Experte: Kirche auf dem Dorf muss nahe am Alltag der Menschen sein

Nachricht 19. Oktober 2020

epd-Gespräch: Martina Schwager

Hannover/Osnabrück (epd). Die evangelische Kirche will im Flächenland Niedersachsen stärker auf die alltäglichen Bedürfnisse der Menschen in den Dörfern eingehen. Kirchliche Initiativen sollten gemeinsam mit den Menschen Zukunftsperspektiven für das Leben auf dem Land entwickeln, sagte der Osnabrücker Diakon Jörg-Christian Lindemann am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er ist seit fast einem Jahr Koordinator des neuen Projekts "Kirche im ländlichen Raum" in der hannoverschen Landeskirche. "Die Kirche muss ihre Rolle in einer auch auf dem Lande zunehmend säkularer werdenden Gesellschaft neu definieren", unterstrich der 60-Jährige.

Zudem machten viele Dörfer einen Strukturwandel durch, böten kaum noch Erwerbsmöglichkeiten. Junge Menschen zögen weg, die alten blieben allein. Zentrale Themen auf dem Land seien die großen Entfernungen und das ausgedünnte Busnetz, berichtete der Diakon. Das habe er bei Besuchen im Emsland, im Oberharz und in der Lüneburger Heide erlebt. Ärzte, Beratungsstellen, Einkaufsmöglichkeiten seien vor allem für Senioren schwer zu erreichen.

Darauf müsse Kirche Antworten finden, betonte Lindemann, der in seiner Gemeinde in Osnabrück seit 2008 das Projekt "Jedes Kind braucht einen Engel" entwickelt hat. Es begann mit Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung für Kinder. Hinzu kamen Ferienbetreuung, ein sozialer Laden sowie für Senioren ein Kaffeetreff, ein Beratungsangebot und ein mobiler Einkaufswagen.

Kirchengemeinden könnten mit Kommunen und Vereinen zusammenarbeiten, um Zukunftsperspektiven für die Dörfer zu entwickeln, sagte Lindemann: "Leitfrage muss sein: Was brauchen die Alten und wie können wir junge Familien zum Bleiben oder zur Neuansiedlung animieren."

Denkbar seien etwa Tablet- oder Smartphone-Kurse für Senioren, Fahr- und Einkaufsdienste oder Kinderbetreuung für Randzeiten, schlug der Diakon vor. Auch die gemeinsame Nutzung von Gebäuden etwa als Gemeinde- und Dorfgemeinschaftshaus könnte sich für beide Seiten lohnen. Die Einrichtung von offenen Dorfbüros für Berufstätige, die einen sogenannten Co-working-Space dem Homeoffice vorziehen, könnte vor allem junge Familien anziehen.

Gutes Beispiel für ein bereits gelungenes Dorfprojekt sind aus Sicht des Experten die "Lutherengel" der Christophorusgemeinde in Schüttorf in der Grafschaft Bentheim. Seit etwa anderthalb Jahren bieten Haupt- und Ehrenamtliche der Gemeinde alten Menschen Unterstützung in Alltagsdingen an: Vom Wechseln der Glühbirne über bis zum Behördengang.

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https://lutherisch-in-schuettorf.wir-e.de/lutherengel