Vorstellungsgottesdienst? Nein, danke!

von Bernd Abesser

 

Sonntagmorgen in einer Gemeinde am Rand einer Großstadt. Angekündigt ist der Vorstellungsgottesdienst der Konfirmandinnen und Konfirmanden. In den Bankreihen viele Lücken, hier und da ein paar jüngere Erwachsene, ältere Menschen, einige russische Mütterchen mit Kopftuch, wenige Männer. Orgelvorspiel, Begrüßung durch einen jüngeren Mann in Zivil. Ein "neues" Kirchenlied, verhaltener Gesang, die Orgel ist lauter als die Gemeinde. Konfirmanden treten vor. "Was Jugendlichen Angst macht": Zu diesem Thema nuscheln sie in einem atemberaubenden Tempo Texte zu gegenwärtigen Problemen der Welt ins Mikrofon: Arbeitslosigkeit, Krieg, Ungerechtigkeit – der bekannte Kanon der Schrecklichkeiten. Das alles zieht sich endlos hin. Die Texte sind ganz offensichtlich aus dem Internet besorgt, werden ohne Sinn und Verstand heruntergelesen. Insbesondere den Jungen ist sichtbar unbehaglich. Mir auch. Wieder tritt der jüngere Mann in Zivil auf und hält eine Ansprache. Weitere Lieder und Gebete der Konfirmanden, am Schluss "Großer Gott, wir loben dich". Verwirrt und irritiert verlasse ich die Kirche, wo mir der Mann in Zivil die Hand drückt – es ist der Pastor. Mich schaudert’s.

Vorstellungsgottesdienst: Wer stellt hier wem was vor? Und wozu? Was auch immer einige Sonntage vor der Konfirmation in vielen Gemeinden unter dem Namen "Vorstellungsgottesdienst" geschieht: Es sollte unterbleiben. Und zwar aus drei Gründen.

Erstens und vor allem: Der Gottesdienst ist für eine "Vorstellung" völlig ungeeignet, weil seine Funktion die dramatische Inszenierung der Begegnung von Gott und Mensch ist. In dieser Inszenierung gibt es im Gegensatz zum Theater keine Zuschauer, also auch keine Aufführenden bzw. solche, die anderen etwas vorstellen, sondern nur die feiernde Gemeinde. Sie wird von bestimmten Menschen (das könnten durchaus auch Konfirmanden sein) durch das Ritual der Feier geführt. Hier wird gerade nicht etwas "vor-gestellt", schon gar nicht der Mensch in seinem Tun und Produzieren, sondern es wird ein Raum eröffnet ("hergestellt"), in dem sich, so Gott will, Begegnung ereignen kann. In diesem Raum gibt es natürlich auch Darstellung, zum Beispiel biblischer Geschichten. Solche Darstellung kann durchaus von Konfirmandinnen oder Konfirmanden eingeübt und übernommen werden. Deren Aktivität steht dann aber im Dienst der ganzen Inszenierung. Sie sind ein Teil der feiernden Gemeinde und in diese Rolle sollen und dürfen sie im Lauf der Konfirmandenzeit hineinwachsen.

Zweitens: Der Gottesdienst ist für eine "Vorstellung" völlig ungeeignet, weil im Spannungsfeld der Begegnung von Gott und Mensch alle Beteiligten Verhaltenssicherheit brauchen. In einem öffentlichen Gottesdienst agieren, sprechen oder beten kann man nicht "einfach so". Hier geht es um Rituale, um performative Akte, die sich von dem unterscheiden, was außerhalb des Gottesdienstes stattfindet. Vorstellungsgottesdienste neigen dazu, diese Differenz zu durchbrechen, zu überspielen und ein neues Stück zu schaffen, für das es aber weder bei den Agierenden (den "Vorstellenden") noch bei der zum Publikum mutierten Gemeinde angemessene Verhaltenscodices gibt. Die Folge ist eine zuweilen unerträgliche Mischung aus halbgarer Moderation, dilettantischem Spiel, handwerklich miserablen Vorträgen und ungeistlichem Gebaren. Anders gesagt: Konfirmanden wie Gemeinde – man denke nur an all jene Eltern, deren Kirchgang sich auf wenige Gelegenheiten beschränkt – sind heillos überfordert. Verhaltenssicherheit im Ritual ist bei Menschen, die nicht im Gottesdienst "zu Hause" sind, kaum gegeben. Dies trifft vor allem für männliche Konfirmanden zu, die zudem in einem Alter sind, in dem schon ganz alltägliches Verhalten von zuweilen vehement überspielter Unsicherheit geprägt ist.

Drittens: Es gibt Formen, in denen Konfirmandinnen und Konfirmanden sich und die "Produkte" ihrer Konfirmandenzeit viel angemessener vorstellen können: Eine Ausstellung von Bildern zum Credo oder Vaterunser im Foyer der Kirche; ein Eltern- oder Gemeindeabend mit gemeinsamem Essen, Liedern, Spielen und am Ende einer Andacht aus der Konfirmandenarbeit; ein Theaterstück im Rahmen eines Gemeindefestes; auch einzelne, gut vorbereitete Dienste und Mitwirkungen im Sonntagsgottesdienst. All das macht einer Gemeinde viel mehr deutlich, wie neue Mitglieder sich darin üben, ihrem Glauben Gestalt zu verleihen – mehr als eine oktroyierte oder eine dem "es war hier immer so" geschuldete Veranstaltung das könnte.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2006

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