Flüchtlingshelfer: Wegen Corona Massenunterkünfte auflösen - In Niedersachsen leben Tausende Geflüchtete in Sammellagern

Nachricht 11. April 2021

"Abstand halten": Das wichtigste Gebot in der Corona-Krise ist in Gemeinschaftsunterkünften kaum einzuhalten. Allein in Niedersachsen leben Tausende Geflüchtete in Sammellagern. Flüchtlingshelfer drängen auf ihre Auflösung.

Hannover/Berlin (epd). Die Flüchtlingshilfsorganisation "Pro Asyl" und Niedersachsens Flüchtlingsrat haben angesichts der Corona-Pandemie die Auflösung von Massenunterkünften für Flüchtlinge verlangt. "Unsere Hauptforderung ist die Auflösung der Großlager für Flüchtlinge und vor allem die Abschaffung der Pflicht, bis zu 18 Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu bleiben", sagte "Pro Asyl"-Geschäftsführer Günter Burkhardt dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Donnerstag). "Denn Grundbedingung im Kampf gegen das Virus ist, Abstand zu halten." Das sei dort gar nicht oder nur schwer möglich.

Sascha Schießl vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), seit Beginn der Corona-Pandemie habe sich in den Lagern des Bundeslandes nichts geändert. Noch immer lebten in Niedersachsen Tausende Geflüchtete in Erstaufnahmeeinrichtungen und kommunalen Unterkünften auf engstem Raum und in Mehrbettzimmern. In den Erstaufnahmeeinrichtungen müssten selbst besonders schutzbedürftige Personen teils über ein Jahr lang verharren, weil sie innerhalb Europas abgeschoben werden sollten.

"Immer wieder kommt es zu Vollquarantänen, wenn einzelne Menschen an Corona erkrankt sind", fügte Schießl hinzu. "Die Landesregierung hätte längst die Belegung in allen Erstaufnahmeeinrichtungen drastisch reduzieren und ihre Verteilung auf die Kommunen beschleunigen müssen". Zudem brauche es endlich ein Ende der Mehrbettzimmerbelegung per Erlass.

Dem Flüchtlingsrat zufolge waren zum 1. Februar dieses Jahres 2.352 Schutzsuchende in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes untergebracht. Vollständige Zahlen zu den Menschen, die in kommunalen Gemeinschaftsunterkünften leben müssten, lägen nicht vor. "Wir können hier aber von weiteren mehreren tausend Menschen ausgehen", sagte Schießl. Allerdings seien nicht allein Asylsuchende in kommunalen Unterkünften untergebracht, sondern auch Tausende Menschen nach Abschluss des Asylverfahrens. Damit liege die tatsächliche Zahl der Menschen, die in kommunalen Unterkünften lebten, noch einmal höher.

"Pro Asyl"-Geschäftsführer Burkhardt forderte zudem, geflüchtete Menschen vorrangig zu impfen. Prioritär sollten diejenigen geimpft werden, die am meisten in Kontakt mit anderen Menschen seien, sagte er. Das treffe nicht zuletzt auf Flüchtlinge zu. "Stattdessen reagiert man mit Quarantäne und Isolierung." Der Pro-Asyl-Chef kritisierte auch, dass Flüchtlinge während der Pandemie weiter abgeschoben würden.

In der Impfverordnung des Bundes sind Flüchtlinge in Gruppe 2 unter der Kategorie "Hohe Priorität" einsortiert, hier allerdings erst an siebzehnter und damit vorletzter Stelle. Wörtlich heißt es in der Verordnung, geimpft würden "Personen, die insbesondere in Flüchtlings- und Obdachloseneinrichtungen oder in sonstigen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe oder in Frauenhäusern untergebracht oder tätig sind".

Nach Angaben des wissenschaftlichen Netzwerks "Public Health Covid-19" erkranken und sterben Migranten häufiger an Covid-19, sie werden jedoch seltener in Krankenhäuser eingewiesen. Die enge Unterbringung in Sammelunterkünften und Aufnahmeeinrichtungen sowie prekäre Arbeitsverhältnisse bedingen ein hohes Infektionsrisiko. Kollektive Quarantäne verschärfe die Situation noch und gehe mit höherem Ausbreitungsrisiko einher, heißt in der vom Flüchtlingsrat bekanntgemachten Studie des Netzwerks.

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Internet
www.proasyl.de
www.nds-fluerat.org
https://www.public-health-covid19.de/