Internetcafé Kuhstedt – Ein Jugendprojekt im Kirchenkreis Bremervörde - Zeven

von Kay Oppermann

 

Wie bekommt man 50 Jugendliche einmal pro Woche ins Gemeindehaus? Wer den Braten riecht dazu eine böse Zunge hat, würde sagen: „Man stellt Computer auf und lässt sie daran rumballern. Das tun die sowieso am liebsten!“ Fast richtig. Richtig ist: Man stellt Computer auf. Aber davor und danach ist es ganz anders. Und zwar so:
 

1. Das Projekt

Seit einem Jahr arbeiten die drei Gemeinde Gnarrenburg, Kirchwistedt und Kuhstedt im Kirchenkreis Bremervörde – Zeven zusammen. „Stark wie eine“ steht auf dem Typenschild dieser regionalen Kooperation und drin sind die Gemeinden und Pastoren, die durch übergemeindliche Angebote und wechselseitige Mitarbeit ganz nah zusammen gerückt sind. Alles bleibt persönlich, jeder Pastor hat „seine“ Gemeinde, aber z.B. im Konfirmandenunterricht sind die drei ein großes Team. Dieses Team hatte sich auch eine neue und vor allem „voll concret“ Jugendarbeit zum Ziel gesetzt. Die Vorgaben: gemeindeübergreifend, Integration in den Konfiunterricht, kontinuierlich und vor allem: „megaaktuell“. Da gab’s nur eines: Ein Internetcafé. „Hurra“ schrieen die Konfis, „wir sind dabei!“ „Au Backe“ flüsterten wir insgeheim „hoffentlich klappt’s.“ Gleich vorweg: Es war einfacher, als wir dachten. Schnell war der Ort klar: Ein wenig genutzter Teil des Kuhstedter Gemeindehauses. Die Umbauarbeiten nebst Strom und Telefonleitung erledigten wir in Eigenleistung. Gebrauchte Computer lieferte uns ein orts-ansässiger Händler zum Vorzugspreis. Eine der drei Gemeinden finanzierte den Start vor.
Das war im April. Mittlerweile läuft das Café so gut, dass ein gezielte Spendenwerbung auf Gemeinde-glieder trifft, die unsere Arbeit kennen und insgesamt positiv beurteilen.  Wir gehen davon aus, dass bis Ende des Jahres sowohl alle Anschaffungskosten von ca. 6000 DM als auch der laufende Unterhalt (pro Stunde Nutzung ca. 11 DM) gesichert sind.  Die Vorfinanzierung aus eigenen Mitteln war für dieses zunächst kritisch beäugte Projekt letztlich der richtige Weg. Durch die sichtbar erfolgreiche Arbeit können sich Spender jetzt jederzeit vergewissern, dass ihr Geld „erfolgreich angelegt“ wird. Wir danken den aktuellen Spendern zudem auf einer virtuellen Spendertafel, sowie einmal pro Jahr mit einem Empfang im Café und einer CD mit unserem aktuellen Onlineangebot.
 

2. So geht’s ab

Jeden Mittwoch kurz vor drei kämpfe ich mich durch einen Pulk von ca. 30 Jugendlichen vor der Eingangstür des Gemeindehauses. Der Kampf um die Plätze beginnt. Manchmal greife ich schlichtend ein, wenn zwei Gruppen an einem Rechner „zerren“, manchmal verschaffe ich einer Mädchengruppe einen „Platz in der ersten Reihe“, wenn diese allzu selbstlos den Jungen den Vortritt lässt. Nun folgen feste Rituale. Es beginnt mit einem „Update“. Ich nenne kleine Aufgaben beim Surfen, ich weise auf neue Geräte oder Fehler hin. Oft ziehe ich mich mit einer kleinen Gruppe von Freiwilligen zum Basteln an unserer Homepage zurück. Am Ende gibt’s ein Feedback. „Auf welchen Seiten waren wir? Was haben wir dort erlebt?“ Diese Fragen sollten alle beantworten. Natürlich kommt auch das leibliche Wohl nicht zu kurz: Cola Fanta, Chips, Kekse – alles ist da - zum Selbstkostenpreis versteht sich.
Das Café ist für Jugendliche an einem Nachmittag pro Woche vom 15 bis 18 Uhr geöffnet. Die Nutzung ist kostenlos. Das Angebot richtet sich natürlich in erster Linie an Jugendliche aus den drei Gemeinden. Freunde und Freundinnen aus anderen Gemeinden dürfen aber mitgebracht werden. Momentan  stehen im Café 5 Rechner, von denen einer mit dem Internet verbunden ist. Die anderen 4 surfen quasi über dessen Internetzugang mit. Die Kosten halten sich somit im Rahmen und die Ladezeiten sind durchaus akzeptabel, solange nicht an jedem Rechner gleichzeitig speicherintensive Seiten aufgerufen werden.
Erstaunlich ist die große Bandbreite der Jugendlichen. Unterschiedslos kommen auch nicht konfirmierte Jugendliche zum Café Der Mädchenanteil beträgt ca. 30 Prozent . Wobei auffällt, dass gleichaltrige Mädchen deutlich mehr „ernste“ Seiten aufrufen, als ihre männlichen Kollegen. Ebenso ist die Bereitschaft höher, den Platz vor dem Bildschirm bei Bedarf zu räumen. Andererseits wird allgemein immer wieder die große Bereitschaft deutlich, anderen zu helfen und sein Wissen über das Netz der Netze anderen zur Verfügung zu stellen. Gerade unauffällige oder sogar „unangenehme“ Konfirmanden zeigen hier großes Engagement.
 

3. Zielgruppe Konfis

Von vornherein war uns klar:  Jugendarbeit in der Region muss im Konfirmandenunterricht beginnen. So waren auch die Konfirmanden und Konfirmandinnen die ersten Gäste im Café. Aber nicht nur zu den normalen Cafézeiten, sondern auch im KU haben wir  das Internet ganz selbstverständlich eingesetzt:

  • Gebete wurden aufgespürt, besprochen und ein Pool von Lieblingsgebeten entstand.

  • Andere Konfigruppen und Jugendprojekte wurden beäugt und mit der eigenen Arbeit verglichen.

  • Ein Hausaufgaben- und Referatforum entstand, das sowohl in der eigenen Gruppe als auch im Internet als Materialbörse dienen soll.
     

Wichtig ist uns dabei immer der selbstverständliche Umgang mit dem neuen Medium. Es ist Arbeitsmaterial, damit nie Ziel und Zweck einer Unterrichtseinheit, sondern ein begleitendes Instrument. So ist sowohl der Umgang mit Suchmaschinen, als auch die Auswertung der Ergebnisse, mittlerweile für jeden Konfi selbstverständlich.
In den „normalen“ Öffnungszeiten sind Chats von höchstem Interesse. Neben aller Spielerei mit Pseudonymen, Witzchen, falschen Identitäten und frechen Bemerkungen, machten die Kids jedoch auch die Erfahrung, dass Authenzität sich stets auszahlt. „ Wie man in den Wald hinein ruft, so schnallst wieder raus.“ Wer andere nur necken wollte, bekam selbst so manchen Fußtritt zu spüren. Wer ein ernstes Problem in die virtuelle Gesprächsrunde trug, bekam jedoch immer mindestens 3 ernstgemeinte Antworten. So bestätigt sich in Grundzügen die Medienvision, die Bertelsmann im Planet M auf der EXPO seinen Zuschauern vorstellt: Ein kleiner arabischer Junge zweifelt die Weisheiten des Stammesältesten an. Die Frage nach der Weltentstehung ist eindeutig zu beantworten. Das ist – im Unterschied zu dem Lehrer - seine Kampfthese. Zu deren Verifizierung kommt dem Jungen die Bekanntschaft mit einem Mädchen nebst Internetcomputer zur Hilfe. In einer Bibliothek versenden beide die Frage nach der Weltentstehung in viele Länder und erhalten – je nach Glaubenstradition und kulturellem Umfeld – sehr verschiedene Antworten. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es nicht eine, sondern viele Antworten auf die Frage nach der Weltentstehung gibt. Für den arabischen Jungen bleibt etwas anderes:  Nicht Verwirrung, sondern ein eigener Platz als Lehrer, der weiß, dass in jeder Antwort neue Fragen stecken. So bekommt er die uneingeschränkte Anerkennung seines greisen Vorgängers.

Das Internetcafé in Kuhstedt bietet neben einer Menge Spaß und Spiel für die Nutzerinnen eben auch diesen Lerneffekt: Fragen und Antworten geben sich im Internet die Hand. Je präziser meine Frage ist, desto genauer und hilfreicher wird auch die Antwort sein. Ob ich die letzten Rätsel der Menschheit lösen will, oder meinen Chatpartner  mit Namen „tigersix“ nach seinen Hobbys frage. Je ernster und überlegter ich ans Werk gehe, desto mehr springt dabei heraus.
 

4. Ist das Jugendarbeit mit verstümmelter Kommunikation?

Sind wir mit dieser Jugendarbeit auf dem richtigen Weg? Die Frage ist ernst gemeint, denn kirchliche Jugendarbeit sollte natürlich soziale Integration und kommunikative Fähigkeiten fördern.
Viele Argumente wurden in der Diskussion um die medial vermittelte Kommunikation  immer wieder gegeneinander ausgespielt. Aufbauend auf den von Graumann herausgestellten vielfältigen Aspekten (visuelle, olfaktorische, thermisch etc.) unvermittelter Kommunikation wurden vor allem von Klaus Scherer die nonverbalen Seiten von Kommunikation grundlegend herausgearbeitet. Auf diesem Boden argumentierten vor allem die Kritiker einer medial vermittelten Kommunikation. Ihre Hauptkritikpunkte:

  • Zunächst: Medial vermittelte Kommunikation bringt zwangsläufig eine Reduktion der Kommunikationskanäle mit sich. Diese Reduktion macht eine Kommunikation mit allen Sinnen unmöglich und gibt den Kommunikationskanälen Sehen und Hören eine unrechtmäßige Vorrangstellung. Die anderen, durchaus wichtigen Kanäle, verkümmern.

  • Als Folge daraus: Intensive Nutzung von Medien zur Kommunikation führt letztlich zu einer Reduktion der Kommunikationsmöglichkeiten und einer sozialen Desintegration. („Was man nie gelernt hat, kann man auch nicht anwenden.“)

  • Sogar das wird behauptet: Medien sind grundsätzlich für die christliche Verkündigung ungeeignet, da sie die eindeutige Botschaft Christi aufgrund ihrer je spezifischen Reduktion des ursprünglichen Inhalts unzulässig verfälschen.
     

Die Praxis im Internetcafé spricht eine ganz andere Sprache: Sicher sind die Jugendlichen zeitweise intensiv mit Schauen und Hören (jeder Rechner besitzt eine Soundkarte und Lautsprecher) beschäftigt. Diese Zeiten intensiver Fixierung auf den Bildschirm dauern jedoch kaum länger als 5 Minuten. Spätestens dann findet ein reger Austausch über das Gesehene und Gehörte statt. Gerade das gemeinsame Erleben setzt spontan das Bedürfnis über den Austausch der konsumierten Inhalte frei. Man könnte sogar sagen: Der gemeinschaftliche Konsum medial vermittelter Inhalte setzt in hohem Masse reale Kommunikationsbedürfnisse frei.

Weiter ist zu beobachten, dass gerade bei interessanten und fesselnden Onlineangeboten das Gruppen-gespräch viel intensiver läuft, als sonst. Oft mischen sich in diesem Zusammenhang Gruppen neu, wird über die Erlebnisse im Chat geredet, oder zieht sich eine Gruppe in den Vorraum zurück, um Zeit zum „Quatschen“ zu haben. Es läßt sich also nicht beobachten, dass die intensive Nutzung des Internets im Café zu einer Reduktion der unvermittelten Kommunikation führt. Einzige Ausnahme: Ohnehin introvertierte Jugendliche treten auch im Internetcafé wenig mit anderen in Kontakt. Jedoch wird die Kontaktaufnahme dadurch begünstigt, dass die Rechnerrecourcen knapp sind, und eine gerechte Platzverteilung den Jugendlichen überlassen ist.

Die Begegnung und Auseinander-setzung mit christlichen Internetangeboten ist im Café gewünscht. Durch verschiedene Impulse lenke ich die Jugendlichen zu bestimmten Seiten. Kurz vor Ende der Öffnungszeit reden wir über das Erlebte und entwickeln neue Ideen für unsere eigenen Seiten. Dabei fällt auf, dass nur die Erlebnisse besprochen werden, die bereits in den einzelnen Gruppen einen Austausch wert waren. Kirchliche Seiten spielen meist eine untergeordnete Rolle. Auf Nachfrage wird an Kritik die mangelnde Aktualität, die fehlenden interaktiven Möglichkeiten und der nicht jugendgemäße Aufbau der Seiten genannt. Seit Beginn der Arbeit im Café binde ich deshalb Jugendliche in die Gestaltung des Onlineangebotes sowie des Cafés ein. Nur die Identifikation mit dem Café und dessen Seite schafft meiner Meinung nach eine Integration in die Erlebniswelt der Jugendlichen und damit die Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung in der Gruppe.
 

5. Fazit

Die ersten drei Monate des Cafés waren ein voller Erfolg. Sicher spielt dabei eine Rolle, dass im Umkreis von 30 km kein weiteres Internetcafé zu finden ist. Weiter bietet die kostenlose Nutzung der Computer und des Internets keine Ausgrenzung von Jugendlichen mit geringem Taschengeldbudget. Das Café wird von den Jugendlichen in erster Linie auch nicht als kirchliches Angebot gesehen. Die Erlebniswelt Computer und Internet verhält sich zu dem äußeren Rahmen des Gemeindehauses transzendent.
Bis zum Jahresende stehen die äußere Gestaltung des Cafés und die Entwicklung eigener Onlineprojekte für die Jugendlichen auf dem Programm. Z.Zt. sind Vorstellungsseiten einzelner Konfis, eine Musikseite sowie das genannte ( im Aufbau befindliche) Hausaufgabenforum online.
Neben allen pos. Erfahrungen im Café, sollen aber auch die Schattenseiten nicht verschwiegen werden. Der Besuch von „harmlosen“ Seiten durch die Jugendlichen kann schnell durch das Prinzip der Bannerwerbung und der damit verbundenen Querverknüpfung vieler Seiten eine negative Eigendynamik entwickeln. „Sex and crime“ sind im Internet allgegenwärtig.

Im Internetcafé helfen von den Jugendlichen selbst erstellte Surfregeln und eine gegenseitige Kontrolle, die „Surfgangster“ im Café schnell zu entlarven. Eine Grundregel im Café lautet: „Niemand ist im Café allein für sich. Anderen zu helfen, ist ganz wichtig.“ Kontaktscheue Typen werden im ständig überlasteten Café immer wieder aufgefordert, sich mit anderen vor einem Rechner zusammen zu schließen. Meistens entstehen in einer solch heterogenen Gruppe interessante Gespräche.  Manchmal kann der Reiz des Mediums jedoch eine inhaltliche Arbeit mit den Jugendlichen sehr erschweren. Es ist eben im Bigbrotherhaus spannender als in einem Gebetsforum. Hier hilft meiner Meinung nach nur eine engagierte und kreative Begleitung der Jugendlichen, die den Blick auf die grandiosen Möglichkeiten des Mediums Internet möglichst weit öffnet.
 

Anmerkungen

Vgl. http://www.starkwieeine.de. Das Cafe ist direkt unter http://www.evlka.de/extern/bremervoerde/starkwieeine/icafe/ic.html zu erreichen.

In den vergangenen Jahren wurde immer wieder belegt, dass Frauen Computer und Internet viel weniger spielerisch nutzen, als Männer. Somit steigt der Anteil der Nutzerinnen mit dem Heranwachsen des Internets zu einem selbstverständlichen Medium in Schule und Beruf gleichmäßig an. Während Batinic  (Batinic u.a., Der "Internetler" Empirische Ergebnisse zum Netznutzungsverhalten, in: Gräf, Lorenz, u. Krajewski, Markus, Soziologie des Internet, Frankfurt a.M. 1997, S. 196-215) 1996 noch von einem Nutzerinnenanteil von 7% ausging,  weisen neuere Untersuchungen  mehr als 30 % Nutzerinnen aus.  Vgl. Steinhaus, Ingo: Recherche im Internet, München 1998.17ff.; Dyson, Esther: Release 2.0 - Die Internet-Gesellschaft, Spielregeln für unsere Digitale Zukunft, München 1997., 71f. u. Rötzer, Florian: Internetsucht, Frauen stärker abhängig?, http://www.heise.de/tp/ deutsch/inhalt/te/1720/1.html vom 13.06.99.

Graumann, C. F.: Interaktion und Kommunikation, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 7, Forschungs-bereich Sozialpsychologie, 2. Halbband, Göttingen 1972, 1109 - 1242.

Vgl.  Scherer, Klaus R.: Non-verbale Kommunikation, in: IPK - Forschungsberichte, Bd. 35, Hamburg 1972.

Vgl. Petkewitz, Wolfgang R.: Verkündigung in der Medien-gesellschaft, Neue Informations- und Kommunikationstechniken in der kirchlichen Praxis, Gütersloh 1991, 224ff.

Vgl. Dalferth, Ingolf U.: Kirche in der Mediengesellschaft - Quo vadis?, in: Theologia Practica 20, 1985, 184 – 194.