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Besucht: Ecclesia und Synagoga — Eine neue Verhältnisbestimmung

Von Ursula Rudnick

 

In der Darstellung von Ecclesia und Synagoga drückt sich traditionell antijüdisches christliches Selbstverständnis aus.1 In der christlichen Ikonografie findet sich das Motiv von Ecclesia und Synagoga ab der Mitte des 9. Jahrhunderts in zahlreichen Ländern Europas, so z.B. neben Deutschland auch in Dänemark, Österreich und Italien. Es hält Einzug in die gesamte kirchliche Gebrauchskunst und findet sich auf Altarbildern, in Glasfenstern, Chorstühlen, als Buchmalerei, auf Reliquienkästen, ja selbst auf liturgischen Gewändern.

Ecclesia und Synagoga werden zunächst als junge, meist prächtig gekleidete Frauenfiguren dargestellt, die von gleicher Größe und gleicher Gestalt sind. Sie stehen für eine typologische Darstellung von Altem und Neuem Bund und bezeichnen die Zusammengehörigkeit von Altem und Neuem Testament. Synagoga, der Alte Bund, wird als Vorläuferin, Ecclesia, der Neue Bund, wird als die Erfüllung der Verheißungen gesehen. Der christlich-theologische Wahrheitsanspruch wird exklusiv formuliert und ist mit einem politischen Machtanspruch verbunden. Bibel und Geschichte werden instrumentalisiert, um die eigene Position zu legitimieren.

Das christlich-jüdische Gespräch der vergangenen Jahrzehnte führte zu einer Veränderung der theologischen Wahrnehmung des Judentums und zugleich zu grundlegenden Veränderungen christlicher Selbstdefinition. Es wurde von diffamierenden theologischen Denkfiguren Abschied genommen.

Die Skulptur Twins von Johan Tahon vor dem Landeskirchenamt in Hannover

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers schrieb 2016 einen internationalen Kunst-Wettbewerb zur Gestaltung einer Skulptur zu Ecclesia und Synagoga aus. Es wurden sieben Künstler*innen eingeladen, einen Entwurf einzureichen. Zur Jury gehörten Kunstexpert*innen, Theolog*innen sowie ein Rabbiner.

Der Kontext dieses Projektes war ein doppelter: die Reformationsfeierlichkeiten im Jahr 2017 und die Erneuerung des Verhältnisses von Kirche und Judentum. Gut lutherisch gemäß des Auftrags ecclesia semper reformanda est sollte sich hier exemplarisch reformatorische Erneuerungskraft zeigen: die Fähigkeit zur Selbstkritik (Absage an Luthers judenfeindliche Schriften und Gedanken), verbunden mit der Neugestaltung von Theologie (eine Theologie des Respekts gegenüber dem Judentum) und gelebter Erneuerung.

„Der Entwurf des Kunstwerkes soll einen oder mehrere Aspekte des gegenwärtigen Verhältnisses von Kirche zum Judentum zum Ausdruck bringen. Ausgangspunkt ist dabei das alte Paradigma von Ecclesia und Synagoga. Das Kunstwerk soll Aspekte des Miteinanders von Kirche und Judentum entwerfen, wie es in der Verfassungsänderung der Landeskirche zum Ausdruck kommt. Dabei sind die Künstler*innen weder auf spezifische Inhalte noch auf eine figürliche Ausdrucksweise festgelegt“.2 So hieß es im Ausschreibungstext. Vorgegeben war der Ort der Realisierung: neben dem Landeskirchenamt in Hannover, Rote Reihe 6. Hier stand bis zur Pogromnacht am 9. November 1938 die zentrale Synagoge der jüdischen Gemeinde Hannovers zwischen katholischer und evangelisch-lutherischer Stadtkirche.

Die Jury wählte den Entwurf des belgischen Künstlers Johan Tahon. Tahons überlebensgroße weibliche Figuren haben keines der traditionellen ikonografischen Attribute. Es sind weibliche Gestalten, die jedoch nicht realistisch dargestellt sind. Sie haben keine Gliedmaßen und bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass in ihnen weitere Formen enthalten sind. Beide Figuren haben an ihrer Seite jeweils über dem Boden schwebende, identisch aussehende rechteckige Tafeln, die durch fünf polierte Querstreben unterteilt sind. Die Assoziationen sind vielfältig: Es könnten Himmelsleitern, Buchrücken oder Gesetzestafeln sein. Sie könnten das gemeinsame bzw. geteilte Erbe wie die Hebräische Bibel oder die zehn Gebote bedeuten.

Die Figuren unterscheiden sich in ihrer Haltung und in ihrem Ausdruck. Die eine hat den Kopf gesenkt, wirkt in sich versunken, sei es aus Schmerz oder Scham. Die andere blickt zu ihr hin, den Kopf schräg haltend, jedoch nicht geneigt. Sie berühren einander nicht und kommunizieren auch nicht miteinander, stehen jedoch auf einem gemeinsamen Fundament. Der Künstler gab ihnen den Namen Twins – Zwillinge.

Der Kunsthistoriker Ari Hartog beobachtet: „Johan Tahons Figuren sind immer bemerkenswert passiv. Sie agieren nicht. Es sind keine Gestalten, die etwas wollen, und auch damit steht Tahon in einer bemerkenswerten Tradition. Denn genau über diese visuelle Konvention wird geistige Energie vermittelt. Riesen, die nichts wollen. Nicht das Tun, sondern das Können und das Eingefangensein in größere Zusammenhänge. Die Passivität regt Betrachter*innen aber an zu fragen: Was war davor, was kommt danach? Mechanismen, die Tahon kennt und bewusst einsetzt – nicht um Inhalte zu kommunizieren, sondern um – nennen wir es – geistige Kräfte frei zu setzen. Tahon schöpft dabei aus der Geschichte der Kunst, wie es ein Künstler im 21. Jahrhundert kann“.3

Der Paradigmenwechsel, der in Teilen in der evangelischen und katholischen Theologie und in den Kirchen in Bezug auf die Beziehungen von Kirche und Judentum stattgefunden hat, findet Niederschlag auch in neugeschaffenen Kunstwerken. Es ist wichtig, dass neben die De-konstruktion überkommener Kunstwerke auch eine Rekonstruktion tritt. Und so wie das Motiv von Ecclesia und Synagoge in der Geschichte der christlichen Ikonografie ein breites Spektrum unterschiedlicher Darstellungsformen und auch verschiedener Grade anti-jüdischer Aussagen fand, so haben die neuen Entwürfe jeweils ihre Stärken und Schwächen. Sie machen deutlich, welche Herausforderung es darstellt, traditionelle Motive neuzugestalten und wie wichtig es ist, dass neben die Vielfalt der alten Bilder eine Vielfalt neuer Bilder tritt.4 

Anmerkungen

  1. Schreckenberg, Heinz: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld, 3 Bde, Frankfurt am Main / Bern 1982–1994. Zum Motiv von Ecclesia und Synagoga siehe Herbert Jochum: Ecclesia und Synagoga. Das Judentum in der christlichen Kunst, Ausstellungskatalog, Alte Synagoge Essen, Regionalgeschichtliches Museum Saarbrücken 1993; ders.: Ecclesia und Synagoga. Zu einer Ausstellung im Stift Altenburg über die konfliktreiche Geschichte von Christen und Juden, in: Dialog-DuSiach, Nr. 80; Annette Weber: Glaube und Wissen – Ecclesia und Synagoga, in: Wissenspopularisierung: Konzepte der Wissensverbreitung im Wande, Berlin 2003, 89-126.
  2. Unveröffentlichter Ausschreibungstext.
  3. Unveröffentlichte Rede von Ari Hartog anlässlich der Ausstellungseröffnung einer Ausstellung von Johan Tahons Kunstwerken in der Marktkirche Hannover im Januar 2018.
  4. Weitere Informationen finden sich unter www.kirch liche-dienste.de/arbeitsfelder/judentum/Ecclesia-und-Synagoga0

Literatur

  • Bookbinder, Judith: Synagoga and Ecclesia In Our Time. A Transformative Sculptural Statement in Traditional Form, in: Studies in Christian-Jewish Relations 11,1 (2016), 1-11
  • Raddatz, Alfred: Drei Ecclesia-Synagoga Darstellungen nach 1945, in: Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit (Hg.): Dialog- DuSiach. Ecclesia und Synagoga in der christlichen Kunst von 850 bis 2000, Wien 2002
  • Wacker, Marie-Theres: Ecclesia und Synagoga im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Historische Sondierungen in theologischem Interesse, Franz Delitzsch Vorlesung 2017, Münster 2018