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„Danke, Jesus“ – auch an unbequemen Feiertagen

25. März 2024

Bernd Hillringhaus und seine Figurenaufstellung in der Passionszeit im RPI Loccum

Ein Bericht mit Impulsen für die Praxis und Interviewfragen

Es gibt einfach „unbequeme“ Feiertage im Kirchenjahr. Feiertage, vor denen wir uns gerne mal wegducken, sie fast schon ungern feiern und bei denen wir uns schwertun, sie zu leben, zu unterrichten oder zu zelebrieren. Weil sie weh tun, weil sie an ureigene Ängste und Schmerzen rühren, weil sie uns dort ins Herz treffen, wo es persönlich wird.

Die Karwoche, und ganz besonders der Karfreitag gehören dazu. Jesu Weg ins Leid, der Verrat an ihm, das Abschiedsessen, der unruhige Schlaf in Gethsemane, das Verhör, der Prozess und dann der grausame Weg hin zum Kreuz und der elendige Tod: All das ist schwer, bleibt schwer und macht stumm, betroffen und traurig.

Und doch, oder gerade deshalb, müssen wir uns als Erzieher*innen, als Unterrichtende, als Pastor*innen und als Diakon*innen ihnen stellen. Müssen die Kinder, die Jugendlichen, die Gemeinde dadurch begleiten, an ihrer Seite stehen und den Weg mitgehen, bis hin zum Kreuz und zum Grab.

Wir müssen es aushalten, in der Karwoche und im Karfreitag gemeinsam zu verweilen. Wir müssen die Zeit bis Ostersonntag zusammen tragen. Müssen diese kostbare, schwere und gefühlt ewige Zeit annehmen und respektieren. Das Leid, die Trauer und der Schmerz gehören dazu. Im Christentum wie auch im Leben. Das ist gelebter Alltag der Menschen, denn auch Kinder und Jugendliche, auch gesunde und junge Gemeindemitglieder kennen Sterben und Tod. Auch sie mussten schon im privaten Bereich Trauer ertragen, erlebten ihren eigenen Karfreitag, ihre eigene Kraftlosigkeit angesichts von Verlust.
Es gibt viel gute und hilfreiche Literatur dazu. Eine Auswahl findet sich in den Fußnoten.1

Ein anderer, spannender Ansatz ist die Figurenaufstellung von Bernd Hillringhaus, der in der Passionszeit im März 2024 unter der Leitung von Dozentin Sabine Schroeder-Zobel eine Lehrkräftefortbildung im Förderschul- und Inklusionsbereich im RPI Loccum begleitete.

Der eklektisch ausgebildete Künstler und ehemalige Referent für Spiel, Theater, Gestaltung und Bibliodrama im Haus Kirchlicher Dienste, der u.a. auch als Referent im Arbeitsbereich Kindergottesdienst im Michaeliskloster Hildesheim tätig war, kam für diese Tagung extra aus seinem Ruhestand zurück und gestaltete drei Tage lang biblische Geschichten rund um Jesus, bei denen auch die Passion eine Rolle spielte.

Ausgangspunkt der Arbeit mit Kita-Kindern, Schüler*innen jeden Alters oder auch mit Erwachsenen (z.B. mit Kirchenvorständen) ist immer ein Tisch. Ein Tisch, der in der Mitte des Raumes steht, auf dem Sand ausgestreut ist und um den sich die teilnehmende Gruppe in einem Kreis versammelt.

Hillringhaus: Ich arbeite immer mit biblischen Geschichten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Beziehungs-Geschichten, denn sie berühren oftmals die eigenen Geschichten im Leben der Teilnehmenden. Es können durch diese Erzählungen ganz eigene Grenzerfahrungen gemacht werden.
Und als Symbol für die Gefühle, die jeder und jede mitbringen, lege ich immer einen Stein und eine brennende Kerze dazu. Die schweren, steinernen Gefühle und auch die leuchtenden, warmen und hellen Gefühle finden so ihren Platz auf dem Tisch. Wir leben in einem System von Beziehungen, und das erleben wir nun auch an diesem Tisch, in diesem Kreis mit der biblischen Geschichte.


Die Figuren (Hillringhaus ist es wichtig, dass es keine Puppen sind, sondern Figuren, die gestaltet und erschaffen werden, frei von jeder Niedlichkeit und auch frei von Gesichtsausdrücken) bestehen aus einem einfachen Drahtgerüst, das mit Papier und Heißkleber zu einer biegsamen und erstaunlich lebendig aussehenden Persönlichkeit geformt werden.

Hillringhaus: Ich habe übrigens auch immer eine Packung Ferrero Rocher dabei, um mit der Verpackung auch mal goldene Elemente gestalten zu können.

Das ist aber auch das einzig Schimmernde an der Gestaltung. Ergreifend schlicht und dadurch umso beeindruckender ist das Szenario der Figuren, bei deren Schöpfungsprozess den Gestaltenden nicht klar sein soll und kann, ob die Figur nun Frau oder Mann sein wird.
Stehen, sich beugen, hinknien, sich krümmen, jubeln oder geknickt sein, all das ist durch die Drahtbasis der Figuren möglich. Und so lässt sich auch von der Heilung der gekrümmten Frau bis hin zur Passion Jesu alles gestalten.

Hillringhaus: Mit dieser Figurenaufstellung entsteht eine neue Art von Gemeinschaft. Ob in Gottesdienst oder im Religionsunterricht. Ob mit Kindern oder Jugendlichen. Wir stehen um den Tisch in Gemeinschaft und erleben den biblischen Text in darstellender Weise. Es ist eine Szene, eine bewusst inszenierte Situation. Auf dem Tisch steht zuerst sehr wenig, ein bisschen Kulisse aus Pappe, vielleicht die Tempelmauer, vielleicht eine Hauswand. Die Figuren sind erstmal nicht sichtbar, sie werden im Rahmen der dramaturgischen Inszenierung eingesetzt. Und dann wird die biblische Geschichte erzählt. Im Mittelpunkt stehen immer die Geschichte und die Figuren. Als Erzähler schildere ich dann die Geschichte, führe die Figuren ein und lasse sie sich mit der Lebenswirklichkeit der Menschen verweben.

Das eröffnet unfassbar viele Möglichkeiten; die Kraft der biblischen Geschichten findet ihre Resonanz in den Lebensgeschichten der Zuhörenden. Die Gefühle der Figuren können die Gefühle der Umstehenden widerspiegeln. Bei der Passionsgeschichte können diese Angst vor Leid und Tod sein, Hilflosigkeit angesichts des Leidens einer geliebten Person, Trauer und Schmerz bei bereits erlebten Todesfällen. Prämisse der Arbeit mit der Figurenaufstellung ist laut Hillringhaus immer die Freiwilligkeit, niemand kann zu Äußerungen oder Mitmachen gezwungen werden.

 

Hillringhaus: Wir kommen im besten Fall in einen Dialog. Ich frage dann vielleicht: „Welche Gefühle habt ihr? Habt ihr eine Lösung dafür? Wie würdet ihr in so einem Fall handeln?“ Wir erleben dann die eigene Betroffenheit, die eigenen Probleme und gießen sie in einen Dialog. Ich nehme dabei alles und alle wahr, ich nehme sie ernst und fange jeden und jede emotional auf, indem ich mit ihnen spreche. Gleichzeitig gebe ich den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich in ihrem Leid auszudrücken, ihre eigene Ergriffenheit zuzulassen – und das kann erleichtern und auch die anderen Teilnehmenden berühren. Andere erleben vielleicht genau dadurch, quasi stellvertretend, ähnliche Prozesse.

Der Künstler betont dabei, dass es immer ein doppeltes Sicherheitspolster gibt: Einmal sei es der Text, der biblische, kraftvolle Text, der immer etwas Heilendes in sich trägt, und dann sei es die Tischgemeinschaft selbst, die in ihrem ritualisierten Kreis kommunikativ und sicher zusammenhält.

Hillringhaus: Es ist eine bewusste Inszenierung. Der Tisch ist im wahrsten Sinne des Wortes gedeckt, alle sind willkommen. Ich kann etwas bekommen oder ich gebe etwas, beides ist möglich.
Es ist dramaturgisch ein inszeniertes Drama, denn jede und jeder hat ja sein eigenes Drama, und somit sind wir am Tisch Verbündete und Mitfühlende. Wir sind nicht allein, wir sind viele und wir können uns unserer Stärke gegenseitig nutzbar machen. Wir öffnen unsere Kraftquelle den Anderen, sie erfahren davon und können sie für sich nutzen.


Schon in Kindergarten und Grundschule ist das umsetzbar, denn auch die Kleinsten haben schon Leiderfahrungen; sie kennen Drama im Alltag und haben gelernt, damit umzugehen, es zu meistern und dabei Ressourcen kennen zu lernen und weiterzuentwickeln. In der inszenierten, spielerischen Art der Figurenaufstellung können sie sich gegenseitig ihre Kraftquellen vorstellen und diese teilen.

Gerade in der Passionsgeschichte mit den alles bestimmenden Themen Leid, Verrat, Sterben, Angst und Tod kann genau diese Art der (Unterrichts-)Gestaltung eine große Chance sein, verborgene Resilienzen aufzuzeigen.

Hillringhaus: „Natürlich ist das kein Therapieersatz, es ist Gestaltung. Es ermöglicht das Benennen von Kraftquellen und Verarbeitungsmechanismen und daraus erfolgt eine Resonanz. Und das ist das Heilende, das diese Figurenaufstellung bewirken kann. Es kann Heilung und Befreiung sein, mit allen Sinnen. Ich stelle die Figuren auf in der biblischen Geschichte bis zu einer Situation, dann frage ich: Wie fühlt ihr euch dabei? Habt ihr so etwas schonmal erlebt? Ich lade die Teilnehmenden zu einer Äußerung ein und wenn jemand sagt: Ja, ich verstehe das, dann kann dieser Mensch eine eigene Figur bekommen und sich selbst in die Szene stellen. Dort kann diese Figur bleiben, so lange sie will, sie kann sich verändern, sich äußern, schweigen, Teil sein. Und wenn ich die Geschichte am Ende dann auflöse und auf das Heilende der biblischen Geschichte hinweise, frage ich vorher, ob die Figur bleiben soll oder gehen will. Einige bleiben, andere gehen. Wer geht, wird von mir gefragt, ob er oder sie einen Schlusssatz hat. Ein Mädchen, das bei einer Aufstellung dabei war, schwieg erst und sagte dann „Danke Jesus“ .

Am Ende der Aufstellung schließe ich die Bibel, die Kerze aber bleibt an, bis alle den Raum verlassen haben. Denn das Licht als Kraftquelle bleibt brennen.


Bernd Hillringhaus` Arbeit kann besonders in den schweren Themen der Passionszeit helfen, sich in Kindergarten, Schule und Gemeinde lebendig und kreativ dieser Zeit zu nähern.

Anmerkungen1

Lena Sonnenburg „Jesus? Ist das nicht der von Gott?“- Loccumer Impulse 19, 2020, pp 111-139

Silke Leonhard „Passion spielen? – Religionspädagogische-performative Gedanken (1), in: Loccumer Pelikan 4/2020

Frauke Lange und Oliver Friedrich „Gründonnerstag mit den Kita-Kindern feiern- Überlegungen zum Kinderabendmahl und ein Praxisvorschlag“ , in: Loccumer Pelikan 2/ 2016

Literatur

  • Christiane Neukirch, Reinhard Krüger, Bernd Hillringhaus: „Die inklusive KinderMitmachBibel“, 2 Bände, Hildesheim / Hannover 2023
  • Michaeliskloster Hildesheim (Hrsg.): Handbuch Figurenaufstellung im Kindergottesdienst. Eine neue Form der Tischgemeinschaft, Hildesheim 2019

 

 

Bianca Reineke, Öffentlichkeitsarbeit RPI

 

Fotos: Sabine Schroeder-Zobel, Bianca Reineke