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Kinder brauchen guten Kitas – und dafür brauchen sie ein besseres KiTa-Gesetz

Nachricht Loccum, 07. Juni 2021
Foto: www.pixabay.com, Carole LR

Das neue niedersächsische KiTa-Gesetz, das eigentlich zum 1. August 2021 in Kraft treten soll, steht aktuell massiv in der Kritik. Gert Liebenehm-Degenhard, am Religionspädagogischen Institut Loccum zuständig für die Elementarpädagogik, verrät im Interview, was an dieser Kritik berechtigt ist und welche Punkte er selbst gerne in einem solchen Gesetz lesen würde.

Das geplante neue niedersächsische KiTa-Gesetz wird von vielen Seiten kritisiert. Was ist gut an dem aktuellen Entwurf der Landesregierung, was weniger gut?

Tatsächlich gibt es eine breite Übereinstimmung von Expert*innen, Kita-Trägern, Verbänden und pädagogischen Fachkräften, die den Entwurf enttäuschend und unzureichend finden. Wer nach positiven Veränderungen im Gesetz sucht, geht nahezu leer aus. Die schlüssige Einbettung der Kindertagespflege, die gesetzlich erforderlich wurde, gehört zu den sinnvollen Punkten. Die Einführung einer dritten Kraft wird nach heftiger Kritik und vielen Protesten nun immerhin anvisiert. Vieles aber, worauf es ankommt, um die Qualität der Kitas auf den notwendigen Stand zu bringen, fehlt. Die Anforderungen an die Arbeit in den Kitas haben sich seit der Entstehung des bisherigen Gesetzes Anfang der 1990er-Jahre vervielfacht. Damals wurden die Kinder in der Regel ab drei Jahren vormittags betreut, das Mittagessen gab es zu Hause. Mittlerweile kommen die Kinder ganztags – viele von ihnen, wenn sie ein Jahr alt sind – und verbringen acht bis zehn Stunden in der Kita. Das heißt: Ein Großteil der frühen Kindheit findet in den Kitas statt. Hier werden wichtige Grundlagen für die Entwicklung der Kinder gelegt. Die Bedeutung der frühen Bildung ist mittlerweile unbestritten. Darum ist es so wichtig, dass die Rahmenbedingungen und die pädagogische Arbeit so gut wie möglich gestaltet werden.

Wenn man in den Gesetzesentwurf sieht, erschrickt man jedoch, dass die Bedingungen und die Ausstattung der Kitas auf dem Stand der 90er-Jahre bleiben sollen. Das gilt zum Beispiel im Blick auf die Gruppengröße, im Blick auf den Personalschlüssel und die sogenannten Verfügungszeiten. Das sind die Zeiten, in denen die Fachkräfte Entwicklungsgespräche mit Eltern führen oder die Bildungsdokumentation erstellen, in denen sie sich im Team austauschen oder mit der Grundschule kooperieren – ganz zu schweigen davon, dass in die Verfügungszeit auch die Vorbereitung der pädagogischen Arbeit fällt.

Um sich die Situation vorzustellen: Pro Gruppe stehen den Fachkräften 7,5 Stunden dafür zur Verfügung. In einer Ganztagsgruppe arbeiten in der Regel drei bis vier Fachkräfte, zum Teil zeitlich versetzt. Die 7,5 Stunden werden auf die Fachkräfte verteilt. Wenn man die Teilnahme an der wöchentlichen Dienstbesprechung von mindestens einer Stunde berücksichtigt, bleiben nur noch jeweils 1,5 Stunden für drei Fachkräfte für die ganze Woche übrig.

Ein ähnliches Problem besteht für die Leitungen. Die Aufgaben sind in den letzten Jahren enorm gewachsen. Es geht um Personalmanagement, Kindeswohl, Einführung von Partizipation, Beschwerdemanagement, Qualitätsentwicklung, Berücksichtigung von ganz unterschiedlichen Familienkonstellationen und einer immer größer werdenden individuellen, sozialen und kulturellen Vielfalt – um nur einige Anforderungen anzudeuten. Dies wird in keiner Weise im Entwurf berücksichtigt.

Es gibt noch einen weiteren wichtigen Mangel, der die Teilhabe von behinderten Kindern betrifft. Der längst fällige Rechtsanspruch auf einen inklusiven oder integrativen Kita-Platz fehlt im Entwurf.

Kritiker bemängeln vor allem, dass es entgegen früherer Versprechen erst sehr spät eine Perspektive zur Einführung einer dritten Betreuungskraft gibt. Kultusminister Tonne entgegnet, das nötige Fachpersonal sei schlicht nicht vorhanden. Dem kann man ja kaum etwas entgegensetzen, oder?

Die Aussage zeigt zunächst, dass die Einführung der dritten Kraft in jeder Krippengruppe (und nicht erst ab elf Kindern) sowie künftig in jeder Kindergartengruppe von allen Seiten als wichtiger Qualitätsgewinn angesehen wird. Dies gilt sowohl für das Wohl die Kinder als auch für Arbeitszufriedenheit der Fachkräfte. Durch die dritte Fachkraft entstehen Spielräume für die Begleitung einzelner Kinder. Die Belastungssituationen für die Fachkräfte werden reduziert, die unter den gegenwärtigen Bedingungen an oder über ihre Grenze geraten, wenn Kolleg*innen längere Zeit durch Krankheit ausfallen oder im Urlaub sind.

Der Mangel an pädagogischen Fachkräften ist eine große Herausforderung. Ein Faktor dabei ist, dass eine signifikante Anzahl von Fachkräften die Kitas nach einigen Jahren wieder verlässt, weil die Arbeitsbedingungen zu belastend sind. Das zeigt, dass gute Rahmenbedingungen zur Attraktivität des Arbeitsfelds beitragen. Die Aufgabe besteht also darin, durch zukunftsfähige Ausbildungsformate und nachhaltige Konzepte mehr junge Menschen für die Arbeit in Kitas zu gewinnen und zu halten. Für eine stufenweise Einführung der dritten Kraft liegen Pläne vor.

Wie wichtig ist der Personalschlüssel für die Qualität der Kinderbetreuung?

Die Bertelsmann-Stiftung führt seit Jahren Untersuchungen zur Qualität in Kitas durch. Neben der Gruppengröße und der Qualifizierung des Teams spielt der Personalschlüssel eine entscheidende Rolle, wie sich die Kinder in der Kita entwickeln können. Zum Bildungs- und Erziehungsauftrag gehört es, jedes einzelne Kind zu begleiten. Das bedeutet Zeit, um die Kinder wahrzunehmen, Zeit für Gespräche, Spiel oder individuelle Förderung. Ein guter Personalschlüssel unterstützt die Entwicklung der sprachlich-kognitiven Fähigkeiten und steigert das emotionale Wohlbefinden der Kinder, weil die Fachkräfte auf die Bedürfnisse besser eingehen können. Für Krippengruppen wird darum ein Personalschlüssel von 1:3 vorgeschlagen und für Kindergartenkinder ein Verhältnis von 1:7,5.

Wenn Sie drei Punkte in das neue Kita-Gesetz schreiben dürften – welche Punkte stünden darin?

Wenn ich es knapp zusammenfassen soll: Erstens eine Verdopplung der Verfügungszeiten pro Gruppe auf 15 Wochenstunden und für Leitungen auf 10 Stunden pro Gruppe. Zweitens eine Verbesserung beim Personalschlüssel und drittens die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz für Kinder mit Behinderungen.

Die Fragen stellte Dr. Michaela Veit-Engelmann, am Religionspädagogischen Institut Loccum zuständig für Öffentlichkeitsarbeit (michaela.veit-engelmann@evlka.de; 05766/81138)