Wir malen, was uns im Dunkeln ängstigt

von Hanna Löhmannsröben

 

Die Darstellung eines Konfirmanden zeigt große Vögel mit weit aufgerisse-nen Augen, die scheinbar unmittelbar vor ihm sitzen. Wild sträuben sich ihre Federn. Die rote Alarmfarbe des Gefieders kontrastiert mit dem Dunkel von Augen, Flügel und Schnabel. Der größere der beiden Vögel breitet seine violetten Flügel aus und ist bereit, auf sein Opfer loszufliegen. Sein großer, geöffneter Schnabel verdeckt den Vogelkörper und die Füße. Die gesamte Darstellung, in rasantem Tempo und mit großer Entschlossen-heit ausgeführt, ist völlig auf die Ungeheuer konzentriert. Alles andere wird weggelassen. Betrachtende und Konfírmanden sind dem Bann des dargestellten Schreckens schonungslos ausgeliefert.

 

Biblischer/theologischer Bezug, Sachanalyse

Ängste sortieren
Angst gehört zum menschlichen Leben. Nicht jede Angst ist dabei negativ: Die Angst, von einer hohen Leiter zu fallen, kann beispìelsweise vor Leichtsinn bewahren. Angst vor Waffen, Angst allein auf dunklen Straßen, Angst vor Gewitter oder einem gewalttätigen Betrunkenen - solche Angst gründet auf eigener oder vermittelter Erfahrung und kann dazu führen, dass Menschen bedrohliche Situationen erkennen und vermeiden oder - wenn das nicht möglich ist - sich in einer bedrohlichen Lage sinnvoll verhalten können. Angst kann hervorgerufen werden durch eine sehr reale Bedrohungssituation: Angst vor einer Operation, oder vor dem Verlassenwerden. Es gibt Ängste vor realen Bedrohungen, denen Menschen kaum oder gar nicht ausweichen können: die Angst vorm Atomkrieg, die Angst vor globaler Umweltvernichtung, die Angst vor schwerer Krankheit und anderes mehr. Hier angemessenes Verhalten zu finden, fällt Menschen vielleicht besonders schwer. Zwischen dem Leugnen der Bedrohung und völliger Aufgabe des eigenen Lebens, zwischen Aktivismus und Resignation, zwischen Gelassenheit und Panik schwanken angstgeleitete Reaktionen auf solche Bedrohungen oder Gefährdungen. Sich sinnvoll zu verhalten bedeutet, angemessen zu reagieren, das Nötige zu tun und Grenzen eigener Spielräume der Bedrohung gegenüber zu erkennen. In diesem Zusammenhang sind menschliche Ohnmacht und menschliches Verhalten angesichts der beängstigenden Realität des Sterbens Gegenstand philosophischer und theologischer Bemühungen. Sie beanspruchen, für eine Gesellschaft und im Leben eines einzelnen Menschen hilfreich und klärend zu sein, also den Umgang mit der Angst angesichts von Tod und Sterben zu erleichtern.

Aber auch andere Ängste ziehen Menschen derartig in ihren Bann, dass sie keine Verhaltensalternativen zu haben glauben. Gegenstand von Witzen darüber ist zum Beispiel die Angst vor Mäusen oder Spinnen, die bei manchen Menschen zu Panikreaktionen führt. Dabei ist in den seltensten Fällen objektiv eine Bedrohungssituation gegeben. Ähnliches gilt für die Angst vor Ufos, Monstern Gespenstern und anderen Ungeheuern. Menschen, die davor Angst haben, können kaum einen sinnvollen Umgang mit ihrer Angst finden, wenn über sie gelacht oder wenn ihre Angst schlichtweg für unsinnig erklärt wird. So zu tun, als wäre nichts (nötig), ist im Umgang mit Angst immer die schlechteste Alternative.

 

In der Welt habt ihr Angst. Aber das soll Euch trösten: Ich habe die Welt überwunden.

Joh.16,33
Im Johannes-Evangelium verwischen sich die Konturen des historischen Jesus, weil Johannes die Erzählebene immer wieder verlässt und theologische Gedanken einfügt. Johanneisches Denken ist "umkreisendes Denken", das sich in Spiralen bewegt; es "umkreist in einer nicht abreißenden Meditation das Urgeheimnis der Christus-Offenbarung". Johannes zeigt dabei Jesus als den Offenbarer und Erlöser, als göttlichen Menschen, der Wunder tut und der durch seinen Tod und seine sieghafte Erhöhung alle gottwidrigen Mächte überwand. "Der Abschluss des Heilswerkes besteht darin, dass der Erhöhte die Seinen nach sich zieht und ihnen beí Gott Wohnung macht". Das Johannesevangelium ist geprägt von Gegensatzbegriffen, sogenannten Dualismen, wie zum Beispiel Licht-Finsternis, Wahrheit-Lüge, Angst-Befreiung, Tod-Leben. Die Werke, die Jesus in seiner Einheit mit Gott dem Vater vollbringt, sind in (Wunder-)Tat und Wort identisch (vgl. Kap.8 V.28: "Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts von mir selber tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich.") "Nirgends ist die himmlische Welt Thema seiner Rede. Thema seiner Rede ist immer nur das Eine: dass der Vater ihn gesandt hat, dass er gekommen ist als das Licht, das Lebensbrot, als Zeuge für die Wahrheit usw., dass er wieder gehen wird, und dass man an ihn glauben muss." Johannes stellte in seinem Evangelium von Kapitel 13, V.31 bis einschließlich Kapitel 16 Reden zusammen, die Jesus angesichts seines kommenden Todes als Vermächtnis den Jüngern (eigentlich: der Gemeinde nach seinem Tod) überlässt. Als einziger Evangelist gestaltet Johannes die Abschiedssituation theologisch aus. Wer an Jesus glaubt, gehört zu ihm wie die Rebe zum Weinstock (Kap.15), ist dem Gebot gegenseitiger Liebe verpflichtet (Kap.13 Verse 34 und 35; Kap.15, V.12) und weiß sich der Hilfe des "Trösters" versichert, den Jesus senden wird (Kap.15, V.26). In ihrem Leben ist die Gemeinde dabei starkem Druck ausgesetzt. Aber ihre Aufgabe ist dennoch, "dass sie in ihrer Gemeinschaft die Liebe zur Geltung bringt und dadurch der Welt Zeugnis gibt". Die Gemeinde ist "Gemeinde des Wortes, von dem sie lebt und das zugleich ihr Auftrag an die Welt ist." Der Schlussvers aus Kapitel 16 ist Zielpunkt der Abschiedsreden, wie Johannes sie Jesus in den Mund legt: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden (16,33b). Jesus weiß, dass diejenigen ihn im Stich lassen werden, die jetzt an ihn glauben. Sie können aber Frieden finden in Jesus, bei dem Gott ist.

Ihre Angst wird zu einer Macht, die sie von Gott trennt. Sie ist so groß, dass die Jünger das aufgeben, was ihr Leben ist: ihre Zusammengehörigkeit mit Jesus. Jesus aber überlässt die Jünger nicht ihrer Angst, sondern hat alles überwunden, was Angst machen kann. Botschaft dieses Verses ist: Menschen, die intensiv aus ihrem Glauben an Jesus leben, haben (doch) Angst, wo alles auf dem Spiel steht - sie leben in dieser Welt. Aber das andere gilt: in Jesus ist "die Welt" überwunden, und das tröstet.


Das Symbol "Kerze"
Von Gott zu reden, abgehoben von Erfahrungen, ist oft theoretisch und ist dann bloße Behauptung. Ein Gegenstand, etwas aus der Welt der Dinge, des Sichtbaren dagegen, mit Gott in Verbindung gebracht, ist oft beliebig, uneindeutig, vage, mitunter sogar gegensätzlich. Ein Symbol kann beides zusammenbringen: Rede von Gott, Erfahrung mit Gott, das "Wort", und das Sichtbare, Alltägliche, Uneindeutige, das "Zeichen". Zusammen bringen Wort und Zeichen etwas zum Ausdruck, was wahr ist. Zusammen sind Wort und Zeichen "Symbol". Das Symbol weist dabei hinaus über die Ebene des bloß Gegenständlichen, Alltäglichen.

Das Kontrastsymbol Licht-Finsternis findet sich unter anderem im Johannes-Evangelium Kap.8 V.12, wo Jesus sagt: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben." Licht und Leben aus Gott sind gekoppelt, Finsternis und Gottesferne sind gekoppelt. Licht steht für Gott und Gottes Wirken. Das Licht selbst - als Helligkeit und als Erleuchtung - ist gottgewirkt. "Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi" (2.Kor.4,6).

Eine Kerze verbreitet Helligkeit. Aus praktischen Gründen kamen ursprünglich die Kerzen auf den Altar: Geistliche mussten Licht zum Lesen haben. Heute hat Kerzenlicht in der Kirche meist seine praktische Bedeutung eingebüßt und eine andere Bedeutung erlangt. Kerzenlicht "hat eine merkwürdig sammelnde Kraft. Es ist der heftigen Bewegung und dem Zerstreutsein abhold. Es bewegt zur Meditation, zur Andacht. Ja, es tut dies auch dort, wo die Verbindung zum Glauben und zur Kirche locker geworden oder abgerissen ist... (Kerzen) sammeln und erwecken eine Stimmung, die der Andacht, dem Andenken an das, was wir zum Leben brauchen, verwandt bleibt." Weil Kerzenlicht in seiner Verletzlichkeit uns an das Lebenslícht erinnert und an unsere Verletzlichkeit, an das Dunkel, aber auch an die Zusage des Lichtes - darum kann es Symbol sein. Die Kerze weist über sich hinaus. Wort Gottes und unsere Erfahrung - dafür steht das Symbol Kerze.

 

Didaktische und methodische Hinweise

Über Angst zu sprechen wird Konfirmandinnen und Konfirmanden oft zu wenig ermöglicht. Sie leben daher oft ihren Ängsten ausgeliefert. Das gilt besonders für "mythische Ängste" vor Monstern, Ungeheuern, Vampiren und ähnlichem, aber auch für Ängste, mit denen die Bezugspersonen der Kinder es selbst schwer haben, wie beispielsweise der Angst vor dem Tod eines alten Familienangehörigen. Für Alltagsängste gibt es dagegen häufig Bewältigungsstrategien (offener Türspalt bei Angst vorm Einschlafen im dunklen Zimmer z.B.). Geistig Behinderte erzählen oft sehr konkret von ihren Ängsten und können sie genau beschreiben.

Beim Malen der Ängste ist oft viel Papier nötig, weil viele Jugendliche sich viele Ängste "vom Leibe malen" und damit bannen wollen. Viele wählen gelb, die Lichtfarbe, für ihr Bild. Das Dargestellte kann den Unterrichtenden und der Gesamtgruppe erläutert werden (Erläuterungen gegebenenfalls auf der Bildrückseite festhalten!). Werden dabei Wiederholungen festgestellt, können entlastende Bündnisse entstehen: Auch Einigkeit in Angst macht stärker in deren Bewältigung.

Ich schlage die Verbindung des Angst-Trost-Bibelverses mit dem Dunkelheit-Licht-Symbol vor. Oft erzählen Konfirmandinnen und Konfirmanden, dass im Dunklen alle Angst noch viel schlimmer ist, manche Ängste überhaupt nur dann auftreten. So ist "Dunkel" für sie ein Synonym für Angst. Was man im Dunkel nicht sieht, das macht Angst.

Eine Alternative wäre die Verbindung des Lichtsymbols mit dem Wort Joh.12,8. Angst wäre dann nicht ausdrücklich genannt, sondern im "Dunkel" einbegriffen.

Beim Einführen des Bibelwortes und der Kerze kann die Bearbeitung von Angst im Symbol intensiviert werden, wenn die Vorhänge zugezogen werden. Zwar ist es dann dunkel, aber das Kerzenlicht erinnert uns an Jesus, der die Welt überwunden hat mit aller Angst. Das ermutigt die Konfirmandinnen und Konfirmanden, die Überwindbarkeit ihrer Angst, ihres Dunkels zu glauben. Reale Ängste wie die vor dem gewalttätigen Vater, der Vernachlässigung durch eine drogenabhängige Mutter oder vor sexuellem Missbrauch müssen meiner Meinung nach unbedingt auch in der Wirklichkeit bearbeitet, das heißt zuerst: ernstgenommen werden. Hier haben Unterrichtende eine Fürsorgepflicht. Wer selbst Angst und Widerstand dagegen spürt, muss die eigenen Ängste aufspüren und bearbeiten. Nicht alle nötigen Interventionen müssen ja von den Unterrichtenden ausgehen, aber wer derartige bedrohliche Zustände aufdeckt, muss sich um fachkundige Hilfe für das Kind bemühen. Zynisch und schlicht eìne Anti-Predigt wäre es, reale Bedrohungen zu übergehen oder mit der Vertröstung auf das "Licht" abzutun. Das "Licht" kann vielmehr Hoffnung geben, dass sich an übermächtig scheinenden Zuständen, unter denen ein Kind Angst aussteht, doch etwas ändern lässt.

Oft haben wir in dieser Stunde viel gesungen. Das gemeinsame Singen hilft gegen die Angst. Da liegt im Verhalten einer Figur als der "Sesam-Straße" viel Weisheit. Allein im dunklen Wald singt er schlotternd und bibbernd: Ich hab' keine Angst, ich hab' keine Angst...

Eine Gruppe hat übrigens selbständig dafür gesorgt, dass in allen weiteren Konfirmandenstunden bìs zur Konfirmation immer die Kerze auf dem Tisch brannte. Es kann also sinnvoll sein, die Kerze nicht gleich wieder aus dem Unterrichtsraum zu nehmen.

Das Textblatt kann auch ausgemalt werden. Die Konfirmandìnnen und Konfirmanden malen ihre Ängste (notwendigerweise verkleinert:) in den dunklen Bereich des Bildes, in den das Kerzenlicht nicht kommt. Kerze und Helligkeit können sie selbstverständlich auch gestalten. Der "Gefängnisgitter"-Effekt des Dunklen ist gewollt. Entdecken Sie beim lauten gemeinsamen Lesen das rhythmische Sprechen: Wie von selbst findet sich der Wechsel kurzer und langer Silben, und Klatschen oder Bewegungen stellen sich ein. Beispiel:

 

In der Welt
Arme waagerecht weit nach links und rechts ausstrecken
habt ihr Angst
Arme über dem Kopf verschränken, Kopf zur Brust neigen
aber das soll euch trösten
Oberarme seitlich an den Oberkörper legen, Unterarme seitwärts nach oben wenden, Hände flach ausstrecken
Ich
Hände auf dem Brustbein übereinander legen
habe die Welt
Arme waagerecht weit nach links und rechts ausstrecken
überwunden
Arme und Hände in die Luft strecken, vielleicht sogar in die Luft springen?

 

Ziel der Unterrichtsstunde
Die Konfirmandinnen und Konfirmanden teilen ihre Ängste mit und vergleichen sie mit den Ängsten, von denen andere erzählen. Sie beschreiben Wege aus der Angst. Sie lernen die Aussage Joh.16,33 kennen und können Verknüpfungen zu Ängsten darstellen, die sie fühlen.Sie lernen das Symbol 'Kerze' als Hoffnungszeichen kennen.
Die Konfirmandinnen und Konfirmanden lernen, dass Jesus Ängste ernst nimmt und überwinden helfen will.

Benötigtes Material, Lieder, Texte, Raum (Vorzubereitendes) Malsachen; besonders viel gelbes Papier.
Kerze auf feuerfestem und standsicheren Kerzenhalter, Streichhölzer.
Textblatt (siehe Materialteil) für die Konfirmandinnen und Konfirmanden.
Möglicher Stundenverlauf Begrüßung, Eingangslied(er).

1. Phase
Unterrichtsgespräch: Wovor wir Angst haben. Was uns geängstigt hat. Wie fühlt sich Angst an? Was man gegen Angst tun kann.
Was uns schon mal aus Angst geholfen hat?

2. Phase
Umsetzung: Malen, was uns Angst macht. Aufhängen der Bilder gemeinsames Betrachten.

3. Phase
Unterrichtsgespräch: Wiederholung und Weiterführung: Was aus Angst hilft. Einführen des Jesus-Wortes Joh.16,33.

4. Phase
Weiterführung und Vertiefung: Entzünden der Kerze. Unterrichtsgespräch über Licht und Dunkel. Wiederholen des Jesus-Wortes Joh.16,33. Verteilen des Textblattes (siehe Materialteil), mehrmaliges gemeinsames Lesen/Sprechen des Bibelverses.

Möglicherweise 5 Phase
Umsetzung: Ausmalen·der Kerze auf dem Textblatt, in deren Licht Angst zurückweicht. Die Bilder werden ebenfalls aufgehängt.

Gebet, Abschlusslied, Segen

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/1994

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