Der Kirchentag kommt in seine Heimatstadt. Zum fünften Mal nach 1949, 1967, 1983 und 2005. Es klingt wie eine Selbstverständlichkeit. 1949 gründete der Jurist und Politiker Reinold von Thadden-Trieglaff in Hannover die evangelische Laienbewegung; das erste Treffen in der Niedersachsenhalle – nur wenige Wochen nach der Verabschiedung des Grundgesetzes – ging als erster Deutscher Evangelischer Kirchentag in die Geschichte ein.
Selbstverständlich war das nicht. Unter dem Motto „Kirche in Bewegung“ war der Kirchentag eine Reaktion auf die Zeit des Nationalsozialismus. Sein Gründer und erster Präsident war Mitglied der Bekennenden Kirche; der Kirchentag sollte ein Gegenüber zur verfassten Kirche sein, die vor allem unbeschadet durch die NS-Zeit kommen wollte und die es an Widerstand fehlen ließ. Bis heute beginnt jeder Kirchentag mit einer Gedenkveranstaltung.
„Kirche in Bewegung“ könnte auch 2025 als Motto taugen. Doch während viele die Kirche(n) vor allem in einer Abwärtsbewegung sehen, stellt sich der Kirchentag „mutig – stark – beherzt“ allen Unkenrufen entgegen. In einer Zeit, in der rechtspopulistische Parteien deutlich zweistellige Wahlergebnisse erzielen, muss der Kirchentag die Chance nutzen, Menschen zusammenzubringen. Und das kann er. Hier brüllen sich Diskutierende nicht gegenseitig nieder, sondern lassen sich ausreden und hören einander zu.
Auf die Frage, wie politisch der Kirchentag noch sei, hat Kristin Jahn, Generalsekretärin des 39. Deutschen Evangelischen Kirchentages, in einer Predigt in der Marktkirche in Hannover geantwortet: „Sehr politisch, nicht parteipolitisch, aber politisch, weil er beim Jammern und Schimpfen nicht mitmacht, sondern nach dem Möglichen fragt und im besten Falle Leute vernetzt, die dann aufbrechen und das Beste wagen.“
Welche Impulse werden von Hannover 2025 ausgehen? Das wird man erst hinterher sagen können und es ist auch nur bedingt planbar. 1967 und 1983 waren Kirchentage der Friedensbewegung. Der Kirchentag 1983 in Hannover wird für immer mit den lila Tüchern gegen Massenvernichtungswaffen verbunden bleiben. Dabei waren die Tücher keineswegs die offiziellen Kirchentagsschals, wie sie seit Jahren zum Auftakt am Abend der Begegnung verteilt werden. In dieser Phase des Kalten Krieges und der Aufrüstung nutzten tausende Menschen das Treffen in Hannover für Friedensdemos und wurden so Teil der Kirchentagslegende.
Wer 2005 unter dem Motto „Wenn dein Kind dich morgen fragt …“ dabei war, wird sich an die besondere Stimmung erinnern. Das Lichtermeer vor den großen Bühnen, auf denen der Segen zur Nacht gesprochen wird, wurde in Hannover erfunden und prägt seither die Bildsprache der Großveranstaltung, die alle zwei Jahre in einer anderen Stadt zu Gast ist. Sind Kerzen unpolitisch? Wer die Bilder von den friedlichen Protesten in der DDR kurz vor dem Mauerfall vor Augen hat, weiß, dass dem nicht so ist.
Auch 2025 werden in Hannover Kerzen für den Frieden angezündet werden müssen. Für Frieden in den Kriegsgebieten. Aber auch für den gesellschaftlichen Frieden in unserem Land. Der Kirchentag ist in Hannover und in Niedersachsen willkommen und er will seinerseits die Menschen aus Nah und Fern in der Stadt willkommen heißen. Während dieser Text entsteht, sind die meisten Projekte noch in der Planung. Einige Pflöcke sind aber bereits eingeschlagen. Die Landeskirche Hannovers stellt zwei Themen in den Mittelpunkt, die mit „Überlebensfragen junger Menschen“ und „Leben in religiöser und kultureller Vielfalt“ überschrieben sind.
Wer am Hauptbahnhof ankommt, kann auf dem Vorplatz in einem Vesperkirchenzelt Station machen und etwas zu essen bekommen. Das Zelt steht bewusst an dieser zentralen Stelle und nicht nur Kirchentagsgästen offen. Menschen ohne Obdach und mit geringem Einkommen sollen sich eingeladen und nicht ausgegrenzt fühlen. Einen lohnenswerten Perspektivwechsel bieten die sozialraumorientierten Stadtführungen mit Verkäufern und Verkäuferinnen des Straßenmagazins Asphalt, die auch während des Kirchentages angeboten werden. Die Diakonie präsentiert sich beim Abend der Begegnung, auf dem Markt der Möglichkeiten und mit weiteren Veranstaltungen.
Da der Kirchentag auf den 1. Mai fällt, sind die Organisator*innen im intensiven Austausch mit den Gewerkschaften. Der Besuch einer DGB-Kundgebung und eines ökumenischen Gottesdienstes zum Tag der Arbeit werden sich gut miteinander verbinden lassen. Darüber hinaus wird es Gottesdienste geben, die bestimmte Berufsgruppen im Blick haben: den Blaulichtbereich, das Handwerk sowie Soldat*innen der Bundeswehr.
Aus logistischen Gründen kann der Kirchentag nicht in jede Nebenstraße ausstrahlen. Vieles wird sich in der Innenstadt und auf dem Messegelände konzentrieren. Schon jetzt freue ich mich aber auf das große Auftakt-Straßenfest, den Abend der Begegnung. Besonders hier wird die Begegnung mit Land und Leuten großgeschrieben. Von den erwarteten 150.000 Menschen werden voraussichtlich nur etwa die Hälfte Kirchentagsgäste mit Dauerkarte sein – die anderen sind bestenfalls Neugierige, die für sie passende Angebote finden.
Vor 20 Jahren waren die Hoteliers und Gastronom*innen skeptisch: Wahrscheinlich kommen da nur junge Menschen mit schmalem Geldbeutel, die unsere Toiletten benutzen wollen. Nach dem Großereignis waren sie eines Besseren belehrt und das Fazit klang so: Könnt ihr das nicht jedes Jahr machen? Neben Jugendlichen kommen eben durchaus auch viele Ü50-Jährige wie ich, die der Luftmatratze im Gemeinschaftsquartier entwachsen sind und abends gern ausgehen.
Trotz aller ernsten Themen darf und wird der Kirchentag ein buntes Fest werden: mit Großkonzerten, geistlichen Experimentierfeldern und Wellness für Leib und Seele. Nicht nur der Tag der Arbeit wird begangen, auch einen Tanz in den Mai am Ballhof wird es geben. Auf dem Platz der Menschenrechte und dem Opernplatz feiern, beten und singen zehntausende Menschen bei den zentralen Eröffnungs- und Schlussgottesdiensten.
Wenn wir dann alle Kraft geschöpft haben, um den Geist des Kirchentages mutig, stark und beherzt in unseren Alltag mitzunehmen, ist viel erreicht.