Die Zukunft der evangelischen Kindergärten – ein Statement

von Frieder Harz

 

Mein Statement soll aus einer Thesenreihe bestehen. Deshalb formuliere ich:

 A.     E. Kindergärten sind Einrichtungen, die sich mit einem klaren christlichen Menschenbild dem Wettbewerb stellen und

  • die dieses Menschenbild im täglichen Umgang zu konkretisieren versuchen: (z. B. Anerkennung jedes Menschen als Ebenbild Gottes; Fantasie und Kreativität als Schöpfungsgaben des Menschen; Ur- und Gottvertrauen als Basis des Zusammenlebens; Verantwortungsbewusstsein im Sinne des von Gott gegebenen Auftrags; Umgang mit Schuld und Versagen, der von der Kraft der Vergebung und vom Mut zum Neuanfang bestimmt ist; Hoffnung als Fähigkeit, über die Grenzen des Alltäglichen hinaus zu sehen; Fähigkeit, über das Vorfindliche hinaus nach den Ursprüngen und nach Gott zu fragen)
  • die von diesem Menschenbild her Qualitätsmerkmale bestimmen (wie entsprechender Umgang mit Raum und Zeit; Sinn für das bewusste Feiern biografischer Ereignisse wie Geburtstag usw.; Förderung von Arbeitsformen, die der Kreativität und Autonomie des Kindes gerecht werden; Sinn für das Innehalten für Nachdenklichkeit und Stille; Einübung in Verantwortlichkeit gegenüber sich selbst, den anderen, der Natur...)
  • die diese Qualitätsmerkmale nicht nur gegenüber den Kindern praktizieren, sondern auch gegenüber den Eltern, im Team, im Verhältnis zum Träger.
  • die auch in der pädagogischen Arbeit den Ursprung dieses Menschenbildes im christlichen Glauben verdeutlichen und Verständigung auch mit anderen religiösen Positionen im Bezug auf dieses Menschenbild suchen.

 

B.     Einrichtungen der evangelischen Gemeinden, die ihre Verantwortung gegenüber Familien und Kindern bewusst  wahrnehmen und die Tageseinrichtung in diesem Sinne in ihrem eigenen Selbstverständnis verankern.

  • Mitarbeitende in der Kindertagesstätte verstehen sich als Mitarbeitende der Gemeinde: sie sind eingebunden in die Kommunikation unter den Mitarbeitenden der Gemeinde, finden wie andere Mitarbeitende in der Gemeinde Beachtung
  • sie finden in dem Kreis anderer Mitwirkender in der Gemeinde auch ein Forum für ihre speziellen Fragen und Probleme.
  • In der Kindertagesstätte nimmt die Gemeinde ihre diakonische Verantwortung wahr für Menschen (nicht nur Kirchenmitglieder), die Hilfe brauchen:
  • andere Mitarbeitende in der Gemeinde nutzen den Informationsstand der Erzieherinnen über die Situation der Familien und Kinder in der Gemeinde
  • die Kirchengemeinde macht weiterführende Aufgaben (z. B. über das Vorschulalter hinaus, familienbegleitende Maßnahmen usw.) zu ihrer Sache.
  • Andere Mitarbeitende in der Gemeinde nutzen die Erfahrungen im Kindergarten mit einem Zusammenhang von Leben und Glauben, wie er in anderen Bereichen der Gemeinde kaum gegeben ist, und fördern sie auch:
  • Orientierung an den Lebenssituationen der Kinder
  • Vollzug des Perspektivenwechsels, der nicht von den Glaubensinhalten, sondern von den Personen her denkt, nicht von der Vermittlung her, sondern von der Aneignung
  • Angebot von theologischer Begleitung, die sich auf diesen Perspektivenwechsel einlässt und die Erzieherinnen in ihrer (religions)pädagogischen Kompetenz anerkennt.
  • Förderung der persönlichen religiösen Weiterentwicklung der Erzieherinnen im Sinne von Wegbegleitung
  • Freude über das, was die Kinder und Erzieherinnen in andere Bereiche der Gemeinde einbringen
  • Verantwortliche in der Gemeinde erleben den Kindergarten als wichtiges Begegnungsfeld mit Eltern, die andere religiöse Überzeugungen vertreten:
  • Gemeinde lernt hier einen auf Dialog zielenden Umgang mit anderen Religionen
  • Gemeinde lernt den Umgang mit Menschen, die der Kirche und dem christlichen Glauben mit viel Kritik gegenüberstehen
  • Gemeinde lernt das Praktizieren von Gastfreundschaft, bei der der eigene Standort nicht verschleiert wird und doch Offenheit für das jeweils andere besteht
  • Gemeinde lernt, was alles Christen mit Nichtchristen verbindet.

 

C.    Einrichtungen, die als evangelische Kindergärten einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen,

  • die angesichts der religiösen Neutralitätspflicht des Staates (negative Religionsfreiheit) ein Beispiel für Umgang mit Religiosität sind (positive Religionsfreiheit):
  • die verdeutlichen, dass Religiosität zum Menschen dazugehört und nicht einfach ausgeklammert werden kann
  • die in christliche Religion einüben, ohne die jeweils eigenen Entscheidungen der Kinder (jetzt oder später) vorwegzunehmen oder zu ignorieren (=Verzicht auf Manipulation)
  • die den christlichen Wurzeln unserer Gesellschaft nachgehen (u. a. christliche Feste und deren biblischer Hintergrund; christliches Menschenbild) und zugleich für andere religiöse Verwurzelungen aufgeschlossen sind.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 4/2000

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