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Carsten Gennerich und Reinhold Mokrosch
Religionsunterricht kooperativ
Evaluation des konfessionell – kooperativen Religionsunterrichts in Niedersachsen und Perspektiven für einen religionskooperativen Unterricht, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2016
ISBN 978-3-17-030941-8, 192 Seiten, 26,00 Euro.

Die vor allem quantitativ angelegte Studie von Dr. Carsten Gennerich, Professor für Gemeindepädagogik an der Evangelischen Hochschule Darmstadt, und Dr. Reinhold Mokrosch, emeritierter Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Osnabrück, hat ihren ersten Akzent auf den seit 20 Jahren bestehenden konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in Niedersachsen gesetzt. 2005/2006 haben 152 Lehrkräfte von 82 Schulen – 54 Prozent evangelisch und 46 Prozent katholisch –, die seit Jahren konfessionell-kooperativ unterrichtet haben, an der Befragung teilgenommen (vgl. Pelikan 4/2015). In Niedersachsen wurde die konfessionelle Kooperation als Modellversuch 1998 eingeführt, in dessen Rahmen evangelische und katholische Religionslehrerinnen und -lehrer mit einem schriftlichen Konzept auf Antrag kooperieren konnten.

Vor dem Hintergrund der EKD-Denkschrift „Religiöse Orientierung gewinnen“, in der formuliert wird „Der evangelische RU versteht sich […] als ein dialogisch offenes pädagogisches Angebot und strebt ausdrücklich die Kooperation mit dem Unterricht anderer Religionsgemeinschaften an“ (EKD 2014, 13) stellten die Autoren der Frage, ob der konfessionell-kooperative Religionsunterricht (KKRU) nicht zu einem religions-kooperativen Unterricht (RKRU) ausgeweitet werden könne oder sogar müsse. 2014/2015 haben sie darum die vorhergehende Erhebung um 15 ergänzende Interviews aktualisiert und dafür Religionslehrkräfte aus allen Schulformen, evangelische, katholische sowie muslimische befragt.

Die Ergebnisse zum KKRU zeigen, dass das Modellprojekt erfolgreich verlaufen ist und sich folgende Parameter herauskristallisiert haben: Die konfessionelle Kooperation verlangt ein beachtliches Engagement von den unterrichtenden Lehrkräften und ist nicht nebenbei zu realisieren. Der Gewinn liegt u. a. in persönlich bereichernden kollegialen Austauscherfahrungen sowie im Erhalt der Klassengemeinschaft. Auffällig ist, dass es den Lehrkräften gar nicht um konfessionelle Kooperation im eigentlichen Sinn geht, sondern dass sie ökumenischen Religionsunterricht wollen, der auf dem allgemeinen christlichen Wissen basiert. Sie legen den Akzent auf die Gemeinsamkeiten der christlichen Religion und nicht auf die konfessionellen Unterschiede. Diesem Befund entsprechen auch die Angaben zu den eigenen Unterrichtszielen: Das mit 95 Prozent Zustimmung am höchsten bewertete Ziel ist die Vermittlung christlicher Grundbildung. Eine konfessionelle Heimat wollen dagegen nur 25 Prozent der Befragten vermitteln. Das Modellprojekt war gerade mit der Intention der Förderung konfessioneller Identität eingerichtet worden. Ein bemerkenswerter Befund ist auch, dass nur eine Minderheit der Befragten offen dafür wäre, ihre ökumenische Einheitsidee und Kooperation durch eine Hinzunahme von Islam und Judentum zu erweitern.

Gennerich und Mokrosch sehen die Möglichkeit, dass eine Ausweitung des KKRU auf einen RKRU die Differenzkompetenz der Unterrichtenden, nämlich die Beachtung von Unterschieden zwischen den Religionen, stärken würde. Als hauptsächlich wirksam im KKRU wurden der Klassenzusammenhalt inklusive der Möglichkeit zur Klärung persönlicher Fragen und der Erwerb von Dialogkompetenz ausgemacht. Weitaus weniger auszumachen sind die Förderung von konfessioneller Identität bzw. die Zunahmen ökumenischen Wissens.

Bei der theoretischen Übertragung des erfolgreichen Modells des KKRU auf einen RKRU stellt sich den Autoren die zentrale Frage, ob Religionsgrenzen nicht einen anderen Charakter haben als konfessionelle Grenzen. Darum erarbeiten sie gemeinsame theologische Grundlagen für einen religionskooperativen Unterricht. Aus interreligiöser Sicht ist diese Vorhaben fragwürdig, denn man geht hier hinter den Grundsatz zurück, dass man nicht über eine andere Religion spricht bzw. schreibt, sondern deren Vertreter die eigene Theologie und didaktischen Konsequenzen entwickeln lässt. Die Reflexionen zu einem möglichen RKRU basieren auf der Sicht der Pluralistischen Theologie der Religionen nach John Hick, Paul F. Knitter und Perry Schmidt-Leukel. Gennerich und Mokrosch leiten daraus drei Forderungen für die Kommunikation als Grundlage von interreligiöser Bildung ab: Religionen müssen als Verwandte miteinander theologisieren und dabei trotz ihrer Verschiedenheit spirituell und ethisch miteinander kommunizieren und kooperieren. In Anlehnung an die Komparative Theologie von Klaus von Stosch verstehen die Verfasser Glaubenssätze als regulative Aussagen für die jeweiligen Glaubenden und nicht als Aussagen über die Wirklichkeit. So kann auf die Hypothese eines unvordenklichen Seins- und Wirklichkeitsgrund verzichtet werden. Interreligiöser Dialog ereignet sich dann im Austausch über die Bedeutung religiöser Sätze in der jeweiligen Lebenspraxis von Religionen. Die Ausführungen enden mit einer Skizze didaktischer Ansätze für einen RKRU: Demnach geht es im RKRU „um kritische Selbstbildung durch Begegnung mit Anderen. Diese soll im wirklichen Verstehen der eigenen und der anderen religiösen oder nicht-religiösen Lebensformen stattfinden.“ (169) Dafür sollten dem Unterricht weniger dogmatische Glaubenssätze und objektive Systeme von Religionen zugrunde liegen, sondern sich an gelebten Religionen und deren gelebten Verhältnissen zueinander orientieren. Es sollen die Sinn-, Bedürfnis- und Existenzfragen, die den religiösen Praktiken und Glaubenssätzen zugrunde liegen, erkannt und geklärt werden. Der Unterricht soll so organisiert sein, dass phasenweise unter gleich religiösen Schülerinnen und Schülern und phasenweise unter verschieden-religiösen und religionslosen unterrichtet wird. Der RKRU zielt zugleich auf Pluralitätsfähigkeit und auf konfessionelle, interkonfessionelle und interreligiöse Kompetenz.

Nach der Lektüre beider Studien bleibt als bemerkenswertes Ergebnis der starke Wunsch der Mehrheit der Lehrkräfte nach einer Organisation des Religionsunterrichts im Klassenverband. Worin liegt die Motivation hierzu? Was sehen die Lehrkräfte als Mehrwert für diese Konstellation? Ist ihr Interesse pragmatisch und sozialpädagogisch begründet oder verbindet sich mit diesem Ergebnis ein religionsdidaktisches Votum für eine Neugestaltung des Religionsunterrichts?

Barbara Hanusa

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2017

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