Literaturwissenschaftler: Karl May war Pazifist und Anti-Rassist

Nachricht 05. September 2022

epd-Gespräch: Julia Pennigsdorf

Braunschweig/Radebeul (epd). Der Theologe und Literaturwissenschaftler Professor Jürgen Wehnert hat die Angriffe auf Karl May und seine Werke als Rufmord bezeichnet. Zeit seines Lebens habe May antirassistische Ideale vertreten, sagte Wehnert im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Rassismus ist schlimm, aber jemanden, der entgegen dem Geist seiner Zeit für die Verständigung der Völker eintrat, als Rassisten hinzustellen, ist abscheulich.“ Wehnert ist emeritierter Professor der Technischen Universität Braunschweig und Kurator der Karl-May-Stiftung in Radebeul.

Die um May entstandene Debatte sei Ausdruck einer rigiden Anti-Rassismus-Ideologie, die für sich beanspruche, eine fortschrittliche Ethik zu verfechten, die menschliches Handeln objektiv deuten und bewerten könne, sagte der evangelische Theologe. Diese Ideologie produziere Behauptungen, die zugleich Verurteilungen seien. Wer sich ihren Setzungen füge, gehöre aus ihrer Sicht zu den Guten, wer nicht, sei potenzieller Rassist. „Dieses Spiel wird schon seit einiger Zeit an verschiedenen Fronten gespielt, und jetzt hat es Karl May erwischt.“

Die Angst, als Rassist dazustehen, sei inzwischen so groß, dass Auseinandersetzungen mit der Anti-Rassismus-Ideologie unterblieben, sagte Wehnert. Intellektuelle, Medien, Lehrer knickten davor ein, um den eigenen Nimbus der Fortschrittlichkeit zu wahren, statt die dort beanspruchte Deutungshoheit durch Sachkompetenz infrage zu stellen. „Es würde mich freuen, wenn der Widerstand gegen diese Ideologie durch die Diskussion um Karl May wächst.“

Der Rassismus-Vorwurf laufe oft über den Begriff der „kulturellen Aneignung“, sagte Wehnert. „Das ist ein ganz dummer Begriff. Es geht hier nicht um Diebstahl, sondern um Teilhabe aller an der Vielfalt der vielen.“ Völker hätten sich immer Teile der Kultur anderer Völker angeeignet. „Das ist ein notwendiger und wünschenswerter Prozess, ohne den unser Leben verarmen würde.“

Wehnerts Beobachtungen zufolge funktioniert die reglementierende Kritik an solcher „Aneignung“ seltsam einseitig. Kritik an übergriffigen fremden Kulturen sei kein Thema. „Stellen Sie sich vor, es ginge eine Gruppe von Koreanern in Lederhosen und Dirndln über das Oktoberfest, und jemand würde das hier als Akt des Rassismus hinstellen. Dem wäre ein Shitstorm wegen Fremdenfeindlichkeit sicher.“

Wehnert hofft, dass die aktuelle Debatte Karl May und seinem Werk keinen nachhaltigen Schaden zufügt. „Es ist ja das Besondere an diesem Mann, dass er die Indianer im ausgehenden 19. Jahrhundert vor den unübersehbaren Folgen des Rassismus und Kolonialismus nicht nur schützen, sondern sie und ihre Kultur vor aller Welt rehabilitieren wollte.“

Das belegen Wehnert zufolge zahlreiche Passagen aus Mays Werk. So heiße es in seiner frühen Erzählung „Ein Oelbrand“: „Ich gestehe freimütig, selbst auf die Gefahr hin, vielerorts anzustoßen, daß ich das bisherige Verhalten der Weißen gegenüber den Roten nicht billige. Auch der Indianer ist Mensch und steht im Besitze seiner Menschenrechte; es ist eine schwere Sünde, ihm das Recht, zu existieren, abzusprechen.“