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'Hiobs Plagen' - Unbekannter Künstler

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Hiobs Plagen Unterweserraum, frühes 16. Jahrhundert Relief, Eichenholz 49 x 41 cm Ev.-luth. St. Nikolaikirche, Uthlede (Ldkr. Cuxhaven) 

Bildbeschreibung

Das Relief ist bestimmt durch eine fünfköpfige Figurengruppe. Der nackte Hiob links sitzt auf einer Decke, die auf einem aufgeschichteten Steinhaufen liegt. Er stützt seinen Kopf auf den linken Arm, der wiederum auf das angezogene linke Bein gestützt ist. Der rechte Arm ist an das Knie des  Beines gelegt. Der bärtige Kopf Hiobs ist nach vorn gerichtet. Sein Blick scheint zu den anderen Figuren  zu sehen. Rechts neben Hiob steht ein musizierender Lautenspieler. Er wirkt gepflegt und ist gut gekleidet. Neben ihm steht – im Profil zu sehen – eine männliche Figur mir einer  umgehängten Trommel. Sie ist der Gestalt des Hiob mit ihrer Körperhaltung und Gestik klar zugewandt, was durch die offene linke leicht nach vorn gestreckte Hand unterstrichen wird. Das Gesicht des Musikers sieht etwas grimmig aus. Eng neben dem Trommler erscheint in der Tür eines prächtigen Hauses eine Frau. Sie rafft mit der einen Hand ihr Kleid, mit der anderen hocherhobenen Hand hält sie einen aus Zweigen gebundenen Besen. Eine teuflisch-dämonenhafte nackte Gestalt steht schräg hinter bzw. über Hiob. Wie die Frau holt sie mit einem Zweigbüschel  zu einem Schlag aus. Mit der zweiten gespreizten Krallenhand drückt sie kraftvoll auf den Kopf bzw. die Kopfbedeckung Hiobs. Im Bildhintergrund erkennt man über dem Kopf des Trommlers u.a. lodernde Feuerflammen und drei kreisförmig durch die Luft gewirbelte Tiere.

 

Bildverständnis

Das Bild erschließt sich zunächst aus der biblischen Überlieferung des Hiobbuches. Danach verliert Hiob, der als reicher und frommer Mann geschildert wird (1,1),  durch  Überfall,  Feuer und Sturm seine Kinder und seinen Besitz (1,13-19). Trotz dieser Schicksalsschläge hält er an seinem Vertrauen zu Gott fest (1,20f). Als Hiob vor Verzweiflung krank wird  und überall am Körper „böse Geschwüre“ (2,7) bekommt und ihm sogar sein Frau(1) rät, Gott abzuschwören und sich das Leben zu nehmen, weist er sie mit den Worten zurück: „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollen das Böse nicht auch annehmen?“(2,10). Anschließend wird berichtet, dass drei Freunde Hiob besuchen. Sie wollen ihm in seinem Unglück beistehen und trösten (2,11). Nach einer Schweigezeit von sieben Tagen und einem großen Klagegebet Hiobs (3,1-26) beginnen sie, in mehreren großen Reden Erklärungen und Trostworte für Hiob und sein Schicksal zu finden. Doch Hiob kann ihre Worte nicht annehmen, da sie den Kern seiner Not nicht erreichen (19,6-22; 21,34 u.ö). Die Überlieferung endet mit einer Gottesrede (38,1ff), nach der sich Hiob unter Gottes Größe beugt (42,6) und er erneut von Gott mit Reichtum gesegnet wird (42,10)

Die zentrale Ursprungserzählung des Hiobbuches ist in eine Rahmenerzählung eingebunden, nach der ein himmlischer Streit zwischen Gott und dem Satan das Geschick Hiobs zu erklären versucht(1,9; 2,6). In der Gestalt des Teufels ist dies auf dem Holzrelief angedeutet (2) .

Der erste Teil der biblischen Hiobgeschichte erscheint in der Bilddarstellung eindrücklich präsent. Die zeitlich aufeinander folgenden Ereignisse rücken dabei räumlich zueinander. Feuer und Sturm liegen zurück. Im Zentrum steht der verzweifelte Hiob mit der ihm zugewandten Personengruppe. Die Zerrüttung und dramatische Bewegung der Ereignisse spiegelt sich dabei in der künstlerischen Gestaltung des Steinhaufens am unteren Rand sowie der zerschnittenen Landschaft am oberen Bildrand wider. Beide Teile sind wie harte, zerbrochene Felsen und Steine gearbeitet, die mit ihren Bewegungen und Spannungen in einem deutlichem Gegensatz zu den geraden Formen und Linien des Hauses auf der rechten Seite stehen. 

Es scheint nahe liegend, in den musizierenden zwei Personen die Freunde Hiobs zu erkennen. Sie drücken Klage, Mitgefühl und Trost in ihrer Musik aus. Zudem scheint Hiobs Frau ihren Unmut Hiob gegenüber mit ihrer überdeutlichen Geste zum Ausdruck zu bringen (2,9). Doch es bleiben Widersprüche! Wieso erscheinen nur zwei und nicht drei Freunde, wie es im Buch Hiob erzählt wird? Wieso machen sie Musik, obwohl davon in der biblischen Überlieferung nicht die Rede ist (vgl. 2,11-13)? Und wieso schlägt die Frau Hiobs offensichtlich doch eher auf die Musiker und nicht auf Hiob ein? 

Ein kleines Detail, die rechte Hand Hiobs, kann dem Betrachtenden einen ersten erklärenden Hinweis geben! Bei genauer Betrachtung sieht man, dass  die Hand beschädigt gewesen sein muss und nicht in originalgetreuer Form ergänzt worden ist. Sie erscheint leicht verkürzt, so dass die Beziehung zu der aufgehaltenen linken Hand des Trommlers nicht mehr klar erkennbar ist. Damit wird deutlich, dass es sich bei der Darstellung nicht allein um die Widergabe der biblischen Hioberzählung handeln kann. Offensichtlich wird hier eine dem Hiobbuch unbekannte Begegnung ins Bild gesetzt.

Es handelt sich um eine Darstellung, die sich zurückführen lässt auf das apokryphe Testamentum in Ijob (2.Jh.), in dem berichtet wird, dass Hiob in den Zeiten seines Reichtums Spielleute bei seinen Gastmählern auftreten ließ. In der tiefsten Erniedrigung und Verzweiflung haben die Musikanten ihm, wie hier dargestellt ist, Trost gespendet(3). Aus eben diesem Grund wurde Hiob von den Spielmannsbruderschaften im Spätmittelalter seit dem 14. Jahrhundert als ihr Schutzheiliger verehrt. Die fordernde Handhaltung des Trommlers deutet an, dass Hiob ihm hier ursprünglich seinen Lohn gegeben hat. Nach einer spätmittelalterlichen Version der Hiobgschichte bestand dieser  in einigen Stücken Schorf des Kranken, womit sich das grimmig-ärgerliche Gesicht des Trommlers erklärt.  In den Händen der Spielleute verwandelten sie sich jedoch in Geldstücke, was wiederum Hiobs Frau in große Wut versetzte(4).

Das Holzrelief „Hiobs Plagen“ veranschaulicht unter Hinzuziehung der erwähnten apokryphen Überlieferung ein Stück spätmittelalterliche Rezeptionsgeschichte. Die Verehrung Hiobs als Schutzpatron der Musiker und Spielleute fügt dem Verständnis der biblischen Hiobgestalt eigene Aspekte hinzu, die religionspädagogisch genutzt werden können. Insbesondere legt es sich nahe,  die Rolle und Funktion von  Musik als Form der Klage und des Trostes zu betrachten. Auffällig erscheint bereits auf dem Holzrelief die Unterschiedlichkeit der Instrumente. Die Klangwelt einer Laute steht in deutlicher Spannung zur Trommel, wie sie hier offensichtlich nach realen zeitgenössischen Vorbildern detailgetreu dargestellt ist(5). So gehen die Erklärungen der Instrumentenwahl im Blick auf die Leidenssituation des Hiob auch in unterschiedliche Richtungen. Zum einen wird eine tröstende Funktion der Musik angenommen. Dabei wird neben dem Wohlklang der Laute darauf hingewiesen, dass die Trommel ähnlich auch  anderen Schlag- und Geräuschinstrumenten nach alten Vorstellungen der Vertreibung böser Geister dienen kann. Zum anderen bleibt die Erklärung zu diskutieren, ob die Rolle der Musik nicht auch einer Verstärkung der Qualen des Hiob dienen soll. Dies könnte eine Überlieferung vom armen Lazarus stützen, nach der Lazarus (im Totenreich) mit Trompetenlärm gequält wurde. In jedem Fall bietet die Frage nach der Wirkung von Musik auf unser Leben zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine Vertiefung im Unterricht. Ähnlich wie  bereits das berühmte Harfenspiel  Davids vor Saul seine musiktherapeutische Wirkung entfalten konnte(1.Sam 16,14-23) wird man ähnlichen Fragen auch am Beispiel dieses Hiobbildes nachgehen können.

 

Bildeinsatz im Unterricht

Das Bild lässt sich u. a. zu folgenden Themen einsetzen:
 Hiob, Theodizee, Leid und Krankheit, Kirchengeschichte, Heiligenverehrung, Musik

Neben einer genauen Beschreibung des Bildes sind verschiedene Annäherungen möglich:

  • Nachstellen der Reliefszene als Standbild
  • Colorieren  einer Schwarz-Weiß-Vorlage
  • Erstellen von Sprech- und Denkblasen
  • Vergleich mit biblischer Hiobgeschichte 
  • Vergleich mit anderen Hiobdarstellungen (6)
  • Komposition von Musik- und Klangstücken
  • Gespräch über die Frage: Welche Musik höre ich, wenn ich traurig bin?
  • Besuch der Kirche in Uthlede

            …

Fachübergreifend kann das Relief u.a. im Kunst-, Musik- und Deutschunterricht (7) eingesetzt werden.

 

Weiteres Material zur Theodizeefrage

„Am Tag der Buße?“,sagte der Rabbi. „Was hast du getan? Was hast du gesagt?

Es war unmittelbar nach dem Tag der Buße, als Levi Isaac von Berdichev aus der Synagoge in sein Haus zurückkehrte …Plötzlich klopfte es an der Tür. Der Rabbi öffnete sie. Davor stand der Schneider des Dorfes, zitternd vor Furcht. „Du solltest zu Hause beim Frühstück sein“, sagte Levi Isaac, „warum bist du hier?“

„Weil ich heute eine große Sünde begangen habe“, antwortete der Schneider. „Ich ging letzte Nacht in die Synagoge“, bekannte der Schneider, „bereit meine Sünden zu bereuen und Gott um Verzeihung zu bitten. Ich nahm das Gebetbuch und öffnete es. Weder  verstand ich die schwierigen hebräischen Worte, noch konnte ich mir ausdenken, wie sie korrekt zu betonen seien. Und so legte ich meinen Gebetsschal an und begann ein Gebet mit meinen eigenen Worten zu sprechen. Ich sagte: Herr der Welt, ich weiß, ich habe im letzten Jahr viele Sünden begangen. Ich habe meine Kunden betrogen. Ich habe die rituellen Gebote nicht so sorgsam eingehalten, wie ich dies hätte tun können. All dies tut mir zutiefst leid, und ich verspreche aufrichtig mich zu bemühen, Fortschritte zu machen und mich zu bessern im nächsten Jahr. Aber Du, Herr, Du hast viele schwere Sünden begangen. Du ließest Babys sterben, du hast Kriege zugelassen und dass die Menschen leiden und sterben. So lass uns ein Geschäft machen. Du vergibst mir und ich werde Dir vergeben.“

Während Levi Isaac diese Geschichte hörte, geriet er in Zorn. „Wie konntest du Gott so leicht davon kommen lassen? Du hattest Ihn ganz in deiner Hand. Du hast Ihn nur um deine eigene Vergebung nachgesucht, wo ich ihn hättest zwingen können, die Welt zu erlösen.“

(zitiert nach Byron L. Sherwin, The Impotence of Explantation and the European Holocuast, entnommen aus : Christoph Münz (Hg.), Der Welt ein Gedächtnis geben, 1995 S. 490)

 

Anmerkungen:

(1) Vgl. aber Magdalene L.Frettlöh, Eine Klage, einen Namen, einen Segen für Hiobs Frau, S. 66  in: Klara Butting/Gerard Minnaard (Hg.) Hiob. Mit Beiträgen aus Judentum, Christentum, Islam, Literatur, Kunst, Knesebeck 2003 S.65-79. 

(2) Klara Butting „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen …“ S.24 in: Klara Butting/Gerard Minnaard (Hg.) Hiob. Mit Beiträgen aus Judentum, Christentum, Islam, Literatur, Kunst, Knesebeck 2003 S.19-24 „Doch das Aufspüren der Entstehungsgeschichte ist noch keine Deutung des entstandenen Buches. Das Besondere des Hiobbuches in dieser zusammengewachsenen Gestalt ist (…), dass die beiden Reaktionen Hiobs, seine Ergebung und sein Widerstand, nebeneinander stehen und beide zu Hiobs Integrität gehören.“  Butting, a.a.O. S.24

(3) Vgl. Dorothea Schröder, Mittelalterliches Musikleben im Weserraum, S.199f, in: Norbert Humburg/Joachim Schween (Hg.) Leuchtendes Mittelalter, Museum Hameln 2000 S. 186-201

(4) http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_4056.html entnommen am 21.8.2005


Im apokryphen "Testamentum Jobi" (2. Jh.) findet im Zusammenhang mit den Prüfungen Hiobs auch Musik Erwähnung. Nicht klar ist, welche Rolle die Musik dabei spielt, ob als Trost oder als Verstärkung seiner Qualen, wie bei dem armen Lazarus, der mit Trompetenlärm gequält wurde. (Hiob gilt deshalb seit dem 14. Jh. als Patron der Musiker und Spielleute.) 

(5) Schröder, a.a.O., S. 199. Bei dem Lauteninstrument handelt es sich wahrscheinlich um eine Quinterne (= kl. Laute)

(6) Siehe z.B. www.eule-der-minerva.de/museum2/hiob/index.htm 

(7) In  Alfred Döblins Großstadtroman "Berlin Alexanderplatz" findet sich beispielsweise ein eigenes  Hiob-Kapitel mit dem Titel "Gespräch mit Hiob, es liegt an dir, Hiob, du willst nicht".

 

Literatur:

Klara Butting/Gerard Minnaard (Hg.) Hiob. Mit Beiträgen aus Judentum, Christentum, Islam, Literatur, Kunst, Knesebeck 2003

Lena Kuhl, Hiob – welche Themen hält das Buch für Kinder bereit? In: Loccum Pelikan 3/05 S.121-126

Norbert Humburg/Joachim Schween (Hg.) Leuchtendes Mittelalter, Museum Hameln 2000

Robert M. Zoske, Weil es Hiob gibt, gibt es Gott, in: Morgenandachten NDR Kultur / NDR Info  23.-28.8.2004 

 

Steffen Marklein