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Karin Finsterbusch (Hg.) Bibel nach Plan?, Biblische Theologie und schulischer Religionsunterricht, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-61033-6, 94 Seiten, 39,90 Euro

Zu dem Thema „Biblische Theologie und schulischer Religionsunterricht“ fand im November 2005 eine Tagung an der Universität Koblenz-Landau mit Vertreterinnen und Vertretern aus Bibelwissenschaft und Religionspädagogik statt. Die dort gehaltenen Vorträge sind fast vollständig in dem jetzt erschienenen Band veröffentlicht. Gehören interdisziplinäre Gespräche als ein unverzichtbares Element zur wissenschaftlichen Diskussion, so hat die Begegnung von Bibelwissenschaft und Religionspädagogik für die Konzeption und die Praxis des Religionsunterrichts besondere Bedeutung. Dies wird an den Beiträgen des vorliegenden Bandes in vielfältiger Weise deutlich.

Bemerkenswert ist, dass in mehreren Referaten bewusst „schwierige“ Texte bzw. Themen ausgewählt werden. So behandelt Karin Finsterbusch den Propheten Elia – die ihm zuteil gewordene Offenbarung („Gottes Stimme leisen Schweigens“) und den ihm erteilten Auftrag, mit dem sich das Problem religiös motivierter Gewalt stellt. Dies ist allerdings „kein Text, der ‚historische Tatsachen’ berichten, sondern der Geschichte deuten will“ (S. 26). Der Erzähler deutet im Nachhinein die Katastrophen, die das Nordreich Israel ereilten. Wichtig erscheint mir, dass Karin Finsterbusch hervorhebt: „Der Erzähler (…) will JHWH nicht als ‚gewalttätigen Gott“ festlegen, es geht ihm vielmehr darum, (…) bestimmte Ereignisse als Handeln Gottes zu deuten…“ (S. 27). Mit dieser Sicht ist die Möglichkeit eröffnet, dass Menschen Ereignisse (selbstkritisch) als gerechtes Gericht Gottes verstehen und so zur Umkehr bewegt werden (vgl. S. 28).

Eine andere Facette dieses Problems eröffnet Beate Ego mit ihrem Beitrag „Die Gewaltthematik im Esterbuch“. Sie setzt sich mit der christlichen und liberal-jüdischen Kritik auseinander, reflektiert neuere exegetische Versuche, die Erzählung inhaltlich zu „entlasten“, und daran anknüpfende Ansätze für den Religionsunterricht, die allerdings die Gewaltproblematik des Esterbuches durchweg verharmlosen. Auf Grund der neueren exegetischen Einsichten arbeitet Beate Ego die „Offenheit des biblischen Textes und sein Interpretationspotential“ nachdrücklich heraus und betont: „Die Gewalt, mit denen sich die Juden gegen ihre Feinde richten, wird freilich in der Erzählung in keiner Weise… religiös legitimiert, sondern erscheint als Ausdruck menschlichen, selbstbestimmten Handelns“ (S. 71). Wichtig ist es deshalb, die Estergeschichte zu anderen biblischen Überlieferungen in Beziehung zu setzen, die deutlich zur Überwindung von Gewalt ermutigen. Da der hier dargestellte Umgang mit biblischen Texten „hohe Anforderungen an die Rezipienten stellt“ (S. 71f), sind m. E. – für die Ester- wie für die Eliageschichte – im Blick auf den Religionsunterricht weitere differenzierte religionspädagogische Überlegungen und Ideen für die praktische Umsetzung zu entwickeln.
Ein Schwerpunkt des Bandes liegt in der Thematisierung metaphorischer Rede. Grundlegend ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Bernd Janowski über „Tod und Leben in der Bildsprache der Psalmen“ („Aus tiefer Not schrei ich zu dir!“). Im Unterschied zur informationsorientierten Alltags- und der begriffsorientierten Wissenschaftssprache liegt die metaphorische Sprache auf einer anderen Ebene. Sie gründet „in der Verwandlung von Gewohntem“ (S. 32) „Mit ihren Vergleichen und Metaphern leuchten die Psalmen den dunklen Raum des Todes aus und entwerfen immer neue Bilder der Hoffnung und des Lebens“ (S. 32). Dies wird an zentralen Texten mit eindrucksvollen Interpretationen vorgestellt. Im Blick auf die Erfahrung von Tod und Leben „nimmt die Bildsprache (…) Zusammenhänge in den Blick, die eine neue Sicht auf die Grundfragen des Lebens eröffnen“ (S. 50).

Interessant ist nun, dass Erkenntnisse zu den Psalmen für das Verständnis neutestamentlicher Wundergeschichten Bedeutung gewinnen. Dies führt Christina Hoegen-Rohls in ihrem Beitrag aus („Im Gespräch mit Gott“), die Einsichten Baldermanns aufnimmt und seinen exegetisch-didaktischen Ansatz weiterführt. Die Heilungsgeschichten versteht sie als eine literarische Gattung, die das poetische Sprechen der Psalmen in Erzählung umsetzt. In ihnen geht es um die dialogische Beziehung zwischen Jesus und den notleidenden Menschen. Daraus ergibt sich das Gespräch als Grundparadigma Biblischer Theologie und des schulischen Religionsunterrichts, der performative Methoden – Lautlesen, Texttheater, Sprechmotette – einbeziehen sollte, um durch eine „Didaktik der kreativen Textarbeit“ (S. 115) entdeckendes und selbstbestimmtes Lernen zu fördern.
Metaphorische Sprache ist auch für die Gleichnisse charakteristisch, die Peter Müller in seinem Beitrag behandelt („Da mussten die Leute erst nachdenken“). „Gleichnisse greifen die vorfindliche Realität auf und gehen zugleich über sie hinaus, indem sie Gott ins Spiel bringen“ (S. 80); damit regen sie einen Deutungsprozess an. Die exegetisch-hermeneutischen Erkenntnisse arbeitet Müller dann mit vielen Details in ihrer religionspädagogischen Bedeutung heraus und er zeigt auf, dass Gleichnisse auf unterschiedlichen Verstehensniveaus zugänglich sind.
Gegenüber der Tendenz, sich im Religionsunterricht auf den „historischen Jesus“ zu beschränken, beschäftigen sich zwei Beiträge explizit mit der Christologie – zunächst Hanna Roose in ihrem Aufsatz zum Johannesevangelium („Vielleicht ein Bote von Gott“). Da es nach einer empirischen Studie Büttners Kindern und Jugendlichen vor allem darum geht, wer Jesus für sie heute sein kann, fragt Hanna Roose danach, inwiefern die johanneische Christologie an die Verstehensweisen der Kinder anschlussfähig ist. Sie zeigt auf, dass viele Texte Interpretationsspielräume und damit vielfältige didaktische Chancen eröffnen.
Dem Projekt einer „Biblischen Theologie“ ist der Beitrag von Florian Wilk verpflichtet („Die paulinische Rede vom ‚Christus’ […]“). „Die Einheit der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments ist ja nicht nur aus bibelwissenschaftlicher Sicht bedeutsam, sondern zugleich bildungsrelevant“ (S. 135). Am Beispiel der paulinischen Rede von Jesus als dem „Christus“ soll daher im Religionsunterricht die grundlegende Orientierung über den Zusammenhang von Altem und Neuen Testament erschlossen werden.

An vielen Stellen zeigt sich, dass die Verfasser der alt- und neutestamentlichen Beiträge bereits die religionspädagogische Perspektive im Blick haben und oft sehr deutlich die exegetisch-hermeneutischen Erkenntnisse mit religionspädagogischen Überlegungen verbinden. Die Intention, das Gespräch zwischen Biblischer Theologie und Religionspädagogik zu fördern, kommt damit in überzeugender Weise zur Geltung. Wichtig wäre es allerdings, auch die Systematische Theologie an diesem Gespräch zu beteiligen, zumal systematisch-theologische Aspekte in einigen Aufsätzen angesprochen werden (z.B. S. 123, 133).
Die speziell religionspädagogischen Beiträge im dritten Teil des Sammelbandes wenden sich verschiedenen Aspekten der aktuellen Diskussion zu. Michael Landgraf („Biblische Inhalte im Religionsunterricht“) entwickelt nach einem Überblick über die gegenwärtige Situation Thesen zu einer klareren Orientierung an biblischen Inhalten und stellt in diesem Zusammenhang ein bibeldidaktisches Interdependenzmodell vor. „Ein solcher Ansatz geht von der Wirkmacht biblischer Texte aus: Wo die Bibel genügend Raum bekommt, wird sie selbst Gesprächspartnerin, also Subjekt“ (S. 170).

Martina Steinkühler („Zu einer Fremdsprachendidaktik der Ganzschrift Bibel“) hebt angesichts der gegenwärtigen Lebenswelt hervor, „dass es im schulischen RU heute zunehmend zu einem Erstkontakt mit der Bibel und mit Gott kommt“ (S. 176). Ziel ist – vergleichbar mit dem Fremdsprachenunterricht – die Aneignung der religiösen Sprache der Bibel. „Jede einzelne Geschichte (…) sollte von dem Subjekt ‚Gott’ / ‚Gottes Sohn’ ausgehen und zu ihm zurückführen“ (S. 182).
Hartmut Rupp („Die Bibel im kompetenzorientierten Religionsunterricht“) geht auf die aktuelle Diskussion um Bildungsstandards und Kompetenzen ein. In diesem Zusammenhang lautet die grundlegende Frage: Wie können biblische Texte so erschlossen werden, „dass zentrale Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erworben werden können?“ (S. 185). Rupp plädiert für den Aufbau einer eigenständigen und sachgemäßen Auslegungskompetenz. Er schlägt dazu eine Reihe von Auslegungsmethoden vor, die Schülerinnen und Schüler kennen und selbständig anwenden können, ein Konzept, das sicher die weitere Diskussion anregen wird.

Insgesamt wird in den Beiträgen durch die Interpretation biblischer Schriften oder einzelner zentraler Texte eine Vielzahl wichtiger Einsichten erschlossen. Ihre Verbindung mit religionspädagogischen Überlegungen der gegenwärtigen Diskussion eröffnet neue Perspektiven und gibt viele anregende Impulse für den Religionsunterricht.

Gerald Kruhöffer