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'Der Sämann' von Vincent van Gogh

saemann
'Der Sämann vor untergehender Sonne', Arles, November 1888; Öl auf Leinwand, 32 x 40 cm; Amsterdam, Rijksmuseum Vincent van Gogh, Vincent van Gogh Stiftung

Bildbeschreibung

Das Bild „Der Sämann vor untergehender Sonne“ gehört zu einer Folge von Gemälden, die Vincent van Gogh im Laufe des Jahres 1888 in Arles gemalt hat. Neben typischen Ernte- und Landschaftsszenen nimmt der „Sämann“ eine besondere Stellung ein. Der Maler hat mehrere Versuche unternommen, um eine kompositorische Lösung für sein Thema zu finden. Zu den Versuchen gehört u. a. das bekannte Gemälde „Der Sämann“(siehe unten). 

Außerdem existiert zum vorliegenden Bild aus gleicher Zeit noch eine ähnliche, etwas ruhigere Fassung, mit der van Gogh das Thema endgültig für sich beendet hat [1].

Das vorliegende Bild van Goghs ist klar gegliedert. Der in der Mitte verlaufende Horizont teilt das Bild in zwei  gleich große Teile. Ein dunkler Baum(-stamm) mit einigen rötlichen Blättern führt von rechts unten schräg bis zum oberen Bildrand. Die verschiedenfarbigen Bewegungen der Äcker folgen dieser Richtung. Sie scheinen auf den großen, gelben Kreis einer Sonne zuzustreben, werden aber durch eine Brechung und Verkürzung der Perspektive zur Fläche hin aufgebrochen. Eine dunkle Gestalt, dieser Bewegung entgegenlaufend, streut mit der linken, offenen Hand etwas auf den Acker. Die zweite Hand hält das geraffte Gewand und/oder trägt etwas vor der Brust. Der Gestalt im Vordergrund entsprechen kompositorisch die gegenüberliegenden kleinen Häusern und Bäume auf dem Horizont. Zur Farbkomposition gehört der Komplementärkontrast von Gelb und Violett bzw.  Blau und Orange. Van Gogh folgt mit seiner Farbgebung weniger der Natur als seinem malerischen Leitbild Delacroix . Es ist auffällig, dass der Horizont  nur vom Baum und der  Gestalt des Sämanns durchbrochen wird. 

Interpretation

Van Gogh  ist ein zutiefst religiöser Mensch gewesen, auch wenn seine Bilder an der Nahtstelle zur Moderne nicht mehr im traditionellen Sinn als religiöse Malerei gelten können. Im Gegensatz zu Gauguin hat van Gogh es beispielsweise abgelehnt, Christus zu malen, weil ihm dies Motiv zu groß schien. Stattdessen versucht van Gogh Religion über die Landschaft und das Symbol zu vermitteln [2]. Seine vorliegende Bildkomposition zeigt zunächst den Versuch einer Zuordnung von Figur und Landschaft. Die Figur des Sämanns erfährt im Gegensatz zu vielen anderen Bildern der Ernte-Serie hier eine große Aufmerksamkeit. Der Sämann verkörperte für ihn „…Sehnsüchte nach jenem Unendlichen“ [3]. Dieser erinnerte van Gogh zunächst an Jesus, der sich in seinen Gleichnissen als Sämann bezeichnete bzw. so von seiner Hörerschaft verstanden wurde (vgl. MK 4,10-12). In einem weiteren Schritt verglich van Gogh seine Arbeit selbst mit der eines in den Feldern arbeitenden  Bauern. „Er war für ihn eine archetypische Ausdrucks- und Identifikationsfigur, ein Garant ewiger Wiederkehr und steten Neubeginns, deren bedeutungsschweres Gegenstück in der Natur die Sonne war.“ [4]  Die erwähnte, meist kreisrunde gelbe Sonne durchzieht in mancherlei Variation viele Bilder van Goghs. Sie ist ein Symbol, das in seiner Leuchtkraft und Form göttliche Vollkommenheit und Präsenz verkörpert. „Wer nicht an die Sonne glaubt, der ist gottlos“, so hat van Gogh einmal formuliert. Gelb gehört für van Gogh dabei zu den wichtigsten und   ausdrucksstärksten Farben, wozu W. Uhde anmerkt: „Er liebte nicht den Sonnenschein. Er liebte die Sonne. Und diese selbst wollte er malen, nicht jenen. Wenn er schreibt: ’Wie schön ist das Gelb’, so liegt hier nicht allein die sinnliche Reaktion des Malers vor, sondern das Bekenntnis eines Menschen, für den Gelb die Farbe der Sonne, Symbol der Wärme und des Lichtes ist. Das Gelb setzt zuerst als Idee den Menschen, dann als Farbe den Maler in Ekstase.“ [5] Das Bild „Der Sämann vor untergehender Sonne“ besitzt somit eine vielschichtige Symbolik, die sowohl ästhetisch als auch religiös  gedeutet werden kann. Biblische Erzählungen sind van Gogh  vertraut, doch ihre religiöse Verlebendigung kann für ihn nicht  mehr durch  Illustration oder eine andere Form der Abbildung erfolgen. Diese sind dem Gegenstand selbst nicht angemessen. Van Gogh sucht eine eigene künstlerische Ausdrucksform, mit der ihm gelingt, was ihm als Prediger offensichtlich versagt geblieben ist.  Jeder Sämann kündigt so vom Reich Gottes. Van Goghs  Bemühen um Anerkennung sowohl seiner Person als auch seines eigenen ästhetischen Ausdrucks spiegelt sich in diesem Bild.  

Bildeinsatz im Unterricht

Das Bild lässt sich u. a. zu folgenden Themen einsetzen:  Gottesbilder, Gleichnisse, Reich Gottes, Kirchenjahr, Schöpfung.  

Mögliche Arbeitsaufträge und Unterrichtsfragen:

  • Was siehst du auf dem Bild ? Beschreibe das Bild so genau wie möglich (Formen, Farben, Gestalten)!
  • Welche  Einfälle und Assoziationen hast du zum Bild?
  • Welches Gefühl löst das Bild in dir aus? 
  • Woran wird deutlich, dass der Maler nicht nur eine Landschaft abmalen wollte?
  • Welche Symbolik verbirgt sich hinter der Sonne und dem Sämann? 
  • Vergleiche das Bild mit dem  Gleichnis vom Sämann (Mk 4,1-9[20])!
  • Was weißt du über den Maler Vincent von Gogh?  
  • Welche Farbe kannst du deiner Gottesvorstellung oder religiösen Überzeugung zuordnen? Versuche sie in einem eigenen Bild künstlerisch umzusetzen, ggf.  unter Verwendung oder Veränderung des Gemäldes von van Gogh! 

Hinweis: Viele methodische Ideen zur Arbeit mit Bildern finden sich u. a. in:  Franz Wendel Niehl/Arthur Tömmes, 212 Methoden für den Religionsunterricht, 5.Aufl., 2002

 

Anmerkungen

1 ) Vgl. Metzger, Van Gogh, Bd. II 452: „Der Sämann  vor untergehender Sonne, November 1888, 47 x 93 cm, Zürich, Stiftung Sammlung E.G.Bührle“. 

2) Vgl. Schwebel, S. 90-92.

3) Vincent van Gogh an Émile Bernard, um den 22. Juni 1988, nach: Herzogenrath, Felder, 130. 

4) Ebd. ; siehe auch Vincent an Theo van Gogh, um den 2. Juli 1888: „Aber in der Erntezeit war meine Arbeit nicht leichter als die Arbeit der Bauern, die mit eigener Hand die  Ernte hereinholen. Doch ich beklage mich keineswegs, denn gerade dann fühle ich       mich im künstlerischen Leben, auch wenn es nicht das wahre Leben ist, beinah ebenso glücklich, wie ich es in einem idealen, wahren Leben sein könnte.“,  zitiert nach,   Herzogenrath, Felder, Umschlaginnenseite. 

5) Zitiert nach Biesinger, Gott in Farben, 109

 

Literatur

Albert Biesinger/Gerhard Braun: Gott in Farben sehen, München 1995

Wulf Herzogenrath, Dorethee Hansen (Hrsg.): Van Gogh: Felder, Bremen 2002

Christina Kalloch: „Ein Fremdling auf Erden“ – Spuren der Gottessuche in den Bildern Vincent van Goghs, in: Bärbel Husmann (Hg.): Kunst und Religion – ein Dialog, Arbeitshilfen Gymnasium 10, Religionspädagogisches Institut Loccum 2003, S. 13-27 

Alfred Nemeczek: Van Gogh. Das Drama von Arles, München 2001

Thomas Noll: Der große Schamane - Zur Sinnbildlichkeit in der Kunst von Vincent van Gogh, Worms 1994

Bodo Plachta (Hg.): Vincent van Gogh. Briefe, Stuttgart 2001

Horst Schwebel: Die Kunst und das Christentum, München 2002 

Ingo F. Walther/Rainer Metzger: Vincent van Gogh, Sämtliche Gemälde, Bd. I + II, Köln 1993

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