Die Frage nach Gott im islamischen Religionsunterricht der Grundschule

von Annett Abdel Rahman

 

Überlegungen zur Frage nach Gott

Die Frage nach Gott ist die Essenz des Religionsunterrichtes und sie ist die am schwierigsten zu bearbei-tende Frage im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern. Warum?

Die Frage nach Gott kann nicht ohne die individuelle Wahrnehmung von Gott beantwortet werden – so verschieden Schülerinnen und Schüler sind, so unterschiedlich ist auch ihr Verhältnis zu Gott und ihr Bezug zu gelebter religiöser Praxis. Jede Religion hat ihre theologischen Grundlagen und Deutungsstrukturen für ihre Vorstellungen, wie Gott ist und was Gott von den Menschen will. Dies ist natürlich Grundlage im Religionsunterricht, um mit Schülerinnen und Schülern über Gott zu sprechen. Aber treffen diese theologi-schen Rahmenbedingungen zum Gottesverständnis auf die lebensweltlichen Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern? Können sie ihr persönliches individuelles Gottesbild mit den Beschreibungen Gottes aus der Schrift ihrer Religion verbinden? Und wie kann man mit Schülerinnen und Schülern so über Gott sprechen, dass sie sich davon auch berühren lassen?

Diese Frage stellt sich natürlich auch im islamischen Religionsunterricht. In der Grundschule wird die Frage nach Gott im Kerncurriculum in einer expliziten Leitfrage thematisiert, sie wird dabei in den Zusammenhang von Gott – Glaube – Handeln gesetzt. Die angestrebten Kompetenzen sollen dabei die Fähigkeiten sein, eigene Gottesvorstellungen zu benennen, die Vielfalt Gottes anhand seiner im Koran aufgeführten Namen zu beschreiben, aber auch unterschiedliche religiöse Ausdrucksformen zu kennen und an ihnen teilnehmen zu können.

So wie in anderen Religionsunterrichten auch, ist die Schülerschaft im islamischen Religionsunterricht äu-ßerst heterogen. Neben den heterogen ausgeprägten religiösen Bindungen, die Schülerinnen haben (oder eben nicht haben), leben sie in unterschiedlichen kulturellen und sozialen Bezügen. Die Lebenswelten der Schülerinnen und Schüler sind somit sehr verschieden, Gespräche über Gott gehören nicht immer dazu.

Exemplarisch für eine Unterrichtssequenz zur Frage nach Gott soll hier ein Kapitel aus dem Arbeitsheft „Bismillah – Wir entdecken den Islam“ für Klasse 3 (S. 8-12) vorgestellt werden, welches ich mit einer Autorin erstellt habe. Das Arbeitsheft ist für den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht konzipiert und umfasst Arbeitsangebote zu spezifischen Unterrichtsschwerpunkten.

Einer dieser Schwerpunkte umfasst das Thema „Gott und der Glaube in meinem Leben“ und soll hier kurz vertiefend vorgestellt werden.



Anregungen für eine Unterrichtseinheit „Gott und der Glaube in meinem Leben“

Erster Schritt: Nach Gott fragen
Nach Gott fragen ist der Leitgedanke des Einstiegs in diese Sequenz. Ausgehend von den unterschiedlichen Erfahrungen und lebensweltlichen Bezügen der Schülerinnen und Schüler wird hier Raum gelassen, sich auszutauschen zu ihren möglichen Fragen: „Passt Gott auf mich auf?“ „Wie sieht Gott aus?“ „Hört mich Gott?“ „Wo ist Gott?“ usw. Die Fragen nach Gott können an der Tafel gesammelt werden, um zu ermutigen, über Gott ins Gespräch zu kommen. Dabei darf alles gesagt werden, was Schülerinnen und Schülern wichtig erscheint. Im Anschluss daran kann darüber gesprochen werden, was wir über Gott wissen können und was nicht. Dies dient als Vorbereitung, um in den folgenden Unterrichtsstunden konkreter mit Hilfe spezifischer islamischer Deutungen auf das Gottesbild im Islam eingehen zu können.

Einige Schülerinnen und Schüler, deren Lebenswelt tatsächlich von religiöser Praxis geprägt ist, werden damit vertraut sein, dass viele Muslime ihre Tätigkeiten/Handlungen mit dem Begriff „Bismillah“ beginnen. Dies bedeutet „Mit dem Namen Allahs …“ und meint die innere Haltung des Gläubigen, alles, was er tut, im Bewusstsein der Begleitung und im Vertrauen auf Gott zu tun. Das Kinderlied „Bismillah“ beschreibt dies aus dem Alltag eines Kindes heraus und bietet hier Anlass, sich darüber auszutauschen. Ziel des Austausches sollte an dieser Stelle nicht der Wissenstransfer muslimischer Normen sein, sondern das Mitteilen und das Zuhören, um eine vertrauensvolle Atmosphäre für weitere Gespräche über Gott aufzubauen.


Zweiter Schritt: Mit Gott sprechen
Mit Gott sprechen eröffnet als nächster Schwerpunkt dieser Sequenz die konkrete Möglichkeit, sich an Gott im Gespräch zu wenden. Grundlage dafür ist der Koranvers 2:18 „… ich bin nahe, ich höre den Ruf des Bittenden, wenn er mich ruft.“ Dieser Vers ist einer der eindrucksvollsten Verse im Koran über die Wech-selwirkung zwischen Mensch und Gott. Ohne Vermittler kann der Mensch Gott anrufen und gleichzeitig wird ihm zugesichert, dass er erhört wird. Der Mensch darf sich also ohne Angst und in voller Zuversicht an Gott wenden.

Wie rufe ich Gott an, welche Möglichkeiten habe ich dafür? Im Arbeitsheft gibt es hier konkrete Angebote: „in Stille nachdenken“, „mit meinen Worten zu Gott sprechen“, „Gott danken“, „bekannte Bittgebete verrichten“. Diese Angebote könnten im Unterrichtsgespräch gemeinsam diskutiert werden. Dabei sollte größtmögliche Offenheit Voraussetzung sein: einerseits für diejenigen, für die das Gespräch mit Gott gelebter Alltag ist, und andererseits auch für diejenigen, denen das (noch) fremd ist. Schwerpunkt sollte hier der Erfahrungshorizont der Schülerinnen und Schüler sein, die darüber berichten können, welche Bedeutung das Gespräch mit Gott für sie hatte.

Abschließend kann die Aufgabenstellung, ein Gebet schriftlich an Gott zu formulieren, einen Rahmen für ein persönliches Gespräch mit Gott geben. Ziel ist hier die persönliche Auseinandersetzung mit der konkreten Situation, sich an Gott zu wenden, das Nachdenken darüber, was man Gott wie mitteilen möchte, nicht der fertig formulierte Inhalt des Gebets. Dementsprechend sollte seitens der Lehrkraft mit Fingerspitzengefühl entschieden werden, ob Gebete vorgelesen werden und auch, ob in jedem Fall ein schriftlich verfasstes Gebet vorliegen muss.


Dritter Schritt: Gott fühlen
Gott fühlen lädt anhand eines farbenprächtigen Bildes ein, über Empfindungen, eigene Gedanken oder auch Erlebnisse und Erfahrungen Gott zu erspüren. Hilfreich ist hier ein vertrauensvoller Austausch verbunden mit einem Brainstorming entsprechender Wörter an der Tafel oder in einer kleineren Gruppe. Das gesammelte Wortmaterial soll im Anschluss helfen, allein oder in Kleingruppen ein Elfchen zur Frage „Wie ich Gott fühle“ zu schreiben.

In den bisherigen Angeboten war das subjektive Gottesverständnis der Schülerinnen und Schüler leitend für die Unterrichtsgespräche. Schwerpunkt der nächsten möglichen Unterrichtsstunden dieser Sequenz soll das islamische Gottesbild sein, um Schülerinnen und Schülern damit auch eine Perspektive anbieten zu können, wie Gott sich den Menschen beschreibt.


Vierter Schritt: Die schönsten Namen Gottes im Koran
Der Glaube an Gott wird durch die Eigenschaften Gottes, die fast alle im Koran erwähnt werden, illustriert. Gott hat die schönsten Namen: Die 99 Eigenschaften Gottes werden als die 99 schönsten Namen be-zeichnet: „Und Allah gehören die schönsten Namen. Daher ruft ihn damit an …“, Koran 7:180. Unter diesen Namen sind die Attribute der absoluten Vollkommenheit Gottes zu verstehen. Da viele Attribute auch Ei-genschaften von Menschen sind, ist es hier naheliegend, vorwiegend mit diesen zu arbeiten, um eine Brücke vom koranischen Text über das Wesen Gottes zur Vorstellung der Schülerinnen und Schüler zu schlagen. Auszugsweise werden folgende Eigenschaften Gottes im Arbeitsheft angeboten: der Beschützer, der Gebende, der Gerechte, der Geduldige, der Verzeihende, das Licht, der Hörende usw. Nun kann ein Aus-tausch, erst mündlich, dann schriftlich, darüber erfolgen, wann konkret Gott beschützt, wann Er gibt, wann Er gerecht ist und wann Er verzeiht usw. Möglich wäre auch eine Gruppenarbeit mit Placemates, in der eine kleine Auswahl (ca. 3) an Namen Allahs besprochen wird. Dabei soll der konkrete Bezug der Schülerinnen und Schüler zu genau diesen Namen thematisiert werden und eine Einigung auf ein bis zwei Kernsätze erfolgen. Jede Gruppe kann dann ihr Ergebnis der Klasse mitteilen. Die jeweiligen Namen Gottes und der ausgearbeitete Bezug zu den Schülerinnen und Schülern können auf einem Plakat gesammelt werden und somit zu einer beeindruckenden Übersicht für das Klassenzimmer werden. Dies bietet eine ausgewählte Visualisierung dessen, welche Eigenschaften Gott den Menschen anbietet, um sich von Ihm „berühren“ zu lassen, oder Ihm letztendlich vertrauen zu können.

Im Islam ist der Glaube an Gott nicht losgelöst vom Umgang miteinander in seinen individuellen Lebenssi-tuationen zu sehen, daher wird der letzte Teil der Unterrichtssequenz auch mit Aspekten des Handelns verknüpft.


Fünfter Schritt: Den Glauben leben
Den Glauben leben bezieht sich damit nicht nur auf das normative Verständnis religiöser Lebensregeln, wie z. B. die Frage danach, welche Speisen Muslimen erlaubt sind. Sondern es bezieht sich auch auf die ethische Grundforderung, welche im Koran immer wieder Erwähnung findet: „Gebiete Gutes und verbiete Schlechtes“. Dies wird anhand kleinerer im Arbeitsheft dargestellter Alltagssituationen, wie sie Schülerinnen und Schüler auch in ihrer Lebenswelt erleben dürften, deutlich.

Zur Beendigung der Unterrichtssequenz wäre ein interreligiöser Austausch mit christlichen oder jüdischen Schülerinnen und Schülern hilfreich und spannend. Schwerpunkt kann das sicherlich verschiedene Gottesbild sein, in dem aber alle Religionen gemeinsame Eigenschaften Gottes entdecken können. Einen Anknüpfungspunkt bietet ebenso der Austausch über religiöse Ausdrucksformen, wie das Gespräch mit Gott in seinen unterschiedlichen Formen als Gebet, Gottesdienst oder freies Gebet. Die Teilnahme als Gast am Gottesdienst des Anderen in einer Synagoge, Kirche oder Moschee kann eindrucksvoll zeigen, wie Andere das Gespräch mit Gott führen und sich dabei möglicherweise berühren lassen. Das „Sich dem Anderen Mitteilen und Erklären“ kann helfen, eigene Positionen und Empfindungen deutlich zu machen und zu re-flektieren.

Ein besonderer Anspruch, aber nicht zu vernachlässigen, ist ebenso der Austausch mit nicht religiösen Schülerinnen und Schülern, um ein Schulklima zu schaffen, in dem ein wertschätzender Umgang mit allen Beteiligten und deren anderen Lebenswegen gelebt wird.



Literatur

  • Ceylan, Rauf (Hg.): Bismillah – Wir entdecken den Islam“ Arbeitsheft für Klasse 3, Braunschweig 2012