'Quasimonogeniti' - oder: Wie ein Kinder-Evangeliar entsteht?

Maren Zerbe

 

Die Idee

Gibt es eine Gemeindeaktion, mit der wir auf unser Kirchenjubiläum hinweisen können? Eine, die uns schon ein Jahr vorher darauf hinweist und uns auch während der Jubiläumsaktivitäten im Spätsommer und Herbst begleitet, bis hin zum großen Festgottesdienst? Ein "Kontinuum"? – Das fragten wir uns in unserem Festausschuss zur Vorbereitung des 125-jährigen Jubiläums der St. Bartholomäus-Kirche Neuenkirchen.

In diesem Zusammenhang kam mir die Idee, ein Kinder-Evangeliar zu initiieren. Das meint: Kinder aus Neuenkirchen schreiben den vorgegebenen Evangeliumstext für den jeweiligen Sonn- oder Feiertag ab und gestalten ein Bild dazu. Die Woche für Woche hinzukommenden Seiten werden in der Kirche ausgelegt und ergeben am Ende ein dickes Buch. Dieses spannende und bereichernde, aber auch arbeitsintensive Projekt möchte ich hier vorstellen und Tipps zur Nachahmung geben.

 

Die Vorbereitungen

An organisatorischem und praktischem Aufwand kommt einiges zusammen.

Die Evangeliumstexte sind zwar nach der Perikopenordnung vorgegeben, aber mit welcher Textlänge und in welcher Übersetzung sollen die Kinder sie abschreiben? Ich habe mich für die Gute Nachricht entschieden und meistens die möglichen Erweiterungen weggelassen. Die Texte müssen für die Kinder kopiert oder abgeschrieben werden (eine Bibel-CD-ROM hilft dabei).

In welcher Form sollen Text und Bild gestaltet werden? Meine Vorgaben waren: 4 cm Rand beim Text (rechte Seite) und Bild (linke Seite), der nicht beschriftet oder bemalt werden soll; der Name und das Alter des Kindes sollen am Bildrand notiert werden; die Seiten sind zwei Tage vor dem Gottesdienst im Kirchenbüro oder bei mir abzugeben. Mit welchen Stiften geschrieben und gemalt wird, können die Kinder selbst auswählen; auch in der Bildgestaltung haben sie freie Hand. Auf einem Merkblatt können Kinder und Eltern alle beachtenswerten Punkte nachlesen.

Und dann kommt der aufwändigste Teil – die Werbung. Artikel im Gemeindebrief und in der Tagespresse reichen kaum aus, um ausreichend Kinder zu finden (bei allen Sonn- und Feiertagen sollen immerhin fast 70 Kinder mitwirken). Viel wichtiger und effektiver ist das persönliche Ansprechen der Kinder, ihrer Eltern und Großeltern. Das geschieht bei zufälligen Begegnungen auf der Straße, in der Kirche und im Gemeindehaus, bei Kasualbesuchen etc. Und das geschieht gezielt bei Besuchen in Familien, in Kindergruppen der Gemeinde und beim Besuch von Schulklassen (ab 2. oder 3. Klasse). Dabei empfiehlt es sich, die bereits vorhandenen Texte und Bilder mitzunehmen, denn so können sich die Kinder viel besser vorstellen, worum es geht und was sie erwartet. Interessierte Kinder melden sich bei mir.

Dann besuche ich die Familien, erkläre ihnen alles, bringe ihnen Papier (DIN-A3-Zeichenpapier plus blanko Probepapier zum Zeichnen und liniertes Probepapier mit unterschiedlicher Zeilenbreite für den Text) und den Evangeliums-Text (der in der Länge und dem Schwierigkeitsgrad den persönlichen Fähigkeiten des Kindes angepasst sein soll). Meist ergibt sich dabei ein Gespräch über den Text (wie meint Jesus das hier...?). Manchmal ergibt sich auch ein Gespräch über den Sonntag, wie bei "Quasimodogeniti": Drei Freunde hatten sich verabredet, beim Evangeliar mitzumachen. Bei meinem Besuch waren auch die drei Mütter und zwei Geschwister dabei. Eine fröhliche, aufgedrehte Stimmung herrschte in der Wohnung. Einem der drei Freunde übergab ich seinen Text mit den Worten: "Und du bekommst den Text für den Sonntag mit dem schönen Namen: Quasimodogeniti."

Dieses ungewöhnliche, komplizierte Wort rief bei den Kindern sofort einen Heiterkeitsausbruch hervor und kichernd riefen sie immer wieder: "Quasimonogeniti, Quasi-monogeniti...". – Die Mütter korrigierten: "Quasimodogeniti!"

Die Kinder übten lange, auch später noch im Kinderzimmer, lachend diesen einmaligen Sonntagsnamen. Ohne es zu wissen, waren sie ganz dem Sonntagsmotto entsprechend begeistert (Quasimodogeniti, lateinisch "Wie die neugeborenen Kinder"). Beiläufig und spielerisch haben Kinder und Mütter sich so mit einem Teil von kirchlicher Tradition vertraut gemacht.

Und wenn Bild und Text fertig sind? Die Kinder sind oft sehr stolz auf sich, wenn sie diese schwierige Aufgabe des Schreibens und Malens gemeistert haben. Die Mühe und das Ergebnis gilt es zu würdigen. Eine Dankeschön-Karte und ein Dankeschön-Geschenk sind ein Muss; am besten ist, dies auch persönlich zu übergeben.

In der Kirche werden die Bilder und Texte in DIN-A3-Prospekthüllen eingelegt; so sind sie, wenn die Betrachter die einzelnen Seiten durchblättern, vor Eselsohren und Beschmutzung geschützt. Ein Buchbinder fertigt für uns ein spezielles Ringbuch in Buchoptik an, in dem am Ende alle Evangeliarseiten einheftet sind.

Es ist gut, im Gottesdienst immer wieder auf das Kinder-Evangeliar hinzuweisen, eventuell auch die kleinen Künstlerinnen und Künstler namentlich zu erwähnen, vor allem wenn sie im Gottesdienst anwesend sind. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder Kolleginnen und Kollegen müssen deswegen über das Projekt gut informiert sein, um entsprechend mitwirken zu können.

Zum Jubiläumsgottesdienst am 1. Advent 2005, bei dem das Neuenkirchener Kinder-Evangeliar komplett ist, sollen alle Kinder und Eltern eingeladen und in den Gottesdienst eingebunden werden.

 

Die Stolpersteine

Natürlich kann einiges schief gehen. Es könnte sein, dass sich nicht genug Kinder finden, die mitmachen wollen. In der Tat ist diese Aktion ein Risiko; aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Was tun? Vielleicht lässt sich mit einer Lehrerin zusammen die Gestaltung in den Unterricht einbetten, oder man kann gezielt an Konfirmandinnen und Konfirmanden herantreten. Im Zweifelsfall hat vielleicht das eine oder andere Kind Lust, ein zweites Bild zu malen.

Wenn die Bilder nicht rechtzeitig fertig sind... tja, dann kommen sie eben etwas später dazu.

Hat sich ein Kind verschrieben, wie es den Mönchen damals im Mittelalter sicherlich oft passiert ist? Dann sieht man erst so richtig: echte Handarbeit!

 

Die Nebeneffekte

Dieses Projekt fördert und fordert Beziehungsarbeit. An bereits bestehende Kontakte kann angeknüpft werden. Neue Kontakte zu jungen Familien entstehen. Es ergeben sich ganz zwanglos interessante Gespräche und Begegnungen. Auch mit der Schule vor Ort tun sich durch das Projekt neue Kooperationsmöglichkeiten auf, sowohl mit Religionslehrkräften als auch Kunstlehrerinnen und -lehrern.

Anstelle von Angeboten eröffnen sich Beteiligungsmöglichkeiten. Kinder bringen etwas von sich ein; sie schenken der Kirche etwas von sich. Es entsteht eine Haltung des Gebens: "Ich trage etwas bei" statt "ich nehme, was ich kriegen kann". Aber der Beitrag geschieht in einem begrenzten Rahmen. Die von ihren gestalterischen und zeitlichen Erfordernissen überschaubare Aufgabe erschließt andere Personenkreise als die klassische Gemeindearbeit.

Bibel, Gottesdienst, Kirche und Kirchenjahr werden ins Gespräch gebracht. Wenn die Kinder etwas malen sollen, müssen sie ja wissen, worum es in dem Text geht; Kinder fragen, wenn sie etwas nicht verstehen. "Wenn dein Kind dich morgen fragt..." Es wird in der Kinderbibel nachgeschlagen, die Pastorin muss den Kindern vielleicht den Text in kindgerechte Sprache übersetzen, und auch die (Groß-)Eltern setzen sich mit dem Bibeltext auseinander. Einen Text, den man einmal so intensiv bearbeitet hat, vergisst man wohl nicht.

Bei der Gestaltung von Text und Bild gibt es in den Familien einen Prozess des generationenübergreifenden Lernens. Ältere Geschwister helfen beim Malen, Großeltern erklären den Text, Eltern lesen Korrektur...

Auch die Gemeinde ist einbezogen. Mit Interesse oder Begeisterung verfolgen die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher den Entstehungsprozess, die Verschiedenartigkeit der Bilder und ihre Interpretationskraft. Die liebevoll geschriebenen Texte und schön gestalteten Bilder legen sich gegenseitig aus und helfen Kindern und Erwachsenen, den Bibeltext besser zu verstehen.

 

Das Ergebnis

Am Ende steht ein schönes Buch, ...

... das in den Gottesdienst integriert werden kann.

... das durch die Bildbotschaften der Kinder den üblichen Interpretationshorizont erweitert.

... das viele Kinder und ihre Familien (wieder) mit Kirche und Glauben in Verbindung bringt.

... das Kinder und ihre Fähigkeiten in die Mitte des Gemeindelebens rückt. 

 


Merkblatt für eine Kinder-Evangeliar-Seite

                                                                                                 Name des Sonntags











Bild









 









Text









                                                                                                                                                 Dein Name

 

  1. Lege die zwei Blätter hochkant nebeneinander.
  2. Male mit Bleistift den Rand auf die zwei Seiten, und zwar 4 cm auf jedem Blatt rundherum. Dieser Rand muss frei bleiben.
  3. Auf die rechte Seite schreibst du in die erste Zeile den Namen des Sonntags oder Feiertags mit der Textstelle (z.B. 1. Sonntag nach Epiphanias: Matthäus 3, 13-17). Dann schreibst du nach einer Leerzeile den Evangeliumstext, der für den Sonntag oder Feiertag vorgesehen ist.
    (Du bekommst diesen Text in der Übersetzung "Die Gute Nachricht. Die Bibel in heutigem Deutsch".)
    Dafür solltest du ebenfalls mit Bleistift ein paar Linien vorziehen. Es muss alles auf eine Seite passen! Am besten probierst du es erst einmal auf den Probeseiten aus.
  4. Dann malst du auf die linke Seite ein Bild zu diesem Text.
    Vielleicht findest du eine Szene oder eine Person oder ... etwas besonders Interessantes, was du malen möchtest. Mit Buntstiften oder Filzstiften, Wachsmalern oder...
  5. Schreibe bitte an den rechten unteren Rand des Bildes deinen Namen und dein Alter (innerhalb des Rahmens).
  6. Gib bitte die Seiten bis spätestens zwei Tage vor dem Gottesdienst im Kirchenbüro ab (geöffnet: 9-11 Uhr). Du kannst es auch bei mir vorbeibringen.
  7. Die fertigen Seiten legen wir dann in der Kirche aus. Dort kann sie jedermann und -frau ansehen.

Toll, dass du mitmachst!

 

 

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2005

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