Dokumentation eines Unterrichtsvormittags im Antikriegshaus Sievershausen -  aber auch woanders spielbar.
  
Zum "Planspiel Anne Frank"
12. Juni 1999. Schon seit längerer Zeit hatte mich   dieses Datum  beschäftigt. Anne Frank wäre an diesem Tag 70 Jahre alt   geworden. Sie hätte  diesen Geburtstag wohl gefeiert und vieles wäre an   diesem Tag geschehen. Man  kann nur im Konjunktiv davon reden, denn sie   hat ja nicht gefeiert und sie hat  auch sonst nichts unternommen. Ihr   Leben wurde vielmehr im Alter von 15 Jahren  grausam ausgelöscht.
 
 Im Antikriegshaus Sievershausen wollten wir trotzdem den  "Geburtstag"   als Gedenktag festhalten und bereiteten eine Ausstellung  vor. Bilder   aus Annes Leben und Lebensbereichen und Texte aus dem Tagebuch.
 
 Dabei entstand die Frage: wie können wir heutigen Jugendlichen die    Ausstellung bzw. deren Inhalte näher bringen. Eine Ausstellung allein   ist nicht  genug.
 
 Erkundungen schlossen sich an. Bei Elke von Meding, Lehrerin in  Bergen,  die  zum Team derjenigen gehört, die Führungen auf der  Gedenkstätte  Bergen-Belsen,  Annes Todesstätte, durchführen. Die Frage  an die Haupt-  und Realschule  Lehrte-Ost in Hämelerwald: Besteht  Interesse am Thema  "Anne Frank",  gibt es jemanden, der mit überlegt?
 
 In mehreren Nachmittagen, mit einigen Tassen Kaffee und Tee entstand   dann,  was jetzt vorliegt. Ausgangspunkt bildeten die Materialien und   die Fragen mit  Blick auf die Jugendlichen: Wie sie motivieren, wie   ihnen den Lebens- und  Leidenweg Anne Franks näher bringen, wo sind sie   ansprechbar, was geht ihnen  vielleicht auch zu nahe, wie ist es mit   rechtsradikalen Anklängen?
 
 Wir haben das Planspiel entwickelt für Schülerinnen und Schüler der    Klassen 8 – 10, zudem ist Material entstanden, das für andere   Altersgruppen  geeignet ist. Wir sahen und sehen in dem Planspiel die   Möglichkeit der  Identifikation und wirklichen Auseinandersetzung, durch   Nacherleben einzelner  Situationen aus der Zeit im Versteck in   Amsterdam. Dieser Zeitraum ließ sich  gut herausfiltern.. Wichtig ist   aber, den weiteren Weg nicht zu vergessen. Durch  die Arbeitsformen wird   angeregt zur "gewaltfreien" Auseinandersetzung,  indem diskutiert und   entschieden wird. Abwägen wird im Vollzug eingeübt, Angst  und Enge   ansatzweise nachempfunden durch die Bereitstellung der Räumlichkeiten.
 
 Und schließlich ist aus den Briefen, die zum Abschluss von allen   geschrieben  wurden, ein Buch entstanden, das Zeugnis gibt vom Erleben   und von der  Betroffenheit ganz unterschiedlicher Schülerinnen und   Schüler.
Fragen im Vorfeld
 
 Was muss als Vorlauf im Unterricht geschehen sein?
 Vorbereitung auf das "Spiel" als Spiel, evtl. schon Einteilung  der Rollen.
 
 Sollen SchülerInnen/TeilnehmerInnen vorher die Ausstellung sehen?
 Ja, um Grundinformationen zu erhalten und sich einzustimmen.
 
 Wie geschieht die Einführung ins Thema/in die Geschichte?
 Erzählung der Spielleitung vor Ort, unterrichtliche Vorbereitung in der  Schule.
 
 Greift die Spielleitung ein?
 Gibt es Beobachtungsaufgaben oder nur eine "Spiel"gruppe?
Ziele:
 Die SchülerInnen/TeilnehmerInnen kommen der Situation der Anne Frank    näher. Sie lernen, Entscheidungen auszuhandeln. Im Nacherleben lernen   sie die  Umstände und die Zeit näher kennen.   SchülerInnen/TeilnehmerInnen setzen sich  mit Zeit und Situation   auseinander. Ältere ab Klasse 8: Sie beschreiben ihre  innere Haltung.   Jüngere: Sie lernen aus der Sicht von Kindern, was es bedeutet,  in   einer solchen Situation zu leben.
Material:
 Tafel/Flipchart, OHP, Folien, Stifte, A4-Blätter mit Vorgaben,    Rollenspielkarten, Ereigniskarten, Tagebuchseite, Foto von Abtransport,   große  Papierrollen/fertig geschnittene Bahnen, Stecknadeln.
Zeitbedarf:
 ca. 4 Schulstunden/bzw. ein Vormittag
Personen:
 Im Haus: Otto, Edith, Margot und Anne Frank (ab 6. Juli 1942);   Familie van  Pels, im Tagebuch van Daan, mit Herrn, Frau und Peter (15)   van Pels und Katze  Mouschi (ab 13. Juli 1942); Fritz Pfeffer (Tageb.   Albert Dussel ab 16.11.1942);
 
 Helferinnen: Miep Gies, Bep Voskuijl, Victor Kugler, Johannes Kleiman,  Gemüsehändler – bringen Nahrungsmittel, Bücher, erzählen von draußen
 Zimmerverteilung: 
 Margot und Anne, Otto und Edith Frank; später geht Margot zu den   Eltern; Anne  mit Pfeffer; Peter auf den Flut; seine Eltern in die   Küche.
 Raumbedarf:
 möglichst 4 Räume
Möglicher Verlauf:
 SchülerInnen/TeilnehmerInnen kommen an. In der AKW  werden sie in die   Situation eingeführt, je nach Vorlauf im Unterricht.  Das Planspiel wird   erläutert. Fragen werden erörtert.
 
 Die SchülerInnen/TeilnehmerInnen bekommen Papierbahnen, auf die sie in    Kleingruppen ihre Körperumrisse malen. In die Körperumrisse hinein   wird ein  Kreis o. ä. gemalt, der frei bleiben soll.
 
 In einer ersten Runde werden Vorerfahrungen eingetragen zum Thema.
 
 Impuls: Schreibt hinein, was euch im Moment zu Anne Frank einfällt und was  ihr vielleicht noch wissen möchtet.
 
 Einteilung der Spielgruppen ist im Unterricht geschehen mit 10 –   12 Pesonen  (4 – 6 weibliche; 4 – 6 männliche). Je nach Größe und Alter   der Gruppe.  Auch Erläuterungen zum Spiel wurden dort schon gegeben.
 
 Kurze Gelegenheit zu Rückfragen nach den Rollen
 NB: Die Rolle der "Helfer" kann bei kleinen Gruppen von der        Spielleitung übernommen oder durch Ereigniskarten ersetzt werden.
 Die Rede von Robert Ley, Hitlers rechter Hand bei der Judenvernichtung in  Holland, wird eingespielt.
Rollenkarten bzw. Personenbeschreibung (von SchülerInnen erarbeitet anhand  eines Films):
 Otto Frank, geb. 1889, überlebt als einziger der Familie den Holocaust und   stirbt am 19.8.1980 in Birsfelden.
 Edith Frank, geb. 1900, stirbt am 6.1.1945 in Auschwitz.
 
 Margot Frank, geb. 16.2.1926. Margot war eine   verantwortungsbewusste,   zurückhaltende 16jährige, die schon sehr   erwachsen wirkte. Sie bemühte sich   Streitigkeiten zu schlichten. Sie   war immer höflich und zuvorkommend. Ihr Traum   war es, einmal als   Hebamme in Palästina (heute Israel) zu arbeiten. Jedoch   starb sie im   März 1945, zwei Wochen vor ihrer Schwester Anne, in Bergen-Belsen   an   Typhus.
 
 Anne Frank, geb. 12.6.1929. Anne war ein 13jähriges, sehr  nettes,    freundliches, zuvorkommendes, spontanes, kindliches,  gefühlsbetontes,    egoistisches, jüdisches Mädchen. Ein sehr pubertäres  Verhalten eben.  Sie war   meist fröhlich und auch sehr verständnisvoll.  Mit ihrem  Vater verstand sie   sich einfach super. Doch mit ihrer Mutter  und  Herrn Dussel verstand sie sich   nicht so gut, er ging Anne auf die   Nerven. Sie war manchmal ziemlich gemein zu   ihrer Mutter und zu Herrn   Dussel war sie öfters vorlaut und frech. Anne   träumte gerne vor sich   hin und war sehr besorgt um andere Menschen bzw. Tiere.   Anne dachte,   sie wäre alt genug um alles zu verstehen. Sie war sehr neugierig   und   mochte über alles bestens informiert sein. Manchmal wurde Anne auch   traurig   und ängstlich, z. B. wenn sie an die SchülerInnen/ dachte oder   vielleicht auch   wenn sie einfach nur an die Freiheit dachte. In   solchen Situationen schrieb sie   immer in ihr Tagebuch, dem sie alles   anvertraute. Anne starb wie ihre Schwester   im März 1945 in   Bergen-Belsen an Typhus.
 
 Hermann van Daan, Geschäftspartner Otto Franks aus Osnabrück,   ebenfalls   geflohen, weil er Jude war. Er war ein Mann, der seine   eigene Meinung hatte,   sich jedoch leicht von der Meinung seiner Frau   unterdrücken ließ. Er ging   davon aus, dass sich das Leben zum   Positiven wendet, daraus schöpfte er Mut und   setzte sich langsam gegen   seine Frau durch. Er war Kettenraucher. Am Ende wurde   er mit dem  Rest  der Versteckten verhaftet. Wird Ende September 1944 in Auschwitz     vergast.
 
 August van Daan kam mit ihrem Mann und ihrem Sohn Peter  erst eine  Woche   später in den Unterschlupf. Sie ist eine  streitsüchtige Frau.  Sie achtet stets   darauf, dass man gut erzogen  ist. Frau van Daan ist  eine strenge, fürsorgliche   Mutter, aber eine  zickige, besserwissende  Ehefrau. Sie ist sehr hochnäsig. Sie   stirbt im  Frühjahr 1945 im Lager  Theresienstadt.
 
 Peter, geb. 1928, ist, als er zu den Franks ins Versteck  kommt, 15  Jahre alt.   Anfangs ist er gegenüber den anderen  Untergetauchten sehr  schüchtern und   zurückhaltend, was sich aber im  Laufe der Zeit  ändert. Er wird von seiner   Mutter bevormundet. Peter  verhält sich oft  sehr leichtsinnig, ohne zu ahnen,   welche Konsequenzen  das haben  kann. Kurz vor der Entdeckung verliebt er sich in   Anne.  Peter van  Daan starb mit knapp 18 Jahren am 5. Mai 1945 in Mauthausen.
 
 Albert Dussel, Zahnarzt, ist ein Bekannter von Familie  Frank. 1938  in die   Niederlande geflohne. Er hat einen ganz geregelten   Tagesablauf: Morgens nach dem   Aufstehen treibt er Gymnastik, nachts   steht er manchmal auf, um Kekse aus einer   Dose zu essen. Am ersten Tag   hatte er Anne und die anderen probieren lassen.   Anne hatte er   versprochen, ihr jeden Tag ein Keks zu geben.
 
 Herr Dussel ist ein verheirateter Zahnarzt, dessen  Frau katholisch  ist und   auch in Amsterdam wohnt. Er hat sich aus  Sicherheitsgründen  allein abgesetzt.   Er ist etwas altmodisch und sehr  streng. Er legt  großen Wert auf Manieren und   studiert seine Bücher.  Herr Dussel  versteht sich nicht mit Anne, mit der er   sein Zimmer  teilt. Stirbt am  20.12.1944 in Neuengamme.
 
 Miep Gies, arbeitet ab September 1933 bei Otto  Frank im Büro. Sie  ist eine   enge Vertraute Otto Franks und wird einige  Monate vor dem  Untertauchen gefragt,   ob sie bereit sei, der Familie  zu helfen. Sie  antwortet: "Natürlich",   obwohl sie weiß, wie gefährlich  das auch für  sie ist. War angestellt in Otto   Franks früherer Firma  und Helferin  der untergetauchten Familien Frank, van Daan   und Herrn  Dussel. Sie  war eine hilfsbereite junge Frau, die das Risiko einging    und  selbstlos vielen Juden half, die untertauchen mussten oder schon     untergetaucht waren. Der Familie Frank, den van Daans und Herrn Dussel   besorgte   sie zusammen mit Bep Lebensmittel, Bücher auch auf die Gefahr   hin, festgenommen   oder entdeckt zu werden. Sie war immer darauf   bedacht, dass die untergetauchten   Juden nicht entdeckt werden und   deshalb besonders vorsichtig. Sie und ihr Mann   hatten Kontakt zu   Widerstandsgruppen.
 
 Bep Voskuijl, arbeitet bei Otto Frank im Büro, später (8.5.1941) wird ihm   die Firma überschrieben, weil er kein Jude ist.
 Die TeilnehmerInnen bekommen die Rollenbeschreibung ausgehändigt und begeben   sich in die jeweiligen Starträume.
Erzählung zur Einstimmung
 
 Das Hinterhaus gehört zu den vielen schmalen, verwinkelten Häusern an   den   Amsterdamer Grachten. Es ist durch einen Lichthof vom vorderen   Gebäude getrennt   und nur durch einen schmalen Gang mit dem vorderen   verbunden. Im vorderen   Gebäude sind Büros und ein Lager untergebracht.   Haus und Hinterhaus gehören   Otto Frank. Er hat dort 1940 eine Firma   für Kräuter und Gewürze eröffnet.   Wie die Fenster an der Vorderfront   im zweiten und dritten Stockwerk wegen der   lichtempfindlichen Waren   zugeklebt sind, ist das Hinterhaus von der   Straßenseite aus nicht   einsehbar. Zur anderen Seite hin wird es mit dicken   "Gardinen"   verdunkelt. Das Risiko einer Entdeckung wurde auf diese   Weise   vermindert, aber Sicherheit gab es nie. "Judenjäger" werden   aktiv. Sie   bekommen pro ausgeliefertem Juden eine Belohnung von 37,50 Gulden,     was dem durchschnittlichen Wochenlohn entspricht. Ab etwa Juli 1941 wird   das   Hinterhaus heimlich als Versteck hergerichtet. Haltbare   Lebensmittel,   Einrichtungsgegenstände, etwas Werkzeug, Kleidung,   Bettwäsche und Handtücher   werden heimlich dorthin gebracht. Die   Familie will am 16. Juni 1942   untertauchen, um sich dem Abtransport in   ein Konzentrationslager und damit dem   sicheren Tod zu entziehen. In   der Firma im Vorderhaus wird weiterhin gearbeitet.   Im Lager mischen   drei Arbeiter Gewürze für Wurstwaren, im Büro sind 3 – 5   Arbeitskräfte   beschäftigt. Arbeitszeiten sind von 8.30 Uhr bis 18 Uhr mit   einer   Mittagspause von etwa einer Stunde.
Die Spielleitung liest und übergibt anschließend die Ereigniskarten
| Ereigniskarte 1: 
 | 
| Ereigniskarte 2: 
 | 
| Ereigniskarte 3: 
 | 
| Ereigniskarte 4: 
 | 
| Ereigniskarte 4 A Überlegt, ob und wie ihr helfen könntet und trefft eine Entscheidung. | 
| Ereigniskarte 5: | 
| Ereigniskarte 6: Besprecht die Situation mit den Helfern. Findet eine Lösung. | 
| Ereigniskarte 7: | 
| Ereigniskarte 8: Begründet eure Entscheidung dafür oder dagegen in Form eines Tagebucheintrages von Anne am 21. Juni 1944. | 
Schluss:
 Die Untergetauchten werden entdeckt. Das Spiel wird abgebrochen.
 Die SchülerInnen/TeilnehmerInnen gehen wieder zum Vorhang. Bevor sie     hindurchgehen, bekommen sie ein weiteres Kärtchen (andersfarbig).
 
 Schreib bitte auf: Was erwartet dich hinter dem Vorhang.
 
 Alle treffen sich im Gruppenraum. Kurze Pause. (Evtl. mit  Aufforderung,  nicht   über das Erlebte zu sprechen – auch wenn es schwer  fällt.) Die  Spielleitung   holt die Kärtchen vom Vorhang.
 Abschluss:
 Der weitere "Weg" der Untergetauchten. Fragen, Antworten. Jede/r     bekommt eine "Tagebuchseite" mit den Worten: "Liebe Anne,   ..."
 Arbeitsauftrag:
 
 "Auf dem Bahnhof in Amsterdam siehst du, wie eine Gruppe von Juden zum     Transport verladen wird. Du entdeckst Anne in dieser Gruppe. Du hast     Gelegenheit, ihr einen in aller Schnelle einen Brief zu schreiben und   kannst ihn   Anne zustecken. Du weißt, was Anne bevorsteht und auch  Anne  weiß es."
 
 (NB: Die Seiten können in PartnerInnenarbeit gegenseitig still gelesen   werden.)
 
 (Diese Seiten können zu einem Klassen/Schultagebuch zusammengebunden weden.)
 Auswertung:
 Im Gruppenraum nehmen die SchülerInnen/TeilnehmerInnen ihre Umrisse vom   Beginn.
- Tragt bitte mit einer anderen Farbe ein, welche Fragen und Antworten ihr jetzt habt, welche Gedanken (2 – 3) dich beschäftigt haben. Dann befestigt die Kärtchen an einer Stelle im Körperumriss.
- Ältere: Schreibt bitte in den freien Platz im Umriss: So habe ich, Daniel, mich während des Spiels gefühlt. So ist es mir in meiner Rolle als "Peter" ergangen.
(Die Ergebnisse werden später im Unterricht besprochen.)
 
