Tod und Sterben – Eine Unterrichtseinheit für die vierte Klasse

von Gesa Godbersen-Wittich / Ursula Harfst 

 

1. Die Geschichte: Gras unterm Schnee

Die Geschichte "Gras unterm Schnee" von Gina Ruck-Pauquèt bildet einen ausgezeichneten Ausgangspunkt für Gespräche und Erkenntnisse über das Vergehen und Neu-Werden in der Natur, über Sterben und neue Hoffnung, über Abschied und Neuanfang. Der Protagonist Michael scheint eine Kindergestalt zu sein, in die 9- bis 10-jährige Kinder gut ihre eigenen Vorstellungen projizieren können. Die Einbeziehung der beiden Tiere (Hund, Igel) macht den Kindern die Geschichte bedeutsam; an deren Verlust bzw. Inaktivität können die Kinder das Traurig-Sein von Michael nachempfinden und verdeutlichen. Offensichtlich bietet die Geschichte sensible und sehr offene Deutungsmöglichkeiten für neues Leben, die einigen Kindern eine Hilfe sein können. Sie werden durch die Arbeit an diesem Text aufmerksamer für die Vorgänge in der Natur und übertragen ihre Beobachtungen und Erfahrungen ohne große Mühe auf persönliches Erleben, wie die Gespräche und z.T. auch die Ergebnisse der Kinderarbeiten zeigen.

Im Unterricht stellte sich heraus, dass die Geschichte die Kinder trotz ihrer Länge so angesprochen hat, dass sie im Anschluss an das Vorlesen ganze Sätze in Erinnerung hatten. Den Kindern fiel die "schöne", die poetische Sprache in der Geschichte auf, sie merkten sich eine Reihe von Sprachwendungen und versuchten, sich selbst "gut" auszudrücken.  

Gras unterm Schnee

Das war jetzt alles vorbei – die Fußballspiele, die gemeinsamen Hausaufgaben und das Fernsehen am frühen Abend. Auch Florian war traurig gewesen beim Abschied auf dem Bahnhof. Michael drückte die Stirn gegen die Scheibe des Abteilfensters. Er fuhr aufs Land. Der Arzt hatte gemeint, er sollte eine Weile draußen leben. "Siehst du, wie hübsch die Bäume aussehen?", fragte Michaels Mutter, die ihm gegenübersaß. "Wie glühende Fackeln, gelb und rot." Michael nickte. Es war Herbst. Die Wiesen schimmerten golden und das Obst wurde reif. Im Sommer waren sie jeden Tag ins Schwimmbad gegangen. Das war jetzt alles vorbei. Der Bauer holte Michael am Bahnhof ab. Mit dem Pferdewagen fuhren sie zum Einödhof. Es gab dort keine Kinder, nur Maria. Aber die war ein Mädchen und außerdem war sie älter als Michael. Am nächsten Tag fuhr die Mutter zurück. Michael streifte umher. Tuff, der Hofhund, begleitete ihn. Am Waldrand waren noch Brombeeren, schwarz und süß. Der Himmel sah klar und sehr kühl aus. Michael fröstelte. Abends lernte er Snick, den Igel, kennen. Er kam immer um die gleiche Zeit, und Michael brachte ihm seine Milch. Ein paar Tage später half er dem Bauern, die Kühe von der Alm zu holen. Die Bäuerin und Maria hatten das Obst geerntet. In großen Körben trugen sie es nach Hause. Auf einmal sahen die Bäume ganz leer und müde aus. So müde waren sie, dass sie ihre Blätter nicht mehr tragen konnten. Es raschelte ein wenig, wenn die Blätter herunterfielen. Michael stand am Fenster. Er sah den Vögeln nach. Sie hatten sich gesammelt und flogen nun fort. Bald würde es Winter sein. "Es wird immer weniger", dachte Michael. Und er dachte auch, dass Florian nicht ein einziges Mal geschrieben hatte. Eine Rose blühte noch im Garten, die Astern waren welk geworden und die Sonnenblumen hielten die braunen Köpfe tief gesenkt. "Warum stirbt eigentlich alles?", fragte Michael. Tuff antwortete nicht. Er schloss die Augen. Um die Zeit hatte er immer sein Rheuma. Über Nacht kam der Frost. Da gaben auch die Dahlien auf. Ausgewischt waren die Farben des Gartens. Dann hob sich der Wind wie im Zorn und kämmte die Bäume kahl. Plötzlich war Snick verschwunden. Michael fand ihn nicht mehr, so sehr er auch suchte. Er setzte sich auf den Leiterwagen, hauchte in seine klammen Hände und steckte sie tief in die Taschen. "Hast du Heimweh?", fragte Maria. Nein, das war es nicht. Die Bäuerin legte Tannengrün über die Beete. "Damit die Blumenzwiebeln es warm haben bis zum Frühjahr." Im Frühjahr würden sie blühen. Aber das konnte Michael sich nicht vorstellen. Er sah die nackten Äste der Bäume und dass die Zweige der Sträucher wie ein Gewirr von Strichen waren. Und auf den Wiesen hockten die Krähen und ließen alles noch leerer erscheinen. Es war sehr still. "Die Erde geht zur Ruhe", sagte Maria. Vor dem Einschlafen kam es Michael noch einmal in den Sinn: Die Erde geht zur Ruhe. War sie müde wie er, wenn der Abend kam? War der Sommer für die Erde ein langer Tag? Der Herbst die Dämmerung und der Winter die Nacht? Nach jeder Nacht kam ein Morgen, darauf konnte man sich verlassen. Michael wickelte sich fester in die Decken. Er schloss die Augen. Gedanken, Wünsche und Träume zogen sich in ihn zurück und er schlief ein. Draußen jagte der Sturm übers Land. Aber die Erde hatte das Leben in sich geborgen. Sie hütete es, bis es Zeit sein würde. Der Bauer hatte die Wiesen gedüngt. Nun fiel der Schnee. Wie ein riesiges Federbett deckte er alles zu. Tuff schlief den größten Teil des Tages unter dem Ofen und die Kühe im Stall standen ruhig und zufrieden. Beim Schlittenfahren musste Michael manchmal denken, dass er eigentlich über Gras fuhr. Aber war da wirklich noch Gras unter dem Schnee? Wer konnte schon wissen, was unter der Decke geschah, die die Erde verhüllte. Die Zeit verstrich und mit einem Mal ging ein lauer Wind. Tuff streckte die Vorderbeine, die Hinterbeine und stand in der Tür. Der Bauer schaute zum Himmel auf und nickte. Dann verschwand er im Schuppen und man hörte ihn klopfen und sägen. Jetzt summte die Bäuerin manchmal ein Lied. Und an einem Tag kam Maria und brachte Schneeglöckchen. Wie gescheckt lagen die Wiesen. Der Schnee schmolz und gab große Grasflecken frei. "Wird es Frühling?", fragte Michael Tuff, der nicht aufhören konnte, die Erde zu beschnuppern. Blumentupfen am Waldrand waren die Antwort. Millionen wilder Primeln blühten, gestern waren sie noch nicht da. Knospe um Knospe brach auf. Grün webten sich Schleier zarten Laubes zwischen die Äste der Bäume. Die Erde war erwacht. Nichts war gestorben, nun hob sie ein jedes aus tiefem Schlaf. Bienen summten, Vögel sangen, Falter taumelten zwischen den Blumen und süß verströmten Blüten ihren Duft. In jeder Minute schenkte die Erde Neues aus ihrer unendlichen Fülle. "Snick ist wieder da", schrieb Michael an Florian. "An einem Abend saß er im Hof." Dann lief er hinaus. Ein wenig atemlos war er und sehr glücklich.

Gina Ruck-Pauquèt

Quelle: Vorlesebuch Religion Band 1, Ernst Kaufmann Verlag, Lahr 1971, S. 298ff. (Die Rechte liegen bei der Autorin)

 

2. Was macht Michael so traurig?

Die Geschichte wird vorgelesen bis zu: ".... die Zeit verstrich" Kinder stellen Vermutungen an, wie die Überschrift der Geschichte heißen könnte: z.B. Das Leben, Der Tagesablauf, Der Winter, Freundschaft, Die Blumen, Der Abschied, Die Natur...

Die Überschriften werden an der Tafel festgehalten. Anschließend tragen die Kinder Sätze aus der Geschichte zusammen, die sie noch in Erinnerung haben und die zu diesen Überschriften passen. Diese Sätze werden von der Lehrkraft aufgeschrieben und in die Mitte des Sitzkreises gelegt. In einigen Lerngruppen bietet es sich an, diese Phase in eine Gruppenarbeit zu geben, wobei den Gruppen der Text des vorgelesenen Teils der Geschichte zur Verfügung gestellt werden sollte. Jedes Kind wählt sich einen Satz aus, schreibt ihn ab und malt ein Bild dazu. (M 1)

 

3. Wie fühlt sich Michael am Schluss der Geschichte?

Jedes Kind sucht sich seinen "Wolken-Satz" vom Vortag heraus, d.h. einige müssen mehrere Male vorhanden sein! Nacheinander werden die Sätze vorgelesen und in die Mitte gelegt. Die Lehrerin bzw. der Lehrer liest die Geschichte noch einmal vor, diesmal bis zu Ende. Die Kinder äußern sich zunächst frei. Dann wird das Gespräch gebunden durch die Tafelanschrift (die letzten beiden Sätze der Geschichte): "Michael lief hinaus. Ein wenig atemlos war er und sehr glücklich." Wenn das Gespräch beendet ist, nennen oder schreiben die Kinder weitere Sätze dazu, die zeigen, warum Michael glücklich ist. (M 2)

 

4. Michael denkt nach über das Sterben

Es werden noch einmal die Sätze zum Traurig-Sein und zum Glücklich-Sein in die Mitte des Stuhlkreises gelegt und dazu neu (möglicherweise in einer anderen Farbe) die Sätze:

"Hast du Heimweh"?, fragte Maria. Nein, das war es nicht.

 

Einige Sätze der Geschichte werden zusammengetragen, in denen zum Ausdruck kommt, worüber Michael nachdachte. (M 3) 


 


 


 

5. Wir denken mit Michael nach (Beispiele von Kinderarbeiten)

Die Kinder arbeiten allein, jedes für sich schriftlich auf einem vorbereiteten Arbeitsblatt:

"Hast du Heimweh?", fragte Maria
Nein, das war es nicht.


Michael ist sehr nachdenklich.
Kannst du seine Gedanken nach-denken?
 

Warum stirbt eigentlich alles?
Sie legt Tannengrün auf die Bete das die Blumen wieder blühen.
Warum musste mein Opa sterben?
Weil jeder sterben muss.
Bei meinem Opa ist das Herz stehen geblieben.
Aber Opa ist in mein Herz geblieben und dort bleibt er für immer.
Die Vögel fliegen in den Süden, doch Michael weiß, dass sie im Sommer wieder kommen.
Snik ist auf einem mal verschwunden aber Michael weiß es dass Snik wieder kommt.
Ich fand es schade dass wir umziehen mussten und ich meine Freunde verloren habe.
Doch ich weiß dass ich neue finde.
Stefanie

 

"Hast du Heimweh?", fragte Maria.
Nein, das war es nicht.

Michael ist sehr nachdenklich.
Kannst du seine Gedanken nach-denken?
 

Meine Oma war sehr sehr krank.
Es war immer toll mit ihr.
Im Krankenhaus waren wir bei ihr.
Am nächsten Tag als wir weg waren ist sie gestorben.
Das war sehr schlimm für mich.
Aber jetzt finde ich es nicht mehr so schlimm weil es besser für Oma ist und ich kann immer noch genauso gut mit ihr reden.
Besuchen können wir sie auch noch auf dem Friedhof in Essen.

Pice

Text erschienen im Loccumer Pelikan 4/2003

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