Ökumenische Kooperation im konfessionellen Religionsunterricht des 1. Schuljahres

von Lena Kuhl/Aloys Lögering u.a. 

 

Die Ausgangslage

Evangelische und katholische Religionspädagoginnen und -pädagogen haben sich in einer Arbeitsgruppe zusammengefunden, um die Möglichkeiten einer Kooperation im konfessionellen Religionsunterricht des 1. Schuljahres zu prüfen und darzulegen. Die evangelischen Mitglieder sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Religionspädagogischen Instituts (RPI), Loccum, die kath. Mitglieder sind Religionspädagoginnen und -pädagogen aus der Schulpraxis staatlicher Grundschulen sowie aus der kirchlichen Lehrerfortbildung. Sie wurden vom Deutschen Katecheten-Verein (DKV) gebeten, Möglichkeiten der Kooperation im 1. Schuljahr zu prüfen. Ausgangsbasis für die Arbeitsgruppe sind verschiedene Anlässe.
 

  1. An vielen Grundschulen gibt es die Notwendigkeit und vielerorts bereits die Praxis, zumindest die Schülerinnen und Schüler der beiden großen christlichen Konfessionen im Religionsunterricht des 1. Schuljahres oder sogar darüber hinaus zusammenzufassen, auch wenn die Erlasse und kirchlichen Vereinbarungen dieses noch nicht vorsehen. Daher wurde und wird der Wunsch nach Hilfestellungen für eine inhaltlich angemessene Gestaltung einer solchen Praxis immer wieder geäußert.
  2. Die Befürworter einer Kooperation im 1. Schuljahr haben außer der organisatorischen Notwendigkeit wichtige pädagogische Gründe auf ihrer Seite. Wenn man dem schulpädagogisch geforderten Konzept von „Integration und Differenzierung“ Geltung auch für den Religionsunterricht einräumt, so steht am Anfang der Schulzeit und der schwierigen Neuorientierung eines sechsjährigen Kindes der Integrationsbedarf im Vordergrund. Dies gilt ganz sicher für die ersten Wochen nach der Einschulung.
    Die Mitglieder der Arbeitsgruppe gehen davon aus, daß ein Zeitraum bis Weihnachten erste Ansätze einer Integration der Kinder in den Klassen- und Schulverband ermöglicht. Eine verbreitete Praxis des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts wird noch weitergehende Hilfen einfordern.



Erfahrungen der Arbeitsgruppe

  1. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe kamen in der Absicht zusammen, einen gemeinsamen Lehrplan für einen überschaubaren Abschnitt herzustellen. Dafür wurden neuere Länderrichtlinien für den evangelischen und katholischen Religionsunterricht geprüft und hinsichtlich ihrer inhaltlichen Schnittmenge für den Erstunterricht ausgewertet. Inhaltliche Leitlinie war das gemeinsame Lernziel „Sehen lernen“, das es mit gemeinsamen Themen zu profilieren und strukturell zu differenzieren galt. Dabei klärten sich konfessionelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede und ihre konfessionelle „Reichweite“. Jedes Thema erfuhr eine eigene Dialoggeschichte, die für alle bereichernd war und neues Verstehen bewirkte.
  2. Das Sichbesinnen in der Arbeitsgruppe auf die eigenen und die jeweils anderen konfessionellen Glaubens- und Frömmigkeitsformen führte zu einer Redlichkeit im Umgang miteinander und verhalf dazu, die Gemeinsamkeiten grundlegender Glaubensaussagen, die sich in der Spalte „christlich“ wiederfinden, (wieder) in den Blick zu bekommen. Konfessionelle Besonderheiten wurden benannt, um sie den Unterrichtenden als Hilfestellung für eine notwendige Beachtung zu geben. Dabei ist auffällig, daß in den meisten Fällen Besonderheiten der katholischen Tradition benannt wurden, was darauf schließen läßt, daß katholischer Glaube in stärkerem Maße als protestantischer durch sichtbare Zeichen und Handlungen geprägt ist.



Ein Arbeitsplan für die Zeit vom Schuljahresanfang bis Weihnachten

In beiden großen Konfessionen gibt es Bestrebungen, die eine Kooperation des evgl. und kath. Religionsunterrichts im 1. Schuljahr für sinnvoll erachten. Ausdruck dessen ist der Schulgottesdienst, der an vielen Orten in gemeinsamer Verantwortung durchgeführt wird. Form, Ausmaß und Dauer einer weitergehenden Kooperation werden diskutiert. Die Frage nach einer Hilfestellung und Handreichung für die Praxis eines kooperativen Religionsunterrichts stellt sich mit wachsender Dringlichkeit. Bei der ökumenischen Kooperation im schulischen Religionsunterricht muß bedacht werden:

  • Sie muß mehr als organisatorische Attraktivität aufweisen, sowohl inhaltlich als auch formal muß sie gut vorbereitet sein.
  • Sie muß von den Beteiligten gewollt sein und geleistet werden können. Daher geht die Entwicklung von einfachen Formen zu schwierigeren Vorhaben, sie verläuft prozeßorientiert und ist zieloffen.
  • Sie wird schon von daher nicht zum Regelfall werden und ist sicher kein Patentrezept für die Probleme des Religionsunterrichts.

Ein Zusammengehen vor allem im 1. Schuljahr wird aus dem Erfordernis abgeleitet, die gänzlich neuen Erfahrungen der Kinder bei der Einschulung möglichst im Rahmen eines klassenintegrierten Ansatzes zu bearbeiten. Differenzierungsansätze nach konfessionellen Gesichtspunkten können in dieser Phase vorbereitet werden.

Der Vorschlag geht aus von gemeinsamen Themen für die Zeit bis Weihnachten. In deren Ausarbeitung werden mögliche Integrations- und Differenzierungsansätze sichtbar gemacht. Kooperation ist möglich, aber nicht zwingend.

Da die regionalen und örtlichen Rahmenbedingungen und Vorgaben recht unterschiedlich sind in bezug auf

  • konfessionelle Prägung der Schülerinnen und Schüler,
  • konfessionelle Zusammensetzung der Klassen (Lerngruppen),
  • Wünsche der Eltern, Zusammenarbeit mit den kirchlichen Gemeinden,
  • Vorverständnis und Erfahrungen der Religionslehrerinnen und Religionslehrer u.a. mit Lehrplänen, Schulbüchern, Medien etc.,

kann dieser Entwurf nur eine Anregung sein, in Kooperation vor Ort eine gemeinsame Arbeit zu planen.

Die Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung sind nicht als ein umfassendes Angebot für den Zeitraum bis Weihnachten anzusehen. Sie dienen der exemplarischen Konkretion und bedürfen der jeweils situationsbedingten Auswahl und Ergänzung.

Die Arbeitsgruppe schlägt vor, bei der konkreten Planung folgendes zu beachten:

  • Der Religionsunterricht leistet seinen unverzichtbaren Beitrag zum pädagogischen Auftrag der Schule. Daher sind fächerübergreifende Ziele und Inhalte immer mit zu bedenken.
  • Auch wenn nicht in jeder schulischen Situation und bei jeder Thematik ein Vordringen in speziell christliche bzw. konfessionelle Inhalte sinnvoll, möglich und erreichbar ist, sollten bei der Planung diese Spezifica Beachtung finden, um der richtigen Auswahl der propädeutischen Aspekte und um der Profilierung des Religionsunterrichts willen.
  • Da ein konfessionell-kooperativer Religionsunterricht nicht konfessionelle Prägungen und Besonderheiten ausklammern will, sie im Gegenteil beachten und fruchtbar machen möchte, sind bei der Planung auch die regionalen Gegebenheiten zu beachten. Für die Unterrichtende/den Unterrichtenden der jeweils anderen Konfession sind Informationen darüber auf jeden Fall notwendig.

Wenn evangelische und katholische Lehrkräfte im Religionsunterricht miteinander kooperieren, so daß ein gemeinsamer Unterricht stattfindet, sollte das in aller Offenheit und in Gesprächsbereitschaft geschehen.
Informations- und Kooperationspartner sind

  • Religionslehrerinnen, -lehrer (Fachkonferenz)
  • Klassenlehrerinnen, Klassenlehrer (Klassenkonferenz)
  • Schulleitung bzw. Kollegium
  • Elternvertreter/Elternschaft
  • Schulaufsicht, Generalie ev. und kath. Religion
  • Kirchen bzw. Gemeinden vor Ort
  • zuständige kirchliche Schulreferate bzw. Religionspädagogische Arbeitsstellen


Informationsdefizite müssen auf jeden Fall vermieden werden, um Fehlinterpretationen vorzubeugen. Eine aktive Kooperation mit allen beteiligten Gremien kann die Ziele offenlegen und so zum Gelingen beitragen.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe:
Anne Arntz (kath.)
Fachseminarleiterin für kath. Religion
Ilka Kirchhoff (ev.)
Fachseminarleiterin für ev. Religion
Gudrun Krick (kath.)
Fachlehrerin für kath. Religion
Lena Kuhl (ev.)
Religionspädagogisches Institut Loccum
Martin Küsell (ev.)
Religionspädagogisches Institut Loccum
Aloys Lögering (kath.)
Deutscher Katecheten-Verein
Manfred Siebenkotten (kath.)
Deutscher Katecheten-Verein


Didaktische Überlegungen

Unsere Generation und vor allem die der Kinder ist der Schnellebigkeit, der Reizüberflutung ausgesetzt wie keine Generation zuvor. Der inneren Verarbeitung bleibt wenig Zeit. Tiefere Erfahrungen lassen sich jedoch nur in Muße machen, daher muß der Religionsunterricht Momente des Innehaltens und genauen Wahrnehmens, des Nachdenkens und Erinnerns in besonderer Weise einplanen. In den ersten Schulwochen ist es von Bedeutung, daß die Kinder ihre ersten Eindrücke des neuen Lebensabschnittes aufmerksam und mit behutsamer Begleitung wahrnehmen lernen. Deshalb liegt der Hauptakzent auf dem Aspekt „Sehen lernen“. Die Ausbildung der „Sehfähigkeit“ im weitesten Sinn ist intendiert im Wissen darum, daß sie sowohl zu einer besseren Wahrnehmung der eigenen Person als auch zur Beziehung zu den Mitmenschen und Mitgeschöpfen verhilft. Die Sensibilisierung für die Tiefendimension des Daseins ist ein erster Schritt zur Glaubenserfahrung. Das Stichwort „Sehen“ zieht sich durch 4 von 5 Themen des ersten Schuljahresdrittels hindurch und bestimmt auch im 5. Thema den Schwerpunkt:

  1. Wir lernen uns sehen
  2. Wir sehen und staunen
  3. Wie Jesus die Menschen sieht
  4. Menschen, die sehen gelernt haben
  5. Advent und Weihnachten feiern

Handlungs- und erfahrungsorientiertes Lernen sollte im Vordergrund stehen, Dinge und Bilder sollten ausgewählt werden, die es lange anzuschauen lohnt. Die Fähigkeit zum Staunen kann durch intensives Wahrnehmen gestärkt, und aus Staunen und Wertschätzen kann die Welt als Gabe erspürt werden und Dank erwachsen gegenüber Gott als dem Schöpfer allen Lebens.

Geschichten, in denen an konkreten Beispielen, an handelnden Menschen deutlich wird, was richtiges „Sehen“ bewirkt, sind für Kinder des ersten Schuljahres besonders geeignet. Ihr Selbstbewußtsein kann gestärkt werden durch die Entdeckung der eigenen, tieferen „Sehfähigkeit“ und durch die Zusage, daß sie selbst von Gott und von Jesus „gesehen“ werden.


Wir lernen uns sehen

Fächerübergreifende Aspekte sind im Anfangsunterricht von besonderer Wichtigkeit, daher ist die Zusammenarbeit mit allen in der Klasse beteiligten Lehrkräften unerläßlich.

„Sehen“ meint in diesem Zusammenhang, sich selbst und andere in ihren Beziehungen zueinander zu erkennen, und ist so ein gemeinschaftsstiftender Vorgang. Es soll die Fremdheit in der neugebildeten Gruppe (Klasse) überwinden helfen und unter Berücksichtigung der Individualität einzelner Kinder ein Gemeinschaftsbewußtsein entstehen lassen.

Der Religionsunterricht ist der Ort, an dem Schülerinnen und Schüler erfahren, daß Gott sie liebt, daß sie Gott danken und sich ihm in jeder Situation anvertrauen können. Sie sollten sich hier auch in solche Handlungsformen einüben können, ohne die es christliche Religiosität und eine lebendige Gottesbeziehung nicht geben kann: danken, staunen, feiern, still werden und beten.

Wie weit die genannten spezifisch christlichen Aspekte zum Tragen kommen können, muß der jeweiligen Situation vorbehalten bleiben.

 

Wir sehen und staunen

Im Herbst zeigt sich die Natur noch einmal von ihrer schönsten Seite. Die Kinder begegnen der Fülle meist unbeschwert, ein Zugang kann über alle Sinne ermöglicht werden. Sie entdecken die kleinen Dinge (bunte Blätter, Kastanien, Eicheln....) und bewahren sie als Kostbarkeiten auf.

Die Haltung einer staunenden Begegnung mit den vielen Gaben der Natur führt die Schüler zum Dank gegenüber dem Schöpfer aller Gaben und ansatzweise an Sinn und Brauchtum des christlichen Erntedankfestes heran, bzw. läßt es sie bewußter erleben. Je nach Einbindung in eine mehr ländliche oder mehr städtische Gemeinde und je nach religiöser Sozialisation werden die Vorerfahrungen der Schüler recht unterschiedlich sein.



Wie Jesus die Menschen sieht

Zu den kindlichen Erfahrungen in dieser Altersstufe gehört auch das Übersehen werden. Obwohl Eltern ihrem Kind – sehr häufig Einzelkind – in vielen Fällen eine hohe Beachtung schenken und große Erwartungen an seine Entwicklung stellen, werden die tatsächlichen Befindlichkeiten und Bedürfnisse des Kindes doch oft übersehen oder nicht ernst genug genommen.

In dieser Situation ist die Aufforderung Jesu „Lasset die Kinder zu mir kommen...“ existentiell wichtig. Jesus tritt auf als einer, der Kinder nicht übersieht, der sich um sie kümmert, ihnen die Hand auflegt auch dann, wenn anderes wichtiger zu sein scheint. In einem zweiten Schritt hören die Kinder von einem Hilfsbedürftigen, dem blinden Bartimäus, der wie sie oft übersehen wurde, aber von Jesus gesehen wird. Jesus wendet sich ihm heilend zu und verhilft ihm so zu neuem Leben.

Diese Begegnungen mit Jesus lassen für Kinder eine erste Ahnung aufkommen, was es heißt, Gottes Kind zu sein und worin die Weihnachtsfreude ihren eigentlichen Grund hat.

 

A. Die Kindersegnung (Markus 10,13-16)

Menschen, die sehen gelernt haben

Im Anschluß an die vorhergehenden Einheiten wird „Sehen lernen“ verstanden als Sensibilisierung für fremde Not und Aktivierung zur Abhilfe. Mit Hilfe von biographischen Beispielen werden nachvollziehbare Möglichkeiten des Christseins vorgestellt. Die Geschichten von Martin, Elisabeth und Nikolaus zeigen, wie sich Menschen von Jesus in Anspruch nehmen ließen. Heutige Beispiele lassen sich (vor Ort) dazu finden.

In ihrer konkreten Umsetzung motivieren diese Beispiele Schülerinnen und Schüler zu aktivem Handeln im Rahmen ihrer Möglichkeiten.


Advent und Weihnachten

Weihnachten ist wie kein anderes der christlichen Feste mit einer Fülle von Traditionen und Brauchtum verbunden. In der Gegenwart verlieren diese und die dazugehörenden Zeichen jedoch mehr und mehr ihre eigentliche Bedeutung, bzw. werden säkular umgedeutet (z.B. Nikolaus – Weihnachtsmann).

Die ungebrochene Beliebtheit des Weihnachtsfestes und das Vorhandensein der traditionellen Bräuche und Zeichen bieten jedoch die Chance der Anknüpfung, um so auf die christlichen Deutungsmuster und damit die Bedeutung des Festes für den christlichen Glauben hinzuweisen. So, wie in der lukanischen Geburtsgeschichte Zeichen aus der alltäglichen Lebenswelt wie Windeln und Krippe auf das Wirken Gottes hinweisen und des genauen Hinsehens und der Deutung bedürfen, so ermöglichen weihnachtliche Bräuche und Zeichen den Schülerinnen und Schülern Transzendenzerfahrungen, wenn die damit verbundenen christlichen Deutungen eingebracht werden.

Aus der Fülle weihnachtlicher Traditionen und Zeichen wurden nur diejenigen ausgewählt, die geeignet sind, im Zusammenhang der vorhergehenden Themen “Sehen“ und “Sehen lernen“ aufzunehmen und zu vertiefen und die Kinder für Gotteserfahrungen zu öffnen.