Jugendliche begleiten und gewinnen - 12 Thesen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Jugendweihe/Jugendfeier und ihrem Verhältnis zur Konfirmation

 

 

Die Kirche begleitet Kinder und Jugendliche in ihrem Lebenslauf auf vielfältige Weise. Dazu gehören die Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden und die Konfirmation. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat sich zu dieser Thematik in seiner Orientierungshilfe "Glauben entdecken" (1998) grundsätzlich geäußert. Die Orientierungshilfe behandelt auch das Verhältnis von Jugendweihe und Konfirmation.

Die Jugendweihe/Jugendfeier findet in den neuen Bundesländern nach wie vor eine große Akzeptanz. An der Konfirmation nehmen relativ wenige Jugendliche teil. Manche möchten beides wählen; eine größere Zahl der Jugendlichen geht jedoch an beiden Feiern vorbei. Als eine Reaktion auf diese Entwicklungen wird verschiedentlich über die Einführung kirchlicher Jugendfeiern nachgedacht.

 

1. Die Jugendweihe ist zwar keine Erfindung der DDR, aber ihre heutige Stellung und Bedeutung ist eng mit der DDR-Geschichte verknüpft.

Die Jugendweihe entstand Mitte des 19. Jahrhunderts in den freireligiösen Gemeinden im Gegenüber zur kirchlichen Konfirmation. Später propagierten sie freidenkerische Kreise und andere Strömungen als atheistisch-antikirchliche Alternative zur Konfirmation. Diese Tradition machte sich die SED nach anfänglichem Zögern zunutze und rief 1954 zur Jugendweihe auf: "Die Jugendweihe soll ein Kraftquell für die weitere Entwicklung der jungen Menschen sein. Sie soll sie anspornen, alle ihre Fähigkeiten zum Wohle ihres Vaterlandes zu entfalten." Die SED wollte die Akzeptanz der Konfirmation mit einem eigenen Ritus demontieren. Ein feierliches Gelöbnis sollte die Jugendlichen auf die staatliche Ideologie verpflichten. Das führte zu harten Auseinandersetzungen mit christlichen Familien und Gemeinden. Der Staat griff zu rigiden Maßnahmen. Sie erreichten eine steigende Beteiligung an der Jugendweihe, die schließlich als sozialistischer Staatsritus durchgesetzt werden konnte. Zusammen mit der politisch betriebenen Zerstörung des sozialen Milieus, das den Rückhalt des Protestantismus bildete, kam es zu einem Traditions- und Kulturbruch. In dessen Folge verließen viele Menschen die Kirche.

Die Teilnahme an der Jugendweihe wurde vom Staat aufmerksam registriert. In den achtziger Jahren lag sie bei 90 bis 95% der Jugendlichen eines Jahrgangs. Dennoch war die Jugendweihe für die Menschen oft kein Gegenstand innerer Überzeugung. Immer deutlicher trat die Diskrepanz zwischen dem allumfassenden Anspruch des Staates der DDR und der privaten Wirklichkeit zutage. Der Tag der Jugendweihe zerfiel in einen offiziellen Teil - die staatlich vorgegebene und geprägte Veranstaltung -, an den sich der allen Beteiligten wichtige private Teil anschloss - die Feier im Familienkreis. Allgemein hatte die Familie für die Menschen in der DDR ein wichtige Entlastungsfunktion. Nicht selten grenzte man sich in der Familienfeier anlässlich der Jugendweihe bewusst von der "realsozialistischen DDR" ab, schuf gleichsam eine eigene, familiäre (DDR-)Identität und Tradition.

Nach der Wende fielen die Teilnehmerzahlen an der Jugendweihe von 75% im Jahr 1990 auf unter 30% im Jahr 1993. In den Jahren danach ergab sich ein Anstieg auf über 45%. Allerdings sind diese Zahlen nicht genau zu überprüfen, denn sie beruhen lediglich auf den Angaben der Veranstalter. Verantwortlich für die Durchführung der Jugendweihen in der DDR war der "Zentrale Ausschuss für Jugendweihe" mit seinen entsprechenden Untergliederungen. Dessen Arbeit wurde in die heutige "Interessenvereinigung für humanistische Jugendarbeit und Jugendweihe e.V." überführt, der jetzt fünf Landesverbände angehören. Zahlreiche Funktionäre der regionalen Ausschüsse in der DDR fanden in der "Interessenvereinigung" ein neues Betätigungsfeld. Nachdem 1990 weitgehend noch der Staat für die Finanzierung der Jugendweihen sorgte, stabilisierten bis zu ihrer Einstellung Ende 1993 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die Arbeit der Ausschüsse. Heute werden die Veranstaltungen und ihre Organisatoren vor allem durch Gebühren und Eintrittsgelder finanziert. Eine zunehmende Bedeutung hat das Sponsoring von Wirtschaft und Handel. Verschiedene Konzerne betreiben hier ein gezieltes Marketing, um jugendliche Käuferschichten zu erschließen. Daneben können die Veranstalter auf ein erhebliches ehrenamtliches Engagement zurückgreifen.

Die neue Situation in Ostdeutschland versuchten sich auch die Verbände der Humanisten und der Freidenker zunutze zu machen, allen voran der "Humanistische Verband Deutschlands e.V". Sie sahen in der entkonfessionalisierten Bevölkerung Ostdeutschlands ein umfangreiches Mitglieder und Überzeugungspotential. Entsprechend intensiv wurde und wird für die angebotenen Jugendfeiern auch im Gegenüber zur Jugendweihe geworben. Grob geschätzt, liegt der Anteil der humanistischen Jugendfeiern an der Gesamtzahl der Jugendweihen/Jugendfeiern bei 10-15%. Die Mitgliederzahlen der Verbände haben sich demgegenüber allerdings nur geringfügig verändert.

Neben die "großen" Anbieter von Jugendweihen/Jugendfeiern treten einige kleinere, wie zum Beispiel die Arbeiterwohlfahrt.

Die Zahl der Jugendweihen/Jugendfeiern in Westdeutschland hat etwas zugenommen. Absolut gesehen, ist sie jedoch marginal. Eine nennenswerte Nachfrage besteht auch dort nicht, wo sich vor 1989 verstärkt Übersiedler aus der DDR niedergelassen haben.

Zum Ablauf der heutigen Jugendweihen/Jugendfeiern gehören in Aufnahme der Praxis in der DDR ein repräsentativer Rahmen/Ort, die Darstellung der Jugendlichen (Bühne), ein "Kulturprogramm" (Musik, Rezitation literarischer Texte), eine Festansprache (einer möglichst prominenten Person des öffentlichen oder politischen Lebens), die Überreichung einer Urkunde (meist eine Teilnahmebescheinigung) sowie von Geschenken (Buch, Blumenstrauß). Ein Gelöbnis/Bekenntnis der Jugendlichen findet sich nahezu nirgends mehr.

Ein inhaltliches Profil ist insbesondere bei den Jugendweihen selten erkennbar. Der atheistisch-antichristliche weltanschauliche Hintergrund der Jugendfeiern tritt dagegen deutlicher hervor. Manchmal werden aber auch die Jugendweihen weiterhin (oder erneut) betont (oder implizit) atheistisch und antikirchlich ausgerichtet (vgl. 9.). Fast überall wird dagegen die Bedeutung der Feier als Passageritus betont, wird versucht, "Erwachsenwerden" zu inszenieren.

 

2. Jugendweihen/Jugendfeiern gilt in Ostdeutschland nach wie vor eine hohe soziale Aufmerksamkeit. Viele begehen sie als ein Fest der Familie und der Jugendlichen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Jugendweihetradition findet weithin nicht statt.

Die Jugendweihe hat sich also nach 1990 der neuen Situation im vereinigten Deutschland angepasst und vielfältig differenziert. Sie ist nicht mehr das DDRStaatsritual von einst und wird heute weitgehend als ein (käuflich zu erwerbendes) Ritus-Dienstleistungsangebot praktiziert. "Jugendweihe" ist zu einem Produktnamen geworden. Dennoch hat eine Pluralisierung nur scheinbar stattgefunden, gibt es keine wirkliche Konkurrenz. In den Köpfen der Menschen existiert immer noch "die" Jugendweihe, zu der man sein Kind anmeldet. Zwar begrüßt man die Entideologisierung der Jugendweihe nach 1989, aber nach der "Qualität" der Veranstaltung wird selten (vergleichend) gefragt. Die Durchführung bleibt dem Veranstalter überlassen, ein persönlicher Kontakt kommt in der Regel nicht zustande. In diesen vereinheitlichenden, sinnentleerenden Trend sind auch die humanistischen Jugendfeiern einbezogen, deren "weltanschauliche Beliebigkeit" manche westdeutschen humanistischen Überzeugungsgemeinschaften folgerichtig entschieden kritisieren.

Offensichtlich erfüllt die Jugendweihe/Jugendfeier ein wesentliches Bedürfnis in weiten Teilen der Bevölkerung in den neuen Bundesländern. Viele Eltern und Jugendliche verstehen sie als "ihr Fest" und schätzen die damit verbundene Aufmerksamkeit des sozialen Umfelds. Eine zunehmende soziale Differenzierung und die lebensgeschichtliche Verunsicherung durch die politischen Umwälzungen lassen das Bedürfnis nach individueller und familiärer Vergewisserung wachsen. Hier bietet die Jugendweihe/Jugendfeier als öffentlicher Ritus Anerkennung und Selbstdarstellung. Mit ihr verbinden sich ferner angenehme Erinnerungen und beheimatende Emotionen. "Im Umkreis der Jugendweihe ist das ostdeutsche Wir-Gefühl lebendig." (A. Meier)

Den einigermaßen fest umrissenen Erwartungen der Teilnehmenden versuchen die Veranstalter der Jugendweihen/Jugendfeiern möglichst nahtlos zu genügen. In dieser Konstellation von Abhängigkeiten unterbleibt in den heutigen Jugendweihen/Jugendfeiern eine kritische Auseinandersetzung mit Geschichte und Bedeutung der Jugendweihe in der DDR. Ein offensichtliches Abrücken von ihrer damaligen totalitären Funktion, ihrer unterdrückerischen Uniformierung und Disziplinierung findet nicht statt. Alle Beteiligten haben daran kein Interesse: Viele Mitarbeiter der "Interessenvereinigung für Jugendweihe" waren schon in der DDR für die Durchführung von Jugendweihen verantwortlich und müssten konsequent die Frage der persönlichen Verwicklung thematisieren. Die humanistischen Verbände wären mit der Brüchigkeit ihrer Ideale konfrontiert. Die Eltern wollen nicht, dass unangenehme Fragen - vielleicht auch die ihrer Kinder - die festliche Atmosphäre stören. Durch die Abschaffung des Gelöbnisses und die vielfach praktizierte "Gedankenfreiheit" bereits in den Familienfeiern anlässlich der Jugendweihe in der DDR sieht man sich von den Altlasten der Jugendweihe hinreichend distanziert.

 

3. Konfirmation und Jugendweihe/Jugendfeier haben durchaus ähnliche anthropologisch-soziale Funktionen, dennoch sind sie grundsätzlich voneinander unterschieden.

Die geschilderten Entwicklungen trugen dazu bei, dass die Konfirmation nach dem Ende des Staatssozialismus nicht wieder die Bedeutung erlangte, die sie noch in den fünfziger Jahren der DDR hatte. (Anfang der fünfziger Jahre nahmen über 80% der Jugendlichen eines Jahrgangs an der Konfirmation teil, Ende der sechziger Jahre waren es teilweise unter 10%. In den Jahren nach der Wende liegt der Prozentsatz durchschnittlich bei 14%.) Eine Rückkehr zu ähnlichen Teilnahmezahlen an der Konfirmation wie im Westen hätte einen massenhaften Eintritt in die Kirchen vorausgesetzt, der sich den Menschen trotz des Ansehens der Kirche besonders in der Wendezeit nicht nahe legte.

Um auf die Situation angemessen reagieren zu können, sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Konfirmation und Jugendweihe/Jugendfeier in den Blick zu nehmen. Beide, Konfirmation und Jugendweihe/Jugendfeier,

  • haben eine besondere Bedeutung für die Jugendlichen und ihre Bezugsgruppe
  • nehmen den Wunsch von Eltern und Verwandtschaft auf nach einer Feier für die herangewachsenen Kinder,
  • besitzen eine Öffentlichkeit im weiteren sozialen Umfeld (Milieu, Stadtviertel, Dorf, Nachbarschaft, Mitschülerinnen und -schüler, Arbeitskollegen und -kolleginnen der Eltern) un
  • sind in traditionsgeprägte Kontexte mit spezifischen Inhalten eingebunden.

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die familiäre und gesellschaftliche Einbindung der Konfirmation im Osten meist wesentlich geringer ist als im Westen.

Die Konfirmation und die zugehörige Konfirmandenarbeit weisen die menschlichen Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche über sich selbst hinaus und verbinden unterschiedliche Bezugsfelder:

  • die eigenen Fragen, Zweifel und Entdeckungen der Konfirmandinnen und Konfirmanden und die notwendig sie befremdenden, provozierenden, befreienden Erfahrungen und Einsichten von Christen mit ihrem Glauben,
  • die Kasualie als Fest im Lebenslauf und das konfirmierende Handeln im Kontext von Tauferinnerung und Abendmahlsgemeinschaft, menschliches Geleit und Gottes Segen,
  • die alltäglichen Lebenswelten der Heranwachsenden (Familie, Freundeskreis, Schule, Freizeit) und die Welt einer christlichen Ortsgemeinde sowie die Begegnung mit Christen in Gemeinden an jedem Ort.

In der Praxis bleibt die Jugendweihe/Jugendfeier ein eher punktuelles Ereignis (die Jugendfeiern des Humanistischen Verbandes sind hier zu unterscheiden), während die Konfirmation in einen Handlungsprozess eingebettet ist, der vielfältige Formen des Lernens und Lebens in Unterricht, Exkursion, Projekt, Freizeit, Gottesdienst und Feier umfasst - lange vor dem Konfirmationstag und als Angebot der Jugendarbeit auch über den Konfirmationstag hinaus.

 

4. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Konfirmation und Jugendweihe/Jugendfeier fordern die Kirchen und ihre Gemeinden heraus.

Der anthropologisch-soziale und der theologisch-ekklesiale Ansatz der Konfirmandenarbeit sind nicht als Alternative zu verstehen (vgl. 3.), aber sie sind sorgfältig zu unterscheiden und zu gewichten. Daraus ergeben sich jeweils Rückfragen an die kirchliche Praxis in Ost und West:

Auch in den westlichen Bundesländern verlieren die christlichen Überlieferungen unübersehbar an Akzeptanz und Plausibilität. In dieser Situation ist zum Beispiel zu prüfen, ob die Konfirmation nur noch bestimmten gesellschaftlichen Erwartungen an einen Ritus für Jugendliche genügt, oder ob mit ihr die Grundeinsichten christlichen Glaubens lebendig werden. In Ostdeutschland ist dagegen zum Beispiel zu prüfen, wozu und in welchem Sinn die in der DDR-Zeit polemisch aufeinander bezogenen konkurrierenden Rituale Jugendweihe und Konfirmation von Jugendlichen und ihren Familien tatsächlich gebraucht und benutzt wurden und werden. Wo hat die konfrontative Auseinandersetzung in der DDR-Zeit die Inhalte von Konfirmation auf "Bekenntnis" und "Taufe" verengt? Ist genügend berücksichtigt, dass christliche Biographien nicht immer eindeutig und gradlinig verlaufen (vgl. 10.)?

 

5. Eine direkte oder indirekte staatliche Mitwirkung an der Jugendweihe/Jugendfeier kann nicht akzeptiert werden.

Viele Menschen in Ostdeutschland sind der Ansicht, dass ihnen Jugendweihen/Jugendfeiern ähnlich einer staatlichen "Sozialleistung" zur Verfügung gestellt werden sollten. Eine wie auch immer geartete Mitwirkung des Staates und seiner Institutionen an der Jugendweihe/Jugendfeier ist jedoch keinesfalls zu akzeptieren. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zur religiös-weltanschaulichen Neutralität. Es ist darum eine unzulässige Vermischung seiner Aufgaben und privat-weltanschaulicher Anliegen, wenn

  • staatliche Lehrer für derartige Feiern in der Schule werben oder Anmeldeformulare verteilen, so dass der Eindruck entstehen muss, es handele sich um eine staatliche oder schulische Veranstaltung. (Ohnehin finden sich in den Teilnehmerlisten der Veranstalter von Jugendweihen/Jugendfeiern oft Unterteilungen nach Bezirk, Schule, Klasse, die einen subtilen Druck ausüben können, gemeinsam mit den anderen "die" Jugendweihe/Jugendfeier mitzumachen.)
  • Vereine oder Verbände, die Jugendweihen/Jugendfeiern veranstalten, Steuervorteile über den Status der Gemeinnützigkeit erhalten.
  • die im Zusammenhang der Jugendweihe/Jugendfeier angebotenen (vorbereitenden) Einzelveranstaltungen als Maßnahmen der Jugendhilfe deklariert werden, die staatliche Zuschüsse rechtfertigen sollen.
  • staatlich anerkannte Verbände, die auch Jugendweihen anbieten (wie die Arbeiterwohlfahrt), diese Art der Verbandsarbeit nicht konsequent von ihren anderen Aktivitäten unterscheiden und zum Beispiel ABM-Kräfte für Jugendweihen einsetzen.
  • städtische Veranstaltungsräume, Rathäuser etc. kostenlos für Jugendweihen/Jugendfeiern geöffnet werden.

In diesem Zusammenhang ist auf das aktuelle Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts zu verweisen, das die bisher dem Humanistischen Verband Berlin gewährte öffentliche Bezuschussung in Millionenhöhe für unrechtmäßig erklärt hat.

Personen des öffentlichen und politischen Lebens sollten genau bedenken und bewerten, welchen Veranstalter sie durch eine Festansprache bei einer Jugendweihe/Jugendfeier eventuell unterstützen und aufwerten.

 

6. Gegenüber der Jugendweihe/Jugendfeier verfügt die Kirche in der Konfirmation und der damit verbundenen Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden über das umfassendere Angebot. Sie sollte es selbstbewusst profilieren.

In der pluralen und säkularen Situation Ostdeutschlands lässt sich eine neue Zustimmung zur Konfirmation nicht dadurch erreichen, dass man versucht, die Jugendweihe/Jugendfeier durch Antagonismen und Feindbilder zurückzudrängen. Die Menschen, die heute die Jugendweihe/Jugendfeier in Anspruch nehmen oder mit ihr sympathisieren, würden diese Polemik im Grunde nicht verstehen. Die Kirche muss die Jugendweihe/Jugendfeier nicht fürchten. Sie kann das Verhältnis zu den Jugendlichen und ihren Familien aus den Möglichkeiten heraus gestalten, die sie seit je in sich selbst trägt. Das konfirmierende Handeln ist ein aktiver, subjektorientierter und gesellschaftsoffener Prozess, der die Jugendlichen einbezieht und ihnen neue Dimensionen erschließt. Das Angebot des Evangeliums nimmt die individuellen und gesellschaftlichen Lebensfragen der Jugendlichen auf, die alltäglichen ebenso wie die übergreifenden nach Ursprung, Sinn und Ziel unseres Lebens. In der Konfirmandenarbeit begegnen die Jugendlichen unterschiedlichen Formen und Inhalten, die sie eigenständig erproben und aneignen können. Hier können sie "Glauben entdecken". Dieses besondere Angebot muss die Kirche - in Ost- und Westdeutschland - betonen und ausbauen. Sie hat keinen Anlaß, sich nur reaktiv zu verhalten oder gar sich angesichts der veränderten Ritenkonkurrenzen lähmen zu lassen.

 

7. Die Kirchengemeinden müssen darüber nachdenken, wie die angebotene Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden für die Jugendlichen attraktiv wird.

Jugendlichen wird vieles offeriert. Sie wählen zumeist gezielt aus. Das betrifft auch die Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden. Nicht alle Jugendlichen sind für jene Offenheit offen, die wir ihnen anbieten. Die Konfirmandenarbeit muss den Jugendlichen interessant und wichtig werden. Deswegen braucht sie situationsorientierte und jugendgemäße Formen, die Erfahrung und Reflexion, Meditation und Aktion, Arbeit und Spiel, Diskurs und Feier miteinander verbinden. Die Jugendlichen müssen die Chance erhalten, sich mit Gemeinde und Gottesdienst zu identifizieren, indem sie sie mitgestalten und ihre Fragen, Antworten und Erfahrungen einbringen können. Das Bekenntnis zum Glauben und zur Mitgliedschaft in der christlichen Gemeinde zeigt sich nicht erst in der Konfirmation. Die Konfirmation ist dann auch kein Abschluss, sondern Station eines Weges.

 

8. Die aus dem Bekenntnis zum christlichen Glauben begründete Ablehnung der Jugendweihe in der DDR hat eine Bedeutung, die nicht in Vergessenheit geraten darf.

Wegen der atheistischen Verwurzelung der Jugendweihe und ihrer massiven Propagierung als sozialistisches Staatsritual haben die Kirchen in der DDR zu Recht die grundsätzliche Unvereinbarkeit von Konfirmation und Jugendweihe betont. Wer sich an diesem Grundsatz orientiert hat und die Teilnahme an der Jugendweihe verweigerte, hatte - zeit- und situationsabhängig unterschiedlich - oft persönliche und berufliche Nachteile, nicht selten auch Repressalien hinzunehmen. Das Bekenntnis zum christlichen Glauben konnte junge Menschen und ihre Eltern in erhebliche Gewissensnöte bringen. Das erlittene Unrecht prägt die Biographien vieler Christen und ihrer Familie bis heute. Diese Erfahrungen und die mit den persönlichen Entscheidungen verbundenen Konsequenzen besitzen eine Qualität, die durch die folgenden Überlegungen nicht entwertet wird.

 

9. Das Verhältnis von Konfirmation und Jugendweihe/Jugendfeier ist neu zu bestimmen und regional unterschiedlich zu bewerten.

Die zugefügten Verletzungen dürfen den Blick nicht verstellen. Die Kirche muss die positiven Erfahrungen und Erwartungen der Kinder und Jugendlichen ebenso wie ihre Enttäuschungen und Absagen mit ganzem Ernst zur Kenntnis nehmen. Jugendliche, die jetzt mit dem Konfirmandenunterricht beginnen, haben die DDR nicht mehr prägend erlebt, auch wenn deren Wirkungen natürlich bis in die Gegenwart fortreichen. Deswegen dürfen diese Jugendlichen nicht auf die weltanschaulichen Auseinandersetzungen der früheren Jahre festgelegt werden.

In der Frage der Vereinbarkeit der Teilnahme an Jugendweihe und Konfirmation gibt es heute verschiedene Beurteilungsansätze. Einerseits wird gefordert, an der prinzipiellen Unvereinbarkeit nachdrücklich festzuhalten. Den in der DDR unter dem Druck der Verhältnisse im einzelnen zugestandenen Abweichungen von der Regel ist die Grundlage entzogen. Niemand wird mehr genötigt, an einer Jugendweihe/Jugendfeier teilzunehmen. Allerdings kann, wenn in einer Schulklasse nahezu alle Mitschüler daran teilnehmen, der Gruppendruck immer noch erheblich sein (vgl. 5.). Andererseits wird darauf hingewiesen, dass sich die Jugendweihe gewandelt hat (vgl. 1.), und selbst die Jugendfeier (manchmal zum Leidwesen der Veranstalter) vielfach nur noch den fest definierten Erwartungen der Familien an "ihr Fest" entspricht (vgl. 2.). Diese Erwartungen sind nicht zu diskreditieren, sie spielen auch im Zusammenhang der Konfirmation eine Rolle (vgl. 3). Tut man also der Jugendweihe zuviel Ehre an und entwertet das eigene Bekenntnis, wenn man weiterhin die Unvereinbarkeit mit der Konfirmation betont? Ist die Jugendweihe zu einem harmlosen gesellschaftlichen Ereignis geworden, das mehr oder weniger gelungen das Erwachsenwerden generationenübergreifend thematisiert? Ist die Jugendweihe nur noch ein ostdeutsches Brauchtum, das nicht heidnischer ist als die Aufnahmeprozeduren mancher Schützenvereine oder Handwerkergilden in Westdeutschland?

Im Abwägen der genannten Gesichtspunkte bleibt festzuhalten: Das Produkt "Jugendweihe (Jugendfeier)" ist nur scheinbar uniform. Es unterscheidet sich regional nach den jeweiligen Veranstaltern. Noch immer

  • glorifizieren und mystifizieren Jugendweihen/Jugendfeiern den Menschen und seine Möglichkeiten.
  • werden Jugendweihen und besonders die Jugendfeiern atheistisch und antichristlich ausgerichtet (vgl. 1.), versuchen an bestimmten Orten alte SED-Kader mit ihrer Hilfe Politik gegen die Kirche zu machen und christliche Familien zu diffamieren.
  • gibt es pädagogisch rückwärts gewandte Lehrer, die ohne eine klare Trennung zu ihrem Amt in ihrer Freizeit Jugendweihen/Jugendfeiern für die eigenen Schülerinnen und Schüler organisieren und für restaurative Zwecke benutzen (vgl. 5.).

So sind im Blick auf die Teilnahme an Konfirmation und Jugendweihe/Jugendfeier keine einfachen Lösungen möglich. Die Kirche hat nach wie vor Veranlassung, den getauften Jugendlichen abzuraten, an einer Jugendweihe/Jugendfeier teilzunehmen, denn die Konfirmation überbietet und korrigiert die menschlichen Hoffnungen und Erwartungen, die sich mit der Jugendweihe/Jugendfeier verbinden (vgl. 3.). Taufe und Abendmahl sind unaustauschbare Gaben, mit denen Gott Heil zueignet (vgl. EKD-Orientierungshilfe "Glauben entdecken", Kap. 2.). Hierin findet die Konfirmation ihren unvergleichlichen Sinn, der aber nicht menschlich verfügbar und ohne weiteres zu vermitteln ist. Die Teilnahme an einer Jugendweihe/Jugendfeier darf insofern nicht grundsätzlich als Absage an den christlichen Glauben gewertet werden. Entscheidend bleibt letztlich der liebende und verstehende Blick auf den einzelnen Menschen, den einzelnen Jugendlichen.

 

10. Die Kirche lädt konfessionslose Jugendliche ein, an der Konfirmandenarbeit teilzunehmen. Ebenso begleitet sie konfessionslose Jugendliche in ihrer Bildungs- und Sozialarbeit.

Wo Entkirchlichung und Konfessionslosigkeit zur gesellschaftlichen Normalität wurden, sind Begegnungen mit Christentum und Kirche nötig, um Missverständnisse zu bearbeiten und Vorurteile zu überwinden. Wie sonst soll man Zugang zu den Inhalten christlichen Glaubens finden, "Glauben entdecken" können? Darum hat die Kirche bereits in der DDR die Konfirmandenarbeit geöffnet und konfessionslose Jugendliche eingeladen, Glauben und Kirche kennen zulernen. Das ist heute um so deutlicher zu betonen und zu praktizieren.

Wenn die Konfirmandenarbeit für konfessionslose Jugendliche geöffnet wird, geschieht das mit dem Ziel, sie in alle Angebote und Konsequenzen des konfirmierenden Handelns einzubeziehen. Dieses Handeln ist allerdings als ein offener Prozess zu verstehen (vgl. 6.), der sich letztlich nicht auf das Alter von 12 - 15 Jahren beschränken läßt. Daher kann es sein, dass die Jugendlichen zwar in der Konfirmandengruppe heimisch werden und einen ersten Zugang zu Glauben und christlicher Gemeinschaft gewinnen, aber die Kirche ihnen fremd bleibt, so dass sie den Schritt zur Kirchenmitgliedschaft (noch) scheuen. Religion und Institution sind keine deckungsgleichen Größen, Nähe und Distanz zum christlichen Glauben und zur Kirche sehr unterschiedlich ausgeprägt (vgl. die dritte EKD-Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung "Fremde Heimat Kirche").

Die Problematik von Mitgliedschaft und Verbindlichkeit kennen auch die kirchlichen Werke und Verbände und ähnlich Parteien, Gewerkschaften, Vereine etc. Der Wille, die Fähigkeit sowie die Art und Weise (langfristige) Bindungen einzugehen, haben sich in unserer Gesellschaft allgemein verändert. Viele Menschen sind eher bereit, sich auf einer bestimmten Ebene intensiv zu engagieren oder sich auf ein definiertes Projekt einzulassen, ohne dieses Engagement gleich in eine konkrete Mitgliedschaft überführen zu wollen.

Dies alles ist zu bedenken, wenn konfessionslose Jugendliche in der Konfirmandengruppe vor Taufe und Kirchenmitgliedschaft zurückweichen und trotzdem nach einem besonderen Abschluss ihrer Konfirmandenzeit fragen. Auf dieses Anliegen können und müssen die Verantwortlichen differenziert reagieren. Es muss ihnen daran gelegen sein, die Konfirmandenzeit so zu beenden, dass sich der begonnene Prozess in der Zukunft fortsetzen kann, Brücken und Wege offen bleiben. Ein solcher Abschluss kann zum Beispiel eine besonders gestaltete Agapefeier in der Konfirmandengruppe sein (vgl. "Glauben entdecken", S. 36). Sie betont den in der Gruppe wichtigen Gemeinschaftsaspekt und weist im Füreinander-Aufkommen, Einander-Zuvorkommen und Miteinander-Teilen auf die Gemeinschaft der Christen und die Feier des Abendmahls hin. Eine weitere Abschlussmöglichkeit ist ein "Reisesegen" - in der Gruppe oder im Rahmen eines Gottesdienstes. Auf jeden Fall sollte den Jugendlichen ein Dokument ausgehändigt werden, das ihnen die Teilnahme am Konfirmandenunterricht bescheinigt und das im Falle eines Kircheneintritts Verwendung findet. Eine Kirche, die auf diese Weise Jugendlichen entgegengeht und sie begleitet, verleugnet ihre Inhalte nicht.

Auf eine andere Weise sind die jüngsten Versuche in kirchlichen Bildungs- und Sozialeinrichtungen, im Rahmen einer besonderen Veranstaltung konfessionslose Jugendliche, die zu diesen Einrichtungen gehören, in einer bestimmten Altersphase als Kirche zeichenhaft zu begleiten, als Experimente mit offenem Ausgang zu verstehen. Sie können im Einzelfall sinnvoll sein, wenn dabei jeder Anklang an die Konfirmation bzw. die Jugendweihe/Jugendfeier vermieden wird. Zudem ist es unverzichtbar, dass sich die Jugendlichen im Rahmen eines mehrmonatigen Prozesses mit ihrer Lebenssituation auseinandersetzen und durch die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diese Veranstaltung vorbereitet werden. Ohne die Konfessionslosigkeit der Beteiligten zu missachten, gilt es, auf die offenen Türen der Kirche hinzuweisen und so die Einladung des Evangeliums mit konkreten, über die Veranstaltung hinausreichenden Angeboten zu verbinden.

 

11. Eine für konfessionslose Jugendliche geöffnete Konfirmandenarbeit erübrigt eine eigenständige "kirchliche Jugendfeier".

Verschiedentlich wird gefordert, die Kirche solle, um der Jugendweihe/Jugendfeier ihren Markt streitig zu machen, eine separate kirchliche Jugendfeier für diejenigen anbieten, die der Kirche nicht angehören und nicht getauft/konfirmiert werden wollen. Ein solcher "Dritter Weg" neben Jugendweihe/Jugendfeier und Konfirmation erübrigt sich jedoch, wenn die Kirche mit ihrer Konfirmandenarbeit konsequent auch auf die konfessionslosen Jugendlichen zugeht. Sie muss die Schwellenängste dieser Jugendlichen abzubauen versuchen und auf deren Bedürfnisse aktiv und qualifiziert reagieren (vgl. 6. und 7.). Dazu sind eine Weiterarbeit am Konzept des "Konfirmierenden Handelns der Gemeinde" und eine stärkere Verzahnung mit der Kinder und Jugendarbeit notwendig.

Eine eigenständig etablierte kirchliche Jugendfeier kann auch deshalb nicht empfohlen werden, weil ein solches Angebot weithin als Ersatzkonfirmation verstanden würde und so die Konfirmation selbst bedrohen könnte. Eine derartige kirchliche Jugendfeier stünde zudem in der Gefahr, den mit der Konfirmation verbundenen Prozess von Bedenken und Erleben, Erkunden und Auseinandersetzen, Aneignen und Verständigen verkürzen. Sie würde als punktuelles Ereignis dem jungen Menschen im Weltanschauungspluralismus der Gegenwart nicht gerecht (vgl. 3.).

 

12. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Konfirmation setzt eine Kirche voraus, die Jugendliche und ihre Familien als offen und dialogfähig erfahren.

Welche Bedeutung die Konfirmation gegenüber der Jugendweihe/Jugendfeier behalten oder gewinnen wird, hängt nicht allein von der Gestaltung der Konfirmandenarbeit oder der Art und Weise des Konfirmationsgottesdienstes ab. Genauso wichtig ist es, dass die Jugendlichen die Kirche insgesamt als zugewandt und gesprächsfähig wahrnehmen. Eine Kirche, der die Jugendlichen nichts zutrauen oder die für sie nicht plausibel erscheint, kann auch durch Detailänderungen in der Konfirmationspraxis nicht auf wesentlich erhöhten Zuspruch und eine wachsende Mitgliederzahl hoffen. Will die Kirche die Menschen in ihren Kontexten nicht verfehlen, muss sie vielmehr immer wieder neue Anfänge ermöglichen, elementare Erfahrungen christlichen Glaubens vermitteln und die Inhalte dieses Glaubens erschließen. Die stärkste Unterstützung erhält die Konfirmation darum durch eine Kirche, die sich den Jugendlichen und ihren Familien nicht verschließt, sondern als Ort präsentiert und erweist, der eine Bedeutung für das ganze Leben hat, der Glauben und Leben verbindet.

Hannover, im September 1999

Präses Manfred Kock

Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
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