Größtmögliche Offenheit und Dialog!
Wie kann man ein Gespräch mit Kindern und Jugendlichen zum Ukraine-Krieg im Unterricht gestalten? Bettina Wittmann-Stasch, Dozentin für Schulseelsorge, rät dazu, das Thema weder zu vereinfachen noch zu verharmlosen.
Der Krieg in der Ukraine macht Sorgen und auch Angst. Wie kann man ein Gespräch zu diesem komplexen Thema im Unterricht initiieren?
Das hängt vom Alter ab. Kleine Kinder haben eine andere Vorstellungswelt als Erwachsene. Sie fragen meistens „naturwissenschaftlich“, wollen in erster Linie verstehen, wie etwas passiert oder funktioniert. Ihnen nun aber Krieg als etwas erklären zu wollen, das aus einem Streit kommt, wäre viel zu verkürzt. Während Streit unter Kindern wichtig ist und soziale Kompetenzen fördert, ist Krieg nicht etwas, was man erleben muss in seinem Leben. Mir ist es wichtig zu vermitteln: „Krieg macht das Leben kaputt.“ Und bei der Arbeit an einem solchen Thema den Kindern zuzuhören und darauf zu achten, welche Fragen die Kinder haben, mit denen ich arbeite.
Es ist durchaus möglich, davon zu sprechen, dass im Krieg Waffen eingesetzt und Häuser kaputt gemacht werden. Und dass natürlich Menschen Angst davor haben, dass ihnen oder ihren Freunden, Eltern und vor allem Kindern etwas passieren könnte. Aber wenn es ihnen darum geht, zu verstehen, warum Menschen Krieg anzetteln, dann ist diese Idee eine von Tanja Brás António, Schulseelsorgerin in Wolfsburg, vielleicht eine Hilfe: „Der Territorialanspruch auf ein anderes Land könnte so erklärt werden: Plötzlich kommt ein anderer Mensch in das Klassenzimmer und will diesen Raum für sich haben, weil er ihn braucht. Er lässt nicht mit sich reden. Wir als Klasse können sagen und tun, was wir wollen, er fängt einfach an, alles kaputt zu machen, was wir gearbeitet und gemacht haben. Das,“ so die Schulseelsorgerin, „würde mich unendlich traurig machen und ich hätte Wut und Angst. So ähnlich ist es im Krieg: Jemand beschließt, dass er etwas haben will – doch da wohnen andere Menschen, dort regieren andere Politiker.“
Könnte man auch mit Bildern arbeiten?
Sehr gelungen finde ich das Bilderbuch Die Schlacht von Karlawatsch. (Heinz Janisch. Ill. von Aljoscha Blau. Zürich: Atlantis 2018. ISBN 978-3-7152-0735-3) Dort entwickelt sich aus einer Nichtigkeit eine kriegerische Auseinandersetzung, in der die roten gegen die blauen Soldaten kämpfen. Und weil sie irgendwann nichts mehr zum Kämpfen haben, beschmeißen sie sich gegenseitig mit ihren Uniformen. Als die Soldaten dann nackt sind, wissen sie nicht mehr, wer zu wem gehört – und die ganze Absurdität des Krieges wird greifbar. Gleichzeitig ist der Einsatz von echten Bildern mit Vorsicht zu genießen: Aus der Traumatherapie weiß man, dass Bilder, genauso wie Geräusche und Gerüche, besonders tief gehen. Deshalb würde ich in diesem Fall den Einsatz von Medien sehr genau überlegen. Die Grundhaltung sollte insgesamt die gleiche sein wie bei allen Phänomenen, die ich einem Kind erkläre: größtmögliche Offenheit und Dialog. Emotionen bleiben aber trotzdem nicht draußen. Kinder bekommen unsere Gefühle sowieso mit und gerade deshalb ist es wichtig, dass sie einordnen können, wenn die Lehrerin, die sonst so viel lacht, bedrückt wirkt.
Wichtig ist dabei, Angst nicht auf Kinder zu übertragen, gleichzeitig aber das Lernen zu ermöglichen, dass Gefühle zum Leben dazugehören.
Und was kann man sonst tun?
Wenn sich Kinder um die Menschen in der Ukraine sorgen, kann man gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, um ins Handeln zu kommen und sich nicht ohnmächtig zu fühlen. Steine zu bemalen mit einem guten Wunsch für den Frieden, ist eine Möglichkeit. Die kann man dann draußen verteilen – und darauf hoffen, dass der nächste, der vorbeikommt, auch einen Stein und einen guten Wunsch dazulegt. Das war schon in der ersten Coronazeit ein schönes Mittel um zu sehen: Viele haben die gleichen Sorgen wie ich.
Falls sich ein Kind fürchtet, könnte ich fragen, ob es eine Idee hat, was ihm oder ihr helfen könnte. Angst zu haben, ist erst einmal nichts Schlimmes – und zu lernen, was ich dann tun kann, hilft für das gesamte Leben. Schlimm ist es nur dann, wenn man über eigene Sorgen nicht sprechen kann und damit alleine bleibt. Ist das der Fall, nimmt die Seele leicht Schaden.
Und wie spreche ich mit Jugendlichen über den Krieg?
Offen, erwachsen und am besten mit der Möglichkeit zur Diskussion. Überall, wo es um Werte unser Demokratie geht und um das friedliche Zusammenleben aller in unserer Gesellschaft und der Welt, geht es auch darum, als Lehrkraft Stellung zu beziehen und zum Gespräch bereit zu sein – unabhängig vom Unterrichtsfach. Es kann auch gut sein, dass ukrainisch-stämmige Schüler:innen mit russisch-stämmigen Schüler:innen in einem Klassenraum sitzen. Nicht jeder russisch-stämmige Schüler wird automatisch dieselbe Meinung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin haben – und gerade deshalb wird es wichtig bleiben, nicht „die Russen“ für das Leid verantwortlich zu machen, das geschieht.
Je nachdem, wie in den Familien über den Krieg gesprochen wird, wird das auch das Klassenklima beeinflussen. Und so kann es auch gut sein, dass neben der Angst vor allem Wut oder Scham eine Rolle spielen. Hier für Gespräche zu sorgen, damit nicht ein Gefühl aufkommt, als sei der:die jeweils Andere an diesem Krieg „schuld“, bleibt eine Aufgabe – gerade in der Schule.