Der Koran für Kinder und Erwachsene - Eine Rezension aus christlicher Sicht

von Melanie Beiner

 

Lamya Kaddor und Rabeya Müller (Hrsg.) Der Koran für Kinder und Erwachsene, übersetzt und erläutert von Lamya Kaddor und Rabeya Müller, mit Ornamenten von Karl Schlamminger, C.H. Beck-Verlag, München 2008, ISBN 978-3-406-57222-7, 235 Seiten, 19,90 Euro
 

„Viele muslimische und nichtmuslimische Leser, die den Koran verstehen wollen, stehen ratlos vor diesem Buch. Was enthalten die einzelnen Suren? Wo findet man Verse zu bestimmten Personen oder Themen? Gerade jüngere Leser sind oft kaum in der Lage, die bekannten Koraninterpretationen und Übersetzungen in deutscher Sprache zu verstehen.“ (S. 225)

Mit diesen Worten beschreiben Lamya Kaddor und Rabeya Müller die Situation, die sie dazu veranlasst hat, einen „Koran für Kinder und Erwachsene“ herauszugeben. Dieses Buch, das mittlerweile in der 2. Auflage erschienen ist, ist also explizit von einem pädagogisch-didaktischen Interesse geleitet: Es soll die Inhalte und Themen des Koran verstehbar machen. Dazu haben die Herausgeberinnen eine keineswegs selbstverständliche Methode gewählt: Die Suren des Koran werden nicht, wie in den gängigen Koranausgaben, ihrer Länge nach angeordnet.

Stattdessen werden Verse aus den Suren des Korans an Themenkomplexen orientiert zusammengestellt. Daraus sind zwölf (kalligraphisch außerordentlich schöne) Kapitel entstanden, die auf der linken Buchseite den arabischen Text, auf der rechten Seite die deutsche Übersetzung wiedergeben. Die ersten vier Kapitel widmen sich den Aussagen über Gott (1), die Schöpfung (2), die Mitmenschen (3) und die Propheten und Gesandte (4). Die Kapitel 5 bis 9 tragen die im Koran enthaltenen Erzählungen und Aussagen über die im Islam als Propheten und Gesandte verstandenen Gestalten zusammen. Darunter sind Muhammad, Ibrahim (Abraham), Ysuf (Joseph), Musa (Mose) und Isa (Jesus).  Kapitel 10 widmet sich vorbildlichen Frauen, Kapitel 11 enthält  unter der Überschrift „Wie wir Gott dienen“ Aussagen zu Formen religiöser Praxis (Gebet, Fasten, Pilgerfahrt) und Kapitel 12 behandelt den Themenkomplex „Paradies und Hölle“. Alle Verse werden mit Sure und Verszahl angegeben, so dass es leicht möglich ist, sie an ihrem originalen Ort wieder zu finden. Jedes Kapitel schließt mit einer kurzen Erläuterung der Autorinnen, die das jeweilige Thema und ihre Bedeutung im Islam zusammenfasst. Darin werden auch immer wieder Bezüge zum Judentum und Christentum hergestellt.

Schließlich sind in die Kommentarabschnitte Bilder aus der Miniaturmalerei eingefügt, die einen Einblick in die darstellende Kunst der islamischen Tradition geben.

Der Textauswahl und den Kommentaren ist anzumerken, dass es Kaddor und Müller um eine sachliche und fundierte, gleichzeitig aber unaufgeregte Darstellung der Inhalte des Korans geht. Mancher mag die so bekannten und gleichzeitig zur Polemik reizenden Themen wie das Kopftuchgebot oder den heiligen Krieg vermissen; gleichwohl ist es legitim und für eine Einführung hilfreich, solche Aussagen des Koran in den Vordergrund zu stellen, die auf die Lebensdienlichkeit dieser Religion zielen und ein Verständnis der religiösen Wurzeln des Islam ermöglichen.

Die in den Kommentaren hergestellten Vergleiche zwischen den Religionen bieten darüber hinaus eine gute Basis für eine interreligiöse Verständigung und ein Verständnis von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Beides wird benannt und die Sicht des Islam deutlich gemacht, ohne dabei anderes be- oder gar abzuwerten.

Durch die Zusammenstellung der Texte des Koran, die inhaltliche Aufbereitung und die kunstvolle Aufmachung gelingt es Kaddor und Müller, ihre liberale Lesart des Koran und des Islam ebenso zum Ausdruck zu bringen wie ihre Hochachtung und Wertschätzung dieser Religion. Beides schließt sich nicht aus – dies zu vermitteln ist eine wichtige religionspädagogische Aufgabe. Der Koran für Kinder und Erwachsene ist dafür eine große Hilfe und eine gewinnbringende Lektüre.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 4/2008

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