Mediendidaktik im Wandel – oder: schafft die "Medienstellen" ab!

von Michael Künne

 

Als man über das Bild hinaus die be­wegten Bilder erfand, ergab sich für den Betrachter ein Fascinosum, daß sich aus eben dieser auf die Filmleinwand gebannten Bewegung ergab. Die Wirk­lichkeit, so wie man sie erlebte, gern erlebte, bzw. deren Erlebnis man evtl. auch gern vermeiden würde, trat, scheinbar spiegelbildlich auf den Plan. Und diese Begegnung wurde um ein Vielfaches potenziert durch die Erfin­dung zunächst des Tonfilms und später des Farbfilms. Jenseits aller Reflexion zählte, und das nicht nur in der klingen­den Münze der Kinobetreiber, das un­mittelbare Erlebnis in bewegtem Bild und Ton und Farbe, konzentriert in möglichst feierlicher, also gut bürgerli­cher, theatermäßiger Dunkelheit des Großkinos. Die Illusion von totaler Gegenwart der "ganz anderen" Ge­schichte, nämlich der des Filmes, schien damit vollkommen. Vergangen­heit konnte mittels des Films in die Gegenwart geholt werden, der Zu­schauer wurde in einer ungeheuren In­tensität aus dem Alltag gerissen und betrachtend und mitfühlend ins Ge­schehen auf der Leinwand eingebun­den. Unmerklich begann die Filmerfah­rung eigene Erfahrung zu ersetzen. Man hatte nun nicht nur von etwas ge­hört, sondern es selbst gesehen. Mit dem Film war man Zeuge geworden. Die Propagandafilme vom 3. Reich bis zur heutigen Reklame zogen und ziehen aus diesem Element, der scheinbar unmittelbaren Erfahrung, ihren Nutzen.

Von daher nimmt es nicht Wunder, daß die Pädagogik der Vorkriegszeit und die ebenso spätere wieder mit ihrem Postu­lat von der unmittelbaren Erfahrung in den Situationen des Fehlens eben die­ser Erfahrung im Film ein ungeheures wenn auch gefährliches Ergänzungspo­tential sah. Wer erinnert sich nicht der Sachkundefilme im Unterricht, der Ex­peditions- und Abenteuerfilme von Forschern, von "Amudsen" bis hin zur "Die Wüste lebt" und anderer. Hier wurde die ferne sonst so nicht erfahr­bare Welt sowohl den Erwachsenen wie auch den interessierten Schülern auf­wendig und intensiv nahegebracht. Filmgeschichtlich schlug dieser Me­chanismus zugleich ins Historische und damit dann auch ins Biblisches um: Filme wie "Die Zehn Gebote", "Das Gewand", "Die letzten Tage von Pom­peji" und "Ben Hur" folgten dann auch logisch und setzten die älteren Versu­che der  Verfilmung biblischen Gesche­hens im Stile Hollywoods fort. Und da die jüngste Vergangenheit nach und nach in den sechziger Jahren wichtig und dramaturgisch interessant wurde, folgten die ethisch orientierten Filme zur Geschichte des 3. Reiches. Das galt für den historischen Überblick in der Art von Leiser "Mein Kampf" ebenso wie für die Darstellung relevanter Ein­zelschicksale bzw. der Kombination all dieser Elemente in einem Film wie "Exodus" oder später in den Holocaust­verfilmungen. Die Komplexität der Sa­che und der scheinbar notwendige Auf­wand führten allerdings in der Regel immer zur Gestaltung in Form des lan­gen, wenn nicht gar überlangen, Spiel­films. Damit war zugleich die religi­onspädagogische Verwendung im Un­terricht, der nach wie vor auf in der Re­gel 45 Minuten beschränkt war, ausge­schlossen. Es sei denn, man ging klas­sen- oder schulweise ins Kino, was auch nicht selten vorkam. Darüber hin­aus hatten solche Filme, wenn sie denn als pädagogisch wertvoll eingestuft wurden, bisweilen ihren Platz in den Abendveranstaltungen auch von Kir­chengemeinden.

Mit der Änderung religionspädagogi­scher Konzeptionen, fort von der evan­gelischen Weisung hin zum problemo­rientierten Religionsunterricht, änderte sich unabhängig von der allgemein pädagogischen Diskussion auch das Verhältnis des RU zum Film und zu den Medien. Konnte bislang überwiegend, wenn überhaupt, jenes Material einge­setzt werden, das den Glauben im Sinn einer Zielkonvergenz von Lehrerintenti­on, Rahmenrichtlinien und erwartetem Schülerwissen oder Schülerverhalten zu garantieren schien, so wurde jetzt all das interessant, was sowohl die Welt und ihre Probleme zeigte, wie Möglich­keiten ihrer Konfliktbewältigung deutlich machte. Sofern es um letzteres ging, konnte man immer noch vom klassi­schen Sach- oder Informationsfilm sprechen, der die Geographie eines Landes, oder den Glauben, die Ge­schichte und die Vita einer relevanten Person zeigte. Dazu kam allerdings ein Neues. Aus den kurzfristig freiheitlich erblühenden Ostblockstaaten kamen, vor allem aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei, relativ kurze Filme, oft Animations- und Zeichentrickfilme auf den Markt, die geeignet schienen, komplexe Grundsituationen des Lebens so verdichtet darzustellen, daß sie als unterrichtlicher Einstieg eines proble­morientierten Religionsunterrichts will­kommen waren. Ich denke an Filme wie "Das Leben in der Schachtel", "Weekend", "Espolio" und andere. Für den ethisch weltweiten Kontext kamen kirchliche Produktionen über die Pro­bleme der 3. Welt dazu, die allerdings thematisch in der Regel streng kirchlich diakonisch orientiert waren. Doch die Erfahrungen mit diesen Produktionen waren so positiv, daß kirchliche Medi­enstellen ausgebaut und die allgemeine Sicht des Films in den Augen der Kir­chen positiver wurden. Entgegen der früher vorherrschenden Tendenz, daß Film etwas sei, vor dem Heranwach­sende eigentlich zu behüten und zu be­schützen seien, gab es nun Empfehlun­gen pädagogisch besonders wertvoller Filme. Der entscheidende Punkt aber der endsechziger Jahre war die Aus­breitung des Fernsehens in fast alle Haushalte und die damit verbundene Veränderung der Sehweisen, der Re­zeptionsmodalitäten und des Produkti­onsdrucks auf Seiten der Macher. Fea­tures über Gott und die Welt, über hi­storische Hintergründe, gesellschaftli­che Ursachen und mögliche Lösungs­potentiale nahmen in beachtlicher Weise zu. Damit erhöhte sich der Pool auch jener Produktionen, aus denen die inzwischen aufgebauten kirchlichen Medienstellen und die kirchlichen Film­verlage Materialien auf dem Markt kau­fen konnten. Das Schulfernsehen bot einen weiteren nutzbaren Informati­onsblock. Sowohl der Featurebereich wie das Schulfernsehen unterlagen zudem von vornherein einer längen­mäßigen Beschneidung, so daß die Filme dann auch eher in den Zeitraster des schulischen Ablaufs paßten. Jetzt kamen in verstärktem Maß neben den schon erwähnten Kurzfilmen von 1 bis 10 Minuten Dauer auch Filmlängen von 25 bis 45 Minuten Spieldauer in den Verleih. Dadurch verlagerte sich der Filmeinsatz im kirchlichen Bereich her­aus aus den Gemeindehäusern, wo er seine Funktion in einer Abendveranstal­tung hatte, hin in den schulischen Reli­gionsunterricht und in den Konfirman­denunterricht.

Erst im Laufe der sechziger und siebzi­ger Jahre begannen sich prägnantere Traditionen spezifisch schulischer Me­dienerziehung auszubilden. Aus der verwirrenden Vielgestaltigkeit kontro­verser Auseinandersetzungen über Theorien der Wissenschaft, der Erzie­hung, der Gesellschaft und der (Massen-)Kommunikation lassen sich grob typisierend wenigstens drei An­sätze hervorheben (vgl. die Typisierun­gen z. B. bei Meyer 1978 und bei Fröh­lich 1982; vgl. auch den Beitrag von Baacke in diesem Band):

  • der kritisch-emanzipatorische Ansatz: die Medien sind Ausdruck eines ins­gesamt kritikwürdigen spätkapitalisti­schen Systems, dessen wahres Ge­sicht in ideologiekritischer Analyse aufgedeckt werden kann. Mediener­ziehung strebt den mündigen Bürger an und versteht sich zugleich als ein Beitrag, die Schule und die Gesell­schaft zu verändern;
  • der medienkundliche Ansatz: die Me­dien sind Teil einer komplexen Indu­striegesellschaft und haben ihre eige­nen Gesetzmäßigkeiten. Wer ange­messen mit den Medien umgehen will, muß ihre Bedingungen und diese Zusammenhänge kennen;
  • der produktive Ansatz: die Medien sind Mittel der Kommunikation und des Ausdrucks. Als solche haben sie Eigengesetzlichkeiten, die man in produktivem Handeln selbst erfahren und zur Artikulation eigener Interes­sen und Bedürfnissen nutzen lernen kann.
     

Damit traten aber auch neue Bedürf­nisse auf Seiten der Religionslehrer­schaft auf. Eine Didaktik der Medien war in ganz neuer Weise angefragt. Und dies vor dem Hintergrund eines allgemeinen Medienaufbruchs, so daß diese Frage in der unterschiedlichsten Fächern verhandelt wurde. Die Antwort auf einen Teil dieser Fragen fanden sich für den Religionsunterricht Anfang der siebziger Jahre in Brockmanns zwei kleinen Handbüchern: "Mit Kurzfilmen arbeiten", zugespitzt auf die besonderen Probleme des Religionsunterrichts. Die Fernsehfilmschwemme setzte darüber hinaus ein allgemeines Fragen nach medienpolitischer und mediendidakti­scher Arbeit in Gang und führte zu einer Fülle von entsprechender Literatur, die ihre Aktualität durch das aufkommende Filmen im Super-8-Bereich bezog, zu­mindest zu einem großen Teil. Aktives Mediengestalten als Zielvorstellung des Unterrichtens fiel jetzt zusammen mit der allgemein pädagogischen Zielset­zung des autonomen, mündigen, auch und vor allem des medienmündigen Schülers und späteren Bürgers. Me­dienmündigkeit setzte allerdings vor­aus, daß man die Regeln des Filmens und der Gestaltung, der Beeinflussung durch Kameraführung, Filmmaterial, Licht und durch die Story etc. kennen­lernte. Ein Weg dazu, der sich zur eige­nen Produktion steigern konnte, war die exakte Filmbeobachtung, für die man eine Reihe von Filmbeobachtungsbö­gen zu unterschiedlichsten Bearbei­tungszwecken entwarf. Allerdings wa­ren diese so zahlreich, daß der Lehrer schwer auswählen konnte, und eigent­lich seinen eigenen Bogen entspre­chend seinen Zielen hätte formulieren müssen. Da dies aber sehr aufwendig war, wurde es in der Regel unterlassen.

So führten wachsendes weltweites poli­tisches Bewußtsein, mit ausgelöst durch die 68er Bewegung, die Fülle der Medien, ihre didaktisch reflektierte Nut­zung und eine bestimmte religionspäd­agogische Konzeption zu einer ganz neuen Stellung der Medien und des Films im Religionsunterricht, zu einer Stellung, wie sie es bisher nicht gege­ben hatte. Daß dies nicht ohne Konse­quenzen für die kirchliche Infrastruktur der Institute, der Filmverlage und Medi­enstellen blieb, das versteht sich von selbst. Verstärkt wurde diese Position im Lauf weniger Jahre durch die Einfüh­rung der Videotechnik und des Videore­corders, die nun das Super-8-Filmen ablöste und durch die zunehmende Zahl der Fernsehsender im privaten Bereich und der entsprechenden Seh­gewohnheiten des Publikums. Obwohl und das muß einschränkend bemerkt werden, bis in den Anfang der 90er Jahre der 16-mm-Film im unterrichtli­chen und gemeindlichen Bereich domi­nant blieb. Andererseits waren inzwi­schen eine Fülle von Möglichkeiten herangereift, die die Eigenproduktion durch Schülerinnen und Schüler er­möglichten. So sehr es theoretisch ge­fordert an der Spitze der Mediendidaktik steht, blieb doch dieses Verhalten aber ehe maginal. Dazu gilt wohl insgesamt, daß der Film im Religionsunterricht im Kontext anderer Medien, abgesehen vom Dia, neben dem Foto, der Fotoko­pie, der Folie und diverser Tonträger eher an letzter Stelle rangiert. Das ist allerdings weniger aus inhaltlichen oder formalen Gründen so, sondern auf­grund der materiellen Ausstattung der Schulen und Gemeindehäuser. Noch ist die Standardausstattung auf die relativ schweren und technisch empfindlichen Geräte des 16-mm-Bereichs be­schränkt; die durchgehende Umrüstung auf Video um von der Videogroßprojek­tion gar nicht zu reden, steht noch aus. Die Produzenten stellen sich allerdings bereits auf den Videomarkt ein. So liegt die Dominanz des Aktuellen wohl zur Zeit im Videobereich, klassische The­men werden eher im 16-mm-Format abgehandelt und ausgeliehen, aber hier stehen die Vorführungsmodalitäten einer intensiven Nutzung entgegen. Hinzu kommt für den gesamten Filmbe­reich als ein Moment eingeschränkter Nutzung die Unsicherheit vieler Lehrer und Lehrerinnen mit dem Medium Film, das von seiner Art her extrem komplex ist und das andererseits als Medium in den Ausbildungsgängen von Lehrerin­nen und Lehrern und von Pastorinnen und Pastoren kaum vorkommt. So ist verständlich, daß in der Regel dem feststehenden Einzelbild schon aus ganz pragmatischen Gründen im unter­richtlichen Einsatz der Vorzug gegeben wird. Faktisch sind wir damit sowohl filmhistorisch wie sachlich bei der ge­genwärtigen Situation des Films im Religionsunterricht angekommen.

In einer Zeit, in der Kinder und Jugend­liche viel Zeit im Umgang mit Medien verbringen, wo die "Mediatisierung" vieler Alltagsbereich kontinuierlich voran schreitet. Was das für die Kinder qualitativ bedeutet, wurde bisher nur vereinzelt untersucht. Dennoch sind dauerhafte und womöglich tiefgreifende Veränderungen für das Alltagsleben der Kinder und ihr Verhältnis zur Umwelt abzusehen; sie berühren auch die Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts:

(1) Der Alltag der Kinder wird zuneh­mend von "Medienerfahrungen be­stimmt und durchsetzt", er wird dadurch komplizierter und differenzierter. Die Kinder müssen sich mit den Medien- und Konsumangeboten auseinander­setzen und "neue Formen der Aneig­nung von Welt" und Wirklichkeit ent­wickeln. Das betrifft sowohl ihr prakti­sches Verhalten als auch das Symboli­sche Aneignen und Verstehen der Wirklichkeit und ihrer selbst. (vgl. z. B. Barthelmes  1986, S. 8)

(2) Auch inhaltliche Aspekte des Sinn­aufbaus und des Verstehens von Alltag und Lebenswelt wandeln sich unter dem Einfluß der Medien:

  • Normen und Werte, also auch die Orientierungen für das Handeln und die Zielvorstellungen junger Men­schen etwa für ihre Lebensplanung, orientieren sich nicht mehr allein an dem, was in Gesellschaft und Kultur allgemein "gilt", sondern verstärkt auch an den künstlichen Leitbildern, die die Medienprogramme unter den Bedingungen von Aktualität, Fas­zination und Attraktivität entwerfen. Eigene mediale Leitbilder entstehen.
  • Sinngebungen für die Erlebnisverar­beitung unterliegen der Einwirkung der trivialen oder tragischen, phan­tastischen wie wirklichen Geschich­ten von Gut und Böse der Fernse­henunterhaltung oder der Video- und Computerspiele.
  • Alltagsroutine wird durch den Medi­enbetrieb "reglementiert": Während der Hauptnachrichten ruft man nie­manden an, während großer Sport­übertragungen finden keine Gruppenveranstaltungen statt.
  • Vorstellungen über Zeit, Raum und Gegenstände verändern sich, die Medien vermitteln das Gefühl, un­begrenzt überall und jederzeit dabei zu sein, der subjektive Aktionsradius weitet sich aus.

Der wachsende Einfluß der Medien bzw. die "Sozialisation durch Medien" tritt in Konkurrenz zu den traditionellen Sozialisationsinstanzen wie Familie und Schule bzw. drängt deren Ein­fluß weiter zurück (ebd., S. 7) Das gilt auch für religiöse Erziehung und Religionsunterricht.

(3) Abzusehen ist auch, daß Kinder und Jugendliche nicht nur Objekte der Me­dienwirkung sind, sondern sich auch als deren Subjekte verhalten: Sie nutzen das alltägliche Medienensemble aktiv als Spiel- und Experimentierfeld nach ihren Bedürfnissen: Sie sehen selektiv, auch wenn die Programme kontinuier­lich durchlaufen, sie handeln als Zu­schauer "aktiv" und greifen sich thema­tische Aspekte heraus, die den aktuel­len Themen korrespondieren, mit denen sie von ihrer inneren Entwicklung und ihrem äußeren Umfeld her gerade be­schäftigt sind. Sie nutzen das Fernse­hen zur alltäglichen "Lebensbewältigung" (vgl. Charl­ton/Neumann 1986) und machen aus ihrer Beschäftigung mit Video- und Computerprogrammen "eine Art Bau­stelle für die eigene Identitätsarbeit";  zwar liefern ihnen die Medien keine "zusammenhängende (n) Bilder der Wirklichkeit" und keine "umfassende(n), dauerhaften und detaillierte(n) Identifi­kationsangebote", bieten aber doch immerhin "eine Fülle von Fragmenten, Sinnsplittern und reizstarken Eindrüc­ken. Die Kinder sind also gezwungen (bzw. haben auch die Chance), die Syn­thesen, die Selbstentwürfe und Weltin­terpretationen immer wieder in ihrem Tun und in ihren Köpfen selbst herzu­stellen". (Hengst 1984, S. 25)

Allerdings müssen sie sich auf die "Sprache der Medien einlassen. Sie hören und sehen in den Bildern und Codes, in den Zeichen und Symbolen, die ihnen die Massenmedien bzw. die von ihnen bevorzugt genutzten Medien vorgeben. Sie eigenständig zu deuten und kritisch zu nutzen, braucht eine eigene, kritische Sprachlehre. Die "audiovisuelle Alphabetisierung" ist deshalb als Kern einer kritischen Medi­enkunde und Medienerziehung zu be­greifen und bildet für die Schüler den entscheidenden Schritt auf dem Weg zu eigenen kommunikativen Kompetenz.

Die weitgreifenden persönlichkeits-bildenden und weltbild-konstituierenden Folgen der ausgedehnten Mediennut­zung können auch die Religionslehrer und Religionslehrerinnen nicht überse­hen und nicht übergehen. Denn auch im RU muß der Schüler mit seiner kon­kreten Individualität, mit seiner persön­lichen Biographie und Lebenspraxis im Mittelpunkt stehen, das gilt in der neue­ren Religionspädagogik als "allgemein anerkanntes Postulat" (Fraas 1986, S. 77). Medienalltag und Medienbiogra­phie der Schüler sind deshalb nicht nur als Voraussetzung für den am Schüler orientierten Religionsunterricht zu be­rücksichtigen, sondern müssen auch im Unterricht thematisiert werden. (Gawert, S. 188/89)

Dabei ist allerdings ein wesentlicher Aspekt noch zu berücksichtigten und das ist der Aspekt der sich ständig ver­ändernden Sehgewohnheiten. Bedingt durch die Vielzahl der Programme ei­nerseits und einer damit gegebenen sehr großen Programmauswahl hat es sich ergeben, daß der durchschnittlich interessierte Fernsehzuschauer zu "Springen" zu "Zappen" beginnt, wenn ihn eine Filmszene zu langweilen an­fängt. Er springt gleichsam von Pro­gramm zu Programm, um die jeweils interessanteste Szene zu finden. Ver­stärkt wird dieser Vorgang betrachte­runabhängig durch die Sendestruktur der privaten Programme, deren Finanz­volumen (und damit deren Spielfilmfä­higkeit) durch die Werbeausstrahlungen finanziert und geprägt wird. In ca. 20 Minuten Abständen wird ein Spielfilm durch Werbeblöcke unterbrochen. So ergibt sich vom Filmverlauf her, daß derjenige, der Werbung nicht konsu­mieren will, in diesen Pausen den Kanal wechselt, um in andere Programme hineinzuschauen. Damit wird filmdra­maturgisch gesehen ein sinnvoller, hinführender, die Handlung langsam aufbauender Filmvorgang einschließlich der damit beim Zuschauer vorhandenen Haltung und Bereitschaft, sich einbe­ziehen zu lassen in ein nach und nach sich dramatisch steigerndes Hand­lungsgefüge, systematisch zerstört. Hierzu gehört auch die aus dem Um­gang mit Videofilmen bekannte und mögliche Form des Schnelldurchlaufs jener Passagen, die nicht unmittelbar durch Action geprägt werden. Der re­gelmäßige Fernsehende ertappt sich so dabei, wie er in längeren Reportagen zum Schnelldurchlauf greift, ehe er sich dessen bewußt wird, daß kein Film im Recorder liegt, sondern daß es sich um ein Liveprogramm handelt. So kommen verschiedene Elemente zusammen, die insgesamt zu einer der klassischen, am Theater orientierten Filmbetrachtung abträglichen Gewohnheit, dem Zappen, führen. Kurz, die Vorliebe des Betrach­ters für kurze emotional und actionrei­che dichte Filme steigt. Umgekehrt führt der Einsatz der Videotechnik im Unterricht dazu, daß der Unterrichten­de, wenn er seine Methoden anfängt zu reflektieren, nach kurzen Filmen Aus­schau hält. Hier begegnen sich zwei Tendenzen, die eben durch gegenwär­tige Sehgewohnheiten geprägt werden. Kurze Filme garantieren die Aufmerk­samkeit der Schülerinnen und Schüler, sie sind im Sinne von Unterricht bear­beitbarer oder zumindest leichter zu bearbeiten als längere Filme; im Falle eines Videofilms ist das schnelle Hin- und Herspulen von Vorteil, sie sind preislich günstiger zu erwerben, sie sind leichter zu transportieren als 16-mm-Rollen und von daher besser in den Unterricht einzupassen. Hinzu kommt, daß sie vom Preisniveau her von der Schule anschaffbar sind, so daß sie ständig verfügbar gehalten werden können und damit das aus­wendige Ausleihen einschließlich des Transportes entfällt. Die Film- und Vi­deoverlage nutzen diese Möglichkeit und stellen sich zunehmend darauf ein. Mit der Zeit verändern sich also die Rahmenbedingungen für den Film im Unterricht. Sie werden einerseits schlechter, was den klassischen Film betrifft, andererseits besser im Kontext des Videobereiches. Offen bleiben zu­nächst jedoch die Fragen nach einer Mediendidaktik, die unterrichtlich prak­tikabel ist. Theoretische Abhandlungen gibt es zur Genüge, aber sie bewegen sich auf einem Niveau, das in den un­terrichtlichen Vollzug kaum hineinreicht oder ihn kaum betrifft. Ein deutlicher Versuch, in diese konkrete unterrichtli­che Situation einzusteigen, ist über entsprechende Fachzeitschriften hin­aus, eine Arbeitshilfe aus Loccum: "Film und Religionsunterricht", die ver­sucht, dem Unterrichtenden an dieser Stelle eine gewisse Hilfestellung zu bieten. Der eigentlich typische Ansatz liegt dabei nicht so sehr im theoreti­schen Raum allgemeiner mediendidak­tischer Problematik und des damit zu­sammenhängenden gesellschaftlichen Umfeldes, sondern im Blick auf die unterrichtliche Konkretion. Dabei wird der Ansatz von Brockmann aus den 70er Jahren aufgenommen und das heißt konkret:

  1. Filme werden vorgestellt und inhalt­lich bekanntgemacht
  2. Analysekriterien und Filmbeobach­tungsmöglichkeiten werden vorge­stellt und als Hilfen an die Hand ge­geben.
  3. Filme werden mit Bildern oder Tex­ten kontrastiert, so daß eine gegen­seitige Erschließung möglich wird.

Gerade der letzte Punkt scheint mir dabei besonders wichtig zu sein, denn das, was dieser Punkt benennt, ist ge­nau das, was den meisten, den Filmen beigefügten Arbeitsblättern fehlt: Kon­trast- bzw. Ergänzungsmaterial, zumal dann, wenn Schülerinnen und Schüler Aussagen bzw. Wertungen eines Fil­mes sich selbständig erarbeiten sollen. Solche Bilder, wie ich sie mir vorstelle, können dem Film selbst entnommen sein, um in ihn einzuführen und um die Aufmerksamkeit zu schärfen. Sie kön­nen aber auch anderen Kontexten ent­stammen, um eine mögliche Einlinigkeit eines Films aufzubrechen oder ihn in seiner Besonderheit hervorzuheben. Dabei wird man allerdings unterschei­den müssen und zwar nach der Art der uns zur Zeit überwiegend angebotenen Filme. Wenn ich es richtig sehe, bietet der religionspädagogische Filmmarkt zur Zeit folgende Filmgruppen:

  • Spielfilme zu unterschiedlichen Thematiken, in der Regel ethisch orientiert.
  • 3. Welt-Filme, die zum Teil in die Kategorie a) fallen, zum Teil in die Kategorie Kurzfilme (Dokumentation)
  • Kurzspielfilme
  • kurze Animationsfilme
  • Videoclips (besonders kurze Anima­tions- und Spielszenen nach Themen geordnet und in nicht un­beachtlicher Fülle auf einem Videoband versammelt - Matthias-Film)

Fragt man nach den Einsatzmöglichkei­ten der Filme, dann sind sie, abgese­hen von abendfüllenden Spielfilmen, die jedoch eine Sonderrolle spielen, Ein­stiegsmaterialien, die den Zugang zu einer bestimmten Thematik erschließen sollen. Sie stehen damit am Anfang einer Stunde oder einer Unterrichtsein­heit. Der themenfelderschließende Cha­rakter dieser Filme, der die anschlie­ßende Diskussion bzw. das weiterfüh­rende Gespräch erfordert, macht sie aber auch für Angelpunkte eines weiter fortgeschrittenen Unterrichtsgesche­hens durchaus geeignet. Für jenen Punkt also, wo neue Argumente ins Spiel kommen sollen oder müssen bzw., wo eine neue Richtung der Dis­kussion eingeschlagen werden soll. Viel seltener, aber möglich, wären evalua­tive Aufgaben, für die aber das fil­mische Einzelbild in der Regel geeigne­ter erscheint als selbst ein Kurzfilm. Die Methoden, die jeweils zum Einsatz kommen können, will ich am Ende ge­sondert erwähnen, auch um Über­schneidungen zu vermeiden. Ich denke, neben der Betrachtung und Diskussion von Filmen und ihrer jeweiligen Thema­tik wird beim Stichwort Film zu sehr aus dem Blick gelassen, daß uns die ge­genwärtige Videotechnik hervorragende Möglichkeiten der Eigenproduktion bietet, vor allem im Kurzfilmbereich. Das kann bei einfachen Erkundungen mit der Videokamera beginnen, aber auch zum gestalteten Kurzspielfilm führen.

In der Regel wird man ein solches Vor­haben als Projekt planen müssen und der- oder diejenige, die auf diesem Gebiet einige Erfahrungen gesammelt haben, werden nicht umhin können, ein solches Projekt fächerübergreifend zu gestalten. Aufgrund des Arbeitsaufwan­des wird man dies auch nicht sehr häu­fig tun, aber ich denke, es ist leicht ein­sehbar, daß im Religionsunterricht und im Deutschunterricht eine Story bzw. das Drehbuch entwickelt werden kann, daß im Bereich Kunst die Gestaltung anfällt und daß im Fach Musik der Ton artikuliert wird. Das bedarf jedoch in­tensiver Planung und auch in der Regel außerschulische Aktivitäten. Gerade aber so lernen Schüler sowohl am be­sten und am meisten und deswegen halte ich diesen Weg geradezu für den Königsweg medialer und damit auch filmischer Erziehung. Und dies vor ei­nem doppelten theoretischen Hinter­grund:

Die Kirchen haben sich in ihrer Ver­kündigung und Unterweisung immer anschaulicher Bilder und bildhafter Ge­schichten bedient und so didaktisch zwischen dem "Wort Gottes", dem Grund ihres Zeugnisses, und den Hö­rern mit ihren Erfahrungen "vermittelt". Der Religionslehrer verfährt nicht an­ders. Er muß aber, wie die Kirchen heute auch, bewußt auf die weltlichen Bilder achten, sie als Ausdruck der Erfahrungen und Empfindungen der Menschen heute verstehen und sie genauso sorgfältig "lesen" unter inter­pretieren, wie er selbstverständlich die traditionellen Texte der christlichen Überlieferung exegisiert und interpre­tiert, um nicht an der Realität der Schüler, an ihren Alltagserfahrungen vorbei zu unterrichten. Er braucht die Medien, mit denen die Schüler alltäglich spielen, sich unterhalten und lernen, um seine fachspezifischen Inhalte und den Alltag der Schüler zu vermitteln. Der wachsende Einfluß der Medien auf die Schüler und der vermehrte "Nutzen", den sie daraus ziehen, ver­stärkt diese Notwendigkeit.

Filmen ist ja das ins Bild setzen von Wirklichkeit, die uns umgibt, in der wir leben. Durch die zunehmende Indivi­dualisierung bricht allerdings öffentli­cher Konsenz in extrem viele Klein­gruppenmeinungen auseinander, damit zugleich auch die Wahrnehmung von Wirklichkeit. Ein Film wiederum stellt von sich aus eine Wirklichkeit her und in dem wir ihn gemeinsam betrachten und uns in seinen Bann ziehen lassen, in dem wir uns an ihn ausliefern, stellen wir so etwas her wie einen gemeinsa­men Erfahrungs- und Gesprächshinter­grund oder eine Erfahrungs- und Ge­sprächsvorlage. Der Film macht uns damit Wirklichkeit erfahrungskompati­bel und wird als Bild der Welt eine In­terpretationsfolie fürs Religiöse. Diese Funktion hat er mit dem Einzelbild, sei es ein Gemälde oder ein Foto, gemein­sam. Suchten Religionspädagogen im Sinn einer Zielkonformität in der Mitte dieses Jahrhunderts noch nach "stützenden" Filmen, die das, was der Lehrer wollte, deutlicher und intensiver ans Licht bringen sollten, als er selbst das vermochte, gleichsam wie ein gro­ßer Bruder, so hat sich heute das Ver­hältnis geändert. Da das Gegenüber der Welt extrem vieldeutig geworden ist, bilden sich nun im Bild und im Film nicht nur der Glaube, sondern die Welt ab, die es zu interpretieren und zu ver­ändern gilt, denn Wirklichkeit begegnet uns zunehmend medial und gilt nur als solche wirklich. Damit hat sich aber auch die Position und Funktion des Films im Religionsunterricht grundle­gend geändert. Die Funktion und Ver­triebswesen einschließlich der Preise (also im wesentlichen die "kurze" Vi­deoproduktion versus "längerer" Spiel­film) wie andererseits der Individualisie­rungsschub der "Moderne" lassen es sinnvoll erscheinen, auch filmische Unterrichtsmaterialien von den "großen" Medienstellen weg hin in die Hand des Lehrers und der Lehrerin, bzw. der Schule zu verlagern. So könnte die Idealsituation darin bestehen. daß die Unterrichtenden im Fach Religion das von ihnen verwendete Material, das sie häufiger, weil leichter, einsetzen, in unmittelbarer Zugriffsnähe zur Hand haben. Eine mögliche positive Folge könnte dann darin bestehen, daß mit bestimmten bevorzugten Materialien längere Erfahrungsräume im unterricht­lichen Prozeß abgedeckt werden kön­nen und die individuelle Sicherheit im Umgang mit dem Medium Film zuneh­men kann. Ebenso wächst die Chance des gezielten medienspezifischen Ein­satzes, denn die Medien stehen dann zur Verfügung, wenn der durchschnittli­che Lehrer sich auf den Unterricht vor­bereitet - am späten Nachmittag oder Abend -. Was aber wird dann aus den großen Medienstellen und Medienzen­tren? Mit der Wiederentdeckung eines möglichst vieldimensionalen Lernpro­zesses, der fälschlicherweise häufig als "ganzheitlich" ausgegeben wird, haben die medialen unterrichtlichen Möglich­keiten des Rollenspiels, des Masken­baus, des Schminkens, des Theaters, des Spiels und des bildnerischen Ge­staltens derartig viele Möglichkeiten, aber auch notwendige Beratungs- und Lernsituationen geschaffen, daß hier der Trend des Angebotes, so wie es in der Medienzentrale in Hannover schon praktiziert wird, in Richtung Kulturarbeit gehen könnte und müßte. Damit verla­gert sich deren Schwerpunkt von der Ausleihstelle zum Ort und Organisator von Beratung und Weiterbildung im mediendidaktischen Bereich. Die radi­kale Forderung des medialen und ge­sellschaftlichen Wandels hieße dann: Jedem seine eigene Mediothek, zumin­dest jeder Schule und Gemeinde.

Insofern hat der Individualisierungs­schub marktpolitische und ökonomi­sche Konsequenzen.