Orientierung an fremden Biografien

von Hans Mendl

 

Vom Ende zur Renaissance des Vorbilds und der Vorbildpädagogik

Selbst die Bild-Zeitung hat das Vorbild wiederentdeckt. In der Weihnachtszeit 2010 erschien in Bild und Bild am Sonntag eine tägliche Kolumne „Weihnachten mit den Heiligen“, bei der jewfils ein Heiliger vorgestellt wurde (gesammelt publiziert: Nyáry). Vor zwanzig Jahren wäre eine solche Serie undenkbar gewesen!

Wie es zu diesem Wandel kam, wie ein didaktisch verantwortbarer Umgang mit fremden Biografien lernpsychologisch begründet werden kann und worin der besondere pädagogische Wert von Helden des Alltags besteht, soll im Folgenden dargestellt werden.

 

Das Ende des Vorbilds im 20. Jahrhundert

Das Vorbild war lange Zeit „out“: Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts kann man ein „Auswandern“ der Vorbilder aus der Gesellschaft und aus der Pädagogik konstatieren. Gaben nach der Shell-Studie 1955 44 Prozent der Jugendlichen an, ein Vorbild zu haben, so waren das 1984 noch 19 Prozent und im Jahre 1996 gar nur noch 16 Prozent (vgl. Deutsche Shell 1997, 358). Die Gründe für diesen Rückgang sind mehrschichtig (vgl. Mendl 2005, 7-20). Sie hängen mit der unkritischen Helden-Idealisierung der Kriegs- und teilweise noch Nachkriegsgeneration in Deutschland zusammen. Von einer solchen Ideologie des Vorbilds und einer Leitbild-Pädagogik distanzierte man sich in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Eine Orientierung an Vorbildern wurde mit der Aufeinanderfolge von Bewunderung und Nachahmung gleichgesetzt und als solche selbstverständlich desavoyiert. Auf die Frage, wieso sie keine Vorbilder brauchen und wollen, antworteten Jugendliche in den 80er-Jahren so: Man wolle sich in Eigenregie entwickeln, sehe Autoritäten kritisch differenziert oder lehne Idealbildung und Heldenverehrung prinzipiell ab. Die traditionelle Vorstellung vom Vorbild passte also nicht mehr zu den gewandelten Erziehungs- und Wertvorstellungen. Die Folge war, dass sowohl in der Pädagogik als auch in der Religionspädagogik die Vorbild-Thematik als „einfach erledigt“ galt.

 

Die Renaissance des Vorbilds

Die Zeiten haben sich gewandelt. Inzwischen lässt sich auf verschiedenen Ebenen eine Wiederentdeckung des Vor­bilds feststellen: Journale wenden sich dem Thema zu und präsentieren Umfragen zum Thema, Nachrichtensender rufen zur Einsendung von Helden des Alltags auf und im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten wurde unlängst eine Spurensuche nach „vergessenen Helden“ (Wettbewerb 2008/2009: „Helden – verehrt – verkannt – vergessen“) angeregt. Auch empirisch hat sich das Blatt gewendet: In der Shell-Studie 2000 (217) gaben entgegen dem erwarteten Trend plötzlich 29 Prozent (gegenüber 16 Prozent im Jahre 1996) der Jugendlichen an, ein Vorbild zu haben; in der Untersuchung des Siegener Forschungsteams um Jürgen Zinnecker (2000, 52) sagen wenig später sogar 56 Prozent der Jugendlichen, sie hätten ein Vorbild. Und so verwundert es nicht, dass inzwischen die Vorbildthematik auch pädagogisch wieder salonfähig wurde.

Diese breite Trendwende ist, verbunden mit der Frage, welche Personen denn nun vermehrt als Vorbilder gelten, erklärungsbedürftig. Antwortversuche führen in die Konturierung unserer gegenwärtigen Gesellschaft: Der Mythos der Moderne, dass sich der selbstbestimmte Mensch aus eigenen Kräften eine stabile Identität stiften könnte, hat sich längst verflüchtigt.

Orientierungsmarken, die außerhalb der eigenen Peron angelegt sind, verleihen dem Einzelnen in einer schnelllebigen und unsicheren Zeit Sicherheit. Aber auch die modernen Zivilgesellschaften als Ganze sind auf Heroen angewiesen. Gerade in Zeiten der Verunsicherung, die ihre symbolische Verdichtung in den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA erhielten, entsteht das Bedürfnis nach Helden – und zwar nach lebenden Helden aus der unmittelbaren Umgebung: Diese medial präsentierten Helden sind Ersatzhelden, sie dienen als gesellschaftlicher Kitt, der dafür sorgt, dass die Welt nicht aus den Fugen gerät (vgl. Mendl 2005, 19f). Die Feuerwehrmänner des 11. Septembers oder die getöteten Passagiere des Flugs 93, United Airlines, die durch ihr mutiges Einschreiten ein größeres Unglück verhinderten, sind Platzhalter für vorbildhafte Verhaltensweisen einer verunsicherten Gesellschaft. Solchen Helden werden Eigenschaften wie Mut, Persönlichkeit, Humanität, Altruismus, Disziplin, weniger Erfolg und Körperkraft zugeschrieben. Sie dienen dabei nicht als Vorbild zur unmittelbaren Nachahmung, sondern vielmehr der Vergewisserung, dass die Welt stabil bleibt, solange es selbstlose Menschen gibt, die unerhörte Taten für die Gesellschaft bringen.

 

Didaktik des Vorbilds –
Plädoyer für einen lernpsychologisch verantwortlichen Umgang

Entscheidend für die Zukunft des Vorbilds in der Pädagogik ist die Frage nach dem angemessenen didaktischen Umgang mit der Thematik im Unterricht. Die folgenden knappen lernpsychologischen Reflexionen sollen das Feld einer verantwortlichen Vorbild-Didaktik abstecken.

 

Bewundern und Nachahmen:

Vorbilder waren lange Zeit deshalb „out“, weil man eine Orientierung an ihnen mit den Vorstellungen des Nachahmens und Bewunderns verband. Solche einfachen verhaltenstheoretischen Ansätze sind auf dem Feld des interpersonellen Lernens pädagogisch problematisch. Man kann und soll nicht einfach fremde Personen nachahmen! Dennoch: Auszuloten ist, inwiefern gerade im Kontext einer handlungsorientierten und kommunikativen Didaktik und durch neuere hirnphysiologische Forschungsergebnisse herausgefordert auch in der Begegnung mit anderen ein orientierendes Lernen verantwortet erfolgen kann.

 

Modell-Lernen:

Modelltheoretische Ansätze legen es nahe, die Auseinandersetzung mit fremden Biografien als reflektierten mehrstufigen Prozess der Werterhellung zu gestalten: Die Be­schäftigung mit Wert- und Lebensentscheidungen der betrachteten Person führt zur Frage, wie man sich selber in den geschilderten Situationen verhalten würde bzw. ob es vergleichbare Situationen im eigenen Leben gibt. Im engeren Sinn „erfolgreich“ sind solche Lernprozesse dann, wenn begründet nachgewiesen werden kann, dass Menschen auf ähnliche Weise wie eine vorbildhafte Person, mit der man sich zuvor beschäftigt hat, im eigenen Leben gute Taten vollbracht haben.

 

Wertediskurs:

Von einem diskursethischen Ansatz aus verzichtet man bei der Auseinandersetzung mit anderen Menschen auf unmittelbare Übertragungsmuster ins eigene Leben hinein. Dahinter verbirgt sich die moralpsychologisch begründete Hoffnung, dass Kinder und Jugendliche durch eine regelmäßige Diskussion von moralischen Dilemmata in ihrer moralischen Urteilskompetenz und in ihrem Wertbewusstsein gefördert werden – und das geht nur, wenn ihnen nicht von vorneherein bestimmte Verhaltensweisen als die einzig richtigen und ethisch legitimen aufgezwungen werden. Sie lernen in der Auseinandersetzung mit biografischen Entwürfen und besonders den Entscheidungssituationen anderer Menschen die Komplexität des Lebens kennen und erhalten ein Gespür für Normen und Werte, die Konsequenzen von Verhaltensweisen und die Notwendigkeit, über moralische Fragen in der Gruppe unterschiedlich Denkender zu streiten. Freilich: Ein solcher Verzicht auf unmittelbare Anwendungsfelder im eigenen Leben fällt Lehrerinnen und Lehrern häufig schwer! Die didaktische Dynamik führt die Schüler bei diesem anspruchsvollen Weg des Lernens in die biografischen Skizzen und Entscheidungssituationen der fremden Person hinein; sie sollen sich „einfühlen“, „eindenken“, „einklinken“. Das ermöglicht auch die nötige Distanz – man kann mit Entscheidungsmustern spielen und muss sich nicht sofort mit dem eigenen Wertecredo outen. So paradox es klingt: Gerade der Verzicht auf unmittelbare Transfers („Was lerne ich daraus fürs eigene Leben? Wo kann ich mich ähnlich verhalten wie …?“) bahnt den Weg zu nachhaltigem ethischen Lernen.

 

Handlungsethik:

Moralische Entscheidungen zu einem fiktiven Dilemma im Klassenzimmer oder Gruppenraum geben noch keinen Aufschluss über reales moralisches Handeln. Aus diesem Grund sind Projekte so bedeutsam, in denen planvolles ethisches Handeln tatsächlich eingeübt wird, Sozialprojekte und Sozialaktionen. Hier schließt sich dann der lernpsychologische Kreis, wenn man ein Element hinzufügt, das bei diesen Aktionen bisher noch unterbelichtet ist: Die professionellen Helfer, z.B. auch die Local Heroes vor Ort, werden zu vorbildhaften Personen und Spiegelungen für das eigene Verhalten; bei der reflexiven Auseinandersetzung mit den Motiven für ihr berufliches oder ehrenamtliches Handeln, aber auch im unmittelbaren gemeinsamen Tun (Umgang mit Behinderten, Pflege eines Kranken, Betreuung von Kindern) ergeben sich Felder der reflektierten Nachahmung und Bewunderung. Ein solcher Ansatz steht in einer gewissen Spannung zu einer diskursethisch orientierten Vorstellung eines orientierenden Lernens; er wird aber untermauert durch neuere Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Hirnforschung, die nahe legen, dass über die unmittelbare Wahrnehmung des Gegenübers Spiegelneuronen aktiviert werden und dies auch eine Bedeutung bei der Entwicklung von Empathie und Perspektivenübernahme haben könnte. Man kann beide Positionen mit­einander verbinden, wenn man das Prinzip der Reflexivität hinzuzieht, um das lernende Subjekt zu befähigen, auch über neuronal gesteuerte Prozesse der Spiegelung an anderen, beeindruckenden Personen, nachzudenken und entscheiden zu lernen.

 

Die besondere Bedeutung der Helden des Alltags

Die skizzierten lernpsychologischen Postulate lassen die Frage nach dem geeigneten Personal, an dem ein orientierendes Lernen vonstatten gehen kann, als zweitrangig erscheinen. Es steckt schon ein Körnchen Wahrheit im problematisch klingenden Satz: „Selbst vom Dümmsten kann man etwas lernen!“ Positiv gewendet: Jeder Mensch als Ebenbild Gottes ist ein würdiger Gegenstand, um sich an ihm und seinem Lebensentwurf zu spiegeln und von ihm zu lernen. Dies eröffnet ein weites Panorama möglicher fremder Biografien, die produktiv als Spiegelungsfolie in Lernprozesse eingebracht werden können: große Heilige und Helden der Geschichte, biblische Personen, literarische Gestalten, Stars und Idole sowie Personen des Nahbereichs.

 

Die Problematik der „großen“ Helden

Wieso aber gerade die Helden des Alltags pädagogisch besonders wertvoll sind, soll nach einer knappen negativen Abgrenzung positiv entfaltet werden: Lange dominierte in der religiösen Vorbild-Tradition, besonders in der katholischen Kirche, eine Thematisierung der großen Heiligen. Ihr großer Nachteil (neben einer leider häufig idealisierten und überhöhten Darstellung in den Legenden): Sie entstammen „einer ganz anderen Welt, Zeit und Gesellschaft“ (Nyáry 4) und sie werden von ihrem Lebensganzen aus betrachtet. Das erhöht die Distanz zu den Schülerinnen und Schülern: „So kann und will ich nicht werden!“

 

Die Bedeutung der „kleinen“ Helden des Alltags

Die „Heiligen der Unscheinbarkeit“ (Romano Guardini), „Helden des Alltags“ oder „Local Heroes“ eignen sich demgegenüber aus folgenden Gründen besonders gut für ein orientierendes Lernen:

  • Sie leben in der unmittelbaren Umgebung, sind Men­schen „wie du und ich“.
  • Sie belegen, dass auch in unserer Gesellschaft zwischen „punktuell“ und „radikal“ verschiedene Formen altruistischen Verhaltens möglich sind.
  • Sie bilden in ihrer Alltäglichkeit eine Brücke zwischen den dominierenden Lebensvorstellungen von Menschen heute und dem Mehr-Wert christlich-sozialen Verhaltens.
  • Theologisch lässt sich eine Orientierung an „kleinen Heiligen“ mit dem „Modell der Gradualität“ (familiaris consortio) begründen: Die Einführung in christliches Leben geschieht nicht im Hauruckverfahren und nach der Gipfelstürmermentalität, sondern in kleinen Schritten. Dies motiviert auch zum (begrenzten) eigenen Handeln.
  • Moralpsychologisch entspricht dies der so genannten +1-Stimulation; das bedeutet: Man ist solchen Argumenten gegenüber aufgeschlossen, die nur etwas differenzierter angelegt sind als die eigene Argumentationsstruktur.
  • Und ein letzter zentraler Punkt: Gerade Menschen aus dem Nahbereich und der Jetzt-Zeit ermöglichen eine unmittelbare personale Begegnung.

Auf dem Marktplatz der sogenannten Postmoderne mit ihren zahlreichen pluralen Wahlmöglichkeiten ist deshalb auch ein Angebot mit ermutigenden Lebensentwürfen nötig und hilfreich: Menschen, die zeigen, dass man in unserer Wohlstandsgesellschaft normal leben kann und dabei doch auch den Blick auf die Bedürfnisse der anderen nicht ausspart.

 

Projekt „Local Heroes“


Plakat zur Wanderusstellung „Local Heroes“

 

Datenbank Local Heroes

Vor dem Hintergrund der skizzierten Überlegungen wurde vor zehn Jahren das Internet-Archiv „Local Heroes“ (www.ktf.uni-passau.de/local-heroes) begründet: Hier werden „kleine“ vorbildhafte Gestalten präsentiert, die in der Bildungsarbeit, beispielsweise im Religionsunterricht oder in der Gemeindekatechese, verwendet werden können. Das Projekt versteht sich insofern als interaktives Vorhaben, als die Internet-User die Sammlung mit eigenen Beiträgen ergänzen können.

Vorgestellt werden „Heilige der Unscheinbarkeit“ (Romano Guardini), Personen des Alltags, die Ausflüge in gute Welten wagen und als Vorbilder für Menschen heute in die Diskussion gebracht werden können – Beispiele von „kleinen“ und „großen“ Berufungen (vgl. Mendl 2011, 200-203). Die Funde stammen überwiegend aus Tageszeitungen und Journalen. Die Personen sind nach thematischen (z. B. Eine-Welt-Arbeit, Kloster, Kriegsdienstverweigerung, Genforschung ….) und ethischen (Ehrlichkeit, Völkerverständigung, Zivilcourage, Lebensretter …) Stichpunkten geordnet.

Die Homepage enthält zusätzliche religionsdidaktische Hilfestellungen (Unterrichtsentwürfe, Stundenbausteine), religionspädagogische Hintergrundinformationen (Grundsatzartikel, Literaturhinweise) und weitere Hinweise zum Projekt (Pressespiegel, Begleitveranstaltungen, Ausstellung).
Die Präsentation von überwiegend „kleinen“ Helden des Alltags soll die Nutzer der Homepage dazu motivieren, vor Ort eigene Recherchen nach Local Heroes anzustellen, die Funde in ihrem Religionsunterricht oder in der Gemeindearbeit zu verwenden, oder die Personen einzuladen und so originale Begegnungen zwischen Kindern oder Jugendlichen und den Local Heroes zu ermöglichen. Das Projekt erfüllt also keinen Selbstzweck, sondern dient einer Blickveränderung: Menschen, die etwas Besonderes leisten, gibt es auch in unserer Umgebung!

 

Wanderausstellung Local Heroes

Anlässlich der Zehn-Jahres-Feier des Local-Heroes-Projekts wurde die Wanderausstellung „Tolle Typen heute“ konzipiert. Sie soll die Internet-Plattform mit einer gedruckten Version des Projekts ergänzen. Die Ausstellung besteht aus derzeit 17 stabilen Tafeln im Format DIN-A 1. Fünf Tafeln führen im Sinne des skizzierten didaktischen Konzepts eines Umgangs mit fremden Biografien in die Ausstellung ein. Auf derzeit zwölf Personentafeln werden Personen vorgestellt, die in einem ethisch relevanten Segment Außerordentliches leisten: beschrieben werden z.B. eine Jugendliche, die als Missionarin auf Zeit ein Jahr in Brasilien verbrachte, ein ehrlicher Finder, Behinderte, die ihr Leben meistern, zivilcouragierte Personen und Menschen, die sich für Kranke, Sterbende oder Hilfsprojekte in aller Welt einsetzen. Wichtig war bei der Erstellung der Texte, dass die leitenden Motive der Personen deutlich werden und über die Arbeitsimpulse auf der Tafel unaufdringlich eine diskursethisch angelegte Didaktik eingespurt wird. Zusätzlich zur Ausstellung gibt es auch eine didaktische Handreichung und weitere Materialien zur Unterstützung der Ausleihenden.

 

Kein Endprodukt, sondern eine Idee!

Das Projekt „Local Heroes“ verfolgt neben der diskursethisch unterfütterten Didaktik weitere Ziele: Es motiviert ein Blickveränderung weg von den „großen“ und hin zu den „kleinen“ Personen, wenn man vom „Vorbild“ spricht, und will vor allem zur eigenen Spurensuche nach Helden des Alltags vor Ort anregen. Gesellschaftlich soll mit dem Projekt eine Gegenwelt zu anderen postmodernen Lebensentwürfen öffentlich präsentiert werden: Nicht nur das Streben nach einem Erfolg in der Gesellschaft von „Ichlingen“, wie dies in den einschlägig bekannten Fernseh-Formaten, bei denen die Stars der Zukunft gesucht werden, sondern auch die altruistische Fürsorge für den Nächsten erscheint als vorzeigenswert! Und schließlich verfolgt das Projekt auch eine theologische und kirchenpolitische Intention: Anders als beim Heiligenkalender der katholischen Kirche, bei dem zölibatär lebende Priester und Nonnen dominieren, steht die Suche nach Heiligen der Unscheinbarkeit in Verbindung mit dem Apostolat der Laien und dient deren wertschätzender Präsentation. Damit erhält das Vorhaben auch eine ökumenische Perspektive, denn der pädagogische Aspekt eines orientierenden Lernens im Umgang mit kleinen und großen Heiligen gehört zur gemeinsamen Schnittmenge, wenn sich evangelische und katholische Christen über die Bedeutung der Gemeinschaft der Heiligen austauschen. Alle, die Lebenden und die Verstorbenen, die kleinen und die großen Heiligen, die bekannten und unbekannten und darunter wir selber, haben Anteil an den „Lebensströmen“ Jesus Christi (vgl. Bilaterale Arbeitsgruppe, 115).

Das wurde mir besonders deutlich, als mir der evangelische Religionspädagoge Folkert Rickers, der kritisch deutlicher Unterschiede im evangelischen und katholischen Umgang mit Heiligen markiert als ich (vgl. JRP 235; zu Mendl 49), wenige Monate vor seinem Tod seinen gesammelten Fundus an „Helden des Alltags“, die er in vielen Jahren gesammelt hatte, zukommen ließ. Gelernt habe ich von ihm und anderen evangelischen Kollegen vor allem auch, auf die Gebrochenheit des Vorbilds zu achten (Rickers 233-238). Das ist vor allem dann hilfreich, wenn beinahe schon reflexartig versucht wird, neue perfekte Säulenheilige zu installieren, an deren Sockel nicht gekratzt werden darf: Kann Dominik Brunner, der bei der Verteidigung von Jugendlichen am S-Bahnhof in Solln sein Leben verlor, noch als Held bezeichnet werden, wenn er doch vielleicht als erster zugeschlagen hat, lautete die Anfrage während des Prozesses gegen die jugendlichen Schläge. Die Antwort: Heilige der Unscheinbarkeit zeichnet aus, dass sie das, was der Tag und die Stunde verlangt, tun (Romano Guardini). Sie bleiben aber Menschen mit Fehlern und Schwächen. Das macht sie sympathisch und lädt zur Orientierung ein! Und deshalb bleibt Dominik Brunner auch ein Held. 

Ausstellung „Local Heroes“

Wanderausstellung „Local Heroes“

Anlässlich der 10-Jahres-Feier des Local-Heroes-Projekts wurde die Wander­ausstellung „Tolle Typen heute“ konzipiert. Sie soll die Internet-Plattform mit einer gedruckten Plakat-Version des Projekts ergänzen.

Überblicks- und Personentafeln
Die Ausstellung besteht in der Grundversion aus fünf Überblickstafeln und zwölf Personentafeln im Format DIN-A-1 (fester Hintergrund, PVC-Forex-Platte 5 mm). Die Tafeln enthalten an allen vier Ecken ein Bohrloch; dies ermöglicht ein variables Aufhängen bzw. Aufstellen.

Leihgebühr
Die niedrige Leihgebühr in Höhe von: 50 Euro pro Woche deckt die Kosten für die Verwaltung und den Versand der Ausstellung und ermutigt die Ausleihenden, Sponsoren für das Projekt zu werben.

Weitere Serviceleistungen
Eine didaktische Handreichung zur Ausstellung wird zur Verfügung gestellt. Ebenso ist ein Koffer mit Begleitmaterialien ausleihbar; mit diesen können die Themen der einzelnen Schautafeln zusätzlich veranschaulicht werden.

Buchungs-Anfragen und weitere Infos
Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts, Universität Passau, Michaeligasse 13, 94032 Passau, Tel. 0851/5092111, Mail: mendl@uni-passau.de oder hans.mendl@t-online.de
Weitere Infos und Impressionen zur Ausstellung finden Sie auf der Homepage: www.ktf.uni-passau.de/local-heroes


Literatur

  • Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelischen-Lutherischen Kirche Deutschlands: Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen, Paderborn u. Frankfurt 2000
  • Deutsche Shell (Hg.): Jugend ’97, Opladen 1997
  • Deutsche Shell (Hg.), Jugend 2000, Bd. 1, Opladen 2000
  • Mendl, Hans: Lernen an (außer-)gewöhnlichen Biografien. Anregungen für die Unterrichtspraxis, Donauwörth 2005
  • Mendl, Hans: „Darf’s ein bisschen weniger sein?“ Die Bedeutung von Helden des Alltags für Lernprozesse im Glauben, in: Rothgangel, Martin / Schwarz, Hans (Hg.), Götter, Heroen, Heilige. Von römischen Göttern bis zu Heiligen des Alltags, Frankfurt u.a. 2011, 185-204
  • Nyáry, Josef: Weihnachten mit den Heiligen, Freiburg i.Br. 2010
  • Rickers, Folkert: „Kritisch gebrochene Vorbilder“ in der religiösen Erziehung, in: Jahrbuch für Religionspädagogik 24: Sehnsucht nach Orientierung. Vorbilder im Religionsunterricht, Neukirchen-Vluyn 2008, 213-240
  • Zinnecker, Jürgen u.a.: null zoff & voll busy, Opladen 2002

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2011

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