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Elisabeth Kampmann und Gregor Schwering: Teaching Media. Medientheorie für die Schulpraxis, transcript Verlag: Bielefeld 2017, ISBN 978-3-8376-3053-4, 304 Seiten, 24,99 EUR

„Die Ausbreitung der Schriften und Bücher, die durch die Erfindung der Druckerey in unsern Tagen ins Unendliche vermehrt worden ist, hat den Menschen ganz umgeschaffen. […] Wir lehren und unterrichten einander nur in Schriften; lernen die Natur und Menschen kennen, nur aus Schriften […]. Das graue Alter hat seine Ehrwürdigkeit verloren; denn der unbärtige Jüngling weiß mehr aus Büchern, als jenes aus Erfahrung. […] Mit einem Worte, wir sind litterati, Buchstabenmenschen. Vom Buchstaben hängt unser ganzes Wesen ab […].“ So beschreibt der Philosoph Moses Mendelssohn 1783 die Gefahren des Lesens, in denen er Züge des Verfalls von Kultur und Tradition zu erkennen meint. Rousseau sieht im Lesen gar ein Folterwerkzeug und Kant beklagt, dass das Lesen die Zerstreuung habituell mache. Wer hier aufhorcht und Parallelen zu ähnlich lautenden Warnungen im Blick auf den Fernseher, den Computer oder das Internet erkennt, liegt richtig. Elisabeth Kampmann, Lehrerin an der Goethe-Schule in Bochum, und der Medienwissenschaftler Gregor Schwering geben in ihrem Buch „Teaching Media. Medientheorie für die Schulpraxis“ eine Übersicht über die Geschichte der Medien und der jeweils dazu gehörenden Diskurse. Die verblüffende Erkenntnis für den Rezensenten: Jedem neuen Kommunikationsmedium ist es ähnlich ergangen. Ganz gleich, ob Roman, Radio, Film, Telefon oder Computer – sobald ein neues Medium den Weg in die Gesellschaft gefunden hatte, löste es geradezu reflexhaft eine Diskussion um Kulturverfall, Sittenwidrigkeit und Realitätsverlust unter den Gelehrten aus.

Doch das Buch will noch mehr, als historische Diskurse nachzuzeichnen. Es ist ein Buch für die Schule, für Lehrer*innen, aber auch für Schüler*innen der Oberstufe, das „einen medienwissenschaftlich ausgerichteten Blick auf unsere Lebenswelt und damit auch auf die Fragen der Erziehung und des Unterrichtens ermöglichen“ will. Darüber hinaus soll es einen Beitrag dazu leisten, dass Schüler*innen zunächst ganz wertungsfrei die Organisation von Welt und Wissen durch Medien beobachten und sich einen eigenen Standpunkt dazu erarbeiten. Beiden Ansprüchen wird das Buch gerecht. Neben der bereits erwähnten Darstellung zur Geschichte der Medien und Mediendiskurse geht der Band in seiner ersten Hälfte der Frage nach, was genau gemeint ist, wenn von Medienkompetenz und Medienbildung an der Schule die Rede ist und unter welchen Prämissen es sinnvoll ist, eine Mediengeschichte zu verfassen. Hier entscheidet sich das Autorenteam für die Form der Mediendiskursanalyse, die dann im Folgenden konsequent umgesetzt wird und die es ermöglicht, „Homologien zwischen den Debatten“ aufzuzeigen.

Die zweite Hälfte des Buches bietet Praxismaterial für die Arbeit mit Lerngruppen des Sekundarbereichs II. Dabei gibt es noch einmal zwei Perspektiven. Die erste Perspektive widmet sich ausgewählten Vertretern allgemeiner Medientheorien wie Marshall McLuhan, Horkheimer / Adorno, Enzensberger und Kittler. Die Darstellung der jeweiligen Medientheorie folgt einem sich wiederholenden Raster: Zunächst wird das Werk historisch eingeordnet und in seiner Bedeutung für die allgemeine Medientheorie gewürdigt. Dann werden jeweils zentrale Thesen des medientheoretischen Ansatzes formuliert und mit Quellentexten belegt. Drittens wird ein Aufgabenblock für Lerngruppen zur Verfügung gestellt. Die Aufgabenstellungen sind kreativ, leiten zur inhaltlichen Durchdringung der präsentierten Thesen an und bieten vielfältige methodische Ideen, wie Lerngruppen miteinander in einen Diskurs treten können, um dann als Einzelne eigene Positionen zu entwickeln. Außerdem motivieren die Aufgabenstellungen die Schüler*innen, selbst zu recherchieren (im Internet, Ausstellungen und Büchern) und historische Brücken zu schlagen z.B. zur nationalsozialistischen Propaganda. Die zweite Perspektive widmet sich dann der Theorie einzelner Medien. Auch hier sind die Kapitel nach oben beschriebenem Raster strukturiert und bieten vielfältige und kreative Aufgabenstellungen zur inhaltlichen Aneignung und je eigenen Positionierung. Thesen und Textauszüge bekannter Autoren (es sind tatsächlich nur Männer!) wie Platon (zum Medium Schrift), Johann Gottfried Herder (Sprache) und Bertolt Brecht (Radio) gehören dabei ebenso zum inhaltlichen Tableau wie medientheoretische Äußerungen von Autoren, die weniger bekannt sind. Das letzte Kapitel des Buches geht der Frage nach, wie sich die Medienwissenschaft in Zukunft weiterentwickeln wird, welche Anforderungen durch die Genderdebatte und die Kulturwissenschaft auf sie zukommen. „Teaching media“ ist ein sehr gelungener, informativer und für die Schulpraxis tauglicher Band, der allerdings ein hohes Maß an Abstraktionsfähigkeit auf Lehrer*innen- wie Schüler*innenseite voraussetzt. Er eignet sich zum Selbststudium, in seinem Praxisteil auch zum Einsatz in diskussionsfreudigen Lerngruppen. Leider sind die für die Schüler*innenhand gedachten Textabschnitte nicht so gesetzt, dass sie zu motivierenden Arbeitsblättern kopiert werden könnten. Besser als zu kopieren wäre es allerdings ohnehin, das Buch anzuschaffen. Es ist auch als E-Book erhältlich.

Oliver Friedrich

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2019

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