Wege in die Stille – Ein Wochenende im Kloster

Von Martin Miehlke

 

Zeit für mich

Wo sind die Orte im Alltag, an denen ich mit Gott in Kontakt trete? Nehme ich mir bewusst Zeit, um zu beten? Wann ist der beste Zeitpunkt dafür – gleich nach dem Aufstehen oder in der Mittagspause? Welche Mittagspause? Im Pfarralltag ist es nicht unbedingt leichter geworden, meinen eigenen spirituellen Bedürfnissen auf die Spur zu kommen und Formen zu finden, die zu mir passen. Die „Wege in die Stille“ sind als Bildungsprojekt im Rahmen meines Vikariates entstanden. Auch wenn mein Vikariat inzwischen beendet ist, ist die Frage geblieben: Nehme ich mir Zeit für mich und Gott?


Wahrnehmung eines Bedürfnisses

Nicht nur mich beschäftigt diese Frage. Das zeigt sich an der großen Nachfrage für Achtsamkeitstrainings und Meditationskurse. Auch Unternehmen bieten ihren Beschäftigten immer häufiger Mindfulness-Angebote und Coachings an. In der Hannoverschen Landeskirche wurde sich ein ganzes Jahr den Freiräumen gewidmet. Dahinter stehen die Erfahrungen von Stress, Hektik und Entscheidungsdruck im beruflichen wie privaten Alltag.

Das Gefühl des Getrieben-Seins und die Bewältigung wachsender Anforderungen an die eigene Leistungsfähigkeit rufen das Bedürfnis nach Entspannung und Kontemplation hervor, ebenso nach lebensdienlichen Strukturen und wohltuenden Ritualen. Somit lässt sich vielfach beobachten, wie Menschen sich Auszeiten nehmen oder für Sabbattage und Digital-Detox-Kuren Klöster aufsuchen. 


Die Projektidee

Mit anderen ein Wochenende im Kloster verbringen, Momente der Stille erfahren und sich über die eigenen spirituellen Erfahrungen austauschen: Das war die Idee. Unter dem Titel „Wege in die Stille“ sollte eine mehrtägige Veranstaltung zur Einführung in Formen christlicher Frömmigkeit und Spiritualität stattfinden. Die anvisierte Zielgruppe waren Erwachsene. Das Projekt sollte die Teilnehmer*innen in klösterlicher Atmosphäre mit alten und neuen Formen geistlicher Übung in Kontakt bringen. Mithilfe praktischer Übungen sollten die Teilnehmer*innen eingeladen werden, sich in eine Gebets- und Meditationspraxis einzuüben und sich in Gesprächs- und Reflexionsrunden über die gemachten Erfahrungen auszutauschen. Das Ziel war, sich mit geistlichen Übungen vertraut zu machen, um diese im Alltag nutzen zu können.


Umsetzung

Raus aus dem Alltag. Rein ins Kloster. Zwischen Weser und Bramwald lädt das Kloster Bursfelde ein zur Ruhe und zum Aufatmen. Schweigen und Hören, Beten und Arbeiten: Bei sich abwechselnden Phasen des Schweigens und der geistlichen Übung lässt sich Kraft schöpfen und es ist spirituelle Erfahrung möglich. Der große Klostergarten und die 900 Jahre alte romanische Klosterkirche laden zu Gebet und Meditation ein. 

Das Programm war ausgelegt auf ein Wochenende (Freitag bis Sonntag) und sah drei Einheiten pro Tag vor. Es lässt sich aber auch ohne weiteres verlängern. Es empfiehlt sich, die festen Zeiten des Hauses von Anfang an in die Planung des Programms zu integrieren. Der durch Essens- und Gebetszeiten unterbrochene Tagesablauf gibt bereits eine eigene Struktur vor.

Nach einer Einführung in die örtlichen Gegebenheiten, einer Vorstellung des Programms und der Möglichkeit, Wünsche für die Gestaltung desselben zu äußern, begann das Wochenende mit einer Übung zur Körperwahrnehmung und einer kreativen Übung zur Vergegenwärtigung der eigenen Lebenssituation. Die Einheiten hatten eine feste Struktur: Wahrnehmungsübung, Impuls oder Kreativübung, Reflexion oder Gesprächsrunde. Der Samstag war geprägt durch eine längere Stille, die in der letzten Einheit am Abend zuvor eingeleitet und am Abend darauf wieder beendet wurde. Die Teilnehmer*innen verbrachten ihren Tag im Schweigen und mit unterschiedlichen geistlichen Übungen, je nach den individuellen Bedürfnissen. Die einzelnen Tage wurden jeweils mit einem gestalteten Tagesschluss beendet, der sowohl die Gelegenheit zum Austausch bot als auch zum Rückblick auf die persönlichen Erfahrungen ermutigte. Die nachfolgend aufgeführte Programmplanung gibt einen detaillierten Überblick über den Ablauf und die didaktischen Entscheidungen.


Ablauf

Erster Tag: Ankommen

Einheit I: Begrüßung der Teilnehmenden und Vorstellung des Programms. Jede*r entscheidet an diesem Wochenende selbst, an welchen Übungen er oder sie teilnimmt und an welchen nicht. Es folgt eine erste grundlegende Übung zur Wahrnehmung und zum Stillwerden (im Sitzen): „Wie bin ich heute Morgen hier? Was bringe ich mit? Was möchte ich gerne loslassen?“ Wer mag, kann seine Gedanken mit der Gruppe teilen. In der nächsten Übung geht es um Mein Lebenshaus.  Die Teilnehmer*innen malen ihr Lebenshaus. Wo fühle ich mich wohl? Wo ist es kalt? Welche Gedanken oder Sorgen wohnen in den einzelnen Räumen?  Anschließend ist Zeit zum Austausch.

Einheit II: Eine zweite Übung zur Wahrnehmung und zum Stillwerden (im Liegen) steht am Anfang auch dieser Einheit. Nun besteht die Möglichkeit zum Teilen der Erfahrungen während der Übungen am Vormittag. Die Teilnehmer*innen entscheiden selbst, welche der folgenden Übungen sie wann und in welcher Reihenfolge und an welchem Ort (Kirche, Zimmer, Gruppenraum, in der Natur etc.) machen möchten: einen biblischen Text auf unterschiedliche Weise abschreiben und dabei meditieren oder sich mithilfe der lectio divina annähern.

Einheit III: Eine dritte Übung zur Wahrnehmung und zum Stillwerden (im Stehen). Austausch in der Runde: „Was habe ich am heutigen Tag wahrgenommen?“ Den Tagesabschluss gestalten wir nach Art des Gebetes der liebenden Aufmerksamkeit (Ignatius von Loyola): mich einfinden, bitten, den Tag anschauen, vor Gott bringen, den nächsten Tag anschauen. Bevor die Phase der Stille beginnt, bekommen die Teilnehmenden ein paar Hinweise dazu:

  • Versuche, das eigene Senden zu minimieren und die eigene Wahrnehmung auf Empfang zu stellen (Kommunikation des Nötigsten).
  • Sowohl bei den Mahlzeiten sollte geschwiegen werden als auch bei den thematischen Einheiten und in der Zeit der persönlichen Stille.
  • „Was nehme ich wahr, wenn ich still bin?“
  • Zeitrahmen: Beginn ist das Ende des gemeinsam gesprochenen Vaterunsers und Ende der Stille ist am Tagesschluss des darauffolgenden Tages.
  • Für Gespräche auch während der Zeiten der persönlichen Stille stehe ich jederzeit zur Verfügung. Manchmal ereignet sich etwas beim Hören oder es kommen lange verschollen geglaubte Gedanken oder Gefühle ans Licht. Die Teilnehmer*innen werden ermutigt, auf Ihre eigenen Bedürfnisse zu achten.

Gemeinsamer Abschluss des Tages mit dem Vaterunser (Beginn der Stille).


Zweiter Tag: Stille sein

Einheit I: Diesen Tag verbringen die Teilnehmenden im Schweigen. Die erste Einheit beginnt mit Übungen zur Wahrnehmung des Körpers und bietet Zeiten der persönlichen Stille. Jede*r kann frei entscheiden, wie er oder sie die Zeit verbringen möchte. Dafür stehen Meditationsübungen zur Verfügung.

Einheit II: Treffen vor dem Kloster. Es folgt ein etwa einstündiger Wahrnehmungsspaziergang (Strecke ist vorher zu erproben): Mit allen Sinnen auf dem Weg sein. In der kommenden Stunde bitte ich die Teilnehmer*innen, sich auf ihre Wahrnehmung zu konzentrieren. Abwechselnd soll die Konzentration auf jeweils einen Sinn gelegt werden: Sehen, Hören, Riechen/Schmecken, Tasten. Viele Menschen haben einen bevorzugten Sinn. Es gilt zu probieren, welcher Sinn vordergründig ist. Diese Übung lässt sich im Alltag gut wiederholen. Man kann sich eine halbe Stunde täglich Zeit nehmen, sich eine geeignete Strecke suchen und wahrnehmen, was einem auf dem Weg begegnet. Wer nicht am Spaziergang teilnehmen möchte, kann alternativ an einem selbst gewählten Ort zu einem Bild meditieren. 

Einheit III: Wiederholung der Übung zur Wahrnehmung und zum Stillwerden (im Sitzen). Tagesabschluss nach Art des Gebetes der liebenden Aufmerksamkeit und Beendigung der Stille mit einem gemeinsam gesprochenen Vaterunser. Im Anschluss eine Gesprächsrunde zu den Erfahrungen während der Zeit der Stille. Den Abend verbringen wir gemeinsam bei Wein und Kerzenschein.


Dritter Tag: Aufbrechen

Einheit I: Zu Beginn eine erneute Körperwahrnehmungsübung und ein Meditationsimpuls. Es folgen ein paar Gedanken zur geistlichen Prägung des Alltags: Der ganze Tag mit all seinen Begegnungen, Terminen und Ereignissen kann Ort der Gottesbegegnung werden. Dazu kann es hilfreich sein, sich im Alltag Momente des Innehaltens zu gönnen. Dieses Innehalten meint, sich der Gegenwart Gottes zu vergewissern, z.B. am Ende eines Tages vor dem Einschlafen, in den ersten Augenblicken eines neuen Tages nach dem Aufwachen, in Augenblicken vor oder nach einer Begegnung, einem Telefonat, einer neuen Tätigkeit oder am Beginn oder am Ende von freien Stunden und Zwischenzeiten, im Auto, im Bus usw. Manchmal begegnen auf dem Übungsweg Schwierigkeiten: Ich kann mich nicht konzentrieren, werde gestört oder habe keine Lust. Das gehört dazu. Es kann helfen, sich feste Plätze einzurichten (örtlich und zeitlich).

Evaluation und Verabschiedung

Materialliste

  • Verschiedenfarbige Tücher zur Gestaltung
  • Holzkreuz zum Aufstellen
  • Kerzenhalter + Kerze
  • Blumen + Vase (o.ä.)
  • Steine u.a. Naturmaterialien
  • Moderationskoffer
  • Mediationsmatten, Decken, Kopfkissen
  • Handschmeichler
  • Blankoblätter (A3 und A4)
  • Wachsmalstifte
  • Kopierte Arbeits- und Übungsblätter
  • Bilder als Meditationsimpulse