"Ich bin ich"

Nachricht 30. Juli 2021

Neues Theaterstück skizziert die Malerin Paula Modersohn-Becker

Die Malerin Paula Modersohn-Becker ist ein Phänomen. Zu ihren Lebzeiten war ihr künstlerisches Werk nur wenigen Menschen bekannt. Doch längst erobern ihre Bilder die Welt. Eine "theatrale Installation" skizziert, was sie antrieb.

Worpswede (epd). Hals und Oberkörper schmücken eine Bernsteinkette, die Hände hat die schwangere Paula Modersohn-Becker schützend um ihren runden Bauch gelegt. „Ich bin ich, und hoffe, es immer mehr zu werden“, sagt sie in ihrem Atelier, verkörpert in dieser Szene von Schauspieler Thomas Lindhout. Die Inszenierung verweist auf ein berühmtes Bild der Malerin, den ersten Selbstakt der Kunstgeschichte, das „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“. Die Episode ist gleichzeitig einer der zentralen Momente in einem neuen Theaterstück über die heute weltbekannte Avantgarde-Künstlerin, das am Mittwochabend in Worpswede bei Bremen Premiere gefeiert hat.

Der erste Blick einer Malerin auf den eigenen Körper, das war revolutionär. Wie es dazu kam, welche Gedanken Paula Modersohn-Becker (1876-1907) antrieben, das skizziert die freie Theatergruppe „Cosmos Factory“ in einem gut 90-minütigen Stück mit dem Titel „Paula“ - unter freiem Himmel auf dem Außengelände des Barkenhoff.

Regisseur Oliver Peuker spricht von einer „theatralen Installation“, will in seinem „Paula-Kosmos“ eine Seelenlandschaft zu unterschiedlichen Facetten des Lebens und der Kunst der Malerin aufscheinen lassen: An vier Schauplätzen werden gleichzeitig Szenen gespielt, das Publikum wandert eingeteilt in vier „Reisegruppen“ jeweils nach knapp 20 Minuten von einem Ort zum nächsten. Das Geschlecht ist bei der Besetzung der Rollen unerheblich. „Das wäre ja antikes Theater“, sagt Lindhout mit einem Lächeln.

Der Park ist bewusst als Bühne für das sechsköpfige Ensemble gewählt, denn der einst von Heinrich Vogeler (1872-1942) aufgebaute Barkenhoff war lange Zeit der zentrale Treffpunkt der Worpsweder Künstlerkolonie. Auch Paula war oft Gast, begegnete hier ihrem Mann Otto Modersohn und schloss Freundschaften mit Rainer Maria Rilke, Vogeler und ihrer „Schwesternseele“ Clara Westhoff.

Mehr als ein Jahr hat Peuker für das Skript seiner Installation in Briefen, Tagebüchern und anderen Überlieferungen recherchiert. „80 Prozent des Textes stammen aus Originaldokumenten“, sagt der Chef der Theatergruppe, der auf dieser Grundlage auch so berühmte Anekdoten wie das übermütige Glockenläuten von Clara und Paula inszeniert: Angesichts des grandiosen Blicks vom Turm der Zionskirche auf die herrliche Worpsweder Landschaft läuten die Freundinnen die Glocken, was damals als Feueralarm galt. „Unfug und Mißbrauch“, notiert der Pastor im Kirchenbuch.

Die Kunst der jungen und eigenwilligen Malerin war weder zu Lebzeiten noch Jahrzehnte danach von Ruhm begleitet. Ihre erstmals 1899 in der Bremer Kunsthalle ausgestellten Werke wurden von der Kunstkritik als „Ekelgeschichte eines rohen Patrons“ bezeichnet. Später noch wurde vom „Kult des Häßlichen“, von „fleißigem Dilettantismus“ oder schlicht von „provinzieller Worpswederei“ gesprochen. Trotz aller Anfeindungen und Selbstzweifel: Das Stück macht deutlich, dass Paula in ihrem künstlerischen Ziel, stets besser zu werden, mutig ihren eigenen Weg ging.

Inspiriert wurde sie dabei in mehreren Paris-Aufenthalten durch Künstler wie Cézanne, Van Gogh und Gauguin. Heute ist ihre Arbeit weltweit anerkannt, sind ihre Werke selbst im New Yorker „Museum of Modern Art“ zu sehen. „Vielen gilt Paula Modersohn-Becker nicht nur als Revolutionärin der modernen Malerei, sondern auch als Sinnbild der modernen Frau überhaupt“, beschreibt Peuker das Bild der Malerin, das er in seinem Stück zeichnet. Und das vom Ensemble mit einer Spielfreude umgesetzt wird, die an diesem Abend auch ein kräftiger und anhaltender Schauer nicht stoppen kann.

Die Künstlerin, die nur 31 Jahre gelebt hat, war bei all dem außerordentlich produktiv, schuf 750 Gemälde und mehr als 1.000 Zeichnungen - und war doch zerrissen zwischen Euphorie und Angst. Das zeigt eine Notiz aus dem Jahr 1907, die an diesem von viel Applaus und „Bravo“-Rufen begleiteten Theaterabend auch zur Sprache kommt: „Alles wird gut, nur der Tod ist das einzige Gespenst, das ich fürchte.“