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Bild: Rainer Sturm  / pixelio.de

Rezension

Antonia Lüdtke, Confessional gap., Konfessionalität und Religionsunterricht denken, Kohlhammer, Stuttgart 2020,
ISBN 978-3-17-038877-2, 439 Seiten, 59,00 €

Für die einen mag es auf den ersten Blick fragwürdig, für andere allzu selbstverständlich erscheinen, im längst laufenden 21. Jahrhundert über die Bekenntnishaftigkeit des Religionsunterrichts nachzudenken. Mit ihrer Dissertation erhebt die Kieler Theologin Antonia Lüdtke den Anspruch, durch „das aufmerksame Wahrnehmen, Darstellen und Analysieren des Phänomens Konfessionalität unter seinen gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen und im Horizont unterschiedlicher Diskurse“ (25) dem Religionsunterricht in seinem Kern auf die Spur zu kommen.

Dazu rekonstruktiert Antonia Lüdtke den Zusammenhang von Religionsunterricht und Konfessionalität anhand des Leitmotivs vom „confessional gap“ – die Lücke zwischen einem (hier eng gemeinten) traditionellen und gegenwartsbezogenen weiten Verständnis von Konfessionalität. Damit kommen bisher nicht gesehene, wenig beachtete Leerstellen oder unentdeckte Areale im Verständnis von Konfessionalität zum Vorschein, die zunächst für die etymologische und juristische Passfähigkeit des Religionsunterrichts nötig sind. In seinem auf metaphorische Zuschreibungen ausgerichteten Aufbau wird anhand der Ausleuchtung des Bedeutungsspektrums von Konfessionalität mehrperspektivisch erarbeitet, wie weit der Umfang konfessioneller Bindung schulischer religiöser Bildung gedacht werden kann.

In den fünf Schritten ihrer Arbeit geht es erstens um ein erinnerndes „Minding“ des Phänomens Konfessionalität in sprachlicher und juristischer Perspektive; Konfessionalität wird als zugleich polarisierender Containerbegriff herausgestellt. Dabei kommen Ebenen zutage, die sich als Fäden für das Verständnis von Konfessionalität durch die Arbeit ziehen: Mitteilungscharakter, Gemeinschaftsbezug, Transparenz, Transzendenzbezug, Existenzbezug und Dialogbezug, schließlich das Self-Involvement. Im Anschluss daran erfolgt zweitens eine gegenwartsbezogene Kontextualisierung auf der Basis des soziologischen Ansatzes von Zygmunt Bauman zur flüssigen Moderne; so wird Konfessionalität verflüssigt und Konfessionssensibilität ins Spiel gebracht. Drittens kartografiert A. Lüdtke Diskurse auf der Basis unterschiedlicher griechischer Verben zur Hermeneutik von o.g. Bedeutungsebenen. Damit kommen sowohl konzeptionelle als auch organisatorische Dimensionen von Religionsunterricht in Betracht. Empirische Befunde der ReViKoR-Studie in Schleswig-Holstein kommen viertens in den Blick und bestätigen eine Patchwork-Konfessionalität. Schließlich macht A. Lüdtke fünftens auf der Basis des schleswig-holsteinischen mehrperspektivischen Religionsunterrichts den Vorstoß, den confessional gap als dialogische Konfessionalität zu überbrücken und dabei vier Momente einzugehen: lebensanaloge Kontexte, Perspektivität und Positionalität statt Äquidistanz – vor allem einen Dialogbegriff, der an struktureller Mehrperspektivität ansetzt und eine zeitlich flexible Epochenstruktur zur Verwirklichung vorschlägt. Probleme werden dabei nicht verschwiegen, aber eben auch der Nutzen einer dialogisch verstandenen Konfessionalität benannt und das mit ihr verbundene Prinzip der Relationalität, das Beziehungssetzungen sowohl der Lernenden als auch der Lehrenden ermöglicht.

Für manche ist es überraschend, dass Konfessionalität ein ganzes Panorama an Argumentationsmustern und Bedeutungsfacetten bereithält. Inwieweit diese stets zueinander kongruent sind, bleibt die Aufgabe derjenigen, die diesen weiten Konfessionalitätsbegriff nutzen. In jedem Fall trägt Antonia Lüdtke mit ihrer Arbeit dazu bei, die res mixta des Religionsunterrichts perspektivisch zu beleuchten, dabei nicht nur tief in sein konzeptionelles Herz zu schauen, sondern dieses auch zu weiten. Die Bestätigung und Weiterentwicklung des schleswig-holsteinischen Modells von Religionsunterricht ist damit vorangetrieben. Das Prinzip der Attribuierung und Kontextualisierung von Konfessionalität könnte man aber – wann, wenn nicht jetzt – durch die verschiedenen Diskurse der Bundesländer gut aufnehmen und weiterführen.

Wie liest sich die Studie, wenn man die niedersächsische Diskussion zum Vorstoß eines Gemeinsam verantworteten Christlichen Religionsunterrichts aufnimmt? Ein erster Impuls, Konfessionalität auch niedersächsisch breiter zu fassen, ist damit gegeben; weiteres gibt das Buch, wie der Untertitel bereits sagt, zu denken    .

Silke Leonhard