Sehnsucht nach dem Aufreißen des Himmels - Bausteine für einen schulischen Adventsgottesdienst

Von Silke Leonhard

1. Advent in der Schule

Advent ist eine Zeit, in der schulisch viel Trubel herrscht und die Ingebrauchnahme von Symbolen und Ritualen in der Schule gewaltig steigt. Die (Über-)Fülle, die auch je nach Schuljahrstaktung durch eine Anhäufung von Klassenarbeiten und andere Termine gesteigert wird, steht dem Advent als Zeit der sehnsuchtsvollen Erwartung eher entgegen.

Der gottesdienstliche Entwurf, der in Teilen durchgeführt wurde, baut auf der Erfahrung: Mit dem Übergang von Herbst zu Winter, vom bußebezogenen Kirchenjahresende zum Neubeginn der Christuserwartung, von der Dunkelheit zum erhofften Licht verändern sich Haltungen und Verhältnisse zum Leben. Die Wahrnehmung von Advent als eine Zeit des Übergangs, in welcher der Schmerz der Dunkelheit und die Sehnsucht nach Licht zusammenkommen, kann durch gottesdienstliche Feiern im Sinne der Unterbrechung (J. B. Metz) sensibilisiert und gestärkt werden. Mit ihnen – sei es in wöchentlichen Andachten, einmaligem (Vor-)Weihnachtsgottesdienst oder in anderen gottesdienstlichen Elementen, kann in der Schule die Schwelle von Schmerz und Sehnsucht, von der Klage über Leid, Tod, Entbehrung und Unheil zur Hoffnung auf Heil und erfüllendem Leben religiös begangen werden. [1]

Die hier vorgestellten Impulse, die zueinander in Beziehung stehen, drehen sich um einen adventlichen Bezugspunkt: Der Himmel ist der symbolische Ort der Verheißung von Heil, das sich buchstäblich mit dem Aufreißen des Himmels auftut und dadurch als sehnsuchtsvolle Verheißung vorstellbar oder gar spürbar wird. Dies wird – so auch im Bild von Beate Heinen – der Gestalt der Maria zuteil. Die Elemente eignen sich auch für ökumenische Andachten und Gottesdienste.

 

2. Ein Adventsgottesdienst

 

  • Eingangsmusik

 

  • Begrüßung

  • Lied EG 11 „O komm, o komm, du Morgenstern“

           oder

  • EG 17 „Wir sagen euch an den lieben Advent“

  • Eingangsgebet

  • Lesung aus Jes 45

  • Lied EG 7,1-3 „O Heiland, reiß die Himmel auf

  • „Wann reißt der Himmel auf?“ Hören des Liedes

         oder

  • Einspielen des Musikvideos

  • Lied EG 7,4-5 „O Heiland, reiß die Himmel auf“

  • Bildmeditation: Beate Heinen, „O Heiland, reiß die Himmel auf“

  • Lied: EG 18, 1+2: „Seht, die gute Zeit ist nah“

  • Gebet

  • Vaterunser

  • Segen

  • Nachspiel

  

3. Zu einzelnen Elementen

Schulandachten und Schulgottesdienste wollen gut vorbereitet sein; dafür eignet sich der Religionsunterricht ebenso wie Treffen freiwillig Beteiligter – Schülerinnen und Schüler ebenso wie Lehrkräfte, pädagogische Mitarbeitende oder auch Eltern u.a. – abseits des Unterrichts. In jedem Fall geht es darum, den Anlass im Kirchenjahr oder als Kasualie und in ihm die Thematik, Dramaturgie, Formen und Materialien zu erschließen. Die folgenden Elemente können mit Schülerinnen und Schülern vorbereitet werden.

Eingangsgebet

Gott, wir leben im Advent zwischen Warten und eiligem Losrennen. Du kommst uns entgegen. Wir sind froh, dass du uns auf unserem Weg begleitest – im Dunklen wie im Hellen. Sei ein Licht für uns und zwischen uns.

Stärke unsere Aufmerksamkeit aufeinander, auf die Welt und dein Erscheinen bei uns. Gib uns ein waches und offenes Herz, Menschen um uns herum aus dem Schatten ans Licht zu holen.

Lass nicht zu, dass deine Gerechtigkeit keinen Raum bei uns findet.

Öffne unsere Augen und unser Herz, damit wir achtsam werden und nicht nur uns selbst und unser Tun, sondern die Vergessenen, Verdunkelten und Verfolgten im Blick behalten.

O Heiland, reiß die Himmel auf – Der Choral

Die Textdichtung von 1622, die Friedrich Spee zugeschrieben wird [2], lässt sich als die personifizierte Sehnsucht nach derjenigen Instanz begreifen, die Leben in Fülle und Erlösung bringt. So versteht sich auch die Zuschreibung des kommenden Christus als Heiland. In der Entstehung des Liedes spiegelt sich die Erfahrung der Nöte des Dreißigjährigen Krieges. Auch die Biografie Friedrich Spees, der als Kritiker der Hexenprozesse verfolgt wurde, macht die Struktur des Liedes nachvollziehbar. Es empfiehlt sich, die fünfte Strophe als Kulminationspunkt zu wählen, da in ihr die Sehnsucht nach Erlösung in der Lichtsymbolik lesbar und singbar wird.

„Wann reißt der Himmel auf?“ – Song der Gruppe Silbermond

Der sperrig anmutende Liedtext des Adventschorals kann durch die Wahrnehmung und Deutung eines Songs bzw. Musikvideos vorbereitet oder aktualisiert werden.

Der aus dem Jahr 2012 stammende Song der Deutschrockgruppe Silbermond ist ein Klagegesang, der in den Strophen vom Leid zweier Menschen erzählt. Der Refrain mit der Frage hat einen klagenden Ton und spitzt sie im Nachklang zu unter den Gesichtspunkten „für mich“ (pro me!) und „sag mir wann?“ (Zeitpunkt).

Es liegt nahe, die Situationen der in den Strophen beschriebenen Menschen zu rekonstruieren. Neue Strophen, die nahe an den lebensweltlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler sind, können ausgehend von der Refrainfrage erfunden und eingebracht werden.

„Wann reißt der Himmel auf?“ – Das Video: Glücksmomente

Der Videoclip der Gruppe Silbermond thematisiert das Glücksempfinden: Während im Hintergrund wiederkehrende Melodiefolgen aus „Wann reißt der Himmel auf?“ laufen, antworten Menschen im Interview auf die Frage, was für sie Glück sei und spiegeln Glücksmomente in ihrem Ausdruck in die Kamera hinein [3]. Hier wird die Himmelsöffnung als Glück verstanden, das individuell und gemeinschaftlich zuteil wird. Das Video lädt dazu ein, eigene Antworten auf die Frage zu formulieren, wann der Himmel aufreißt, und damit die jeweilige adventliche Sehnsucht auszudrücken.

Bildmeditation zu Beate Heinen: „O Heiland, reiß die Himmel auf." [4]

Es gibt Momente im Leben, in denen spürt man in genau der gleichen Sekunde zwei ganz konträre Dinge gleichzeitig: Da ist etwas Stetiges, und mittendrin, oft ganz plötzlich, scheint etwas ganz Anderes auf. Mitten in der Langeweile weckt etwas blitzartig meine Neugier; an einem Tag der Trägheit bin ich für einen Moment in höchster Bewegung; wenn es mir nicht gut geht und ich doch für einen Moment ein Glücksgefühl spüre, die grundsätzliche Unzufriedenheit mit so vielem und mittendrin doch eine Welle tiefer Dankbarkeit. In allem Dunklen funkelt etwas Lichtes auf, das mich in seinen Bann zieht. So kommt es mir vor, wenn ich auf das Bild von Beate Heinen schaue. Der dunkle Hintergrund wird blitzartig durchzogen von einem Spot, der den Kontrast von Licht und Dunkelheit schärfer macht.

Meine Augen haften jetzt zunächst am Hintergrund. Gleichförmig schnell bewegen sich Menschen schräg von links nach rechts, gemeinsam, in eine Richtung. Als geschäftige Masse schieben sie sich gleichmäßig vorwärts, ausdruckslos und gehetzt, schemenhaft unauffällig in der farbigen, aber dunklen Menge. Die Vielen gehen ihren Weg: Versetzen wir uns für einen Moment in eine Gestalt aus der Masse. Vorwärts gehen. Im Dunkeln tappen. Das eigene Ding machen, die Arbeit tun, so gut es geht. Im Trott des Alltags, unbeirrt, unbehelligt, nach vorn gerichtet – von einem Termin zum anderen, gedrängt oder gezogen, weiter, das Nächste erledigen, gegebenenfalls vorbei am anderen zur nächsten Aufgabe, Tagung, im Leben den Weg zielstrebig nach vorn in eine Richtung, zum nächsten Ereignis, zum Erfolg, auf Weihnachten hin. Die Menge erinnert aber zugleich an Menschen, die unterwegs sind ohne Halt, die ihren Platz und Ort nicht oder noch nicht gefunden haben, ohne Raum in der Herberge: auf der Flucht, orientierungslos, obdachlos, arbeitslos – aber würdelos?

Es liegt eine Traurigkeit in dieser kollektiven Bewegung. Sie könnte eigentlich verbinden, und doch schaut es so aus, als bliebe jeder allein, routiniert, ohne ein Aufmerken. Nicht beleuchtet werden, nicht gesehen werden im Gefüge des Ganzen. Wie sehnt man sich danach, einmal rauszufallen, einmal rauszufallen aus diesem gesamten Gefüge, dem andauernden Trott, einmal aufzufallen.

Und da ist an einem Punkt mitten hindurch ein Blitzlicht. Von unten und von oben reißt die Gleichförmigkeit auf, lässt mittendrin eine so ganz andere Szene zu Tage treten, um aufzumerken – eine Unterbrechung der Bewegung, eine Aufmerksamkeit inmitten des Gewohnten. Die goldene Blitzlinie zieht sich einmal ganz durch das Treiben, einschneidend, aber nicht das Leben zerschneidend. Ein himmlischer Spot auf der dunklen Erde, ein Blitz, der für eine Sekunde eine ganz andere Seite des Lebens aufdeckt. Das Licht ent-deckt diesen Augenblick, der vorher verdeckt war: Da ist eine junge Frau, eigentlich in der gleichen Richtung gewandt wie all die anderen, aber doch sticht sie heraus. Eine Maria – beleuchtet, ein schlafendes Kind auf dem Arm, voller Innigkeit und Wachheit, es wird von ihr beschützt. Sie und das Kind bilden eine Einheit, sie schützt das werdende Etwas auf dem Arm.

Ein Riss geht durch eine Menschenmenge. Ein Lichtstrahl blitzt auf in der Dunkelheit. Das Bild lebt durch diesen starken Kontrast. O Heiland, reiß die Himmel auf – so betitelt die Künstlerin Beate Heinen ihr Bild, nach der Bitte in Jes 45,8: „Träufelt, ihr Himmel, von oben, und ihr Wolken, regnet Gerechtigkeit! Die Erde tue sich auf und bringe Heil, und Gerechtigkeit wachse mit auf!“

Heiland ist ein altertümliches Wort. In dem Ruf steckt „Heil“ drin. In den Situationen des Trotts wie des ziellosen Wanderns gilt die Verheißung: Da ist etwas, das aufscheinen möge, das aufreißen und doch heilen möge – ein heilsamer Riss durch die Welt, in dem man Gottes Zuwendung in verdunkelter Lebensroutine merkt. Eine Unterbrechung wie diese kann als ein Gedankenblitz öffnen für Erfahrungen anderen Lebens. Zwei Perspektiven werden sichtbar.

Der Blitz zeigt: Einerseits hat es Maria getroffen, sie ist als junge Frau unerwartet auserkoren, den Heiland zur Welt zu bringen. Das ist für sie eine äußerst schwierige Lebenssituation. Sie braucht nicht nur das Rampenlicht, sie braucht auch den Schutz, der sich in diesem Rampenlicht zeigt. Maria ist keine Generalheilige, sondern eine besondere Frau, deren Lebensweg von Gott durchkreuzt wurde. Sie hatte sich die Schwangerschaft nicht vorgenommen, aber nun bekommt ihr Leben eine Wendung. Und für dieses besondere Leben, das unaufgeforderte Neue, das aufgetaucht ist, eine neue Aufgabe, eine Belastung, braucht sie wie wir alle Gott und Mit-Menschen, die hinsehen und beistehen.

Und ein zweiter Gedanke: Maria ist keine höhere Tochter, auserwählt aus dem Elitekreis. Sie weiß um die hohe Macht der Anderen um sie herum. Das Bild ist ein blitzartiges Versprechen, eine Zusage an die, denen im Alltag Gleichgültigkeit entgegenkommt, die nicht gesehen sind, die auf Gerechtigkeit hoffen: Das Flashlight der Gerechtigkeit ergeht den sonst Unbeleuchteten, Vergessenen.

Nur am Rande des Lichts ist erkennbar, dass dies bereits geschieht: Jemand wendet sich der Maria bereits zu, legt den Arm um sie, zugehörig, zugewandt. Sie wird umfasst von dieser männlichen Gestalt, die im Halbschatten steht. Halb als Zugewandter wird er sichtbar – er, der sich umgedreht hat und gegen den Strom die kleine, ihm heilige Familie beschützt; seine rechte Hand ragt etwas aus der dunklen Menge heraus. Eine Figur, schillernd zwischen Josef und dem Christus selbst, in der Haltung von rückendeckender Stärkung und Schutz. Einer, der sich umdreht, der stehen bleibt. Er ermutigt nicht zum blinden Mit- oder Vorbeilaufen, sondern hält uns dazu an, sich dem Besonderen, Schutzbedürftigen zu widmen, damit wir uns mit diesem anderen, hellen Blick dem Leben und besonders denen, die im Schatten gehen, zuwenden.

Maria mit ihren feinen, klaren Konturen: so zart und doch bestimmend, prägnant. Sie ist diejenige, die uns anschaut. Ihr Blick hat etwas Zusprechendes und Aufforderndes. Die Verheißung des Heils aus dem Himmel und aus der Erde gilt überall, hier wird sie erfahrbar, mitten in der Unterbrechung des Lebens. Sie ermutigt an jedem Ort und auch hier uns dazu, den Augenblick, den richtigen Moment wahrzunehmen, um Menschen, Orte und Situationen zu ent-decken, deren Licht zumeist unter einem Scheffel steht, um den Übersehenen ins Licht zu rücken. Gott schenke uns die Kraft und den Mut, das Miteinanderleben zu schützen. Dann wird er aufreißen, der Himmel.

Lieder

Weitere Lieder können die Dramaturgie des Gottesdienstes verstärken – durch die atmosphärische, klangliche Färbung ebenso wie durch ihre Texte. Zum Himmelsmotiv passen auch Christmas Carols wie „Heaven is a wonderful place“ oder anderssprachige Adventslieder, in denen das Himmelsmotiv aufgenommen ist.


Anmerkungen 

  1. Zu Schulgottesdiensten und schulischen Feiern, auch zu weiteren Beispielen, vgl. Jochen Arnold / Friedhelm Kraft / Silke Leonhard / Peter Noß-Kolbe (Hg): Gottesdienste und religiöse Feiern in der Schule. gemeinsam gottesdienst gestalten Bd. 27. Hannover 2015.

  2. Evangelisches Gesangbuch Nr. 7, Strophen 1 bis 7 (EG 7, 1-7); Zugang zum Text auch über www.liederdatenbank.de/song/1441). Liederkundliches für Interessierte findet sich bei Johanna Schell: EG 7. O Heiland, reiß die Himmel auf. In: Gerhard Hahn / Jürgen Henkys (Hg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Im Auftrag der EKD. Bd. 2. Göttingen 2001, 3-6.

  3. www.youtube.com/watch?v=cUYRa3LeqlY (abgerufen am 28.10.2016)

  4. O Heiland, reiß die Himmel auf, Beate Heinen, 1993; © ars liturgica Klosterverlag MARIA LAACH, Nr. 5499; www.klosterver lag-maria-laach.de