"Mit mir im Frieden" - Die Kulturanthropologin Brigitte Hawelka zu den Chancen im Scheitern

Nachricht 13. März 2024

epd-Gespräch: Dieter Sell

Bremen, Lüneburg (epd). Die Lüneburger Kulturanthropologin, Prozessbegleiterin und Clownpädagogin Brigitte Hawelka rät zu einem offenen Umgang mit Misserfolgen. „Am Ende können wir an Fehlern wachsen“, sagt die 61-jährige Expertin, die mit dem Evangelischen Bildungswerk in Bremen ein Workshop zum Scheitern anbietet. Ein Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) über gesellschaftliche Erwartungen, Schamgefühle und den Frieden mit mir selbst.

epd: Frau Hawelka, über das Scheitern sprechen die meisten Leute nur ungerne. Woran liegt das?

Brigitte Hawelka: Ganz klar, wir leben in einer Gesellschaft, in der vor allem das zählt, was gelungen ist. Unser ganzes Bildungssystem ist darauf ausgerichtet, nicht aus der Reihe zu tanzen und Fehler zu vermeiden. Das sind natürlich Barrieren. Dann verdrängen wir lieber Misserfolge. Und wenn wir doch scheitern, kommen Schamgefühle auf. Es tut weh, weil wir natürlich gut dastehen wollen. Wir fühlen uns im Scheitern als Opfer. Wenn es schlecht läuft, verlieren wir Orientierungspunkte und unsere Identität ist angekratzt, weil wir glauben, ein Versager zu sein.

epd: Vor diesem Hintergrund scheint es ja wirklich schwierig, einen anderen Weg zu gehen und sich mit dem eigenen Scheitern offensiv zu beschäftigen...

Hawelka: Auf jeden Fall. Das fängt ja schon damit an, das zuzulassen, was passiert ist und es nicht zu verdrängen. Aber es ist doch so: Jeder Schritt, den wir machen, kann Unsicherheiten schaffen. Winston Churchill hat in diesem Zusammenhang mal gesagt: Die Kunst ist, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird.

epd: Wenn ich mich dann aber auf diesen mühsamen Weg mache: Was gewinne ich dadurch?

Hawelka: Da kommen wir auf das Thema Fuck-Up-Night. Das ist ein Format, das 2012 mal in Mexiko entstanden ist, als sich ein paar Männer über ihre Misserfolge unterhalten haben und im Anschluss eine große Erleichterung gespürt haben - weil sie die Dinge offen ausgesprochen und erkannt haben, dass sie mit dem Scheitern nicht alleine sind. Das war der Anfang einer Bewegung. Fuck-Up-Nights gibt es mittlerweile in mehr als 100 Ländern, weil Menschen auf ihre Fehler schauen wollen. Das füllt ganze Hallen und hat manchmal etwas Theatrales. Aber klar ist auch: Wer sich öffentlich auf eine Bühne stellt und den Mut hat, über seine Misserfolge zu sprechen, ist immer noch Vorreiter. Wer da zuhört, kann profitieren, weil er oder sie sieht: Moment mal, wenn der sich traut, guck ich mir das auch bei mir genauer an. Das ist der erste Schritt. Am Ende können wir an Fehlern wachsen.

epd: Noch einmal, Frau Hawelka, was habe ich davon?

Hawelka: Es geht um Kritikfähigkeit, um Experimentierfreude, um Widerstandsfähigkeit. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass in dem Moment, wo ich mich traue, auch mein Scheitern anzuschauen, dass ich dann viel mehr mit mir im Frieden bin. Dass ich nicht jedes Mal verzweifle, wenn mir neue Fehler passieren, sondern das Vertrauen habe: Ok, das gehört einfach zum Leben dazu, beim letzten Mal ist es auch weitergegangen. Also: Nicht gleich verzagen, sondern aufstehen und weiter machen.

epd: Hat das Scheitern so gesehen auch eine gute Seite?

Hawelka: Manchmal ergeben sich daraus neue Wege, das Scheitern kann dann zum Ausgangspunkt für einen Glücksfall werden. Mir selber ging es so. Ich habe durch meine Krisen Erfahrungen gemacht, die mich unter anderem dazu gebracht haben, bewusster im Leben zu stehen, bewusster mit den Dingen umzugehen. Aus diesem Frieden heraus habe ich mir mehr zugetraut, das hat mir sehr geholfen.

epd: In den USA gibt es Firmen, die bewusst Menschen einstellen, die schon mal gescheitert sind, weil sie davon ausgehen, dass diese Leute wissen, wie man mit Krisen umgeht. Scheitern als Qualifikation - was sagen Sie dazu?

Hawelka: Die Amerikaner gehen lockerer mit dem Scheitern um als die Deutschen. Das macht für mich Sinn, Fehler auch als Chance zu sehen. Schließlich lässt sich nicht nur aus dem Erfolg, sondern eben auch aus dem Misserfolg etwas lernen. Ohne Fehler keine Kreativität, die Irritation als Voraussetzung dafür, Neues zu lernen: Das braucht es in Unternehmen, in der Wissenschaft, in vielen Bereichen.

epd: Sie sagen, im Scheitern steckt Potential für ein ganzheitliches Leben. Wie meinen Sie das?

Hawelka: Das heißt für mich vor allem zu akzeptieren, dass Fehler zum Leben dazugehören. Mir geht es vor allem darum, dass man milder mit sich ist. Das ist für mich ein wirkliches Potential, wenn ich mich nicht verurteile, sondern den Misserfolg als eine Erfahrung sehe. Ich will ja nicht dazu einladen, künftig nur noch Fehler zu machen. Es geht am Ende des Tages aber darum, reflektierter und offener damit umzugehen. Am besten in der Gemeinschaft wie bei den Fuck-Up-Nights. Das stärkt, weil ich nicht alleine bin. Jeder macht Fehler, diese Erkenntnis finde ich ganz wichtig. Wenn man nur für sich alleine ist, ist vieles dramatischer und man denkt, das passiert nur mir. Aber so ist es ja nicht.