Sprachforscherin Pusch fordert geschlechtergerechtes Grundgesetz

Nachricht 16. Januar 2021

epd-Gespräch: Michaela Hütig

Hannover (epd). Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch fordert eine geschlechtergerechte Umformulierung des Grundgesetzes. Mit der Verwendung ausschließlich männlicher Bezeichnungen wie "Bundeskanzler" und "Bundespräsident" verstoße die Verfassung gegen den in ihr selbst verankerten Anspruch auf Gleichberechtigung, sagte die Linguistin aus Hannover dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Damit wird sprachlich ganz deutlich suggeriert, dass die Person im Amt ein Mann sein soll, was Frauen klar benachteiligt", erklärte sie. Mit der geplanten Streichung des Begriffs "Rasse" aus dem Grundgesetz könne dann auch gleich das sogenannte generische Maskulinum ersetzt werden.

Psycholinguistische Tests zeigten immer wieder, dass an Frauen nur gedacht werde, wenn sie auch explizit erwähnt würden, erklärte Pusch, die als eine der Begründerinnen der feministischen Linguistik in Deutschland gilt. Somit sei das generische Maskulinum - anders als von konservativen Sprachforschern dargestellt - nicht geschlechtsneutral. Frauen hätten den Anspruch, "nicht nur mitgemeint zu sein, sondern auch tatsächlich erwähnt zu werden".

Die Forscherin sprach sich dafür aus, im Grundgesetz entweder sowohl die männliche als auch die weibliche Form oder wo möglich neutrale oder abstrakte Begriffe zu verwenden. Im Sprachgebrauch setzten sich neutrale Ausdrücke wie "Studierende" oder "Geflüchtete" zunehmend durch, sagte sie. Als Beispiele für abstrakte Formulierungen nannte die Wissenschaftlerin etwa "Kamera" und "Regie" im Abspann von Filmen statt "Kameramann" und "Regisseur".

Pusch begrüßte die angekündigte Änderung des Online-Dudens in gendersensibler Sprache. "Das ist ein wichtiger Schritt, um Frauen nicht mehr als nur vom Mann abgeleitet, sondern mit einem eigenen Eintrag darzustellen", betonte sie. Der Duden-Verlag hatte in der vergangenen Woche angekündigt, künftig für alle Personen- und Berufsbezeichnungen im Online-Wörterbuch je einen Wortartikel für die männliche und die weibliche Form aufzuführen, wie beispielsweise für "Ärztin" und "Arzt".

Insgesamt seien bei der geschlechtergerechten Sprache zuletzt wichtige Fortschritte erzielt worden, sagte die 77-jährige Expertin, die an den Universitäten in Hannover, Duisburg, Konstanz und Münster lehrte. Sie verwies etwa auf den Knacklaut, eine Sprechpause zwischen einer männlichen Personenbezeichnung und einer weiblichen Endung, der zunehmend auch im Radio zu hören sei: "Dieser 'glottal stop' verdeutlicht, dass alle Geschlechter gemeint sind: weiblich, männlich, nicht-binär."

Solche Änderungen seien für sprachkonservative Menschen zwar nicht immer bequem, räumte Pusch ein. "Aber wir müssen uns fragen, was der höhere Wert ist: Gerechtigkeit oder Gewohnheit und Bequemlichkeit?", sagte sie. "Unsere Sprache suggeriert oft nur den Mann. Wenn wir es anders wollen, wird es eben etwas unbequem. In den 70er Jahren haben sich bei dem Wort 'Kauffrau' noch alle totgelacht, und jetzt ist es völlig normal. Alles eine Frage der Gewohnheit."

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