Patchwork-Religion bei Kindern und Jugendlichen zulassen – Contra

von Michael Meyer-Blanck

 

Jeder hat seinen eigenen Glauben. Der eine glaubt an Allah, der zweite an Jesus, der dritte an Buddha und der vierte irgendwie an eine Mischung von alledem. Man greift auf die Dinge zurück, die für einen selbst Wahrheit sind und hat dann seinen eigenen Glauben. So etwa war es schon vor fast 20 Jahren von Jugendlichen in der Studie von Heiner Barz zu hören1 und so ähnliche Äußerungen begegnen einem immer wieder im Unterricht. Wer das nicht wahrnimmt, ist naiv. Doch wer dabei stehen bleibt, handelt verantwortungslos.

Unterricht soll die Lernenden unterstützen, indem er die Gegenstände besser verständlich macht. Nun ist die experimentelle, zusammengesetzte Religion schon immer ein Kennzeichen des Jugendalters gewesen und das Schwärmen für buddhistische Sichtweisen beschäftigte schon Generationen von christlich sozialisierten Gymnasiasten, bevor die Religionspädagogen von der Patchwork-Religiosität zu reden anfingen. Es handelt sich eben nicht nur um ein historisches, sondern auch um ein entwicklungsbedingtes Phänomen. Ein experimentierender Glaube ist normal. Weltanschauungen bilden sich, indem man die Welt aus verschiedenen Perspektiven anschaut. (Und da wir inzwischen in einer hochflexiblen Gesellschaft leben, die lebenslang den Wechsel von Perspektiven und Loyalitäten verlangt, ist es kein Wunder, dass diese Art jugendlicher Anschauung inzwischen auch auf viele Erwachsene zutrifft.) Die Aufgabe des Unterrichts ist es, derartige Zusammenhänge zu klären und weiterzuführen. Unterricht hat Religion in ihrem Funktionieren zu erkennen, zu benennen und Alternativen aufzuzeigen.

Dass etwa der Monotheismus einen Fortschritt von der bloßen Ein-Gottes-Verehrung (Monolatrie) in der Achsenzeit um 500 v. Chr. bedeutet, und dass er mit einer ersten Form von Multikulturalität und Individualisierung im Exil zusammenhängt (Ez 18,19-23), kann Jugendlichen ganz neue Einsichten eröffnen. (Der Monotheismus ist darum auch nicht primär abgrenzend, sondern eher entgrenzend – weil sich der nun geglaubte Eine Gott auf den ganzen Erdkreis und auf alle Orte bezieht.)

Das Prinzip des entzogenen, radikal transzendenten Gottes, das im Islam alle Gottesvorstellungen der Menschen negiert und überholt, ist eine gut 1000 Jahre spätere Vorstellung, und auch sie hat eine besondere Funktion für das Verstehen der Welt. Die islamische Gottesvorstellung passt sogar gut zur Patchwork-Religiosität, weil sie nicht die verschiedenen Vorstellungen Gottes kritisiert, sondern die Frage nach einer Vorstellung selbst aufhebt in die vollendete Entzogenheit Gottes (bis auf eine Ausnahme, und das ist die Überzeugung von Gottes Rechtleitung des verantwortlich handelnden Menschen). Es wundert nicht, dass manche vom Fragen ermüdete Menschen und besonders Jugendliche auf der Sinnsuche in diese faszinierende Radikalität einstimmen.

Das Gegenteil davon, nämlich die konsequente Anthropologisierung der Gottesvorstellung, macht das Großartige des Buddhismus aus. Die westliche Adaption davon überzeugte mit Hermann Hesse schon in den 1920er Jahren viele Gebildete in Deutschland, und bis heute spricht gerade diese Form von a-theistischer Theologie viele Jugendliche an.

Wie schließlich Christen es wagen, statt einer denkerisch befriedigenden Theorie Gottes lediglich eine Geschichte zu erzählen, in der Gott selbst auf Erden die Menschen trifft, wie Gott selbst schwach wird, ein Mensch wie wir und doch der Barmherzige und Allmächtige, der im Geist in der Gegenwart anzutreffen ist – das ist eine Sichtweise, die jedem auch nur ansatzweise denkenden Menschen eine Anfechtung ist. Doch der Mensch ist nicht nur ein Denker. Wenn die philosophischen Fragen befriedigend beantwortet sind, dann fangen die Lebensfragen erst an. Darum ist das christliche Bekenntnis philosophisch schwach, doch existenziell stark (vgl. 2 Kor 12,9f.).

Religionsunterricht muss realistisch vom Patchwork der Sinnorientierung ausgehen. Aber er soll die Dinge profilieren, aufklären und zur Unterscheidung helfen. Religionsunterricht verbreitet Klarheit und nicht die Faszination der Nacht, da alle Götter grau sind. Religionsunterricht führt nicht zum christlichen Bekenntnis, wohl aber zum Verstehen dieses Bekenntnisses. Wer Patchwork-Religiosität nicht wahrnimmt, ist naiv. Doch wer dabei stehen bleibt, handelt gegen seine Profession.

 

Anmerkungen

  1. Heiner Barz, Postmoderne Religion. Die junge Generation in den Alten Bundesländern, Opladen 1992, 111-140, vgl. besonders die Zitate 119. 134.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2012

PDF