Eigentlich sollte es um die Auswirkungen der Coronakrise auf Kinder und Jugendliche gehen, aber die Gewalttat an der Evangelischen IGS Wunstorf überschattete die Tagung von Elternvertreter*innen evangelischer Schulen, die jetzt in Loccum stattfand. „Das ist eine Extremsituation, die uns umgehauen hat“, sagte Gerd Brinkmann (58), Leiter der Geschäftsstelle des Evangelischen Schulwerks, angesichts der Tötung eines 14-Jährigen durch seinen Mitschüler. „Viele kannten den mutmaßlichen Täter und sehr viele kannten das Opfer, alle sind unglaublich betroffen.“
Sechs allgemeinbildende Schulen gehören zum Evangelischen Schulwerk in Niedersachsen, dort unterrichten 422 Lehrkräfte 4.408 Schüler*innen. 15 Elternvertreter*innen dieser Schulen trafen sich jetzt zu einer Klausurtagung im Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI). Dort stellte sich erstmals Schul-psychologin Maria Wellbrock (34) vor, die seit 1. Februar 2023 das Team des Evangelischen Schulwerks verstärkt. „Wenn an freien Schulen psychologische Hilfe benötigt wird, dann sind die Schulpsychologen des Landes offiziell nicht für die Arbeit in der Schule zuständig“, erläuterte Brinkmann. „Deshalb war uns im Schulwerk klar: Wir brauchen eigene Ressourcen.“
Einsatz in Extremsituation für viele Menschen
Wellbrock sei gleich an der IGS Wunstorf im Einsatz gewesen und habe die dortigen Unterstützungsmaßnahmen für alle Beteiligten mit koordiniert, so Brinkmann: „Es haben ganz viele Gespräche stattgefunden, mit den Schüler*innen aus den Klassen von Täter und Opfer oder auch mit den Lehrkräften.“ Und auch die Elternschaft der Schule sei im Blick. „In den Zeugnisferien hatten wir den Andachtsraum in der Schule durchgängig offen, damit Menschen dort Gesprächspartner*innen finden und ihrer Trauer Ausdruck verleihen können“, ergänzte Wellbrock. Trauer komme in Wellen, das sei hier wieder zu merken. Mal bräuchten die Schüler*innen Alltag, mal würden Tränen fließen. „Da ist es wichtig zu signalisieren: Alles ist möglich und richtig.“
Zunächst befristet für zwei Jahre arbeitet Wellbrock mit 25 Stunden pro Woche im Evangelischen Schulwerk. Nebenbei macht die studierte Erziehungswissenschaftlerin noch ihren Abschluss als tiefen-psychologische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Als ehemalige katholische Messdienerin und Jugendmitarbeiterin kennt sie kirchliche Strukturen. „Ich bin überzeugt, dass die Schulen in Krisensituationen schon ganz viele Ressourcen in sich haben, die es zu entdecken gilt“, sagt die 34-Jährige. „Ich sehe meine Aufgabe darin, Vernetzungsstrukturen aufzubauen und Beratungsmodelle zu etablieren.“
Dies gelte auch angesichts der Auswirkungen der Coronapandemie. Gerade die Schulschließungen hätten Kindern und Jugendlichen sehr viel abverlangt, so Wellbrock. Belastungserscheinungen unter Schüler*innen hätten deutlich zugenommen. Gemeinsam mit dem Elternvertreter*innen diskutierte Wellbrock im RPI Loccum, wie Lehrkräfte und Eltern Kinder in dieser und anderen Krisensituationen stärken können. Denn: „Gerade in der Pubertät können kleine Krisen ja plötzlich ganz groß werden!“
Wellbrock betonte, wie wichtig es sei, für Kinder und Jugendliche in Stress- und Krisensituationen immer wieder Angebote zu Gespräch und zum Austausch zu machen. So komme es verstärkt vor, dass Kinder in der Mittelstufe Angst davor hätten, mit auf Klassenfahrt zu fahren. „Kinder leiden vermehrt unter Trennungsängsten“, sagte Wellbrock. „Das muss man ernst nehmen. Sätze wie ‚Stell dich nicht so an‘ oder ‚Ist doch nicht so schlimm‘ helfen nicht weiter. Sondern man muss die Kinder ganz sanft ermutigen, wieder ins Leben zu gehen und das anzugehen, was vor der Pandemie ganz normal war.“
Tex: Dr. Michaela Veit-Engelmann, Öffentlichkeitsarbeit des RPI Loccum