung folgen. Im Lebensgefühl der meisten Zeitgenoss*innen beginnt am Freitag das Wochenende. Das dauert bis einschließlich Sonntag.

Dennoch kann die kirchliche Praxis eine wichtige Wahrheit wachhalten: Es gibt nicht nur eine Ruhe nach der Arbeit, sondern auch eine vor der Arbeit. Diese Ruhe vor der Arbeit hat ihre eigene Würde und Botschaft. Jede Feier des Sonntags ist ein gelebter Widerspruch gegen das Gesetz unserer Industriegesellschaft, die den Sinn menschlichen Lebens aus der Leistung ableitet. Leidtragend sind die, die nichts vorzuweisen haben: Alte, Kranke, Arbeitslose und Kinder. Jeder Sonntag aber ist Gottes gnadenreiche Rehabilitation derer, die nicht mehr oder noch nicht konkurrenzfähig sind. Wir brauchen eine Sonne, die ihre Strahlen an uns verschwendet, ohne nach unserer Leistung zu fragen. Wir brauchen einen Boden, der uns trägt, ohne uns mit einem kritischen Blick zu mustern, um festzustellen, ob wir solches Getragen-Werden verdient haben. Wir brauchen ein Antlitz, das uns freundlich leuchtet, einfach, weil es uns erblickt hat. Das schenkt uns z. B. der Segen am Ende jeden Gottesdienstes.


Im Kirchenjahr ist das natürliche Jahr spirituell überformt

Nicht nur die Woche hat ihre besonderen Zeiten, auch das Naturjahr und das Kirchenjahr. Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter prägen das Leben in unseren Breiten. Unsere Zeiterfahrung ist zutiefst von biologischen und kosmischen Rhythmen bestimmt. Zeit: Das ist der Raum zwischen zwei Schlägen unseres Herzens, zwischen zwei Atemzügen, der Rhythmus von Wachen und Schlafen, von Hunger und Sättigung. Zeit: Das ist auch der Rhythmus von Hell und Dunkel, von Tag und Nacht, das Spiel der Gezeiten, der Wechsel der Jahreszeiten und Jahre. Dass wir in der Zeit leben, ja, dass alles Leben eine Erscheinungsweise der Zeit ist, lesen wir ab am Lauf der Gestirne, des Mondes, der Sonne, unserer Erde, die sich um sich selber dreht und sich zugleich um die Sonne bewegt. Wir lesen es auch ab an der biologischen Uhr, die wir in uns tragen und die deutlich auf diese kosmischen Rhythmen abgestimmt ist. 

Im Kirchenjahr ist das natürliche Jahr spirituell überformt. Während allgemein das Jahr mit dem 1. Januar beginnt, beginnt das Kirchenjahr mit dem ersten Adventssonntag. Vier Adventssonntage wollen vorbereiten auf das Weihnachtsfest. Dazu gehört die Unterbrechung alles Gewohnten, der Verzicht auf alles, was an der Einstimmung auf die Feier der Menschwerdung Gottes hindert. Es wird gefeiert am winterlichen Wendepunkt der Sonne. In den Tagen, an denen die winterliche Dunkelheit fast unerträglich wird, erklingt die Botschaft: „Das Licht scheint in der Finsternis“, Christus, das Licht der Welt. Diese Botschaft wird an den Epiphanias-Sonntagen entfaltet. 

Danach folgt die vorösterliche Passionszeit, wieder eine Zeit des Verzichts und des Fastens und der Konzentration. An ihren Sonntagen wird die Macht Jesu Christi entfaltet. Diese Wochen laufen auf die „Stille Woche“, die Woche vor Ostern zu. Schritt für Schritt wird in manchen Gemeinden bis zum Karfreitag, dem Todestag Jesu, seine Leidensgeschichte bedacht, seine liebende Hingabe. In der Osternacht wird das Osterfeuer entzündet, an dem die Osterkerze entflammt wird mit dem Ruf: „Christus ist das Licht – Gott sei ewig Dank.“ Die Gottesdienstbesucher*innen geben sich gegenseitig durch Kerzen das Licht weiter mit dem Gruß: „Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden.“ Was von dem neuen Leben gesagt wird, bebildert die neu aufbrechende Natur im Frühling.

Die Osterfreude wird an den Sonntagen der Osterzeit, die bis Pfingsten dauert, entfaltet. Mit Christi Himmelfahrt geht die Osterzeit zu Ende. Aber eine größere Gabe wird mit Pfingsten gefeiert: Das Geschenk des Heiligen Geistes, durch den der Auferstandene in uns wohnen und wirken will.

Im Rauschen und Duften der Blüten und Blätter kündigt sich der Sommer an. In den folgenden Wochen folgt die festlose Jahreshälfte, Trinitatissonntage, an denen die unterschiedlichen Aspekte des Geheimnisses Gottes entfaltet werden. Mit den Sonntagen im Herbst, an denen die Tage langsam kürzer werden, wird die Ernte gefeiert und der Verstorbenen gedacht. Es wird kühler und dunkler. Der Jahreskreis schließt sich. Jede Zeit im Jahr hat ihre Qualität und ihren besonderen Charakter.


„Alles hat seine Zeit”

Auch unsere Lebenszeit ist nicht ohne Rhythmus. Menschliches Leben verläuft nicht in ermüdender Monotonie, sondern in gegliederter Gestalt. Da ist zunächst die Zeit von Kindheit und Jugend, in der wir heranwachsen. Da ist die Zeit der Lebensfülle, in der wir in der vollen Kraft des erwachsenen Menschen unseren Weg gehen. Mittlerweile gibt es für viele eine Zeit nach der Pension bzw. Verrentung. Und allmählich macht sich dann mehr und mehr das Alter bemerkbar, das wir nicht zufällig gern als Lebensabend bezeichnen, bis dann eines Tages der Tod an unsere Tür klopft. „Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt … Bleibe bei uns am Abend des Tages, am Abend des Lebens, am Abend der Welt!“ (Wilhelm Löhe). 

Dies Gebet zeigt uns, dass Rhythmen, von denen bereits die Rede war, nicht ohne Beziehung zueinander sind. Alles hat einen Anfang, wo es noch dem Ursprung nahe ist: der Tag, das Jahr und das menschliche Leben. Alles hat auch seine Höhe, in der es seine größte Kraftentfaltung erreicht. Und alles muss auch den Niedergang akzeptieren lernen, der jenseits des Höhepunktes wartet. Alles strebt einem Ende entgegen: der Tag dem Abend, das Jahr seinem Herbst, das menschliche Leben dem Alter. Und auf den Abend folgt die Nacht, auf den Herbst der Winter, auf das Alter der Tod. Gerade bei den tragenden Rhythmen unseres Lebens spüren wir, wie alles mit allem verwandt ist, wie alles aus einem Seinsgrund hervorgeht und zu ihm zurückstrebt. So haben die natürlichen Erscheinungen im Tages- wie im Jahreslauf nicht nur ihren Vordergrund, sondern auch einen Hintergrund.

In Prediger 3 (= Kohelet) lesen wir: „Alles hat seine Zeit“. Viele Dinge und Erfahrungen werden aufgezählt, die ihre Zeit haben. Und dann kommt ein Satz, der aufhorchen lässt: „Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt.“ (Koh 3,11) Ewigkeit ist die Unterfütterung unserer Zeit, ihr verborgener Hintergrund. Gottes Zeit ist Zeit ohne Zeit. In einem alten Kirchenlied heißt es: „O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit“. Könnte es sein, dass in mancher inneren Unruhe, in mancher spirituellen Sehnsucht, Gott selbst sich auf charmante Weise in Erinnerung bringt?

Diesen Eindruck hatte ich manches Mal, wenn Besucher*innen des Geistlichen Zentrums Kloster Bursfelde zu Einkehrtagen, Tagen der Stille oder Exerzitien kamen. Sie bewegte eine Sehnsucht, wie sie der Kirchenvater Augustin in seinen Bekenntnissen (I,1) beschreibt: „Ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir“. Sehnsucht des menschlichen Herzens nach Gott, nach der Zeit ohne Zeit. Dieser inneren Unruhe bewusst oder unbewusst melden sich Menschen u.a. zu achttägigen Exerzitien an. Diese Zeit ist geprägt durch Schweigen, vier Gebetszeiten und eine Abendmahlsfeier pro Tag, einem biblischen Text für jeden Tag zur persönlichen Betrachtung, Übungen zur Körperwahrnehmung und ein tägliches Begleitgespräch. Eine Teilnehmerin beschrieb ihre Erfahrung: „Diese Exerzitienzeit war erholsamer als drei Wochen Strandurlaub“.

Kleinere und größere Aus-Zeiten eröffnen einen neuen Blick auf die übrige Zeit.

Anmerkungen

  1. Aus: Lothar Zenetti: Die wunderbare Zeitvermehrung. 6. überarb. Aufl., Trier 2019.
  2. Ev. Gesangbuch (EG): 783 Morgengebet; 784 Mittagsgebet; 785 Abendgebet; 786 Nachtgebet.
  3. EG 457,1+2.
  4. Lat. Completum: Es ist vollbracht.