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Als der Loccumer Pelikan in die Mauser kam

08. Dezember 2022

Ein Überschallflug durch 125 Ausgaben

Wie sieht die Zukunft des Religionsunterrichts aus? Wer bei diesem Thema fundiert mitreden möchte, muss den Loccumer Pelikan lesen. Hier finden sich klug formulierte Gedanken, thematisch und fachlich am Puls der Zeit. Ein Beispiel: „Weil die christlichen Konfessionen im gleichen Wort Gottes ihren gemeinsamen Wahrheitsgrund sehen, wären Schritte zu einer interkonfessionellen Öffnung des RU – wenn darunter nicht die Abschaffung der konfessionellen Rückbindung des RU verstanden wird – nicht nur ein pädagogischer Gewinn, sondern auch theologisch verantwortbar und wünschenswert.“

Was klingt wie ein aktueller Debattenbeitrag zum Christlichen Religionsunterricht, stammt aus der Erstausgabe des Pelikans von 1991. Die deutsche Wiedervereinigung war noch jung und musste organisiert werden. Auch wenn viele Menschen sicher andere Prioritäten hatten – die Frage nach der Daseinsberechtigung des Religionsunterrichts gehörte dazu. Und so gab es viele Stimmen wie etwa den „Braunschweiger Ratschlag“, verkündet anlässlich eines runden Professorengeburtstages. Getreu dem Motto „Ratschläge sind auch Schläge“ stieg der Loccumer Pelikan in Gestalt des späteren Rektors Bernhard Dressler in die Diskussion ein. „Kontroverses – Offen gesagt“ hieß die Rubrik, die es heute nicht mehr gibt. Womöglich ist die offene Kontroverse für den Pelikan so selbstverständlich geworden, dass es keiner eigenen Rubrik mehr bedarf.

Damals machte der Begriff eines „Religionsunterrichts für alle“ die Runde (nicht zu verwechseln mit dem Hamburger Modell gleichen Namens), heute scheint in Niedersachsen zumindest ein gemeinsam verantworteter Christlicher Religionsunterricht zum Greifen nah zu sein. „Im Prinzip hat sich seitdem wenig geändert“, resümiert Dr. Jörg Ohlemacher, der den Loccumer Pelikan als RPI-Rektor 1991 ins Leben rief (siehe Interview).

Das gilt auch für den Pelikan selbst: Er ist seinem Gründungsgeist treu geblieben, Rubriken wie „Grundsätzlich“, „Nachgefragt“, „Praktisch“ und „Informativ“ finden sich bereits in der Erstausgabe. Und doch hat er sich in den vergangenen Jahren immer wieder neu erfunden und sticht vor allem mit seiner zeitgemäßen Optik aus der Masse der kirchlichen Publikationen heraus. 1991 gab es noch seitenlange Texte ohne Spalten, Zwischenzeilen und Bilder – heute gelten diese als unlesbar.

Die heutige RPI-Rektorin Dr. Silke Leonhard kennt den Pelikan von Anfang an: „Ich hatte ihn als Referendarin schon abonniert und fand es spannend, in die religionspädagogische Großwetterlage eintauchen zu können.“ Dass die Fragen damals ähnliche waren wie heute, wundert sie nicht. „Auch vor 100 Jahren haben sich Religionspädagogen die Frage gestellt, wie man Religion lehrt.“
 

Und die Macher*innen des Pelikans haben sich stets aufs Neue gefragt, wie sie darüber angemessen berichten können. Seit Heft 2/2009 hat jede Ausgabe ein Schwerpunktthema. Im Vorwort zu jenem Heft schreibt der damalige Rektor Dr. Friedhelm Kraft: „Die Redaktion setzt alles daran, das Markenzeichen des Pelikans, die bewährte Verschränkung von vertiefender religionspädagogischer Reflexion und praktischer Anwendbarkeit, konzeptionell umzusetzen.“

Die heutige Redaktionsleiterin Christina Harder führt diesen Weg konsequent fort: „Vieles von dem, was wir heute im Heft haben, hätte ich früher im Pfarramt oder als Lehrerin gut gebrauchen können.“ Besonders hilfreich findet sie „Vorlagen, die ich direkt auf den Kopierer legen kann“. Daneben wird es weiterhin Grundsatzartikel von renommierten Autor*innen geben. Neben den drängenden gesellschaftspolitischen Themen will Harder künftig immer wieder auch theologische Schwerpunkte setzen.

Manche Ausgaben sind längst vergriffen, von anderen schlummern noch Exemplare im Archiv. „Die Hefte zu Themen wie Judentum, Krieg und Frieden oder Medizinethik sind oft nachgefordert worden“, sagt Silke Leonhard. Gleich zweimal, 2010 und 2017, hieß das Titelthema „Gender“. Dazu habe das RPI besonders viele Rückmeldungen bekommen. „Da geht es um Identitätsfragen, das Thema scheint tief in Mark und Bein zu treffen“, vermutet die Rektorin. Natürlich habe es auch Kritik gegeben: ob man denn auf jeden Zug aufspringen müsse? Vergriffen ist auch Heft 3/2014 zum Thema „Kunst im Religionsunterricht“. Auf dem Cover ist ein Mann mit hochtoupierten Haaren und auffälliger Brille zu sehen, auf der Brust trägt er ein Tattoo des dornengekrönten Christus. „Eine Sekretärin hatte ihren Friseur aus Bückeburg fotografiert“, sagt Leonhard, „das Bild war offenbar zugleich provokativ und anregend.“

2017 folgte schließlich ein Riesenschritt in der Heft-Evolution. Oder, wie es Grafikdesigner Marc Vogelsang von der Evangelischen Medienarbeit (EMA) formuliert: „Der Loccumer Pelikan kam in die Mauser.“ Das Bestreben der Herausgeber*innen sei gewesen, den Pelikan in ein moderneres Gewand zu kleiden und den Magazincharakter stärker zu betonen – ohne den Fokus von der inhaltlichen Arbeit zu lenken. „Erreicht haben wir es durch neue Flächenaufteilungen, veränderte Typografie, mehr Wirkkraft der Bilder sowie ein Konzept, das die komplette Farbwelt des RPI berücksichtigt und klare visuelle Trennungen der einzelnen Ausgaben ermöglicht“, sagt der Fachmann. „Am markantesten ist sicher die Titelseite, sie verschafft dem Pelikan ein absolutes Alleinstellungsmerkmal.“ Kernpunkt der Umstellung sei allerdings der Wechsel zu durchgängig farbigen Seiten gewesen, „was dem Magazin im Zusammenspiel mit den genannten Gestaltungselementen eine neue Dynamik verleiht und für eine hohe Wiedererkennbarkeit sorgt“.

Christina Harder hört oft, „der Pelikan ist jetzt so gut geworden“. Eine signifikante Qualitätssteigerung der Inhalte ist damit vermutlich nicht gemeint – die waren von Anfang an hochklassig. Vielmehr ist es die Kurzfassung dessen, was der Designer Vogelsang bezweckt hat, und was seitdem von der Loccumer Layouterin Anne Sator kongenial umgesetzt wird.

Auch der Digitalisierung verweigert sich das RPI nicht. Alle 125 Hefte sind online abrufbar und sollen künftig noch besser auf mobile Endgeräte zugeschnitten werden. „Zugleich werden wir bei vier gedruckten Heften im Jahr bleiben“, verspricht Silke Leonhard.

Text und Fotos: Lothar Veit

„Ich freue mich, dass der Pelikan immer noch fliegt“ 1991 erschien die erste von nunmehr 125 Ausgaben des Loccumer Pelikan.

Lothar Veit im Gespräch mit dem damaligen Rektor Dr. Jörg Ohlemacher

Lothar Veit: Was hat Sie seinerzeit bewogen, den Loccumer Pelikan herauszugeben?
Jörg Ohlemacher: Das war eine Entwicklung auf mehreren Ebenen. Für unsere Veranstaltungen des Jahres hatte ich ein Programmheft eingeführt und mit gewichtigen Vorträgen aus dem RPI angefüttert. Das kam damals gut an, war aber vom Umfang sehr beschränkt. Zudem hatte Michael Künne für die Berufsschularbeit eine neue, sehr erfolgreiche Reihe von Arbeitshilfen aufgelegt. Die anderen Bereiche haben erst davon profitiert, dann aber auch Eigenes entwickelt. So gab es viele Veröffentlichungen, aber keine Gesamtrepräsentanz. Und schließlich: Die Kirchenleitung und die Synodalen hatten ein Interesse daran zu wissen, was das RPI eigentlich macht.

Veit: Im Grußwort zur ersten Ausgabe schrieb der damalige Landesbischof Horst Hirschler: „Im Religionspädagogischen Institut wird gut gearbeitet, aber die Information darüber, was dort geschieht, ist unzureichend gewesen.“
Ohlemacher: Das war genau der Punkt. Dazu kamen auch noch die Gesprächspartner auf staatlicher Seite, etwa im Bildungsministerium und in Fortbildungsinstituten, die wir im Blick hatten.

Veit: Gab es Vorbilder?
Ohlemacher: In Niedersachsen gab es die nicht. Das Württemberger Religionspädagogische Institut in Stuttgart hatte eine zweimal im Jahr erscheinende Publikation, die wir uns ganz genau angesehen und es dann doch ganz anders gemacht haben.

Veit: Erinnern Sie sich, wie das erste Heft ankam? Es ging ja gleich kontrovers zur Sache.
Ohlemacher: Die ersten Rückmeldungen waren durchweg positiv. Natürlich gab es unterschiedliche Meinungen zu den Sachthemen, aber insgesamt hatten wir den Eindruck, eine Plattform für Kirche und Schule gefunden zu haben, die ganz gut gelungen war. Man kann ja auch mal mit sich selbst zufrieden sein. Besonders ermutigend war die Rückmeldung des zuständigen Oberlandeskirchenrats Uhlhorn, die uns garantierte, dass wir auch finanziell eine weiterreichende Perspektive hatten.

Veit: Der „Loccumer Pelikan“ wurde damals wie heute an Schulen und Kirchenkreise kostenlos verschickt. Wissen Sie noch, wie hoch die Auflage damals war?
Ohlemacher: Wir lagen auf jeden Fall bei über 10.000 Exemplaren, die höchste Auflage nach zehn Jahren war um die 16.000.

Veit: Schon in der ersten Ausgabe von 1991 wurde ein „Religionsunterricht für alle“ diskutiert. Nun, nach 30 Jahren, steht Niedersachsen möglicherweise kurz vor der Einführung des Christlichen Religionsunterrichtes. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Ohlemacher: Für uns war es damals ein Thema, weil es einen völlig unzureichenden Vorschlag aus dem Bildungsministerium gab. Man war mehr an einem Lehrer-Sparkonzept interessiert als an der Klärung von Sachfragen. Und von Seiten der Religionslehrkräfte war viel Emotionalität im Spiel. Im Prinzip hat sich seitdem wenig geändert. Ich bin deshalb sehr gespannt, ob das wirklich kommt. Evangelischer Religionsunterricht ist nach seinem Verständnis offen für alle, bis hin zum Abitur. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass alle Initiativen für einen Christlichen Religionsunterricht von Evangelischen ausgehen. Von katholischer Seite wiederum ist oft herausgestellt worden: Die Glaubensanschauungen beider Konfessionen sind nicht die gleichen. Natürlich gibt es eine gewisse Schnittmenge, aber wer den Unterricht darauf reduziert, wird beiden Religionsgemeinschaften nicht gerecht. Deshalb müssen die Lehrer umfassender ausgebildet werden als bisher.

Veit: Verfolgen Sie den aktuellen Pelikan? Was denken Sie, wenn Sie die heutigen Ausgaben durchblättern?
Ohlemacher: Ich freue mich, dass er immer noch fliegt und nichts an Qualität eingebüßt hat – das ist bemerkenswert. Ich nehme jedes neue Heft gern in die Hand und finde auch die grafische Gestaltung sehr anspruchsvoll. Es ist natürlich so, dass mich nicht alles in gleicher Weise interessiert, und ich bin auch mal völlig anderer Meinung, aber das ist genau das, was wir von Anfang an gewollt haben: Der Pelikan sollte kontrovers, anregend, beispielgebend und informierend sein.

Veit: Hätten Sie gedacht, dass es von dem Heft einmal 125 Ausgaben geben wird?
Ohlemacher: (lacht) Wir wollten schon ein stabiles Sprachrohr für das RPI installieren, das die reichhaltige Arbeit des Instituts widerspiegelt. Aber dass es so lange besteht? Nun ja, Religion ist etwas Dauerhaftes, Pädagogik ist etwas Dauerhaftes und institutum meint auch nochmal das gleiche.

 

Text: Lothar Veit