Zweiter Bericht kirchlicher Schulreferenten in Niedersachsen

Von Ernst Kampermann und Walter Klöppel 

 

I. Vom 14. - 16. August 1996 fand in der Evangelischen Akademie Loccum eine Fachtagung zu Fragen des Religionsunterrichts

an den öffentlichen Schulen in Niedersachsen statt. Die Schulreferenten aus der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und aus den Schulabteilungen der katholischen Bistümer in Niedersachsen hatten dazu Sachkundige aus unterschiedlichen Schulformen, der Fachberatung, der Schulverwaltung und des Kultusministeriums eingeladen, vertreten waren auch die kirchlichen Einrichtungen für Religionspädagogik. Wie bei der ersten Fachtagung am 5. März 1993 erörterten die Teilnehmenden grundsätzliche und praktische Fragen zum Religionsunterricht unter dem Aspekt verstärkter Zusammenarbeit der evangelischen und katholischen Kirche.

 

II. Über die erste Fachtagung liegt ein "Bericht kirchlicher Schulreferenten in Niedersachsen"

vom 15. September 1993 vor, veröffentlicht im "Loccumer Pelikan" 2 (1993), S. 39 - 41. Seitdem stellen sich die damals angesprochenen Fragen zu einer verstärkten Zusammenarbeit der Kirchen beim Religionsunterricht vor allem wegen der organisatorischen und reformerischen Ansätze im Schulbereich immer dringlicher. Eine besondere Herausforderung bedeutet die öffentliche Diskussion über den zum Schuljahr 1996/97 im Land Brandenburg eingeführten Unterricht "Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde" (LER), für den der Religionsunterricht nur eine entbehrliche Alternative darstellt.

Entscheidende Impulse erhielt die Entwicklung durch zwei grundlegende Äußerungen der Kirchen:

- Im Juli 1994 veröffentlichte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland eine Denkschrift "Identität und Verständigung, Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität" (Gütersloher Verlagshaus).

Die Denkschrift der EKD nennt bereits im Titel die Ziele des Religionsunterrichts nach evangelischem Verständnis. Er soll auf der Grundlage des biblischen Zeugnisses Schülerinnnen und Schüler darin unterrichten und fördern, sich in Fragen der Religion und des Glaubens zu orientieren (S. 26), einen begründeten eigenen Standpunkt zu gewinnen (S. 30) - "Identität" - und zunehmend selbständig fähig zu werden, sich verständigungsbereit anderen zu öffnen und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen (S. 23 - "Verständigung"-. Als ein Fach der Schule begründet sich der Religionsunterricht von deren Bildungs- und Erziehungsauftrag her. Er leistet ein spezifischen Beitrag zur individuellen und allgemeinen Bildung der Schülerinnen und Schüler, indem er auf der Basis christlicher Grundlegung die Lebens- und Glaubensfragen der Heranwachsenden thematisiert.

Die Rückbindung des Religionsunterrichts an das Bekenntnis der Kirche, die ihn nach Art. 7 Absatz 3 des Grundgesetzes mitverantwortet, engt ihn nicht ein. Sie ist Grundlage für sein inhaltliches Profil und erhält ihm in der Pluralität von Sinndeutungen des Lebens (S. 21) die notwendige Unabhängigkeit. Der in diesem Sinn konfessionell bestimmte, von evangelischen Lehrkräften erteilte Religionsunterricht ist grundsätzlich allen Schülerinnen und Schülern offen (S. 66). Für die inhaltliche und institutionelle Gestaltung des Religionsunterrichts soll konfessionelle Kooperation richtigweisend sein (S. 65), um zu einer religiösen Urteilsbildung beizutragen, die das jeweils Besondere der Konfessionen unterscheiden und aufeinander beziehen kann. So soll im Durchgang durch das Differente das Gemeinsame gestärkt werden.

Im Juni 1996 verabschiedete der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz eine Grundsatzäußerung zum katholischen Religionsunterricht, die nach redaktioneller Überarbeitung die Deutsche Bischofskonferenz am 27. September 1996 förmlich beschlossen hat: "Die bildende Kraft des Religionsunterrichts, Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts". Sie wurde inzwischen in der Reihe "Die Deutschen Bischöfe", Nr. 56, veröffentlicht.

Das Wort der Bischöfe sieht den Religionsunterricht in der bildenden Kraft kirchlicher Religion begründet (S. 37), die im Evangelium wurzelt (S. 30). Der kirchliche Bildungsauftrag wird in Aufnahme des Würzburger Synodenbeschlusses von 1974 ausdrücklich auf den Bildungsauftrag der Schule und ihre Pädagogik bezogen (S. 26ff). Ziel des Religionsunterrichts nach kirchlichem Verständnis ist es, Kindern und Jugendlichen im Rahmen des schulischen Unterrichts das Bildungspotential des Evangeliums nach dem Zeugnis der Kirche zu erschließen. Seine Konfessionalität ist darum grundlegende Voraussetzung für das Selbstverständnis und Kriterium für die Gestaltung des Religionsunterrichts.

Lehrkräfte im Fach katholische Religion haben insofern einen kirchlichen Auftrag (S. 50 f); Schülerinnen und Schüler sollen im Religionsunterricht der Lehrer ihrer Kirche begegnen (S. 51f). Die Bezugsgrößen Lehrkräfte, Schülerschaft, Lerninhalt (sog. Trias) sind in der Bindung an das Bekenntnis der Kirche begründet. Sie bleiben konstitutiv für die kirchliche Prägung des Religionsunterrichts.

Ein in diesem Sinn konfessioneller Religionsunterricht soll ökumenisch offen (S. 57 f.) den Dialog und die praktische Zusammenarbeit mit anderen Kirchen gerade auch im Religionsunterricht suchen. Formen der Zusammenarbeit sollen entwickelt werden, die eine Begegnung von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Konfessionalität ermöglichen. Zwischen den Kirchen und mit den Ländern können bei Sondersituationen regional- und länderspezifische Abmachungen angestrebt werden, sofern die kirchliche Rückbindung gewahrt bleibt. Der Weg zu einer begrenzten konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht ist damit offen (S. 58 ff).

Auf diese beiden grundlegenden kirchlichen Äußerungen waren die Beratungen der Fachtagung bezogen.

 

III. Die Denkschrift der EKD

und das Wort der Bischöfe weisen weitgehende Übereinstimmungen in Situationsanlayse, Begründungen und praktischen Folgerungen auf. Es gibt aber Unterschiede, z. B. im Kirchenverständnis, von daher im Verständnis des Bildungsauftrages der Kirche und der Schule und demzufolge auch in der Offenheit des Religionsunterrichts für alle Schülerinnen und Schüler.

Weiterführend aber sind Übereinstimmungen im Grundsätzlichen wie im Praktischen:

  1. Nur ein solcher Religionsunterricht gehört in die Schule, der sich an ihrem Erziehungs- und Bildungsauftrag ausrichtet und von daher zu begründen ist. Durch ihre Mitverantwortung für den Religionsunterricht leisten die Kirchen einen besonderen Beitrag zum Erziehungs- und Bildungsauftrag der öffentlichen Schulen. Die Notwendigkeit für ein verstärktes Zusammenwirken der Kirchen im Religionsunterricht ist also theologisch (Ökumene) und pädagogisch begründet.
  2. Die rechtliche Absicherung des Religionsunterrichtes im Grundgesetz und in den Schulgesetzen der Länder ist wichtig. Für die Stellung des Religionsunterrichtes im Lebensraum Schule ist jedoch entscheidend, dass er in Inhalt und pädagogischer Gestaltung überzeugt und deutlich wird, wie wesentlich sein Beitrag für die Bildung des Einzelnen wie für die der Gemeinschaft ist.
  3. Religionsunterricht als Fach der öffentlichen Schule hat sich in der Pluralität unterschiedlicher Weltanschauungen und Wertsetzungen zu bewähren. Er ist dadurch herausgefordert, Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, in der Auseinandersetzung mit anderen Positionen einen eigenen christlich begründeten Standpunkt zu gewinnen und ihn gesprächsfähig und verständigungsbereit zu vertreten. Das spricht für eine Kooperation auch mit anderen Fächern, besonders mit den Fächern Philosophie und Werte und Normen.
  4. Ausgangspunkt für Seinsdeutung und ethische Folgerungen im Religionsunterricht ist der christliche Glaube. Darum ist er bezogen auf das Bekenntnis der Kirche, die ihn mitverantwortet. Aus diesem Grunde und in diesem Sinne ist er bekenntnisgebunden, ist er konfessioneller Religionsunterricht. Die Bindung an das Bekenntnis schließt jedoch aus evangelischer wie aus katholischer Sicht ökumenische Gesinnung und Offenheit ein, sie rechtfertigt keine konfessionelle Engführung. Schülerinnen und Schüler sollen sich zunehmend in ihrem eigenen religiösen Herkommen verstehen, um die jeweils andere konfessionelle Prägung besser zu erfassen, das Gemeinsame zu entdecken und sich über das Unterscheidende zu verständigen. Zu konfessioneller Identität gehört darum eine ökumenische Ausrichtung, die den Dialog, die Verständigung und praktische Zusammenarbeit sucht, wo immer das möglich ist.
  5. Indem der Religionsunterricht wesentliche Anliegen des schulischen Erziehungs- und Bildungsauftrages (§ NSchG) aufnimmt, kann er in Verbindung mit anderen Fächern, zumal bei fächerübergreifendem und fächerverbindendem Unterricht, einen spezifischen Beitrag zu schulreformerischen Vorhaben leisten. Gerade dafür gewinnt ökumenisches Zusammenwirken im Religionsunterricht hohe Bedeutung.

 

IV. Übereinstimmungen im Praktischen

1. Allgemeine Formen des Religionsunterrichtes

1.1 Das ordentliche Lehrfach Religion wird an den öffentlichen Schulen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften und in der Regel nach Konfessionen getrennt erteilt.

1.2. Im Sinne ökumenischer Offenheit bei gleichzeitiger Wahrung und Klärung der je eigenen Position kann Religionsunterricht phasenweise und bei bestimmten Themenstellungen Schülerinnen und Schüler beider Konfessionen gemeinsam erteilt werden. Vorhandenen schulrechtliche Regelungen für fächerübergreifenden und fächerverbindenden Unterricht und für Projektarbeit sollen hierfür genutzt werden.

1.3. Falls eine Schule den Anspruch von Eltern bzw. Schülerinnen und Schülern auf einen Religionsunterricht der eigenen Konfession nicht erfüllen kann, z. B. weil

  • zu wenige Schülerinnen und Schüler eines Bekenntnisses vorhanden sind, so dass ein entsprechender Unterricht nicht eingerichtet werden kann (§ 124 Abs. 1 NSchG),
  • aus Gründen der fachspezifischen Unterrichtsversorgung zeitweise keine Lehrkräfte der betreffenden Konfession zur Verfügung stehen,
  • besondere pädagogische oder soziale Gründe und daraus folgende organisatorische Bedingungen eine Trennung von Lerngruppen nach konfessioneller Zugehörigkeit nicht zulassen, z. B. im Anfangsunterricht der Grundschule und in berufsbildenden Teilzeitschulen, können Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht der anderen Konfession teilnehmen. Der Religionsunterricht für eine solche konfessionell gemischte Gruppe ist schulrechtlich Religionsunterricht der Religionsgemeinschaft, der die unterrichtende Lehrkraft angehört. Es gelten die entsprechenden Rahmenrichtlinien und ggf. einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung.

1.4. Formen des Religionsunterrichts nach den Ziffern 1.2 und 1.3 können als Beispiele dafür gelten, was in anderen Zusammenhängen als konfessionell-kooperativ bezeichnet wird. Für echte Kooperation im Religionsunterricht ist allerdings erforderlich, dass in einer Schule für dieses Fach Lehrkräfte beider Konfessionen vorhanden sind.

1.5 Ökumenische Offenheit als Prinzip des Religionsunterrichts bedeutet nicht Angleichung oder Verschmelzung konfessioneller Identitäten. Besonders im Religionsunterricht nach Ziffer 1.3 muss die Lehrkraft die konfessionelle Prägung der Schülerinnen und Schüler, die dem anderen Bekenntnis angehören, sorgsam beachten und gelten lassen.

1.6 Soll Religionsunterricht entsprechend Ziffer 1.3 erteilt werden, so muss die Schule in einem geordneten Verfahren mit den Eltern und den Schülerinnen und Schülern Einvernehmen herstellen. Das innerschulische Zustimmungsverfahren ist genau zu beschreiben und offen zulegen.

1.7 Werden schulformbezogene gesonderte allgemeine Regelungen getroffen, z. B. für Grundschulen, Sonderschulen, berufsbildende Schulen (mit Ausnahme des Fachgymnasiums) und die gymnasiale Oberstufe einschließlich des Fachgymnasiums, sind Vereinbarungen zwischen dem Land und den Religionsgemeinschaften erforderlich.

 

2. Teilnahmepflichten und -rechte einzelner Schülerinnen und Schüler

Wer sich vom Religionsunterricht seines Bekenntnisses abmeldet oder abgemeldet wird, kann unter bestimmten Bedingungen am Religionsunterricht des anderen Bekenntnisses teilnehmen. Das erforderliche Zustimmungsverfahren soll möglichst schulnah geregelt werden.

 

3. Rahmenbedingungen

3.1. Regionale Besonderheiten sind zu berücksichtigen. Was in bestimmten Situationen von den Beteiligten als sinnvoll angesehen wird, muss nicht Vorbild für eine landesweite Regelung sein.

3.2 Das Zusammenwirken der Konfessionen im Religionsunterricht braucht Unterstützung sowohl im schulischen als auch im kirchlichen Umfeld, wenn sie gelingen soll.

3.3 Formen des Zusammenwirkens im Religionsunterricht dürfen nicht dazu führen, den Anspruch einer Schule auf Erteilung des Religionsunterrichtes in der jeweiligen Konfession abzuwehren oder auf den Bedarf von Lehrkräften zur Erteilung des jeweiligen Religionsunterrichtes zu verzichten. Das gilt gerade auch dann, wenn Schülerinnen und Schüler einer Konfession eine Minderheit an der Schule bilden.

3.4 Religionslehrkräfte beider Konfessionen müssen sich verstärkt um Kenntnisse der Besonderheiten und ein tieferes Verstehen vom Geprägtsein der jeweils anderen Konfession bemühen. Voraussetzung dafür ist eine gründliche fachliche Qualifikation. Darum sind gemeinsame Phasen in der Aus- und Fortbildung nicht nur sinnvoll, sondern erforderlich.

3.5 Rahmenrichtlinien und Unterrichtsmaterialien für den Religionsunterricht sollten verstärkt unter dem Aspekt ökumenischer Öffnung und Zusammenarbeit entwickelt werden.

 

V. Weiteres Verfahren

Die Schulreferenten übergeben diesen Bericht in Anknüpfung an ihren Bericht vom 15. September 1993 den leitenden Gremien ihrer Kirchen. Sie verbinden damit die Hoffnung auf zustimmende Voten. So entstünde eine verlässliche Grundlage für Verhandlungen mit dem Kultusministerium, deren Ergebnis verbindliche Regelungen durch ministeriellen Erlass sein sollen. Es wird vorgeschlagen, den Erlass durch kommentierende Erläuterungen z. B. im Schulverwaltungsblatt und in kirchlichen Veröffentlichungen zu begleiten.

Zugleich geben die Schulreferenten ihren Beicht den Gremien und Verbänden zur Kenntnis, die sich in der Lehrerschaft und im Bereich der Aus- und Fortbildung mit dem Religionsunterricht befassen. Sie geben damit Gelegenheit zu Stellungnahmen. Für Anregungen zur Umsetzung des Vorhabens bis Ende Februar 1997 wären sie dankbar.

Hannover, 12. November 1996Loccumer Pelikan' 1/97