Selbstvergewisserung ermöglichen?! - Virtuelle Bestattungs- und Gedenkräume

von Ilona Nord und Swantje Luthe

 

Virtuelle Bestattungs- und Gedenkräume verbreiten sich mit der Entwicklung computergestützter Kommunikationen seit Anfang der 1990er Jahre über den gesamten Globus und sie sind von nahezu allen Orten der Erde immer schneller und einfacher zugänglich. Während viele medienaffine Menschen diese Kommunikationsräume für ihre Abschiede nutzen, werden sie von anderen abgelehnt. Virtuelle Realitäten und „die Realität“ des Todes, des Abschieds sowie der Trauer scheinen konträr zueinander zu liegen. Während erstere sich dadurch auszeichnen, dass sie immer mehr und immer weiterreichende Möglichkeiten für die menschliche Kommunikation in Aussicht stellen, sind es Sterben und Tod, die ihre Grenzen, sogar ihr Ende einschärfen.


Erkundungsgänge in der aktuellen Bestattungskultur

Die Erweiterung der Lebenswirklichkeiten in digitale Räume bringt zahlreiche Varianten von Online-Sepulkralkultur hervor. Zu nennen sind beispielsweise digitale Gedenkseiten, in einen Gedenkstatus überführte Accounts oder trauerbezogene Gruppen in sozialen Netzwerken, Blogs, YouTube Videos, Trauerforen, Chatrooms, Friedhofs- oder Beileids-Apps und auch Grabsteine mit digitalen Bildpräsentationen und QR-Codes, die die Verlinkung zu jeglicher Art von Websites zulassen, sowie Trauerrituale und digitale Bestattungen, die innerhalb von Computerspielen, im besonderen Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPG), stattfinden.

Grabsteine mit QR-Codes

Ein in Deutschland relativ neues Phänomen, das den Besucherinnen und Besuchern bei ihren Spaziergängen auf den Friedhöfen begegnen kann, sind Grabsteine mit einem integrierten QR-Code.1 Die zweidimensionalen Codes, die zunächst für den logistischen Bereich kreiert wurden, sind vor allem durch die Nutzung auf Werbeplakaten, Flyern, Flug- oder Bahntickets bekannt. Viele mobile Endgeräte verfügen inzwischen über Software, die die Binärcodes entschlüsseln können und so die Verlinkung zu den abgebildeten Homepages herstellen. Die QR-Codes werden direkt auf einen Grabstein graviert, durch einen QR-Sockelstein nachträglich in ein bestehendes Grab gesetzt oder als QR-Erinnerungsstein den Trauergästen bei der Trauerfeier beziehungsweise im Nachgang dazu mit nach Hause gegeben.

Durch die Integration von QR-Codes in Grabtexte ist in einer ersten Perspektive deutlich, dass Online- und Offline-Bestattungskulturen aufeinander bezogen sind. Meist sind die Grabtexte mit digitalen Nachrufen oder Gedenkseiten vernetzt, die Biografien der Verstorbenen enthalten, und so Tod, Vergänglichkeit und Lebendigkeit ins Spiel setzen. Digitale Grabstätten leisten einen Beitrag dazu, die Gräber persönlich und individualisiert zu gestalten und einer relativen Anonymisierung der Gräber entgegenzuwirken, die möglicherweise dadurch gegeben ist, nur Namen und Sterbedaten auf dem Grab anbringen lassen zu können.

Thorsten Benkel und Matthias Meitzler stellen durch ihre kulturwissenschaftliche Untersuchung mit Material von deutschlandweit 160 Friedhöfen eindrücklich dar, dass auf kommunalen und auf kirchlichen Friedhöfen die Visualisierung voranschreitet (Benkel / Meitzler 2013, v. a. S. 94ff.). Benkel und Meitzler beobachten, dass Grabsteine demnach nicht nur Namen und Sterbedaten der verstorbenen Personen enthalten, sondern zunehmend bebildert werden. Die Autoren machen unterschiedliche Kategorien von Sinnbildern aus: Adressierungen, Sinnsprüche und Abschiedsworte, Grabobjekte, Persönlichkeitsaspekte, Todesursachen, Gesichter des Lebens (fotografische Darstellungen der Verstorbenen), u. a.
Derartige Ästhetisierungen erscheinen historisch so als nichts durchweg Neues. Die Inschriften und Gravuren der Grabsteine enthielten schon früh bekenntnishafte Formulierungen und auch zu Lebzeiten getroffene Aussagen der Verstorbenen oder fingierte Ichbotschaften. Zumeist waren diese Verlautbarungen biblische Symbole oder Sprüche, aber auch Bekenntnisse, die offenbarten, in welchem Verhältnis die Verstorbenen zu den Hinterbliebenen standen, welchem Beruf sie nachgegangen waren und wie sie gestorben sind.

Die zeitgenössische Friedhofskultur nutzt immer weniger christliche Symbolik und stellt die Toten zusehends in Bildern ihrer Lebenswelten dar, die jene lebendig zeigen. Die Grabtexte sind heute persönlicher, Inschriften werden so ausgesucht, dass die Hinterbliebenen in ihnen die Verstorbenen und ihre Beziehung zu ihnen wiedererkennen und ausgedrückt wissen. Auffallend sind die Darstellungen von Grabsteinen, die keine anscheinend als starr empfundene Grabinschriften und Gravuren aufweisen, sondern die Form des Briefeschreibens aufnehmen. Persönliches Gedenken findet so Ausdruck von Reflexion, Trauer und Trostbildern in fluider Form. Diesem Bedürfnis kommt die Möglichkeit entgegen, Grabstätten durch die angebrachten QR-Codes mit persönlichen Informationen zu verlinken.

Für die Besucherinnen und Besucher des Grabes eröffnet sich so ein virtueller Kommunikationsraum, der anwesend werden lässt, was auf dem Friedhof abwesend bleibt, und doch vom Modus des Kontingenten, der die Atmosphäre des Friedhofs bestimmt, geprägt ist.

Digitale Gedenkseiten

Virtuelle Friedhöfe und digitale Gedenkseiten können entweder als private Homepage oder als Seite auf einem Portal angelegt werden. Eines der derzeit größten, mit deutscher Domain betriebenen Portale ist www.strassederbesten.de (SdB). SdB verzeichnet nach eigenen Angaben 22.642 angelegte Gedenkseiten, 7.853.613 angezündete Gedenkkerzen und 55.624.443 Besucher der portaleigenen Gedenkseiten2 In der Nutzung von Portalen wie strassederbesten.de und gedenkseiten.de sowie bei Onlineangeboten der Tageszeitungen (z. B. trauer.sueddeutsche.de) und der Bestattungsunternehmen, die aufgegebene Traueranzeigen digitalisieren und mit der Option verbinden, diese als Gedenkseiten zu nutzen, zeichnet sich ein ansteigender Trend ab. Die Vernetzung der Portale mit sozialen Netzwerken wie Facebook und die mediale Professionalisierung von Bestattungsunternehmen, der Angebote der Zeitungsverlage, der Friedhofsverwaltungen, digitale Abbilder ihrer Friedhöfe oder Informationen online zur Verfügung zu stellen, sind für diese Entwicklung relevant. Zusätzlich trägt die zunehmende Bedienungsfreundlichkeit der bereitgestellten Werkzeuge zur Erstellung einer Gedenkseite zu steigenden User-Zahlen bei.

Die portaleigenen oder privat eingerichteten multimedialen Websites ermöglichen es Hinterbliebenen, eine Gedenkseite für verstorbene Angehörige und Freunde einzurichten und mit auditiven, visuellen und sprachlichen Elementen zu gestalten. Daneben gewinnen mediatisierte Ritualisierungen wie das Anzünden digitaler Kerzen oder das Posten von Trostbildern und Engelsdarstellungen, die mit einem Spruch oder einer Nachricht versehen werden können, auf den Gedenkseiten an Bedeutung (vgl. die neue Untersuchung: Swantje Luthe 2014). Das Ritual, ein Grablicht, ein „ewiges Licht“, am Grab aufzustellen wird genauso in den digitalen Gedenkraum übertragen wie die Bebilderung der Gräber (vgl. Benkel / Meitzler 2013, S. 94ff.) mit Fotos und Blumenschmuck.

Die Verbildlichungen auf Online-Gedenkseiten zeigen wechselseitige Verschränkungen der Bestattungskulturen auf. Offline wie online wird dem Totsein „zusehends ein Bildimage der Lebendigkeit gegenüber gestellt, das sogar als Unsterblichkeitsbild gewertet werden kann, weil die Abbildung potenziell unendlich lange existieren kann“ (Benkel / Meitzler 2013, S. 100). Die Repräsentationen der Toten in Bildern, in Briefen, in Sprüchen mit popkulturellen Sinnbezügen und Grabsteine mit QR-Codes, die zu Online-Einträgen oder Gedenkseiten verlinken, werden durch digitale Kommunikationsformen in Relation zu den Autorinnen und Autoren dieser Seiten gehalten. Auch in der Netzkultur deuten Bezüge zu den Repräsentationen von konkreten Personen wichtige Kommunikationsdimensionen an. Materielle Objekte wie Fotografien, Videos oder Briefe halten die Beziehung und die soziale Interaktion zwischen Lebenden und Toten in virtuellen Referenzräumen präsent. Sprachformen, die ursprünglich auf CMC zurückgehen wie Emoticons, haben ihren Ort wie selbstverständlich auch auf den Offline-Grabtexten gefunden.

Ein besonderes Augenmerk gilt der Form des Briefeschreibens. Mit Blick auf digitale Gedenkseiten wird die Bedeutung der fluiden Vernetzung für die Hinterbliebenen zu Trauergemeinschaften augenscheinlich. Virtuelle Friedhöfe sind Kommunikationsräume, die für sozialen Austausch und Vernetzung zwischen Trauernden, aber auch zwischen Hinterbliebenen und ihren verstorbenen Angehörigen genutzt werden. Unter den Bedingungen der digitalen Medien wirken hier CMC sozial verbindend und gemeinschaftsbildend. Erste Intentionen und Motivationen der Nutzerinnen und Nutzer gehen dahin, Trauer und Gefühle zu teilen mit der Sicherheit, sich in den besonderen Gefühlslagen nach einem Verlust verstanden zu wissen. Dies wird an den gegenseitigen Beileidsbekundungen, Foren- und Gästebucheinträgen sowie Kerzenritualen augenscheinlich.

Trauerbezogene digitale Kommunikationsgemeinschaften sind in ihrer Zusammensetzung fluide, interessenabhängig und freiwillig. Dennoch oder gerade deswegen aber wird durchaus wertschätzend miteinander kommuniziert. Intensive Trauererfahrungen wirken sich in einer verständnisvollen und mitfühlenden Begegnung der Kommunikatorinnen und Kommunikatoren untereinander aus. Die digitale Kommunikation ist nur scheinbar sozial wenig verbindlich. Die Nutzerinnen und Nutzer nehmen in ihren Nachrichten und Beiträgen aufeinander unterstützend Bezug. In den Kondolenz- oder Gästebüchern digitaler Gedenkseiten ist zudem häufig zu beobachten, dass Nachrichten an den unterschiedlichen Gedenktagen wie Geburts-, Sterbe- oder Festtagen übermittelt werden.3Beobachtungen im Feld der digitalen Gedenkseiten und deren Kondolenzbucheinträge zeigen, dass die Kommunikation persönlich, authentisch und meist nicht anonym oder teilanonymisiert stattfindet. Nutzerinnen und Nutzer unterschreiben oft neben ihrem Namen mit einem Zusatz: „Heike mit Patrick im Herzen“ oder „Stille Grüße Christina mit Sandra unvergessen“. Sie machen sich damit als mögliche Kommunikationspartner erkennbar, die aufgrund ähnlicher Erlebnisse und Erfahrungen die Gefühlszustände nachempfinden können, ohne den oder die Andere vis-à-vis zu kennen. Oft wird aus den Nachrichten aber auch ersichtlich, dass sich die Akteure und Akteurinnen persönlich kennen und der Kontakt nicht erst durch die digitale Trauergemeinschaft zustande kam, was sich durch namentliche Ansprache oder durch die Mitteilung von Insiderwissen zeigt.

Virtuelle Bestattungen

Neben das Ritual der Trauerfeier oder der Beisetzung, bei der sich der Teilnehmerkreis meist aus lokalen und sozial engeren Netzwerken zusammensetzt, treten im Bereich der Massively Computerspiele (Multiplayer Online Role-Playing Games) mediale Trauerrituale, die häufig wie Simulationen von diesen wirken. Diese Rituale werden online praktiziert. Hier können sich in der Lebenswelt des Computerspiels viele Menschen treffen, die sich nicht aus offline-Welten kennen. Sie kommen vielmehr zusammen, weil sie dieselben emotionalen Interessen haben: ihre Trauer zu artikulieren. Trauerprozesse finden nunmehr nicht ausschließlich im Familienkreis oder in engeren lokalen Netzwerken statt und sind auch nicht mehr allein auf die in diesen üblichen Bewältigungsstrategien angewiesen. Sie entstehen aus dem Bedürfnis der Spielercommunity, sich von einem Mitspieler oder einem Avatar verabschieden zu wollen.

Simon Eckhardt beschreibt anhand von phänomenologischen Erkundungsgängen die Lebenswelten von MMORPG sowie in diesen Spielen situierte Abschiedsrituale (vgl. Eckhardt 2014). Eckhardt zeigt, welche hohe Bedeutung die Spiele und die generierten Erzählungen für die Alltagswirklichkeit der User und Userinnen und die Bedeutung ihrer Avatare erhalten können. Diese Bedeutungen machen auch nachvollziehbar, warum es in der Spiel-Community für das Begehen von Trauer- und Abschiedsprozessen einen großen Bedarf gibt. In Spiel-Communities wachsen sozial enge Zusammenhänge, die zumeist verbindlich in sogenannten Clans oder Gilden organisiert sind.

Bestattungsrituale kommen in MMORPGs dabei in doppelter Weise vor: Zum einen wird ein Avatar beerdigt, das heißt ein User gestaltet den Abschied von seinem bzw. ihrem Avatar (z. B. wenn ein Avatar beim Spielen im Hardcore-Modus ausscheidet, z. B. bei Diablo III); zum anderen finden Beerdigungen statt, wenn die Spieler-Gemeinde oder Gilde um einen Mitspieler/eine Mitspielerin trauert, weil er/sie verstorben ist oder während einer therapeutischen Behandlung seiner Spielsucht aus dem Spiel verabschiedet wird. Derartige Trauerfeiern werden von einer Priesterin, einem Priester oder einem Gilden- oder Clanmitglied geleitet und finden im Modus des synchronen Chats statt.


Resümee

Der Friedhof ist auch aktuell noch ein Raum, der trauernden Personen mit seiner jeweiligen und darin auch vielfältigen Struktur vorgegeben ist. Er ist eine Einrichtung der Stadt- oder Kommunalverwaltung und unterliegt den Regularien, die von ihr gesetzt werden. Somit ist das abstrakte Kollektiv einer Stadtgesellschaft im Hintergrund ihr Träger; die Stadt, der Staat, die Kultur des Landes sind Souveräne über die Modelle von Bestattung und Gedenken. Betrachtet man den herkömmlichen Friedhof ebenfalls als Kommunikationsraum, so scheint es, dass er in der Kultur der Reihengräber vor allem auf individuelle Kommunikationen setzt. Zugleich zeigen sich aber auf vielen Friedhöfen bereits Veränderungen in Richtung auf geselligere Kommunikationsstrukturen, wie sie bei der Entwicklung von Gedenkorten, auf dem seit nun schon vielen Jahren bundesweit an vielen Orten gestalteten „Tag des Friedhofs“ oder in der Anlage oder Restauration von Familiengräbern sichtbar werden.

Kommunikationsräume im Cyberspace sind demgegenüber bereits noch klarer an Communities gebunden. Sie zeichnen sich durch konkrete Teilnahme und Anwesenheit in diesen aus. Es gibt Communities, die die Regeln zur Bestattung eines Avatars im Online-Spiel festlegen, und es gibt die Möglichkeit, von vielen verschiedenen Orten aus auf den einen für die eigene Trauerarbeit bedeutungsvollen Ort der Website für eine verstorbene Person zuzugreifen und dort aktuell auf weitere, gleichgesonnene Personen zu treffen. Die Community, die Kommunikationsräume für virtuelle Bestattungen und virtuelles Gedenken unterhält, ist Tag und Nacht ansprechbar und der Modus, der sie kennzeichnet, ist Anwesenheit. Oft wird die Anwesenheit in sozialen Netzwerken auch öffentlich dokumentiert. Mit diesem Modus der Anwesenheit eröffnen CMC insbesondere trauernden Personen ein besonderes emotionales Angebot. In Situationen, in denen sie unter der Abwesenheit einer betrauerten Person leiden, ist es ihnen möglich, virtuelle Kommunikationsräume aufzusuchen und an der Inszenierung von Anwesenheit teilzuhaben: entweder, indem eine Person selbst ihrem Kontaktbedürfnis darin Ausdruck verleiht, dass sie ein Ritual mitfeiert und darin Trauerprozesse initiiert, oder indem sie mit Symbolen oder Worten anwesend werden lässt, wen und was sie in ihrem Leben gerade vermisst.

Insgesamt entwickeln sich die persönlichen Kommunikationsprozesse in Trauerprozessen. So bestehen zu den Bebilderungen, wie sie in den Offline-Bestattungskulturen zu beobachten sind, online Konvergenzen. Online wie offline mehren sich persönliche Attribute, Engelikonen, Stofftiere und mit Sprüchen versehene Gedenktäfelchen sowie in direkter Ansprache an die Verstorbenen verfasste Notizen und Briefe. Online- und Offline-Grabstätten verweisen darin aufeinander. Viele Gedenkseiten beinhalten Bilder der Trauerfeiern, Fotos der geschmückten Gräber und von anderen emotional wichtigen Trauer- und Gedenkorten wie beispielsweise von einem zu Hause eingerichteten „Altar“ mit Fotos und Kerzen, einem Straßenkreuz an einer Unfallstelle, einem gestochenen Tattoo mit Namen und Lebensdaten o. ä.4 Offensichtlich kommt es zwischen Medienritualen und Offline-Ritualen zu Verschränkungen. Nicht nur Friedhofsbesuche werden durch Fotos dokumentiert, geschildert oder angekündigt: „… Morgen früh. Kommen wir dich besuchen und bringe dir Blumen …“5. Auch von anderen offline-situierten Gedenkritualen wird berichtet: „Guten Morgen Mami … ich bin wieder daheim angekommen … In Italien gingst du aber ganz schön schnell auf die Reise :-) kaum warst du im Meer warst du auch schon weg :-). Ich hoffe es hat dir gefallen, denn die Reise war für dich :-) Du weißt ja, dass dein Bild immer mit mir dabei war damit auch du alles gesehen hast, was ich gesehen habe :-) Die nächste Reise wird schon sehr bald kommen versprochen …“.6 Ein Bild, wahrscheinlich eine Fotografie der Verstorbenen, spannt hier einen virtuellen Beziehungsraum auf. In ihm ist es möglich, die Mutter direkt anzusprechen, sozusagen einen Dialog mit ihr zu führen. Der virtuelle Raum ermöglicht damit einen Sprechakt, der der Tochter einen Kommunikationszusammenhang eröffnet, in dem die Mutter einen festen Ort hat und darin weiter Anteil an der Lebenswelt der Hinterbliebenen erhalten kann. Bei aller Verortung in diesem virtuellen Raum wird die Verstorbene gleichzeitig als anwesend und abwesend erfahren; hier ist es möglich, diese Ambivalenz, die einen Trauerprozess kennzeichnet, zu leben.

Insgesamt scheint ein Bedürfnis erkennbar, Trauer in ‚individueller’ Form auszudrücken. Intime Trauerbekundungen und die Kommunikation mit den Verstorbenen ist keine Seltenheit: „… auch heute ist wieder ein Tag, wo es besonders schwer ohne Dich ist. Wir feiern heute schon das 2. Mal Weihnachten ohne Dich. In unseren Herzen wirst du immer bei uns sein. Habe ein schönes Fest oben mit deinen Engeln. Wir vermissen dich so sehr...“7 Wie sich hier andeutet, ist die verbreitete Rede von Engeln, Schutzengeln etc. auf digitalen Gedenkseiten, die sich auch in der Offline-Kultur dokumentieren lässt, charakteristisch. Solcherart Verlautbarungen in Online-Kommunikationen können hilfreich sein, die vielen Engeldarstellungen auf kommunalen oder kirchlichen Friedhöfen zu deuten und ihre „individuellen Sinnrätsel“ zu entschlüsseln. Die Engelikonen verfügen über ein Mehr an Sinn für die Nahestehenden, aber auch für die implizit mitgedachten Betrachterinnen und Betrachter. Sie sind Symbol für ein wie auch immer geartetes Weiterwirken der Verstorbenen nach dem Tod.

Verstorbene werden einer positiven Sphäre zugeordnet, dem Himmel oder dem Paradies, zu der Engel eine Beziehung haben. Engel werden den Verstorbenen an die Seite gewünscht. Sie übernehmen eine Schutzfunktion für die Verstorbenen und können Botschaften zwischen den heterogenen irdischen und himmlischen Welten vermitteln. Häufig werden die Verstorbenen auch mit Engeln identifiziert, die sich ihrerseits zwischen der himmlischen und der irdischen Welt bewegen und mit den Hinterbliebenen kommunizieren, sie beschützen und über sie wachen.

Die Bilder und Darstellungen der Himmelsboten bzw. der Engel verweisen auf einen virtuellen Kommunikationsraum, der zwischen Lebenden und Toten Beziehungen möglich macht, die als gleichzeitig an- und abwesend erfahren werden. Sie eröffnen eine Perspektive, in der es denkbar wird, über die Grenzen der divergierenden Sphären des Diesseits und des Jenseits hinweg zu kommunizieren und Botschaften zu überbringen, ohne das Bewusstsein der unaufhebbaren Trennung zu verlieren.


Anmerkungen

  1. Vgl. dazu die Darstellungen auf www.grabstein.info/ (Stand 17.03.2014) oder www.friedhofskerze.de/de/qr-code-grabstei ne und www.friedhofskerze.de-de-qr-code-grabsteine2 (Stand 31.03.2014)
  2. Letzter Zugriff am 16. März 2014.
  3. Vgl. z. B. die Einträge im Gästebuch vom 03.02.2014, 24.12.2013 u. a., www.gedenkseite-sarah-matthias.de/letzte_gedanken.22.html#/G%C3%A4stebuch (Stand 31.03.2014)
  4. Vgl. zum Beispiel www.gedenkseiten.de/zoe-emely-wosnitza- gensch/bilder/ (Stand 30.03.2014)
  5. Eintrag zu einer Gedenkkerze am 07.03.2014, www.gedenkseiten.de/sylvia-grothe/kerzen/516180/ (Stand 30.03.2014)
  6. Eintrag in ein Kondolenzbuch am 04.07.2013: www.gedenksei ten.de/silli/kondolenzbuch/14857/ (Stand 30.10.2014)
  7. Eintrag zu einer Gedenkkerze vom 24.12.2013, www.gedenkseiten.de/bjoern-wuestenfeld/kerzen/459980/ (Stand 30.03.2014)

 


Literatur

  • Benkel, Thorsten / Meitzler, Matthias: Sinnbilder und Abschiedsgesten. Soziale Elemente der Bestattungskultur, Schriften zur Kulturwissenschaft 97, Hamburg 2013.
  • Döring, Jörg / Thielmann, Tristan: Der Spatial Turn und das geheime Wissen der Geographen, in: dies. (Hg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008, 7-48.
  • Eckhardt, Simon: Hochzeit und Bestattung – Passagerituale in MMORPG. Phänomenologische und theologische Analysen zu Symbol, Ritual und Lebenswelt, in: Nord, Ilona / Luthe, Swantje (Hg.): Social Media, christliche Religiosität und Kirche. Praktisch-theologische Studien mit religionspädagogischem Schwerpunkt, Jena 2014 [im Erscheinen].
  • Lehnert, Gertrud: Raum und Gefühl. Der Spatial Turn und die neue Emotionsforschung, Bielefeld 2011.
  • Luthe, Swantje: Social Media und ihre Relevanz für die Kasualtheorie. Eine Case-Study im Feld der Bestattungskulturen, in: Nord, Ilona / Luthe, Swantje (Hg.): Social Media, christliche Religiosität und Kirche. Praktisch-theologische Studien mit religionspädagogischem Schwerpunkt, Jena 2014 [im Erscheinen].