Religion im Alltag der Kita

Von Gerd Liebenehm-Degenhard

 

Religion hat mit dem ganzen Leben zu tun, darum lässt sie sich „in allen Dingen“ entdecken.

Es ist Montag, 8:00 Uhr. Theresa, 4 Jahre, wird in den Kindergarten gebracht. Schon beim Hausschuh-Anziehen rollen ihr dicke Tränen über die Wangen. „Ich will nicht in den Kindergarten. Ich will mit dir, Mama.” Rasch wird die Jacke ausgezogen, denn die Mutter muss los, um pünktlich am Arbeitsplatz zu sein. „Los, beeil dich, ich muss doch pünktlich sein, Theresa”, so antwortet die Mutter. Theresa sitzt tränenüberströmt da und lässt alles über sich ergehen. Die Mutter schiebt Theresa in den Gruppenraum. „Noch ein Bussi, Mama! Noch einmal drücken, Mama!” Noch einmal drücken, ein letzter Kuss, und die Mutter verlässt eilig den Gruppenraum. Traurig und verlassen steht Theresa da und schaut ihrer Mutter nach.1)

In der Kita dürfen immer nur vier Kinder zurzeit in das Bällebad. Ben und zwei Freunde möchten gern im Bällebad spielen. Dort tummeln sich aber bereits Tim und Anna. Ben geht zu seinem Erzieher und fragt: „Dürfen Jakob, Lisa und ich ins Bällebad?” Der Erzieher erwidert: „Dann wärt ihr ja fünf Kinder. Du weißt, es dürfen aber nur vier hinein.” Ben fragt: „Warum?”
Ohne groß nachzudenken, antwortet der Erzieher: „Weil das unsere Regel ist! Also, zwei von euch dürfen noch hinzu.” Ben gibt nicht auf und sagt ärgerlich: „Das ist ungerecht! Wir spielen schon die ganze Zeit zusammen – und im Bällebad ist genügend Platz für alle!” Bens Äußerung stimmt den Erzieher nachdenklich.2)

Ein viereinhalbjähriger Junge sammelt auf dem Außengelände Regenwürmer und bringt diese in den Waschraum. Dort legt er sie nebeneinander und ruft die (zunächst entsetzte) Fachkraft hinzu. „Schau mal, wie viele unterschiedliche Regenwürmer es gibt. Die sind ganz anders.” Er zeigt auf einen kurzen und einen langen Wurm. „Du – warum hat Gott eigentlich die Regenwürmer hergestellt?” 3)

Religiöses Lernen geschieht nicht nur in Andachten, beim Gebet vor dem Mittagessen oder beim Projekt zu Ostern, sondern auch in Alltagssituationen: beim Ankommen in der Kita, beim Aushandeln der Regeln oder im Umgang mit der Schöpfung. Religiöse Bildung ist kein Sonderbereich in der Kita, sondern eingebettet in die allgemeine Bildung und Erziehung. Denn Religion ist eine Dimension, die das ganze Leben durchzieht.4)  Sie umfasst die Suche nach dem, was dem eigenen Leben Halt gibt. Sie unterstützt die Suche nach dem, was dem Zusammenleben dient. Sie hilft bei der Suche nach dem, was hinter den Dingen steckt.5)  

Evangelische Kitas begleiten Kinder bei ihrer Suche. Darum beschränkt sich religiöse Bildung nicht nur auf die Weitergabe von Glaubensvorstellungen, Wissensbeständen oder Traditionen. Sie zielt auf eine vom christlichen Glauben geprägte Grundhaltung zum Leben. Diese gründet sich auf die Erfahrung, unbedingt erwünscht und angenommen zu sein.6)  Wo Kinder sichere und vertrauensvolle Beziehungen erleben und gleichzeitig unterstützt werden, die Welt zu erkunden, so dass sie sich als selbstwirksam erleben, erfahren sie die Voraussetzung, um ihre Persönlichkeit zu entfalten – und sie erfahren die Voraussetzung, um glauben zu lernen. Die Grenzen zwischen religiöser Erziehung und allgemeiner Persönlichkeitsentwicklung sind fließend.

Kinder benötigen einen Fundus an Vertrauens- und Zutrauenserfahrungen, der ihnen hilft, religiöse Aussagen zu verstehen und emotional aufzunehmen. Dies ist die implizite Seite religiöser Bildung.7)  Vor diesem Hintergrund sind Kinder darauf angewiesen, dass ihnen die religiöse Dimension explizit eröffnet wird: mit Geschichten, Liedern, Gebeten oder Ritualen, die die Wirklichkeit der Kinder aufnehmen und auf Gott hindeuten. 


Lernort des Glaubens – fünf Facetten religiöser Bildung im Kita-Alltag

Wie hilft das, was wir tun und wie wir es tun, den Kindern, ihre Persönlichkeit zu entfalten und Gott in ihrem Leben zu entdecken? Fünf Herausforderungen lassen sich skizzieren:

  1. Eine Atmosphäre schaffen, in der sich die Kinder erwünscht und anerkannt erfahren;
  2. Kindern spirituelle Erfahrungen ermöglichen;
  3. Über Religion und Glauben ins Gespräch und ins Spiel kommen;
  4. Kindern helfen, sich in der religiösen Vielfalt zurechtzufinden;
  5. Den Kontakt zu Eltern und Großeltern pflegen und gestalten.
     

1. Eine Atmosphäre schaffen, in der sich die Kinder erwünscht und anerkannt erfahren8)

Die Atmosphäre einer Kita prägt den Alltag grundlegend. Sie entsteht aus einer Vielzahl von Faktoren: aus dem Klima im Team, der Kommunikation mit den Eltern, der Art und Weise, wie Kinder angesprochen werden, wie sie miteinander spielen oder wie die Räume wirken. Diese Faktoren tragen wesentlich dazu bei, ob Kinder sich geborgen und zugehörig fühlen und darauf vertrauen, dass sie anerkannt und willkommen sind. In der zwischenmenschlichen Anerkennung verwirklichen Menschen im Kleinen die Anerkennung jedes Einzelnen durch Gott, auch ohne dass explizit von „Gott“ gesprochen wird.9)

Um dieser grundlegenden Aufgabe gerecht zu werden, achten die Teams auf unterschiedliche Bereiche: 

  • auf eine Ausstattung und Gestaltung der Räume, damit sie zu den Bedürfnissen der Kinder passen; damit sie eine Lernumgebung erhalten, die sie mit unterschiedlichen Materialien anregt – die sowohl Bewegungsorte als auch Ruhezonen ermöglicht.
  • auf einen Tagesablauf, der den Kindern Orientierung, Struktur und damit Verlässlichkeit und Sicherheit bietet.
  • auf wichtige Momente im alltäglichen Miteinander, die eine tiefere Dimension in sich bergen. Beim Ankommen und Verabschieden geht es nicht nur ums Begrüßen oder Tschüß-Sagen, sondern vor allem darum, sich gesehen und willkommen zu wissen wie im Beispiel mit Theresa. Beim Wickeln geht es nicht nur um Sauberkeit, sondern ebenso darum, sowohl Nähe als auch Autonomie zu spüren, weil die Kinder mithelfen und mitbestimmen, durch wen und wie sie gewickelt werden. Beim Essen geht es nicht nur um schmackhafte Kost, sondern auch darum, mit allen Sinnen zu genießen, sich mitzuteilen und zuzuhören und als Teil der Gruppe zu erleben;
  • auf eine kind- und situationsgerechte Verabredung von Regeln für das Zusammenleben, damit alle Kinder zu ihrem Recht kommen und sich an Entscheidungen und Vorhaben beteiligen können. 
     

2. Spirituelle Erfahrungen ermöglichen

Sophie und Sarah liegen bäuchlings auf der Terrasse und beobachten Kellerasseln. Sie sehen den Tieren beim Krabbeln zu, lassen sie über ihre Finger laufen und sind minutenlang vertieft dabei.

Julia malt immer wieder farbenfrohe Blumen, die sie an den Garten ihrer Großeltern erinnern: „Wenn ich im Garten bin und die Blumen blühen, bin ich froh“, sagt sie. 

Beim Abschlusskreis der blauen Gruppe kann jede*r sagen, wie ihm bzw. ihr der Tag gefallen hat. Als Julian den Sprechstein bekommt, erzählt er vom Spiel mit Sebastian aus der anderen Gruppe: „Wie schön, dass Basti mein Freund ist.“
Eine Gruppe von Kindern sitzt im Theaterraum, in der Mitte eine Klangschale. Sie probieren aus, wie es ist, die Augen zu schließen und zu lauschen, solange der Ton zu hören ist.

Vier Situationen, in denen Kinder unter der alltäglichen Oberfläche noch etwas entdecken, das sie anrührt, staunen lässt und bewegt: eine Verbundenheit mit der Schöpfung oder mit anderen Menschen. Spirituelle Erfahrungen vertiefen die Wahrnehmungsfähigkeit. Es geht noch nicht um eine konkrete Religion, sondern um die Basis für religiöse Erfahrungen,10) es geht ums Staunen, um Lebensfreude, Dankbarkeit, um Achtsamkeit im Umgang miteinander: „Wie kommt es, dass jede Kastanie unterschiedlich aussieht?“; „Wer lässt die Blumen wachsen?“ 

Kitas können solche Erfahrungsräume eröffnen mit Stilleübungen und Fantasiereisen, die den Alltag unterbrechen und zur Ruhe führen; mit Spielen und Übungen für alle Sinne, zum Tasten, Riechen, Schmecken, Hören, Sehen; mit Ritualen und Symbolen, mit denen Kinder ihre Gefühle und Gedanken zum Ausdruck bringen. 
 

3. Über Religion und Glauben ins Gespräch und ins Spiel kommen

„Warst du auch mal ein Kind?“
„Ja, natürlich.“
„Und Papa?“
„Ja, der auch, und Oma und Opa auch.“
„Und Heinz?“
„Ja, alle Großen waren mal kleine Kinder.“
„Dann ist keiner immer nur groß?“ 
Und es kommt zu einem Nachdenken über Groß und Klein und wann man groß ist.11) 

Kinder wollen ihre Welt erkunden und verstehen. Ihr Ziel ist es, Zusammenhänge und Ordnung zu schaffen. Sie bringen kleine und große Fragen in die Kita. Manchmal fragen sie direkt religiös (nach dem Himmel oder wie es kommt, dass Gott unsichtbar ist). Oft sind die Kinderfragen ‚Welt-Fragen‘:12) Wo geht die Kellerassel hin? Wer ist mein Freund? Warum spricht A. ganz anders als wir? Die Herausforderung besteht darin, die alltäglichen Fragen auf Gott hin zu öffnen. Kinder lernen glauben, indem sie ihre Fragen mit Gott in Verbindung bringen können. 

„Dann ist keiner immer nur groß?“ kann dann ein Anstoß sein, gemeinsam darüber nachzudenken, ob Gott klein oder groß ist. Und ob er bei den Kleinen oder Großen ist. Die Frage nach der Sprache der anderen ist möglicherweise ebenfalls der Anlass für ein gemeinsames Überlegen: „Welche Sprache versteht Gott eigentlich?“ (Janina antwortet: „Gott versteht alle Sprachen“ und Julius meint: „Gott versteht mich auch, wenn ich gar nichts sage.“ 13)

Kinder brauchen dazu aufmerksame Begleiter*innen, die ihnen zuhören und bei der Klärung helfen. Sie fragen nach, sie unterstützen beim Sortieren der Einfälle, sie bringen Anregungen ein. Sie helfen, zwischen entscheidbaren und unentscheidbaren Fragen (Wo wohnt Gott?) zu unterscheiden.14)  Damit halten sie die Fragehaltung der Kinder wach und eröffnen neue Sichtweisen. Das ist wichtiger, als die Suche mit einer Antwort der Erwachsenen zu beenden. Denn Kinder sind nicht die Empfänger*innen einer vorab feststehenden Botschaft. Sie sind selbst aktiv Erklärende, Denkende und Probierende. Sie bringen Deutungsversuche mit, greifen auf ihre (Ko-)Konstruktionen der Welt zurück und benötigen Impulse, ihre bisherigen Antworten weiterzuentwickeln. 

Für diese „theologischen Gespräche“, die oft unvermittelt geschehen, suchen die Kinder Erwachsene, die ihnen nicht ausweichen, sondern Interesse daran zeigen. Die Herausforderung für die Fachkräfte besteht darin, sich auf die religiösen und existenziellen Themen einzulassen und – auch im Team – über die eigene Antwortsuche und die offenen Fragen nachzudenken. In diesem wechselseitigen Entdeckungsprozess von Kindern und Erwachsenen muss mit Überraschungen gerechnet werden:

Gespräch im Morgenkreis mit fünfjährigen Kindern:
Lars: „Gott ist so eine Art wie Tiere. Meine Mama hat so ein Buch von ganz vielen Tieren. Vielleicht ist er ein Nachttier, weil man ihn nie sieht.“
Erzieherin: „Du stellst dir vor, Gott ist wie ein Tier? Ihr kennt Menschen, ihr kennt Tiere, ihr kennt Gegenstände.“
Lisa: „Gott ist nicht so.“
Maike: „Er ist wie die Sonne.“
Gina: „Ich weiß, was die Sonne ist, die ist wie ein Spiegel von Gott.“ 15)

Daneben brauchen Kinder Impulse der pädagogischen Fachkräfte und religiöse Sprachhilfen: biblische Geschichten, die erzählt oder inszeniert werden, um die Fragen der Kinder aufzunehmen; Lieder, die auch die Seele erreichen und Gefühle zum Ausdruck bringen; unterschiedliche Formen und Worte fürs Beten. Anna-Katharina Szagun hat aufgrund ihrer langjährigen Forschungen zur religiösen Entwicklung von Kindern darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass Kinder kontinuierlich und altersgerecht Impulse erhalten, die sie nach und nach in ihre Gottesvorstellungen einbauen können. Um ein Gotteskonzept zu entwickeln, das mitwachsen kann und auch schwierigen Lebenserfahrungen standhält, brauchen die Kinder die Begegnung mit der die Vielfalt der biblisch-christlichen Gottesbilder.16)

In diesen Zusammenhang spielen natürlich die anderen explizit religiösen Impulse eine wichtige Rolle, die in unterschiedlichem Umfang zum religionspädagogischen Repertoire der Kitas gehören – von regelmäßigen methodisch variablen Andachten über Bibelentdeckergruppen für die ‚Großen‘ mit kreativen und spielerischen Aneignungsmöglichkeiten und kirchenpädagogischen Erkundungen bis zu Waldtagen als Projekt zur Schöpfung. 
 

4. Religiöse Vielfalt würdigen

„Interviewer: Du darfst Schweinefleisch essen. Und kannst trotzdem mit dem Mahdi befreundet sein, auch wenn der Muslim ist?
F (chr.): Ja klar.
I: Geht das trotzdem?
F: Wir sind alle im Kindergarten Freunde. Von da ist das egal.“ 17)

„Es ist Mittagsessenszeit in der Kita. Die Kinder sitzen gemeinsam an den Tischen. Die Mahlzeit beginnt mit einem Tischgebet. Marie (5 Jahre) hat schon die Hände gefaltet. Diese Gebetshaltung kennt sie von zuhause. Ihre Eltern sind evangelisch und auch sie falten zum Beten die Hände. Gegenüber sitzt Ercan (4 Jahre). Auch er hat die Gebetshaltung eingenommen, die er von zuhause kennt: Er hält beide Hände mit den geöffneten Handflächen nach oben vor dem Körper. Seine Eltern sind Muslime. Marie schaut auf ihre gefalteten Hände und dann auf die Hände von Ercan. Zögerlich löst sie ihre Finger voneinander, als wolle sie Ercans Haltung übernehmen, faltet aber dann schnell wieder die Hände. Später in der Puppenecke fragt sie die Erzieherin: „Hört mich Gott auch, wenn ich die Hände nicht falte?“ 18)

Die Kinder unserer evangelischen Kitas kommen aus Familien mit unterschiedlichen kulturellen, religiösen, sprachlichen oder sozialen Hintergründen. In der Kita begegnen Kinder oft zum ersten Mal Religion und unterschiedlichen Formen gelebten Glaubens. Die Herausforderung für die Kita besteht darin, Kindern zu helfen, sich in der religiösen Vielfalt zurechtzufinden und dies zu einem Teil des eigenen evangelischen Profils zu machen. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Friedenserziehung und stärkt die Voraussetzungen für eine offene und tolerante Gesellschaft, in welche die Kinder hineinwachsen und die sie mitgestalten werden.

Um auf das Miteinander unterschiedlicher Religionen in der Kita angemessen zu reagieren, ist eine stets neu auszurichtende Balance von zwei wichtigen Werten handlungsleitend. Auf der einen Seite ermöglichen evangelische Kitas Kindern (und Familien), den christlichen Glauben kennenzulernen und zu erleben. Kinder erfahren etwas vom christlichen Lebensstil. Sie können sich darauf einlassen und haben genauso das Recht, sich davon zu distanzieren. Auf der anderen Seite werden die anderen (Familien-)Religionen gewürdigt. Das kann heißen, Gemeinsamkeiten19) zu entdecken (wie die „Goldene Regel“) und es bedeutet, dass Kinder etwas aus ihrer Familienreligion in der Kita wiederfinden, z.B. als „Lernwerkstatt der Religionen“ mit Symbolen und Gegenständen oder durch die Grüße der Kita zu Beginn des Ramadan. Ein interreligiöser Festkalender, den die Eltern zusammenstellen und in welchen die Feste eingetragen werden, die sie in ihrer Familie feiern, macht auf besondere Zeiten aufmerksam. Zum Miteinander gehört auch, Unterschieden gerecht zu werden: mit Neugier Unvertrautes zu erkunden und zu verstehen.20) Dort, wo abwertende oder ausgrenzende Urteile über andere Traditionen sichtbar werden, heißt es Einspruch zu erheben und Gespräche über Fairness und Toleranz zu ermöglichen.
 

5. Kontakt mit Eltern und Großeltern pflegen und gestalten

N (3 ½, ohne Bekenntnis) hat eine Osterkerze gebastelt. Zu Hause stellt sie diese dorthin, wo der Vater für ihn bedeutsame Dinge aufgestellt hat. Zuvor hat sie diese beiseite geräumt. Es kommt zu einer Auseinandersetzung zwischen Tochter und Vater, die schließlich auch in der Kita ankommt. Der Vater erkundigt sich nach der Bedeutung der Osterkerze an sich. Er möchte wissen, was seine Tochter damit verbindet und was sie zu dieser Aktion bewegt hat. So setzt er sich mit der christlichen Bedeutung von Ostern auseinander – und lernt von seiner Tochter. 21)
 
Die Mutter von M (3, ohne Bekenntnis) bittet die Erzieherin, ihr den „Spruch” aufzuschreiben, den die Kinder immer vor dem Mittagessen aufsagen. Ihre Tochter würde ihn auch gern zu Hause sprechen, aber sie bekomme ihn nicht zusammen. Mutter und Tochter praktizieren nun ihr Mittagsritual.22)

Umfragen zeigen eine deutliche Herausforderung für religiöses Lernen: „Religiosität ist in Deutschland kein vorrangiges Erziehungsziel.“  Explizites religiöses Lernen findet in den meisten Familien wenig statt. Viele Eltern haben keinen eigenen lebensnahen Zugang zur Religion. Andere stehen Glauben und Religion gleichgültig oder manchmal ablehnend gegenüber. Zuweilen ist die Großelterngeneration dafür ansprechbarer und verfügt über biografische Zugänge zur Religion.

Für Eltern stellt sich oft die Frage nach dem Nutzen religiöser Bildung. Die Aufgabe für die Kita besteht darin, Eltern in religiösen Fragen nichts aufzudrängen und zugleich die persönlichkeitsfördernden Impulse christlicher Bildung deutlich zu machen.
Den Wunsch, Kinder zu ermutigen, um an den Brüchen und Umbrüchen ihres Lebens zu wachsen, teilen die Eltern. Darüber ins Gespräch zu kommen, ist eine Gelegenheit für die Teams: Wie christlicher Glaube Kindern Möglichkeiten zuspielt, für ihre Sehnsüchte eine Sprache zu finden; wie sie in Liedern Freude und Trost erleben und wie beim Beten; ihrem Bedürfnis nachkommen, sich jemandem anzuvertrauen; welche Rituale Kindern auch zu Hause Sicherheit bieten, können Inhalte für Gespräche und Impulse mit den Eltern sein.


Religion im Alltag der Kita – eine Zusammenfassung

Religiöse Bildung 
vermittelt die Erfahrung unbedingten Erwünschtseins,
gestaltet gutes Zusammenleben aller in der Kita;
ermöglicht spirituelle Erfahrungen;
greift die existenziellen und religionshaltigen Themen der Kinder auf
und stärkt Eltern und Großeltern auch in religiöser Erziehung.

 

Literatur

  • Aderras, Saida / Brauckhoff, Beate / Horn, Reinhard /  Landgraf, Michael / Walter, Ulrich: Aufeinander zugehen – gemeinsam Schätze teilen. Christliche und islamische Geschichten, Lieder und Ideen für die interreligiöse Begegnung in Kita und Schule, Lippstadt 2018
  • Bederna, Katrin / König, Hildegard (Hg.): Wohnt Gott in der Kita? Religionssensible Erziehung in Kindertageseinrichtungen, Berlin 2009
  • Bederna, Katrin / Mus, Dietlind: Gottesdienste für den Elementarbereich, Freiburg 2013
  • Diakonisches Werk der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V. (Hg.): Religionen in der Kita. Impulse zum Zusammenleben in religiöser Vielfalt, Karlsruhe 2012 online: https://kita.zentrumbildung-ekhn.de/fileadmin/content/kita/6Service/Broschueren/Arbeitshilfe_Religionen_in_der_Kita_2012.pdf (abgerufen am19.1.2020)
  • Domsgen, Michael: Kindergarten und Gemeindeaufbau – wie passt das zusammen? in: Pastoraltheologie 98 (2009), 33-48
  • Edelbrock, Anke / Schweitzer, Friedrich / Biesinger, Albert (Hg.): Wie viele Götter sind im Himmel? Religiöse Differenzwahrnehmung im Kindesalter, Münster 2010
  • Fromme-Seifert, Viola / Kamcili-Yildiz, Naciye: Miteinander feiern. Die 7 schönsten Feste für interkulturelle Kita-Gruppen, München 2018
  • Harz, Frieder: Religiöse Erziehung und Bildung in Evangelischen Kindertageseinrichtungen, in: Diakonie Hessen (Hg.) Unterwegs auf Gottes Spuren. Impulse für die religionspädagogische Praxis in Kindertageseinrichtungen, Kassel 2015, 8-12 (online unter: www.diakonie-hessen.de/fileadmin/Dateien/AAA_Diakonie Hessen/Files/Ueber_uns/Arbeitsbereiche/Kindertagesst%C3%A4tten/Praxisbuch_unterwegs_auf_gottes_spur_web_01.pdf ) (abgerufen am 19.1.2020)
  • Jamal, Helgard: Mose, Interreligiöse Bildung, Berlin 2019
  • Kunze-Beiküfner, Angela: Kindertheologie und Kinderphilosophie, in: Möller, Rainer / Sajak, Clauß Peter (Hg.): Religionspädagogik für Erzieherinnen. Ein ökumenisches Arbeitsbuch, Stuttgart 2020, 203-214 
  • Kunze-Beiküfner, Angela: Theologisieren im Alltag einer Kita, in: was+wie 1/2020, 2f.
  • Möller, Rainer / Sajak, Clauß Peter (Hg.): Religionspädagogik für Erzieherinnen. Ein ökumenisches Arbeitsbuch, Stuttgart 2020
  • Sajak, Clauß Peter (Hg.): Religion in allen Dingen. Alltagsintegrierte religiöse Bildung in der KiTa. Ein Praxis- und Methodenbuch für Aus- und Fortbildung, München 2016
  • Scheilke, Christoph / Schweitzer, Friedrich (Hg): Kinder brauchen Hoffnung. Religion im Alltag der Kita, Münster 2006
  • Szagun, Anna-Katharina / Pfister, Stephanie: Wie kommt Gott in Kinderköpfe? Praxis frühen religiösen Lernens, Gera 2017
  • Wuckelt, Agnes: Religiöse Bildung in der Kita Ostfildern 2017, 85
  • Weber, Judith: Religionssensible Bildung in Kindertageseinrichtungen. Eine empirisch-qualitative Studie zur religiösen Bildung und Erziehung im Kontext der Elementarpädagogik, Münster 2014
  • Wustrack, Simone: Religionspädagogische Arbeit im evangelischen Kindergarten, Stuttgart 2009
  1.      Sajak: Religion in allen Dingen, 11.
  2.      A.a.O., 137.
  3.      Wuckelt: Religiöse Bildung in der Kita, 85.
  4.      Eine alltagsintegrierte Religionspädagogik entwerfen z.B. Weber: Religionssensible Bildung in Kindertageseinrichtun-gen; Bederna / König: Wohnt Gott in der Kita?; Scheilke / Schweitzer: Kinder brauchen Hoffnung; Wustrack: Religionspä-dagogische Arbeit.
  5.      Vgl. Harz: Religiöse Erziehung und Bildung.
  6.      Vgl. Domsgen: Kindergarten und Gemeindeaufbau.
  7.      A.a.O., 35-37.
  8.      Vgl. dazu Möller / Sajak: Religionspädagogik für Erzieherinnen, 119f.
  9.      Bederna / Mus: Gottesdienste für den Elementarbereich, 13.
  10.      Vgl. Szagun / Pfister: Wie kommt Gott in Kinderköpfe?, 87f.
  11.      vgl. Bederna / Mus, 14
  12.      Bederna, Wohnt Gott in der Kita?, 75
  13.      Bederna / Mus, 15
  14.      Zur Kindertheologie und zum Theologisieren mit Kindern in der Kita gibt es mittlerweile eine Fülle von Veröffentlichun-gen, eine kurze Übersicht bei Kunze-Beiküfner, Angela: Kindertheologie und Kinderphilosophie. Siehe zuletzt die Ausga-be 1/2020 der Zeitschrift was+wie. 
  15.      Kunze-Beiküfner, 2f.
  16.      Szagun / Pfister, 85.
  17.      Edelbrock u.a.: Wie viele Götter sind im Himmel?, 33.
  18.      Diakonisches Werk Baden: Religionen in der Kita, 13.
  19.      Aderras u.a.: Aufeinander zugehen – gemeinsam Schätze teilen; Fromme-Seifert / Kamcili-Yildiz: Miteinander feiern. Die 7 schönsten Feste für interkulturelle Kita-Gruppen; Jamal: Mose (und weitere Bände).
  20.      Vgl. Religionen in der Kita.
  21.      Wuckelt, Religiöse Bildung in der Kita, 179.
  22.      Ebd.
  23.      Domsgen, Kindergarten, 38