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Strömungen des Judentums1

Von Lena Sonnenburg

 

Jüdisches Leben in Deutschland ist plural, heterogen und dynamisch. Eine Einteilung in Kategorien wie liberal, konservativ, orthodox oder ultraorthodox ist daher schwierig: Manche Jüd*innen zählen sich selbst eher zu einer der zahlreichen Untergruppen der ultraorthodoxen Strömungen, andere bezeichnen sich lieber als säkular, betonen aber ihre Verbundenheit mit Israel, wieder andere betrachten sich als Teil einer „Schicksalsgemeinschaft“ oder zelebrieren ihre Hochzeit nach orthodoxem Ritus und leben sonst liberal.


Liberales Judentum

Das liberale Judentum versteht sich als eine sich weiterentwickelnde Religion. Da die Ritualgesetze als von Menschen entwickelt gelten, liegt der Fokus der Einhaltung von Geboten /Gesetzen im liberalen Judentum auf jenen, die als Moralgesetzte bezeichnet werden. So erhält das sozial-gesellschaftliche Engagement, z.B. der Einsatz für Minderheiten oder die Menschenrechte im liberalen Judentum einen besonderen Stellenwert.

Frauen und Männer sind im liberalen Judentum gleichberechtigt: Es gibt ebenso Rabbinerinnen, Thora-Schreiberinnen und Kantorinnen wie männlichen Kollegen. Auch in der Synagoge sitzen Männer und Frauen beieinander.


Konservatives Judentum

Das konservative Judentum versucht Tradition und Moderne so in ein Gleichgewicht zu bringen, dass die Lehren der Vergangenheit, die Bedürfnisse der Gegenwart und die der Zukunft zueinander passen. So wie auch das liberale Judentum nimmt das konservative Judentum Erkenntnisse der Wissenschaft auf: In den Rabbiner*innenseminaren wird u.a. mit der historisch-kritischen Methode gearbeitet.

Im konservativen Judentum werden die Gebote/Gesetze (Halacha) grundsätzlich als bindend betrachtet; die Einhaltung wird allerdings den Individuen selbst überlassen und ist ständig neu auszulegen, weil sich die ethischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse ändern. So entsteht an manchen Stellen eine gewisse Differenz zwischen Norm und Praxis.


Orthodoxes Judentum

Das orthodoxe Judentum ist eine Strömung mit einer sehr großen Spannbreite: Zu ihr gehören genauso neo-orthodoxe wie prä-moderne oder chassidische Gruppen. Daher ist es sehr schwierig, allgemeine Aussagen über das orthodoxe Judentum zu treffen.

Die Gebote/Gesetze (Halacha) werden als bindend betrachtet und ihre Befolgung steht im Zentrum des orthodoxen Lebens. Die Thora wird als Wort Gottes verstanden. Es ist die Aufgabe der Menschen, sie auszulegen. Ethische und religiöse Rituale haben im orthodoxen Judentum den gleichen Stellenwert.

In vielen orthodoxen Gemeinden finden täglich Gottesdienste statt, in die die Gemeindeglieder aktiv eingebunden sind. Frauen spielen im traditionellen orthodoxen Gottesdienst keine öffentlich sichtbare Rolle. Sie sitzen daher auch von den Männern getrennt.

Chassidismus

Der Chassidismus ist eine Erneuerungsbewegung innerhalb der Orthodoxie, die kabbalistische Vorstellungen aufnahm und popularisierte. Der Chassidismus betont, dass die Menschen Gott im alltäglichen Leben erfahren und dienen können. Die emotionale Beziehung zu Gott und die Freude am Leben haben im Chassidismus einen wichtigen Stellenwert.

Anmerkungen:

  1. Quellen: Ursula Rudnick: Strömungen des Judentums (Vortrag am 18.9.2018 im RPI Loccum) sowie Gilbert S. Rosenthal: Das Judentum hat viele Gesichter; die religiösen Strömungen der Gegenwart, Gütersloh 2000, 181-185.