Ganz schön uniform

Nachricht 21. August 2021

Politiker sind meist weiß, männlich und bürgerlicher Herkunft

Von Jana-Sophie Brüntjen (epd)

Weiß, männlich, zumindest augenscheinlich gesund: Die Parlamentsabgeordneten sind eine recht homogene Gruppe. Einer repräsentativen Demokratie wird diese Verteilung nicht gerecht. Lösungsansätze für eine größere soziale Mischung gibt es viele.

Göttingen (epd). Als er 2003 bei den Grünen eintritt, war erst alles gut. Er bekam positive Rückmeldungen, Unterstützung aus dem Umfeld, erzählt Michael Gerr. Dann kam das Getuschel. „Der hätte das ja gar nicht erreicht, wenn er nicht im Rollstuhl sitzen würde“, sagte eine Frau laut Gerr einmal, als sie nicht merkte, dass er in der Nähe war. Dabei ist es genau andersherum: Menschen mit einer offensichtlichen Behinderung wie der langjährige Würzburger Stadtrat Gerr haben statistisch gesehen deutlich schlechtere Chancen in der Politik.

In Deutschland haben nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes 7,9 Millionen Menschen eine Schwerbehinderung. Das entspricht etwa 9,5 Prozent der Bevölkerung. Wie viele es in den Parlamenten sind, wird nicht erhoben.

Natürlich seien nicht alle Einschränkungen offensichtlich, sagt Gerr. „Es müssten aber im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung allein 13 Menschen im Rollstuhl im Bundestag sitzen“, sagt er. Momentan trifft dies aber nur auf Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) zu.

Allgemein mangele es in den Parlamenten an Vielfalt, sagt Andrea D. Bührmann, Direktorin des Instituts für Diversitätsforschung an der Georg-August-Universität Göttingen. „Die bundesdeutsche Politik ist sehr weiß, sehr männlich und bürgerlich geprägt“, sagt sie. Dies zeigt sich am Bundestag: In ihm sind aktuell 31 Prozent der Abgeordneten weiblich. Kurz nach der Bundestagswahl 2017 zählte der Mediendienst Integration 58 Abgeordnete aus Einwanderfamilien. Das entspricht einem Anteil von etwa acht Prozent. In der Gesamtbevölkerung hat nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes etwa jeder Vierte einen Migrationshintergrund.

Für diese Diskrepanz gebe es verschiedene Gründe, sagt die Diversitätsforscherin. Zum einen entspreche die Wohnbevölkerung nicht der Bevölkerung mit Wahlrecht. „Dazu kommt die Frage, ob Menschen eigentlich Zeit, Energie und Geld haben, sich in den Parteien einzubringen“, sagt Bührmann. Dies sei bei Menschen mit Einwanderungsgeschichte tendenziell seltener der Fall. Zudem glaube ein großer Teil der Bevölkerung, „dass Menschen mit Migrationshintergrund keine gute Politik für alle machen“.

Vielfältig sind laut Helga Lukoschat, Vorstandsvorsitzende der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin, auch die Gründe dafür, warum nicht die Hälfte der Abgeordneten weiblich ist. „Die moderne liberale Demokratie entstand unter Ausschluss der Frauen“, sagt sie. Umgangsformen seien in der Politik stark männlich geprägt, zum Beispiel durch dominantes Auftreten und Redeverhalten. Gleiches gelte für die Parteikultur.

Frauen übernehmen zudem einen großen Teil der familiären Sorgearbeit. Dies lasse sich zeitlich aber oft nicht mit Ämtern zu Beginn einer politischen Karriere vereinbaren, die in der Regel ehrenamtlich sind. Dazu komme, dass Direktmandate insbesondere bei den Unionsparteien mehrheitlich mit Männern besetzt würden.

Lukoschat plädiert daher für Änderungen im Wahlrecht. „Möglich wäre es zum Beispiel, die Zahl der Wahlkreise zu halbieren und dann für die verbliebenen Wahlkreise jeweils einen Mann und eine Frau wählen zu lassen“, sagt sie. Diversitätsforscherin Bührmann will nicht weiter auf freiwillige Zugeständnisse vertrauen und hält Quoten in der Politik für ein gutes Mittel. „Quotierungen bedeuten in der Regel, dass hochqualifizierte Menschen anderen hochqualifizierten Menschen vorgezogen werden“, betont sie.

Grünen-Politiker Gerr setzt sich für „eine generelle Vielfaltsquote von einem Drittel“ ein, die auch Menschen mit Behinderung, Einwanderungsgeschichte oder aus der LGBTQ-Gemeinschaft einschließt. Ein genaues Abbild der Bevölkerung werde sich zwar nie erreichen lassen, „aber jeder Mensch sollte das Gefühl haben, dass es im Parlament zumindest eine Person gibt, die ihn vertreten könnte“.

epd lnb bas bjs